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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 01.02.2011

7. Gesundheitswesen

7.1. Krebsregistrierung - Klinikregister datenschutzgerecht ausgestalten!

Die Krebsregistrierung ist in Bayern im Gesetz über das bevölkerungsbezogene Krebsregister Bayern (BayKRG) geregelt (siehe hierzu 19. Tätigkeitsbericht, Nr. 3.3). Das bevölkerungsbezogene Krebsregister besteht aus einer Vertrauensstelle und einer Registerstelle, die jeweils räumlich, organisatorisch und personell voneinander getrennt sind. Daneben kennt das BayKRG auch die Klinikregister. Diesen kommt vor allem die Aufgabe zu, die eingegangenen Meldungen von Ärzten und Zahnärzten - ggf. nach einer Überprüfung und Berichtigung - an die Vertrauensstelle des bevölkerungsbezogenen Krebsregisters weiterzuleiten. Daneben dürfen die Klinikregister die epidemiologischen Daten für ihre Zwecke verarbeiten und nutzen, die auf die Person bezogenen Identitätsdaten der Betroffenen jedoch nur mit deren Einwilligung.

Art. 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 BayKRG

4Die Klinikregister dürfen die epidemiologischen Daten (Art. 4 Abs. 2) dieser Meldungen für ihre Zwecke verarbeiten und nutzen. 5Eine Verarbeitung und Nutzung der Identitätsdaten (Art. 4 Abs. 1) ist nur mit Einwilligung der Betroffenen zulässig.

In den Klinikregistern dürfen deshalb keine Identitätsdaten aus den Meldungen mehr gespeichert sein, sobald die Übermittlung der Daten an die Vertrauensstelle abgeschlossen ist, es sei denn, es liegt eine ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen vor. Zu den Identitätsdaten gehören Familienname, Vornamen, frühere Namen, Geschlecht, Anschrift, Geburtsdatum, Datum der ersten Tumordiagnose und Sterbedatum.

Im Berichtszeitraum erreichte mich ein Gesetzentwurf des Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit, der einen regelmäßigen Abgleich der Daten der Klinikregister mit den Daten der Melderegister vorsah. In der Gesetzesbegründung hieß es hierzu, dass die Klinikregister Kenntnis über den Sterbetag der Patienten haben müssten. Aufgrund therapiebedingter jahrelanger Krankheitsverläufe, zunehmender Mobilität und Namensänderungen werde es für die Klinikregister zunehmend schwieriger, Todesbescheinigungen mit der Erstdiagnose in Verbindung zu bringen. Es sei daher erforderlich, die bei den Klinikregistern vorhandenen personenbezogenen Daten mit Hilfe der von den Meldebehörden übermittelten Daten regelmäßig zu aktualisieren.

In Besprechungen mit den beteiligten Ministerien sowie mit Verantwortlichen der Klinikregister wurde deutlich, dass bezüglich der Klinikregister offenbar erhebliche Unterschiede zwischen der Konzeption des BayKRG einerseits und der tatsächlichen Praxis sowie den Vorstellungen der Verantwortlichen der Klinikregister andererseits bestehen. Insbesondere trat offen zu Tage, dass in den Klinikregistern die Identitätsdaten der Krebspatienten auch ohne deren Einwilligung dauerhaft gespeichert werden.

Ich forderte daraufhin das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Diskrepanz zwischen Gesetz und Wirklichkeit in den Klinikregistern beendet wird. Hierzu müssen entweder die ohne Einwilligung der Betroffenen in den Klinikregistern gespeicherten Identitätsdaten gelöscht werden und ein personenbezogener Datenabgleich mit dem Melderegister weiterhin unterbleiben. Alternativ könnte der Gesetzgeber die Konzeption der Krebsregistrierung in den Klinikregistern umfassend neu regeln. Um datenschutzrechtlichen Anforderungen zu genügen, wäre dann jedoch insbesondere vorzusehen, dass die medizinischen Daten der Krebspatienten im Klinikregister nach Weiterleitung an die Vertrauensstelle nur pseudonymisiert, also ohne Identitätsdaten, gespeichert werden. Für die Weiterleitung der Daten an die Vertrauensstelle und die Löschung der Identitätsdaten durch das Klinikregister wären zeitliche Vorgaben erforderlich, welche die Verweildauer der Identitätsdaten im Bereich der Klinikregister weitestgehend minimiert. Der Datenabgleich mit dem Melderegister dürfte nur mit Hilfe pseudonymisierter Daten erfolgen. Für die Auswertungen dürfte nur mit anonymisierten Daten gearbeitet werden.

