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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 14.02.2006

Rede des neuen Bayerischen Datenschutzbeauftragten Dr. Betzl

anlässlich der Amtsübernahme am 14.02.2006

 

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

sehr geehrter Herr Vetter,

sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst danke ich Ihnen allen für Ihr Kommen und für das Interesse am Datenschutz, welches Sie dadurch bekunden. Insbesondere danke ich Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, für Ihre freundlichen Worte.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch ein Wort des Dankes an den Bayerischen Landtag und das Landtagsamt richten, welches mir 24 Jahre lang berufliche Heimat war.

Über die Verdienste meines Amtsvorgängers, Herrn Vetter, ist bereits viel gesagt worden. Ich möchte mich daher auf vier Punkte beschränken, die noch in meine Amtsführung fortwirken:

  1. Herr Vetter hat mir ein wohlbestelltes Haus hinterlassen. Ich bin beeindruckt von der Perfektion, wie die Geschäftsstelle technisch, organisatorisch und personell aufgestellt ist.
  2. Herr Vetter hat es geschafft, den Datenschutz zum Thema zu machen. Er war auf diesem Gebiet eine gefragte Autorität. Er hat es darüber hinaus geschafft, den bundesweit guten Ruf der Bayerischen Verwaltung auch auf den Bayerischen Datenschutz zu erstrecken - durch solide Arbeit und den Aufbau tragfähiger persönlicher Kontakte.
  3. Herr Vetter hat es in den letzten zwei Jahren mit Beharrlichkeit und geschickter Argumentation verstanden, auf eine datenschutzgerechte Ausgestaltung des Bayerischen Polizei- und Sicherheitsrechts Einfluss zu nehmen.
  4. Herr Vetter hat bundesweit im Sozialbereich - ich nenne nur die Stichworte Gesundheitskarte, JobCard - Maßstäbe bei der Durchdringung der Materie in datenschützender Hinsicht gesetzt.

Ich hebe die letzten beiden Punkte deshalb besonders hervor, weil Datenschutz nicht verkürzt werden darf auf den schwarz-weiß-Antagonismus Freiheit und Sicherheit. Datenschutz geht tief hinein in das Arbeitsleben, in das Gesundheitswesen, in die Steuerverwaltung, kurz in alle Bereiche der staatlichen Verwaltung. Datenschutz ist darüber hinaus im nichtstaatlichen Bereich ein großes Thema. Ich nenne nur das sog. scoring, mit welchem Versicherungen und Banken die Bonität ihrer Kundschaft auf ein Punktesystem herunterbrechen.

Meine Damen und Herren!

Ich habe das Amt des Datenschutzbeauftragten gerne angenommen, auch wenn ich weiß, dass man nicht alle hochgespannten Erwartungen erfüllen kann und dass man sich sozusagen kraft Amtes vielerorts unbeliebt machen muss. Dafür bitte ich Sie im Voraus um Verständnis, ersparen kann ich es Ihnen und mir aber leider nicht. Es ist wie mit dem Lebertran, den die reifere Jugend unter uns noch kennt: Hat schlecht geschmeckt, war aber gesund. Ich verspreche Ihnen, dass ich in meinem Amt so schonend wie möglich vorgehen werde.

Dass mein neues Amt nicht nur eine Ehre, sondern auch eine Bürde ist, habe ich schon im Vorfeld und auf den ersten Metern meiner Berufung zu spüren bekommen. Ich nehme die Bürde gerne auf mich, weil Datenschutz für mich die Habeas-Corpus-Akte der Informationsgesellschaft ist: Es war eine fundamentale Errungenschaft der abendländischen Rechtsgeschichte, dass niemandem die Freiheit der Person ohne förmliches Gesetz und ohne richterliche Entscheidung entzogen werden darf. Dies hat heute in Art. 104 Grundgesetz seinen Niederschlag gefunden.

In der Informationsgesellschaft hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Die reale Welt wird von der virtuellen Welt in den Hintergrund gedrängt. Dies beginnt bei der Entkörperlichung der Kriegsführung mit Bildschirmen und Joysticks und endet tendenziell eines Tages bei der datenmäßigen Abbildung eines Menschen auf einer Festplatte. Das Individuum landet auf diese Weise in einem virtuellen Datengefängnis, gekettet an seine genetischen, physischen, psychischen und sozialen Merkmale. Datenschutz heißt in diesem Kontext: Rechtliche Begrenzung der elektronischen Freiheitsbeeinträchtigung.