Ein mir daraufhin vorgelegter weiterer Gesetzentwurf des Staatsministeriums für Umwelt und Gesundheit sah vor, dass die Klinikregister nach Einholung der grundsätzlich erforderlichen Einwilligung als personenbezogenes Klinikregister geführt werden sollen. Ein personenbezogenes Klinikregister, das auf jegliche Pseudonymisierung bzw. Anonymisierung von Daten verzichtet, entspricht jedoch nicht einer datenschutzkonformen Krebsregistrierung. Dies habe ich in meiner Stellungnahme zu dem vorgelegten Gesetzentwurf sehr deutlich gemacht. Nach meiner Auffassung sind geeignete und angemessene Verschlüsselungsverfahren dringend erforderlich.

7.2. Schulgesundheitspflege - Pflicht zur Vorlage des Impfausweises und des gelben Kinderuntersuchungshefts?

Muss ich bei der Schuleingangsuntersuchung meines Kindes den Impfausweis und das sogenannte gelbe Kinderuntersuchungsheft vorlegen? Muss ich bei der Impfberatung in der 6. Klasse meinem Kind den Impfausweis mitgeben? Diese von vielen Eltern an mich gerichteten Fragen sind ein Beispiel für die datenschutzrechtlichen Themen aus dem Bereich der Schulgesundheitspflege, mit denen ich mich im Berichtszeitraum beschäftigt habe.

Gesetzlich gilt derzeit Folgendes: Die Schulgesundheitspflege nehmen die Gesundheitsämter in Zusammenarbeit mit der Schule und den Personensorgeberechtigten wahr. Im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung haben die Personensorgeberechtigten den Nachweis über die Teilnahme an der U9-Früherkennungsuntersuchung vorzulegen.

Art. 14 Abs. 5 Satz 4 Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz

Im Rahmen der nach Art. 80 Satz 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen von den unteren Behörden für Gesundheit, Veterinärwesen, Ernährung und Verbraucherschutz durchzuführenden Schuleingangsuntersuchung haben die Personensorgeberechtigten den Nachweis über die nach Abs. 1 vorgeschriebene Teilnahme an der U9-Früherkennungsuntersuchung vorzulegen.

Zum 01.01.2009 trat hierzu eine Schulgesundheitspflegeverordnung in Kraft, die das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit erlassen hatte - leider ohne mir zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. In dieser Verordnung war bestimmt, dass die Personensorgeberechtigten verpflichtet sind, bei der Schuleingangsuntersuchung die notwendigen Unterlagen, insbesondere das gelbe Kinderuntersuchungsheft und den Impfausweis, vorzulegen. Bezüglich des Impfausweises war ferner vorgesehen, dass dieser auch später im Rahmen der in den Schulen durchzuführenden jahrgangsweisen Impfberatungen und der Erhebungen zu Impfraten vorzulegen ist.

Ich war mit dieser Fassung der Schulgesundheitspflegeverordnung nicht einverstanden. Denn zum einen war die Vorlage von Unterlagen wie dem gelben Kinderuntersuchungsheft und dem Impfausweis bislang freiwillig gewesen. Gründe, von dieser jahrzehntelangen, bewährten und mit mir abgestimmten Regelung abzuweichen und eine Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen vorzusehen, konnte ich nicht erkennen. Zu bedenken war dabei auch, dass im gelben Kinderuntersuchungsheft mitunter auch äußerst sensible medizinische Daten der Mutter enthalten sein können, die im Rahmen der Schulgesundheitspflege keine Rolle spielen. Darüber hinaus habe ich erhebliche Zweifel geäußert, ob die Bestimmungen in der Schulgesundheitspflegeverordnung vollumfänglich von einer Ermächtigungsgrundlage in einem Parlamentsgesetz gedeckt sind. Denn Art. 14 Abs. 5 Satz 4 des Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetzes bestimmt lediglich, dass ein Nachweis über die Teilnahme an der U9 - Früherkennungsuntersuchung vorzulegen ist. Hingegen enthält das Gesetz keine Verpflichtung zur Vorlage weiterer Unterlagen wie dem vollständigen gelben Kinderuntersuchungsheft (U1 bis U9) oder dem Impfausweis.

Aufgrund meiner Intervention hat das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit die Schulgesundheitspflegeverordnung geändert. In der seit 01.10.2009 geltenden aktuellen Fassung ist nunmehr bestimmt, dass die Personensorgeberechtigten verpflichtet sind, das Kind bei der Schuleingangsuntersuchung vorzustellen und einen geeigneten Nachweis über die Teilnahme des Kindes an der U9 - Früherkennungsuntersuchung zu führen. Diesen Nachweis können die Personsorgeberechtigten dadurch führen, dass sie das gelbe Kinderuntersuchungsheft vorlegen, es stehen ihnen jedoch auch andere geeignete Möglichkeiten wie z.B. ein ärztliches Attest offen. Die Vorschriften, wonach der Impfausweis bei der Schuleingangsuntersuchung und auch später bei der Impfberatung verpflichtend vorzulegen ist, wurden gestrichen. Die Vorlage des Impfbuchs erfolgt daher derzeit wieder auf freiwilliger Basis.

Allerdings hat mir das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit einen Gesetzentwurf zur Ergänzung des Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetzes vorgelegt, der eine Pflicht zur Vorlage des Impfausweises beinhaltet. Ich habe in meiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass keine Pflicht zur Impfung und zum Besitz eines Impfausweises besteht. Eine Verpflichtung zur Vorlage des Impfausweises im Rahmen der Schulgesundheitspflege stünde hierzu im Widerspruch und liefe ins Leere, wenn Betroffene über keinen Impfausweis verfügen.

7.3. Videoüberwachung in den Aufzügen eines Krankenhauses

Aufgrund einer Eingabe habe ich erfahren, dass in den Patientenaufzügen eines Krankenhauses Überwachungskameras angebracht sind.

Das Krankenhaus hat mir in seiner Stellungnahme mitgeteilt, dass die Aufzüge öffentlich zugänglich seien und sowohl von Besuchern, Patienten als auch Beschäftigten genutzt würden. In den Aufzügen würden auch Patienten in Betten befördert. Die in den Aufzügen installierten Kameras seien jedoch nicht eingeschaltet. Eine Inbetriebnahme sei aber möglich. Die Videokameras dienten - sowohl im aktivierten wie im inaktivierten Zustand - der Abschreckung vor Vandalismus. Später ergänzte das Krankenhaus, dass weiterer Zweck der Videokameras in den Aufzügen die optische Kontaktaufnahme und Einschätzung bei Notfällen sei, so z.B. wenn Personen bei einem technischen Ausfall der Aufzüge oder im Brandfall eingeschlossen seien.

Da es sich bei dem betroffenen Krankenhaus um ein Wettbewerbsunternehmen handelte, kam für die Videoüberwachung der öffentlich zugänglichen Aufzüge grundsätzlich die Vorschrift des § 6 b BDSG zur Anwendung. Von einer Beobachtung im Sinne des § 6 b Abs. 1 BDSG kann jedenfalls dann gesprochen werden, wenn die Videokameras in Betrieb genommen sind. Fraglich ist jedoch, ob § 6 b BDSG auch gilt, solange die Videokameras in den Aufzügen nicht aktiviert sind, es sich also gleichsam um bloße Kameraattrappen handelt. Bei Kameraattrappen bzw. inaktiven Kameras findet an sich keine Beobachtung im Sinne des § 6 b Abs. 1 BDSG statt und liegt damit an sich auch keine Datenerhebung vor (Bizer in Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, Rdnr. 39; ebenso zur Parallelvorschrift in Art. 21 a BayDSG: Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch, Bayerisches Datenschutzgesetz, Art. 21 a Rdnr. 9). Da allerdings eine Kameraattrappe bzw. eine inaktive Kamera beim Betroffenen die Vorstellung einer funktionsfähigen Anlage erzeugen soll, um ihn von einem unerwünschten Verhalten abzuhalten, unterscheidet sie sich hinsichtlich des Überwachungsdrucks und des verhaltenslenkenden Zwecks nicht von einer in Betrieb befindlichen Videokamera. Es spricht deshalb viel dafür, § 6 b Abs. 1 BDSG auch auf Kameraattrappen und inaktive Kameras zumindest entsprechend anzuwenden (so zu Art. 21 a Abs. 1 BayDSG auch Wilde / Ehmann / Niese/Knoblauch, a.a.O.).