Es ist ein altes Menschheitswissen aller Kulturen, dass Derjenige, der den Namen eines Anderen weiß, ihn magisch in Besitz nimmt, ihn beschwören und verfluchen kann, Macht über ihn hat. Darum sagt der Gott Israels "Du sollst nicht den Namen Gottes nennen", darum fragt Faust den Mephisto nach seinem Namen und darum singt Lohengrin: "Nie sollst Du mich befragen noch Wissen Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt noch wie mein Nam‘ und Art".

In der Informationsgesellschaft tritt an die Stelle der vormals magischen Inbesitznahme das ganz banale Anlegen einer Datei. Wenn das Wissen um den Namen eines Anderen schon Macht verleiht, welche Macht hat man erst mit den unendlichen Datenmengen, die heute über jeden Menschen gesammelt werden?

Meine Damen und Herren!

Die größte Unzulänglichkeit beim Datenschutz ist das Wort "Datenschutz". Der Begriff ist irgendwie blutleer und teilweise negativ besetzt. Er banalisiert das eigentliche Anliegen. Es sollen ja nicht die Daten als solche geschützt werden, sondern die Autonomie des Individuums. Datenschutz ist nach landläufiger Meinung, wenn die Gerichtsvollzieherin den Hausmeister nicht fragen darf, wo im Haus der Schuldner wohnt, so letzten Samstag in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Aufgrund solcher Wahrnehmungen fehlt das öffentliche Bewusstsein dafür, dass es beim Datenschutz in Wirklichkeit um sehr viel Größeres geht. Datenschutz ist Machtkontrolle, Datenschutz ist Schutz des Individuums, Datenschutz ist Schutz der Freiheit, Datenschutz ist Schutz der informationellen Selbstbestimmung. Schluss mit immer weiter ausufernden Datensammlungen und immer weiteren Auswertungen und Verknüpfungen dieser Datensammlungen.

Es wäre ein Zeichen von weiser Selbstbeschränkung, wenn sich der Gesetzgeber bei der Schaffung einschlägiger Rechtsgrundlagen eine gewisse Zurückhaltung auferlegen würde. Und auch bei der Rechtsanwendung könnte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durchaus noch stärker in den Vordergrund rücken. Mir fallen einige Gesetze mit außerordentlich umfangreichen und weit formulierten Eingriffsbefugnissen ein. Drastisch gesagt: Hier treten sich die Rechtsgrundlagen gegenseitig auf die Füße und man muss sich fragen, ob es dazwischen überhaupt noch einen Freiraum ohne Eingriffsbefugnis gibt.

Die oft zu hörende Devise "ich habe nichts zu verbergen" greift schon deswegen zu kurz, weil sie von den heute geltenden rechtlichen Parametern ausgeht. Aber Gesetze können geändert werden und dann ist morgen plötzlich verboten und darf nicht mehr offen zu Tage liegen, was heute noch erlaubt ist.

Richtig muss es heißen: Hände weg von meiner Privatsphäre! Datensammlungen, die mich betreffen, müssen die Ausnahme bleiben, sie müssen eine gesetzliche Grundlage haben und ihre Zweckbestimmung darf im Laufe der Zeit nicht immer weiter ausgedehnt werden. Selbstverständlich darf deswegen Datenschutz nicht zum Täterschutz werden. Aber wir dürfen andererseits die Ausrichtung unserer staatlichen Ordnung nicht von der zweifellos notwendigen Reaktion auf Schwerkriminelle und Terroristen bestimmen lassen. Und die Bekämpfung von Schwerkriminalität und Terrorismus darf nicht zu einer lückenlosen und engmaschigen Überwachung werden, die sich am Ende in der Erfassung aller noch so kleinen Regelverstöße erschöpft und hieraus gar ihre Legitimation ableiten will.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Bitte helfen Sie mir bei meiner Aufgabe! Bedenken Sie bitte: Niemand sollte sich in der dezentralisierten digitalen Welt der Illusion hingeben, er sei der magister ludi, der Herr des Spiels. Niemand ist der große Bruder, er ist allenfalls ein kleiner Bruder, der seinerseits von vielen anderen kleinen Brüdern ausgespäht und überwacht wird. Der Datenschutz geht deshalb jeden Einzelnen von uns an, er sichert auch Ihre persönliche Freiheit, meine Damen und Herren. Datenschutz trägt wesentlich dazu bei, dass wir Alle weiterhin in einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft leben können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!