Zumindest wäre festzustellen, dass durch das Anbringen einer Kameraattrappe - gleiches muss für eine inaktive Kamera gelten - jedenfalls in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen eingegriffen wird (so auch eine Vielzahl von Entscheidungen der Zivilgerichte, z.B. LG Bonn, Urteil vom 16.11.2004, Az: 8 S 139/04; LG Darmstadt, Urteil vom 17.03.1999, Az: 8 O 42/99; LG Braunschweig, Urteil vom 18.03.1998, Az: 12 S 23/97). Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht müsste wie bei § 6 b BDSG insbesondere eine Abwägung mit den schutzwürdigen Interessen der Betroffenen vorgenommen werden. Insoweit kommt es im Ergebnis also letztlich nicht darauf an, ob § 6 b BDSG auf Kameraattrappen bzw. hier inaktive Kameras entsprechend anwendbar ist oder nicht. Eine Interessenabwägung ist in jedem Fall vorzunehmen.

Daran gemessen bin ich in dem konkreten Fall der Videoüberwachung in den Aufzügen des Krankenhauses zu folgenden Ergebnissen gelangt:

Der Gesichtspunkt der Abschreckung vor Vandalismus kann den Einsatz der Videokameras in den Aufzügen - unabhängig davon, ob sich die Kameras in aktivierten oder inaktivierten Zustand befinden - nicht rechtfertigen. Denn im Rahmen der Abwägung überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, dass in den Aufzügen auch Patienten in ihren Betten transportiert werden. Diese Betroffenen können durch die Videoüberwachung in ihrer Intimsphäre betroffen sein, wenn sie sich liegend, nicht vollständig bekleidet, krank, hilflos und/oder an Apparate angeschlossen beobachtet fühlen. Hinzu kommt, dass sich dieser Personenkreis der Videobeobachtung nicht entziehen kann, denn die in ihren Betten transportierten Patienten können nicht wie etwa Besucher oder Personal stattdessen die Treppe benutzen. Ein derart schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen könnte zur Abwehr von Gefahren für Rechtsgüter von erheblichem Gewicht gerechtfertigt sein. Dagegen reicht es hierfür nicht aus, wenn - noch dazu ohne nähere Angaben zu evtl. früheren Schadensfällen - die Überwachung lediglich dem Schutz von Sachwerten von nicht besonderer Bedeutung gegen Beschädigung dienen soll.

Hingegen handelt es sich bei dem vom Krankenhaus im weiteren Verlauf zusätzlich vorgebrachten Zweck, mit Hilfe der Videokameras in Notfällen (technischer Ausfall, Brandfall) optisch Kontakt aufnehmen und die Lage einschätzen zu können, um eine Videoüberwachung zum Schutz von Leib und Leben und damit von Rechtsgütern von erheblichem Gewicht. Allerdings reicht zur Abwehr dieser Gefahren eine Videobeobachtung im konkreten Notfall aus, z.B. sobald der Alarmknopf im Aufzug betätigt oder der Ausbruch eines Brandes gemeldet wird. Dagegen ist eine dauerhafte Videobeobachtung oder gar eine Speicherung der Aufnahmen (Videoaufzeichnung) auch zu diesem Zweck nicht erforderlich.

Im Ergebnis konnten die Videokameras deshalb zwar grundsätzlich in den Aufzügen verbleiben, dürfen jedoch nur im konkreten Notfall eingeschaltet werden, eine Speicherung der Aufnahmen muss in jedem Fall unterbleiben. Für die Betroffenen muss dies aus dem nach § 6 b Abs. 2 BDSG erforderlichen Hinweis auf die Videoüberwachung erkennbar sein. Das Krankenhaus muss also die Betroffenen darauf hinweisen, dass die Videokameras in den Aufzügen nur im konkreten Notfall eingeschaltet werden und keine Speicherung der Aufnahmen stattfindet.

7.4. Einsichtsrecht eines Angehörigen in Patientenakten eines Verstorbenen

Ein Krankenhaus fragte bei mir an, ob und unter welchen Voraussetzungen einem Angehörigen ein Einsichtsrecht in die Patientenakten eines Verstorbenen zusteht. Anlass war die konkrete Anfrage eines Angehörigen, der die Wahrheit über seinen 1924 zwangsweise in das Krankenhaus eingewiesenen und 1940 von den Nationalsozialisten umgebrachten Onkel herausfinden wollte.

Bei Patientendaten Verstorbener stellt sich zunächst die (umstrittene) Frage, inwieweit datenschutzrechtliche Vorschriften auch noch nach dem Tod des Betroffenen zur Anwendung kommen. Unbeschadet dessen ist allerdings allgemein anerkannt, dass Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz einen postmortalen Persönlichkeitsschutz gewährleistet (grundlegend Bundesverfassungsgericht vom 24.02.1971, Az.: 1 BvR 435/68). Darüber hinaus bestimmt § 9 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns - diese berufsrechtliche Vorschrift ist zugleich als bereichsspezifische Datenschutzbestimmung anzusehen -, dass die ärztliche Schweigepflicht ausdrücklich auch über den Tod des Patienten hinaus gilt.

§ 9 Abs. 1 Berufsordnung für die Ärzte Bayerns

Der Arzt hat über das, was ihm in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist, - auch über den Tod des Patienten hinaus - zu schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen des Patienten, Aufzeichnungen über Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde.

Strafrechtlich ist der postmortale Geheimnisschutz durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 Strafgesetzbuch sichergestellt.

§ 203 Strafgesetzbuch

(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Arzt ... anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft ...

(4) Die Absätze 1 bis 3 sind auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart.

Gleichwohl erkennt die Rechtsordnung vom Einsichtsrecht des Patienten in seine Patientenakte abgeleitete Einsichtsrechte der Erben und der nächsten Angehörigen in Patientenakten des Verstorbenen unter bestimmten Voraussetzungen an (grundlegend das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31.05.1983, Az.: VI ZR 259/81; vgl. auch das aktuelle Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.02.2010, Az.: 9 AZN 876/09). Das Einsichtsrecht eines Erben kommt in Betracht, wenn vermögensrechtliche Interessen wie z.B. die Geltendmachung von Schadensersatzleistungen im Raum stehen. Geht es hingegen um die Wahrnehmung ideeller Interessen des Verstorbenen, so gewährt die Rechtsprechung unabhängig von der Erbenstellung den nächsten Angehörigen eines Verstorbenen ein Einsichtsrecht, wenn sie nachweisen, dass es "nachwirkenden Persönlichkeitsbelangen" des Verstorbenen dient. Auch insoweit ist allerdings die ärztliche Schweigepflicht zu beachten. Nach der Rechtsprechung muss der Arzt prüfen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verstorbene die Offenlegung der Unterlagen mutmaßlich missbilligt hätte. Er hat eine Gewissensentscheidung zu treffen.

Im konkreten Fall ging es dem Angehörigen darum, die Wahrheit über seinen 1924 zwangsweise in das Krankenhaus eingewiesenen und 1940 von den Nationalsozialisten umgebrachten Onkel herauszufinden. Dies konnte meiner Auffassung nach als Wahrnehmung ideeller Interessen des Verstorbenen aufgefasst werden, die dessen nachwirkenden Persönlichkeitsbelangen dient. Auch habe ich es für vertretbar gehalten, den anfragenden Neffen des Verstorbenen noch zum Kreis der nächsten Angehörigen zu zählen. Bei der Prüfung der Frage, ob der Verstorbene die Übermittlung seiner Patientendaten an seinen Neffen mutmaßlich missbilligt hätte, waren meiner Auffassung nach insbesondere das Anliegen des Angehörigen, das Schicksal des Verstorbenen im Nationalsozialismus aufzudecken, und der doch erhebliche zeitliche Abstand zum Tod des Betroffenen zu berücksichtigen. Letztlich war das Krankenhaus jedoch auch im konkreten Fall auf die maßgebliche Gewissensentscheidung des Arztes hinzuweisen, der in Kenntnis aller Umstände darüber zu entscheiden hat, ob und ggf. in welchem Umfang dem Angehörigen ein Einsichtsrecht gewährt wird. Der Arzt muss sich dabei bewusst sein, dass er die Einsicht nach der Rechtsprechung nur verweigern darf, wenn gegen sie von seiner Schweigepflicht her zumindest vertretbare Bedenken bestehen. Er muss ggf. auch darlegen, dass und unter welchem allgemeinen Gesichtspunkt er sich durch die Schweigepflicht an der Offenlegung gehindert sieht.

7.5. Weitergabe von Behandlungsunterlagen an Rechtsanwälte

Ich bin gefragt worden, ob ich es für datenschutzrechtlich zulässig halte, dass Krankenhäuser Patientendaten zur Wahrnehmung eigener Interessen an ihren Rechtsanwalt übermitteln. Im konkreten Fall handelte es sich um die Weitergabe vollständiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlungsunterlagen.

Grundsätzlich hatte ich schon bislang die Auffassung vertreten, dass es nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen auch öffentlichen Stellen nicht generell verwehrt werden kann, soweit im Einzelfall notwendig einen Rechtsanwalt einzuschalten und diesem dabei auch die erforderlichen personenbezogenen Daten zu übermitteln.

Speziell für den Bereich der ärztlichen Schweigepflicht wird in der Literatur (Laufs / Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 4. Auflage 2010, § 68 Rdnr. 18; vgl. ferner Laufs/ Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Auflage 2009, IX Rdnr. 31) die meiner Auffassung nach zutreffende Rechtsauffassung vertreten, dass es nach dem Rechtsgrundsatz der "Wahrnehmung berechtigter Interessen" gerechtfertigt ist, wenn ein Arzt Angaben über die Krankheit und Behandlung seines Patienten weitergibt, um z.B. eine Honorarforderung gegen den Patienten gerichtlich durchzusetzen.

In aller Regel wird es dabei nicht ausreichen, die Krankenunterlagen in anonymisierter Form zu übergeben. Denn die Identität des Betroffenen muss einem Rechtsanwalt z.B. für die Korrespondenz oder ggf. die Klageerhebung bekannt sein.

Für die Frage, ob die personenbezogenen Krankenunterlagen vollständig oder nur teilweise übermittelt werden dürfen, kommt es meiner Auffassung nach entscheidend darauf an, inwieweit dies zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Daran gemessen dürfen einem Rechtsanwalt die Krankenunterlagen nur dann vollständig übergeben werden, wenn dies der jeweilige Zweck tatsächlich erfordert. Soll aber beispielsweise der Rechtsanwalt eine Honorarforderung wegen einer Behandlung im Jahr 2010 durchsetzen, hielte ich es für unzulässig, ihm auch Unterlagen über Behandlungen in früheren Jahren zu übermitteln, die mit der aktuellen Honorarforderung nichts zu tun haben. Soweit - um das Beispiel fortzusetzen - bei der Behandlung im Jahr 2010 Aufzeichnungen über ein bestimmtes Therapiegespräch angefertigt wurden, die der Rechtsanwalt für die Durchsetzung der Honorarforderung gar nicht benötigt, dürfen diese Unterlagen gleichfalls nicht übermittelt werden.

Im Hinblick darauf, dass alle Daten über die Gesundheit besonders schutzwürdig sind, gelten diese Grundsätze für alle Krankenunterlagen unabhängig von der Art der Erkrankung, wobei deren Beachtung sicherlich besonders wichtig ist, wenn wie im konkreten Fall sensible psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungsunterlagen betroffen sind. Wegen der besonderen Schutzwürdigkeit der Daten kann grundsätzlich auch keine Rolle spielen, dass der Arbeitsaufwand für das Krankenhaus erhöht ist, wenn die Krankenunterlagen nicht vollständig übermittelt werden dürfen.

7.6. Veröffentlichung eines Notarzteinsatzprotokolls in Fernsehen und Internet

Ein bayerisches Fernsehteam begleitete einen Tag lang ein Notarzteinsatzfahrzeug bei allen Notarzteinsätzen. Dem Filmteam wurden dabei personenbezogene Daten bekannt, da sie bei der Übernahme des Einsatzes zugegen waren und dabei von der Rettungsleitstelle an den Notarzt übermittelte Namen und Adressen von Patienten über Funk mithören konnten. Darüber hinaus konnten sie die Namen an Tür und Klingelschild am Einsatzort erkennen.

Die Mitarbeiter des Fernsehteams wurden vor den Filmaufnahmen über die ärztliche Schweigepflicht belehrt und verpflichtet, eine Verschwiegenheitserklärung zu unterschreiben. Dennoch filmte das Fernsehteam während der Dokumentationstätigkeit des Notarztes ohne dessen Kenntnis die Daten des Notarzteinsatzprotokolls. Der Filmbeitrag wurde im Fernsehen ausgestrahlt und im Internetportal des Fernsehsenders eingestellt. Dabei waren insbesondere die Daten einer zwischenzeitlich verstorbenen Patientin zu erkennen.

Ich habe den Träger des Notarztdienstes aufgefordert, zur Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht und zum Schutz von Patientengeheimnissen keine Fernsehteams oder sonstige Presse mehr an Notarzteinsätzen zu beteiligen, soweit keine Offenbarungsbefugnis durch eine Einwilligung von Patienten vorliegt.

Bereits die durch die Begleitung des Notarztteams ermöglichte Kenntnisnahme von Patientendaten durch das Fernsehteam stellt eine unbefugte Datenübermittlung und somit eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht dar. Auf die Nichtbeachtung der Verschwiegenheitserklärung durch die Mitarbeiter des Fernsehteams und auf das Filmen des Notarzteinsatzprotokolls ohne Kenntnis des zuständigen Notarztes kommt es insofern nicht an. Aus dem Schutzzweck des § 203 Strafgesetzbuch (StGB) und der ausdrücklichen Regelung in § 203 Abs. 4 StGB folgt der uneingeschränkte Geheimnisschutz und damit die Pflicht zur Verschwiegenheit des Arztes in vollem Umfang, auch nach dem Tode eines Patienten.

§ 203 Strafgesetzbuch

(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Arzt ... anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft ...

(4) Die Absätze 1 bis 3 sind auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart.

Eine ausdrückliche Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht der Ärzte durch betroffene Patienten lag zu keinem Zeitpunkt vor. Auch waren keine Anhaltspunkte erkennbar, die eine konkludente oder mutmaßliche Einwilligung von Notfallpatienten nahe gelegt hätten. Gesetzliche Vorschriften, die eine Offenlegung von Patientendaten gegenüber dem Filmteam zugelassen hätten, konnten ebenso wenig geltend gemacht werden. Entsprechende Offenbarungsbefugnisse haben sich hier weder aus Art. 4 Abs. 1 Bayerisches Pressegesetz (BayPrG) ergeben, der einen Auskunftsanspruch der Presse nur insoweit gewährt als keine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht (hier: ärztliche Schweigepflicht) besteht (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG), noch aus § 9 Abs. 2 Satz 1 der Bayerischen Berufsordnung für die Ärzte Bayerns zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter, da nicht anzunehmen war, dass das öffentliche Informationsinteresse an Notarzteinsätzen das Recht von Notfallpatienten auf Schutz ihrer Intimsphäre überwiegt.

Art. 4 Bayerisches Pressegesetz

(1) Die Presse hat gegenüber Behörden ein Recht auf Auskunft. Sie kann es nur durch Redakteure oder andere von ihnen genügend ausgewiesene Mitarbeiter von Zeitungen oder Zeitschriften ausüben.

(2) Das Recht auf Auskunft kann nur gegenüber dem Behördenleiter und den von ihm Beauftragten geltend gemacht werden. Die Auskunft darf nur verweigert werden, soweit auf Grund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht besteht.

§ 9 Abs. 2 Berufsordnung für die Ärzte Bayerns

Der Arzt ist zur Offenbarung befugt, soweit er von der Schweigepflicht entbunden worden ist oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist ...

Wegen Art. 2 Abs. 9 Bayerisches Datenschutzgesetz (BayDSG) konnten im Bereich der ärztlichen Schweigepflicht die allgemeinen Vorschriften des BayDSG von vornherein nicht herangezogen werden.

Wie eine mögliche Verletzung von Verschwiegenheitserklärungen oder die Verwendung von Patientendaten im Fernsehen und im Internet durch Mitarbeiter des Fernsehsenders zu beurteilen ist, konnte ich mangels eigener Kontrollzuständigkeit nicht selbst bewerten. Ich habe jedoch den Datenschutzbeauftragten des Fernsehsenders unterrichtet.

7.7. Verbundverfahren TIZIAN

Bereits in meinem 23. Tätigkeitsbericht, Nr. 3.14 und Nr. 14.1, habe ich mich mit dem Verbundverfahren "TIZIAN" befasst. Ich habe darauf hingewiesen, dass aufgrund des erheblichen Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht für die Verbunddatei "TIZIAN" eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist. Zum Zeitpunkt der damaligen Beurteilung fehlte eine hinreichend klare und bestimmte gesetzliche Grundlage.

Zwischenzeitlich liegt ein Gesetzentwurf vor, an dem ich maßgeblich beteiligt war. Der Gesetzentwurf regelt zum einen die allgemeinen Anforderungen an ein Verbundverfahren im Bayerischen Datenschutzgesetz und zum anderen die spezifischen Anforderungen an "TIZIAN" im Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz. Der Gesetzentwurf befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren.