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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 25.05.2021

5. Polizei und Justiz

5.1. Programm "Polizei 2020"

Das Programm "Polizei 2020" wirft zunehmend seine Schatten voraus. Mit diesem Großprojekt soll die polizeiliche Informationstechnologie in den 2020er Jahren eine weitreichende Erneuerung und vor allem Neuordnung erfahren. Wenn sich damit wie angekündigt "die deutsche Polizeiarbeit grundlegend ändern" wird, betrifft dies natürlich auch die Bayerische Polizei und darüber hinaus alle Bürgerinnen und Bürger, die in polizeilichen Dateien gespeichert sind.

Das in politischer Hinsicht federführende Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) beschreibt den dort erkannten "dringenden Handlungsbedarf" wie folgt: "Bislang basiert die Informationsarchitektur der Polizei in Deutschland auf eine Vielzahl unterschiedlicher Datentöpfe[,] die kaum miteinander verbunden sind. Eine heterogene IT-Landschaft[,] die von Eigenentwicklungen, Sonderlösungen, Schnittstellen, unterschiedlichen Dateiformaten und Erhebungsregeln geprägt ist, genügt nicht mehr den Anforderungen an eine moderne Polizeiarbeit."

Im Kern geht es beim Programm "Polizei 2020" darum, "eine gemeinsame, moderne und einheitliche Informationsarchitektur für die deutschen Polizeien in Bund und Ländern zu schaffen. Im Ergebnis sollen die Polizistinnen und Polizisten jederzeit und überall Zugriff auf die Informationen haben, die sie benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen", so das BMI.

Leider ist es meine Erfahrung, dass bei großen EDV-Projekten oftmals die fachlichen und technischen Anforderungen im Fokus stehen, während die rechtlichen Rahmenbedingungen und vor allem der Datenschutz nur untergeordnete Rollen spielen. Um dem vorzubeugen, bin ich frühzeitig mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration in Kontakt getreten und habe mir im Landeskriminalamt den dortigen Sachstand des bayerischen Teilprojekts darlegen lassen. Selbstverständlich begleiten auch meine Kolleginnen und Kollegen in den Datenschutz-Aufsichtsbehörden der anderen Bundesländer sowie beim Bund die dort anstehenden Teilprojekte.

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder hat sich am 16. April 2020 in einer ihrer Entschließung wie folgt geäußert:

Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder vom 16. April 2020

Polizei 2020 - Risiken sehen, Chancen nutzen!

Mit dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen Programm Polizei 2020 besteht die Chance, bisherige datenschutzrechtliche Defizite zu beseitigen und den Datenschutz nachhaltig zu verbessern. Die Polizeibehörden in Bund und Ländern haben einen ersten "fachlichen Bebauungsplan" für das Programm Polizei 2020 vorgelegt. Dieser benennt den Datenschutz als eines der Kernziele. Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder begrüßt dies ausdrücklich. Sie vermisst aber ausreichende Vorschläge, wie das Projekt den Datenschutz stärken will. Die Konferenz fordert deshalb, die Ziele und Meilensteine des Programms auch an datenschutzrechtlichen Kernforderungen auszurichten und die Datenschutzaufsicht in diesen Prozess einzubinden.

Aus Sicht der Datenschutzbehörden sind vorrangig folgende Ziele in den Blick zu nehmen:

1. Umfassende Bestandsaufnahme

Eine Projektanalyse umfasst bislang nur Fragen der technischen Machbarkeit. Sie hat insbesondere nicht die Ergebnisse aus den zahlreichen datenschutzrechtlichen Kontrollen und Beratungen der letzten Jahre einbezogen. Dies ist in einer unabhängigen Evaluierung nachzuholen.

2. Rechtliche Leitplanken

Mit dem neuen "Datenhaus" in Polizei 2020 schaffen die Sicherheitsbehörden eine technische Grundlage für umfassende computergestützte Analysen personenbezogener Daten. Diese greifen intensiv in Grundrechte ein und sind deshalb gesetzlich und technisch zu begrenzen. Sie lediglich auf Generalklauseln zu stützen, wird dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht gerecht. Die verantwortlichen Stellen müssen die gesetzlich und verfassungsrechtlich implizierten roten Linien bestimmen. Dies ist zwingend erforderlich, bevor Haushaltsmittel in großem Umfang eingesetzt werden.

3. Zwecktrennung

Verarbeiten die Sicherheitsbehörden personenbezogene Daten, muss dafür immer ein konkreter Zweck festgelegt sein. Dies ist der Kern des Datenschutzrechts. Deshalb muss das neue System präzise zwischen den verschiedenen Verarbeitungszwecken Aufgabenerfüllung, Dokumentation und Vorsorge trennen. Insbesondere dürfen für eine konkrete Aufgabe oder zur Dokumentation gespeicherte Daten nicht pauschal in einen Datenvorrat überführt werden oder als Auswerte- und Rechercheplattform genutzt werden.

4. Verbesserung der Datenqualität

Wenn die Polizeibehörden die IT-Struktur neu aufstellen, müssen sie alle Chancen nutzen: Sie müssen vorhandene Datenbestände bereinigen, unnötige Daten aussondern und die Qualität der Daten sichern. Dies gilt auch, wenn alte Daten in die neuen Systeme übertragen werden. Datenschutzkontrollen haben aufgezeigt, dass dies erforderlich ist. Beispiel ist die Falldatei Rauschgift.

5. Datenschutzspezifische Basisdienste

Mit dem Programm Polizei 2020 besteht die Chance, neue technische Grundfunktionalitäten des Datenschutzes als "Basisdienste" zu implementieren. Notwendig sind z. B. ein "Basisdienst Zwecktrennung", ein "Basisdienst Datenqualität" und ein "Basisdienst Aufsicht und Kontrolle".

Ich habe das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration über diese Entschließung informiert. Darüber hinaus habe ich erklärt, dass ich die weitere Entwicklung des Programms "Polizei 2020" innerhalb der Bayerischen Polizei kritisch, aber auch mit der Hoffnung verfolgen werde, dass die in der Entschließung angesprochenen Chancen genutzt werden.

5.2. Polizeiliche Videoüberwachung im öffentlichen Raum

Unter den Voraussetzungen von Art. 33 Polizeiaufgabengesetz (PAG) kann die Polizei unter anderem zur Gefahrenabwehr (Art. 33 Abs. 2 Nr. 1 PAG), an Kriminalitätsschwerpunkten (Art. 33 Abs. 2 Nr. 2 und 3 PAG) oder besonders gefährdeten Objekten (Art. 33 Abs. 3 PAG) offen Bild- und Tonaufnahmen oder aufzeichnungen von Personen anfertigen.

Obwohl ich die Zweckmäßigkeit der polizeilichen Videoüberwachung nicht grundlegend in Frage stelle, habe ich die qualitative und quantitative Entwicklung polizeilicher Videoüberwachungen in den letzten Jahren aber durchaus nicht ohne Bedenken verfolgt.

Die Prüfung der Zulässigkeit polizeilicher Videoüberwachungen im öffentlichen Raum gehört daher zu meinen Kernaufgaben und ist auch immer wieder Gegenstand von Vor-Ort-Kontrollen.

So habe ich beispielsweise die polizeiliche Videoüberwachung eines Stadtfestes zum Anlass genommen, eine vierwöchige Speicherdauer von Videoaufzeichnungen in Frage zu stellen. Aufgrund der Bedingungen vor Ort und aus den zurückliegenden Erfahrungen war bekannt, dass im Nachhinein entweder gar nicht oder erfolglos auf vorhandene Aufzeichnungen zugriffen würde. Erfreulicherweise konnte ich im Austausch mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration erreichen, dass die Verbände der Bayerischen Polizei dahingehend sensibilisiert wurden, bei der polizeilichen Videoüberwachung die gesetzliche zulässige Höchstspeicherdauer von zwei Monaten (Art. 33 Abs. 8 Satz 1 PAG) im Grundsatz auf maximal 21 Tage zu begrenzen.

Dass Datenschutz und effektive polizeiliche Videoüberwachung keine unvereinbaren Gegensätze sein müssen, zeigt meine folgende Prüfung:

So prüfte ich im Februar 2020 vor Ort die polizeiliche Videoüberwachung des Polizeipräsidiums Oberpfalz im Bereich der Albertstraße, Ernst-Reuter-Platz und Bahnhofstraße/Bahnhofsvorplatz in Regensburg. In Regensburg bestand seit 2010 eine Kooperationsvereinbarung der Polizei mit den Regensburger Verkehrsbetrieben anlässlich der Videoüberwachung in den genannten Bereichen. Da sich im Laufe der Zusammenarbeit zeigte, dass die von den Verkehrsbetrieben verwendeten Kameras nicht uneingeschränkt für die polizeilichen Belange brauchbar waren (so etwa in Bezug auf die Detailschärfe zur Nachtzeit), entschloss sich das Polizeipräsidium Oberpfalz, die bestehenden Videokameras zu ertüchtigen und nunmehr als alleiniger Verantwortlicher - unter Ausschluss der Verkehrsbetriebe - zu betreiben.

Die Neukonzeption der polizeilichen Videoüberwachung des Polizeipräsidiums Oberpfalz in den genannten Bereichen gab aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht nur keinen Anlass zur Kritik, sondern wurde geradezu vorbildmäßig ausgestaltet. Die Videoüberwachung der überwachten Bereiche selbst stützte sich zulässigerweise auf Art. 33 Abs. 2 Nr. 2 PAG. Wie sich aus den polizeilichen Statistiken ergab, sind die betroffenen Bereiche Kriminalitätsschwerpunkte, vornehmlich im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität und damit zusammenhängender Deliktsfelder. Die vom Polizeipräsidium Oberpfalz erstellte Gefahrenprognose gab insofern keinen Anlass, an der Erforderlichkeit der Videoüberwachung zu zweifeln. Die Videoüberwachung selbst ist dabei lediglich ein Baustein in einem Gesamtkonzept zur Kriminalitätsbekämpfung in Regensburg.

Bei der konkreten Umsetzung hat das Polizeipräsidium Oberpfalz sodann eine Reihe von Maßnahmen zum Schutze der Rechte der Bürgerinnen und Bürger ergriffen, welche die Videoüberwachung in der vorliegenden Ausgestaltung als verhältnismäßig erscheinen ließen. So war zunächst sehr erfreulich, dass mit der Ertüchtigung der Videokameras keine Ausweitung des überwachten Verkehrsraums verbunden war. Tonaufnahmen werden von vornherein nicht erstellt. Auch werden nicht-öffentliche Bereiche (sog. Privatzonen) konsequent und unwiderruflich zum Schutz der Privatsphäre verpixelt. Bei Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes werden die Kameras deaktiviert. Hierauf wird auch auf den insgesamt 22 von allen Zufahrtswegen gut erkennbaren Hinweisschildern hingewiesen. Die Speicherdauer beträgt 14 Tage und wird mittels eines Ringspeichers automatisiert überschrieben, soweit insbesondere keine Sicherung zum Zwecke der Strafverfolgung erfolgen darf. Sie bewegt sich damit deutlich unterhalb des gesetzlich vorgesehenen Maximalrahmens von zwei Monaten (Art. 33 Abs. 8 Satz 1 PAG) und nochmals unterhalb des von mir mit dem Innenministerium vereinbarten Regelhöchstspeicherzeitraums für polizeiliche Videoüberwachungen von 21 Tagen.

Die Nutzung der Anlage selbst unterliegt einem detaillierten Rollenkonzept mit abgestuften Berechtigungen. Als besonders sinnvoll erachte ich die vorgesehene, jährliche Evaluierung der Erforderlichkeit der Videoüberwachungsanlage, in einem Jahresbericht. Dies gewährleistet eine kontinuierliche Überprüfung der gesetzlichen Voraussetzungen der offenen Videoüberwachung und ruft die Eingriffsintensität stets aufs Neue zurück ins Bewusstsein. Insgesamt gab die Umsetzung der offenen polizeilichen Videoüberwachung in Regensburg aus datenschutzrechtlicher Sicht zu keinerlei Beanstandungen Anlass. Aufgrund der Abkehr von der bisher praktizierten "Mischnutzung" der Videoüberwachung mit den Verkehrsbetrieben entfallen von vornherein einige datenschutzrechtliche Probleme (etwa bei der Verantwortlichkeit, der Erforderlichkeit, der Datensicherheit sowie dem Zugriffskonzept). Aber auch im Übrigen hat das Polizeipräsidium Oberpfalz einen verhältnismäßigen Ansatz gewählt, der einen gelungenen Ausgleich zwischen den Sicherheitsinteressen einerseits und dem Grundrecht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung andererseits gewährleistet.

Positiv ist mir im Berichtszeitraum zudem die organisatorische Vorgehensweise bei einer mobilen polizeiliche Videoüberwachung zweier Musikfestivals aufgefallen, da hier der datenschutzrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit und das polizeiliche Interesse an einer wirksamen Gefahrenabwehr auf einen gemeinsamen Nenner gebracht wurden:

Das Polizeipräsidium Mittelfranken hatte in erster Linie den Einsatz mobiler Videotechnik zur Anfertigung von Live-Übersichtsaufnahme vorgesehen, um die polizeiliche Einsatzführung zu unterstützen. Die Aufzeichnung von Videoaufnahmen war nur für den sogenannten "Alarmfall" vorgesehen, das heißt nur im Einzelfall aufgrund eines konkreten Gefahrenereignisses.

Während des gesamten Einsatzzeitraums kam es bei beiden Festivals nicht zu einem solchen Alarmfall, so dass keinerlei Videoaufzeichnungen angefertigt wurden. Dem stehen in vergleichbaren Fällen oft mehrere Stunden Videomaterial gegenüber, die häufig nicht oder erfolglos ausgewertet werden und deren rechtzeitige Löschung technisch sichergestellt werden muss.

5.3. Automatisierte Kennzeichenerfassung zu Zwecken der Strafverfolgung

Im Berichtszeitraum setzte ich mich erneut mit dem Thema der automatisierten Kennzeichenerfassung auseinander. Im Rahmen eines Vermisstenfalls im Raum Berlin wurde bekannt, dass im Land Brandenburg die automatisierten Kennzeichenerfassungssysteme des Öfteren auch im sogenannten Aufzeichnungsmodus zu Zwecken der Strafverfolgung genutzt wurden. Bei diesem Aufzeichnungsmodus werden die erfassten KfZ-Kennzeichen - im Unterschied zum sogenannten Fahndungsmodus - nicht nur für einen sehr kurzen Augenblick zum Zwecke eines Datenabgleichs mit zur Fahndung ausgeschriebenen Nummernschildern, sondern über einen längeren Zeitraum gespeichert.

In diesem Zusammenhang ergab eine Nachfrage beim Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, dass die in Bayern vorhandenen automatisierten Kennzeichenerfassungsanlagen lediglich in sehr seltenen Einzelfällen zu Zwecken der Strafverfolgung eingesetzt werden. Die Anlagen würden im Regelbetrieb im sogenannten Fahndungsmodus lediglich zur Gefahrenabwehr eingesetzt. Eine Aktivierung des sogenannten Aufzeichnungsmodus zu Zwecken der Strafverfolgung erfolge nur in seltenen Ausnahmefällen und habe bisher maximal über eine Zeitspanne weniger Stunden angedauert.

Gleichwohl sehe ich den Einsatz von automatisierten Kennzeichnungserfassungssystemen zu repressiven Zwecken äußerst kritisch. Insbesondere die Erfassung und Speicherung von Kennzeichen sämtlicher passierender Kraftfahrzeuge über einen längeren Zeitraum hinweg stellt einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar.

Die gegen diesen Einsatz automatisierter Kennzeichenerfassungssysteme bestehenden Bedenken hat auch die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in ihrer Entschließung vom 6. November 2019 zum Ausdruck gebracht:

Entschließung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder am 6. November 2019

Keine massenhafte automatisierte Aufzeichnung von Kfz-Kennzeichenfür Strafverfolgungszwecke!

Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) weist auf den Missstand hin, dass seit einiger Zeit eigentlich für Zwecke der polizeilichen Gefahrenabwehr eingerichtete automatisierte Kennzeichenerfassungssysteme auch für Zwecke der Strafverfolgung eingesetzt werden. Sie erfassen dabei massenhaft und teilweise längerfristig Kfz-Daten unabhängig von der Beschuldigteneigenschaft der betroffenen Personen.

Im Rahmen der Gefahrenabwehr fahndet die Polizei auf Grundlage des jeweiligen Landespolizeigesetzes nach einzelnen Kraftfahrzeugkennzeichen. Nur im Fall einer Übereinstimmung von Kennzeichen und gesuchtem Fahrzeug kommt es zu einer Speicherung des einzelnen Kraftfahrzeugkennzeichens. Kfz-Kennzeichen, nach denen nicht polizeilich gefahndet wird, werden nach ihrer Erfassung unverzüglich gelöscht.

Demgegenüber wird im Bereich der Strafverfolgung - gestützt auf gerichtliche Beschlüsse oder staatsanwaltliche Anordnungen - nicht nur nach einzelnen Kraftfahrzeugen punktuell gefahndet. Vielmehr werden teilweise zusätzlich die Kennzeichen sämtlicher Fahrzeuge, die eine Straße mit einem Erfassungsgerät passieren, über einen längeren Zeitraum hinweg unterschiedslos erfasst und langfristig gespeichert. Als Rechtsgrundlage für solche Strafverfolgungsmaßnahmen wird in der Regel § 100h der Strafprozessordnung (StPO) herangezogen. Dieser erlaubt zwar, zur Observation beschuldigter Personen bestimmte technische Mittel einzusetzen, sofern Gegenstand der Strafverfolgung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist. Gegen andere Personen sind solche Maßnahmen nur ausnahmsweise zulässig. Eine umfassende Datenverarbeitung, wie sie die Aufzeichnung der Kennzeichen aller ein Erfassungsgerät passierender Kraftfahrzeuge über einen längeren Zeitraum bedeutet, führt jedoch dazu, dass sämtliche Verkehrsteilnehmende im Erfassungsbereich Ziel von Ermittlungsmaßnahmen sind und insoweit Bewegungsprofile entstehen können. Eine Ausweitung des Betroffenenkreises in dieser Größenordnung ist durch keinerlei Tatsachen begründbar und nicht zu rechtfertigen. Sie kann deshalb insbesondere nicht auf § 100h StPO gestützt werden.

Angesichts einer fehlenden Rechtsgrundlage sieht die DSK in der geschilderten exzessiven Nutzung von Kennzeichenerfassungssystemen für die Zwecke der Strafverfolgung einen Verstoß gegen das Grundgesetz und eine Verletzung der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die DSK fordert die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften auf, die umfassende und unterschiedslose Erfassung, Speicherung und Auswertung von Kraftfahrzeugen durch Kennzeichenerfassungssysteme für Zwecke der Strafverfolgung zu unterlassen und die rechtswidrig gespeicherten Daten zu löschen.

Die DSK lehnt Vorschläge ab, die auf die Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage für derartige strafprozessuale Maßnahmen abzielen. Nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung stellen bereits die automatisierten Kfz-Kennzeichen-Kontrollen zur Fahndung nach Personen oder Sachen einen Eingriff von erheblichem Gewicht dar, selbst wenn die Kfz-Kennzeichen unverzüglich spurenlos gelöscht werden. Eine längerfristige Aufzeichnung sämtlicher Kennzeichen begründet demgegenüber einen deutlich schwerwiegenderen Grundrechtseingriff.

5.4. Speicherung eines Auskunftsersuchens im Integrationsverfahren der Bayerischen Polizei

Im Berichtszeitraum wandte sich eine Bürgerin mit der Bitte an mich, Speicherungen zu ihrer Person im elektronischen Vorgangsverwaltungssystem der Polizei (Integrationsverfahren der Bayerischen Polizei - IGVP) zu überprüfen. Im Jahr 2018 hatte die Bürgerin bei der bayerischen Polizei einen Antrag auf Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten personenbezogenen Daten gestellt. Dem auf die Auskunftserteilung folgenden Löschungsersuchen der Bürgerin hatte die Polizei mit entsprechendem Bescheid sodann teilweise stattgegeben. Um die angekündigten Löschungen zu kontrollieren, stellte die Bürgerin ein paar Monate nach Erhalt des Bescheids einen neuerlichen Auskunftsantrag. Laut der neuen Auskunft wurden die angekündigten Löschungen tatsächlich durchgeführt, jedoch fiel der Bürgerin auf, dass im IGVP nunmehr eine Eintragung "Auskunftsersuchen aus dem Jahr 2018" existierte. Die Bürgerin befürchtete, nun allein wegen der Inanspruchnahme ihres gesetzlich normierten Auskunftsrechts nach Art. 65 Polizeiaufgabengesetz und ihres daran anknüpfenden Löschungsantrags eine weitere elektronische Speicherung im IGVP ausgelöst zu haben.

Meine daraufhin vorgenommene Prüfung bei der Polizei bestätigte diese Befürchtung. Ich teilte sodann sowohl dem zentral für Auskünfte und Löschungen zuständigen Bayerischen Landeskriminalamt als auch dem betreffenden Polizeipräsidium mit, dass eine derartige Speicherpraxis in datenschutzrechtlicher Hinsicht nicht hinnehmbar sei. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Personen, die dieses Recht mit einem Auskunfts-/Löschungsantrag aktiv in Anspruch nehmen, würde mit einer solchen polizeilichen Verfahrensweise ad absurdum geführt. Das Bayerische Landeskriminalamt bestätigte mir, dass diese Speicherungspraxis nicht der internen Regelungslage entspräche. Danach sind Auskunfts- und Löschungsanträge nicht im für viele Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte elektronisch zugänglichen IGVP zu speichern, sondern nur nach dem Aktenplan der Bayerischen Polizei zu erfassen. Hierdurch ist der Zugriff auf die Information, dass eine Bürgerin oder ein Bürger einen Auskunfts- und/oder Löschantrag gestellt hat, stark eingeschränkt.

Ich konnte erreichen, dass die betroffene Polizeidienststelle vergleichbare Falscherfassungen recherchierte und sofort löschte. Meine Hinweise wurden außerdem zum Anlass genommen, die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter für die Zukunft entsprechend zu sensibilisieren.

5.5. Auswirkungen der sogenannten "Mitziehklausel"

Als eine meiner Kernaufgaben verstehe ich die Überprüfung von Datenspeicherungen bei der Bayerischen Polizei. Regelmäßig wenden sich Bürgerinnen und Bürger mit zahlreichen Fragen zu diesem Thema an mich. Neben umfangreichen Informationen auf meiner Homepage unter https://www.datenschutz-bayern.de nutze ich meinen Tätigkeitsbericht, um Beispiele zu dem komplexen Bereich der Speicherung von personenbezogenen Daten in polizeilichen Dateien darzustellen.

Art. 54 Abs. 2 Polizeiaufgabengesetz (PAG) gibt den Rahmen für die Dauer einer polizeilichen Speicherung vor. Die dort genannten "Prüfungstermine" sind von verschiedenen Faktoren abhängig und gelten nicht absolut. Beispielsweise sind für Erwachsene andere Regelfristen vorgesehen als für Kinder und Jugendliche, auch kann es wegen der Schwere oder der Geringfügigkeit der jeweiligen Tat entweder Verlängerungen oder Verkürzungen der Speicherdauer geben.

Für die betroffenen Personen besonders nachteilig kann es sich auswirken, wenn mehr als ein Delikt im Kriminalaktennachweis (KAN) der Polizei gespeichert ist. In diesen Fällen wirkt sich die sogenannte "Mitziehklausel" des Art. 54 Abs. 2 Satz 6 PAG aus, die oftmals zu einer erheblichen Verlängerung aller vorhandenen Speicherungen führt:

"Werden innerhalb der Frist [...] weitere personenbezogene Daten über dieselbe Person gespeichert, so gilt für alle Speicherungen gemeinsam der Prüfungstermin, der als letzter eintritt, oder die Aufbewahrungsfrist, die als letzte endet."

Ich habe den Automatismus solcher "Mitziehungen" bereits mehrfach kritisiert, zum Beispiel in meinem 28. Tätigkeitsbericht unter Nr. 4.4.3. Durch die Regelung des Art. 54 Abs. 2 Satz 6 PAG können etwa lange zurückliegende Verfehlungen von Jugendlichen oder Heranwachsenden zum Teil über Jahrzehnte gespeichert werden. Dies kann, insbesondere wenn es um die Speicherung von (auch geringfügigen) Drogendelikten geht, erhebliche Unannehmlichkeiten für betroffene Personen haben, beispielsweise im Rahmen von polizeilichen Kontrollen. Bürgerinnen und Bürger berichten mir regelmäßig, dass sie im Rahmen von Fahrzeugkontrollen immer noch Durchsuchungen ihrer Person und ihres Wagens über sich ergehen lassen müssen, obwohl das zugrunde liegende Delikt bereits 15 Jahre oder länger zurückliegt und sich ihre Lebensumstände erheblich verändert haben.

Vor diesem Hintergrund ist es, wenn mehrere KAN-Einträge vorliegen, wichtig, sich die jüngsten Speicherungen besonders genau anzusehen, wie die folgenden zwei Fälle zeigen:

Im ersten Fall ging es um einen geringfügigen Verstoß nach dem Betäubungsmittelgesetz, weil gegen die betroffene Person im Jahr 2002 wegen des Besitzes einer geringen Menge Cannabis ermittelt wurde. Weitere Ermittlungen folgten im Jahr 2009 wegen einer Körperverletzung und im Jahr 2019 wegen einer Beleidigung.

Wegen der Folgespeicherungen in den Jahren 2009 und 2019 wurde das Drogendelikt nie ausgesondert, sondern im Datenbestand des Kriminalaktennachweises immer wieder verlängert, also "mitgezogen". Im konkreten Fall hätte dies eine Gesamtspeicherdauer von mehr als zwei Jahrzenten für ein einmaliges geringfügiges Vergehen wegen des Besitzes von Cannabis bedeutet, obwohl das zuständige Strafgericht im Jahr 2002 von einer Verfolgung der Tat abgesehen hatte.

Gegenüber der geringen Bedeutung, die diesem Fall seitens der Justiz beigemessen wurde, erschien mir eine polizeilich vorgesehene Speicherdauer von mehr als 20 Jahren unverhältnismäßig und mit dem Prinzip der Speicherbegrenzung (Art. 66 PAG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayDSG und Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Buchst. e DSGVO) nicht vereinbar. Vor allem war für mich nicht ersichtlich, welchen Nutzen diese Speicherung für die polizeiliche Gefahrenabwehr nach so langer Zeit noch haben sollte, obwohl die betroffene Person nie wieder wegen eines Drogendelikts auffällig geworden war.

Ich habe daher das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) gebeten, die Dauer dieser Speicherung auf das erforderliche Maß zu beschränken. Im Ergebnis möchte ich positiv hervorheben, dass das BLKA eine Löschung der betreffenden Speicherung aus dem Kriminalaktennachweis durchsetzte, obwohl die ursprünglich ermittelnde und speichernde Polizeidienststelle eine Aussonderung immer noch als "problematisch" erachtete.

Der zweite Fall betraf einen Petenten, der im Zeitraum von 1995 bis 2003 als Serientäter in mehreren Dutzend Fällen polizeilich auffällig war und letztlich auch mehrmals inhaftiert wurde. Seine zahlreichen Speicherungen im Kriminalaktennachweis, darunter vorrangig Eigentumsdelikte, waren zum damaligen Zeitpunkt sicherlich vertretbar.

Nach seiner letzten Haftentlassung wurde es polizeilich ruhiger um den Petenten. Er veränderte sich wohl und trat bis 2007 nur noch sporadisch in Erscheinung. In der Überzeugung, die "schiefe Bahn" vor mehr als zehn Jahren verlassen zu haben, stellte er schließlich gemäß Art. 65 PAG einen Auskunftsantrag bei der Polizei. Als er immer noch mit einer Vielzahl von Speicherungen ab Mitte der 1990er Jahre konfrontiert wurde, wandte er sich, ohne seine lange zurückliegenden Taten zu relativieren, an mich und bat um eine Überprüfung der Speicherungen.

In der von der Polizei erteilten Auskunft fiel sofort der "neueste" Eintrag, eine einzelne Speicherung aus dem Jahr 2012 wegen Betrugs und Unterschlagung, auf, die aufgrund der "Mitziehklausel" für die Aufrechterhaltung aller früheren Speicherungen sorgte. Der Petent verwies hierzu auf ein Missverständnis im Rahmen eines Beziehungsstreits und die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO). Auf meine Nachfrage zur Erforderlichkeit dieser einzelnen Speicherung wurde mir von der Polizei mitgeteilt, dass diese nicht mehr bejaht werde und eine Löschung dieses Eintrags im Kriminalaktennachweis erfolgt sei. Da man damit das für die Anwendung der "Mitziehklausel" entscheidende Delikt gelöscht hatte und alle früheren Ermittlungen mehr als zehn Jahre zurücklagen, führte dies schließlich zur vollständigen Löschung der gesamten Speicherungen im Kriminalaktennachweis.

5.6. Prüfung der Vergabe des ermittlungsunterstützenden Hinweises "Reisender Täter"

Im Informationssystem der Polizei (INPOL) besteht nach § 16 Abs. 6 Nr. 2 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz - BKAG) die Möglichkeit, sogenannte ermittlungsunterstützende Hinweise (EHW) einzutragen. Die Polizei versteht hierunter im Wesentlichen Hinweise auf Besonderheiten einer natürlichen Person, die dazu geeignet sind, polizeiliches Handeln zielgerichteter zu steuern oder zu unterstützen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, werden EHW auf Basis bestimmter Vergabekriterien entsprechend einem bundeseinheitlichen Leitfaden (EHW-Leitfaden) dokumentiert. Als EHW können nach den entsprechenden Kriterien im Zusammenhang mit einer Person zum Beispiel die Begriffe "Intensivtäter", "BtM-Handel", "Sexualtäter" oder "Reisender Täter" gespeichert werden.

Generell stehe ich den EHW kritisch gegenüber, weil die Vergabekriterien teilweise zu unbestimmt sind und ich die Gefahr einer Stigmatisierung der betroffenen Personen sehe. Aus diesem Grund habe ich deshalb die Vergabe des EHW "Reisender Täter" im Zuständigkeitsbereich eines Polizeipräsidiums geprüft. Nach entsprechender Vorauswahl und Anforderung legte mir das Polizeipräsidium vollständige INPOL-Auszüge zu mehreren Personen vor, für welche der EHW "Reisender Täter" eingetragen worden war. Ich habe diese im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den polizeilichen Vergabekriterien überprüft.

In etwa einem Drittel der vorgelegten Fälle habe ich das Polizeipräsidium um ergänzende Begründung der Vergabe des EHW "Reisender Täter" gebeten, da ich diese nicht ohne weiteres nachvollziehen konnte. Auf meine Nachfrage hin, wurden die Fälle von der Polizei sodann nochmals überprüft und bei der Hälfte dieser Fälle wurde der EHW erfreulicherweise sofort gelöscht.

Die vorgenommenen Stichproben haben gezeigt, dass der EHW "Reisender Täter" vielfach gespeichert wurde, obwohl die von der Polizei selbst festgelegten Kriterien nicht vorlagen.

Das betroffene Polizeipräsidium, das sich sehr kooperativ an der Prüfung beteiligte, habe ich daher gebeten, zukünftig mehr auf die Einhaltung der im EHW-Leitfaden festgesetzten Kriterien zu achten und die nachgeordneten Bereiche entsprechend zu sensibilisieren.

5.7. Präventive DNA-Speicherung durch die Polizei

Am 18. Mai 2018 hat der bayerische Gesetzgeber das Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz) verabschiedet. Das Gesetz soll ausweislich der Gesetzesbegründung die Richtlinie (EU) 2016/680 umsetzen und die verfassungsrechtlichen Maßgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeskriminalamtgesetz berücksichtigen. Zudem bedurfte es nach Einschätzung des Gesetzgebers "einer weiteren, dem Stand der Technik entsprechenden Ergänzung und noch effektiveren Ausgestaltung wichtiger polizeilicher Befugnisnormen." Insoweit sieht das Polizeiaufgabengesetz (PAG) unter anderem erstmals die Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen zur Feststellung von DNA-Identifizierungsmustern im Rahmen der erkennungsdienstlichen Maßnahmen (Art. 14 Abs. 3, 4 PAG) vor.

Art. 14 Abs. 3 und 4 PAG lauten:

"(3) 1Die Polizei kann dem Betroffenen zudem Körperzellen entnehmen und diese zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersuchen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut erforderlich ist und andere erkennungsdienstliche Maßnahmen nicht hinreichend sind. 2Ein körperlicher Eingriff darf dabei nur von einem Arzt vorgenommen werden. 3Die entnommenen Körperzellen sind unverzüglich nach der Untersuchung zu vernichten, soweit sie nicht nach anderen Rechtsvorschriften aufbewahrt werden dürfen. 4Eine Maßnahme nach Satz 1 darf nur durch den Richter angeordnet werden, bei Gefahr im Verzug auch durch die in Art. 36 Abs. 4 Satz 2 und 3 genannten Personen.

(4) 1Die molekulargenetische Untersuchung darf sich allein auf das DNA-Identifizierungsmuster erstrecken. 2Anderweitige Untersuchungen oder anderweitige Feststellungen sind unzulässig."

Neben der vom Ministerrat mit Beschluss vom 12. Juni 2018 beauftragten Kommission zur unabhängigen Begleitung und Prüfung der Anwendung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG-Kommission) habe ich den Vollzug der neu eingeführten Befugnis des Art. 14 Abs. 3 und 4 PAG ebenfalls - und über den Berichtszeitraum der PAG-Kommission hinaus - geprüft.

Insgesamt wurden mir auf meine Anfrage durch die Polizeipräsidien neben den neun Fällen, die bereits im Abschlussbericht der PAG-Kommission vom 30. August 2019 beschrieben sind, weitere vier Fälle aus dem präventivpolizeilichen Anwendungsbereich mitgeteilt. In insgesamt elf der 13 Fälle stützte die Polizei die Befugnis zur Entnahme der DNA auf eine Freiwilligkeits-/Einverständniserklärung. Die betreffenden Körperzellen wurden in allen 13 Fällen nach Übersendung an das Bayerische Landeskriminalamt und dortiger Auswertung vernichtet. Alle Polizeiverbände wiesen einstimmig darauf hin, dass Art. 14 Abs. 5 PAG keine feste Speicherdauer vorsehe, weswegen die verantwortlichen Polizeidienststellen jeweils eine Einzelfallprüfung in Bezug auf eine etwaige Löschung betreffender Daten durchzuführen hätten, sobald die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 PAG nicht mehr vorlägen. Lediglich im Falle der präventiven DNA-Entnahme einer jugendlichen Ausreißerin wurde mir vom zuständigen Polizeipräsidium als Löschzeitpunkt die Vollendung des 18. Lebensjahres benannt.

Ausweislich der Gesetzesbegründung soll die Befugnis des Art. 14 Abs. 3 PAG das erkennungsdienstliche Instrumentarium ergänzen, wobei davon ausgegangen wurde, dass es sich dabei "nicht um ein regelhaftes präventiv-erkennungsdienstliches Instrument" handele. Gerade bei Personen, "von denen ein erhebliches Gefährdungspotential" ausgehe, könne eine entsprechende Befugnis aber zur sicheren, nachhaltigen Identifizierbarkeit erforderlich sein. Aufgrund der erhöhten Sanktionswahrscheinlichkeit könne hierdurch auch eine Spezialprävention erreicht werden. Wegen der Grundrechtsrelevanz der mit Art. 14 Abs. 3 PAG verbundenen Eingriffe sei aber eine ausdrückliche - unter Richtervorbehalt stehende - Regelung geboten.

Nach meiner Einschätzung steht die bei meiner Prüfung festgestellte Vollzugspraxis hiermit nicht in Einklang:

So umgeht die überwiegend geübte Praxis des Rückgriffs auf Freiwilligkeitserklärungen den in Art. 14 Abs. 3 Satz 4 PAG geregelten Richtervorbehalt. Sie widerspricht zudem Erwägungsgrund 35 RLDSJ. Danach können die zuständigen Behörden bei der Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben, Straftaten zu verhüten, zwar natürliche Personen auffordern oder anweisen, ihren Anordnungen nachzukommen. Kommt die betroffene Person dieser Anweisung nach, stellt eine solche Einwilligung aber keine rechtliche Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten dar. Denn wenn eine betroffene Person aufgefordert wird, einer rechtlichen Verpflichtung nachzukommen, hat sie keine echte Wahlfreiheit, weshalb ihre Reaktion nicht als freiwillig abgegebene Willensbekundung betrachtet werden kann.

Ich habe gegenüber dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration daher folgende durch die PAG-Kommission bereits gestellte Forderung wiederholt: Zumindest in einer Vollzugsbekanntmachung muss klargestellt werden, dass der Richtervorbehalt nach Art. 14 Abs. 3 Satz 4 PAG nicht durch die Einholung eines wie auch immer gearteten Einverständnisses ersetzt werden darf.

Auch was die Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 PAG anbelangt, erscheinen die bekannten Anwendungsfälle zumindest als diskussionswürdig. So wiesen bei den von der PAG-Kommission geschilderten neun Fällen lediglich "zwei Fallkonstellationen ein hohe Plausibilität für die Rechtmäßigkeit auf. [...] Alle anderen [...] Fälle werfen durchaus berechtigte Zweifel auf." Zur näheren Begründung möchte ich auf die Einschätzung der PAG-Kommission verweisen. Auch hier habe ich das Innenministerium aufgefordert, zumindest in einer Vollzugsbekanntmachung klarzustellen, dass es sich bei der DNA-Entnahme nach Art. 14 Abs. 3 PAG gerade nicht um ein regelhaftes präventiv-erkennungsdienstliches Instrument handelt und auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme daher besonders zu achten ist. Auch sollte stärkeres Augenmerk auf die Tatsache gerichtet werden, dass eine präventive DNA-Entnahme nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr zulässig ist. Diese Voraussetzung darf nicht durch eine überdehnte Wahrscheinlichkeitsbetrachtung unterlaufen werden.

Ich hatte bereits bei der Beteiligung im Rahmen des PAG-Neuordnungsgesetzes des bayerischen Polizeirechts (erfolglos) darauf hingewiesen, dass angesichts des mit der molekulargenetischen Untersuchung einhergehenden erheblichen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie der präventiven Natur der Maßnahme eine Regelung zur Speicherdauer erforderlich ist. Aufgrund meiner oben geschilderten Feststellungen zur Speicherdauer habe ich das Innenministerium gefragt, wie sichergestellt wird, dass eine regelmäßige Überprüfung der Speicherungsvoraussetzung stattfindet und ob entsprechende Aussonderungsprüffristen existieren. Hierauf wurde mir mitgeteilt, dass derzeit mindestens jährlich geprüft werde, ob die Speicherung eines DNA-Musters aufrechterhalten werden muss. Auch hier sollte zumindest im Rahmen einer Vollzugsbekanntmachung Rechtssicherheit geschaffen werden.

Zwischenzeitlich wurden unter anderem auch die Ergebnisse der PAG-Kommission zum Anlass genommen, eine Änderung des Polizeiaufgabengesetzes herbeizuführen. Nach Abschluss meiner Prüfung erreichte mich der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG-Änderungsgesetz). Im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahren habe ich, auch aufgrund der oben geschilderten Prüfungsergebnisse, dem Innenministerium dringend empfohlen, die Befugnis für eine Entnahme von Körperzellen zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters in Art. 14 Abs. 3 PAG ersatzlos zu streichen.

5.8. Unzulässige Datenübermittlung mittels Strafzettel

Die Anlässe für polizeiliche Datenübermittlungen sind vielfältig. Solche Datenweitergaben können auf verschiedenen Rechtsgrundlagen beruhen, auf unterschiedlichen Wegen vonstattengehen und haben dennoch immer eines gemeinsam: Sie sind eine sensible Angelegenheit, sollten nicht unbedacht vorgenommen werden und sind stets am Grundsatz der Erforderlichkeit zu beurteilen.

In einem von mir zu prüfenden Fall wandte sich ein Hotelangestellter an mich. Er hatte die Polizei über ein verbotswidrig in der Hotelzufahrt abgestelltes Fahrzeug informiert. Die verständigte Streifenbesatzung fuhr zum Einsatzort, stellte eine Verkehrsordnungswidrigkeit fest und hinterließ am Wagen des Falschparkers einen sogenannten Strafzettel (Verwarnung mit Zahlungsaufforderung). Kurz nachdem der Hotelangestellte seine Schicht beendet hatte, erschien der Fahrzeugführer im Hotel, nannte den Namen des Hotelangestellten und wollte diesen zur Rede stellen.

Wie sich zeigte, hatte die Streifenbesatzung der Polizei den Namen des Hotelangestellten als "Mitteiler" in das Formularfeld "Tatbestandskonkretisierung" des Strafzettels eingetragen. Dies hatte zur Folge, dass der Name auf dem rosafarbenen Durchschlag des Strafzettels, der wie üblich an der Windschutzscheibe des Fahrzeugs angebracht wurde, ebenfalls zu lesen war. Insofern fand hier eine - wenn auch etwas ungewöhnliche und wohl auch unbeabsichtigte - Datenübermittlung statt. Diese Datenübermittlung war unzulässig. Der Datenfluss zum Betroffen ist durch § 56 OWiG und die Richtlinie für die Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, hier Anlage 2, geregelt. Der Name des Mitteilers wird dabei nicht offengelegt.

Das betroffene Polizeipräsidium räumte auf meine Anfrage hin ein, dass die namentliche Nennung des Mitteilers auf dem Strafzettel in datenschutzrechtlicher Hinsicht nicht zulässig war. Insbesondere war den Polizeibeamten durch eine eigene Inaugenscheinnahme der Situation vor Ort möglich, die Verkehrsbehinderung wahrzunehmen, selbst zu bewerten und letztendlich zu ahnden. Es war zwar in Ordnung, dass die Polizeibeamten den Namen des Hotelangestellten als Mitteiler und Zeugen erhoben hatten, um gegebenenfalls in einem späteren gerichtlichen Verfahren auf diesen zurückzukommen zu können. Dieses Verfahrensstadium war aber noch nicht erreicht.

Positiv hervorzuheben ist in diesem Fall, dass der Vorfall von der Polizei sorgfältig aufgearbeitet und auch in Dienstunterrichten erörtert wurde, um die Einsatzkräfte zu sensibilisieren und entsprechende Wiederholungen zu vermeiden.

5.9. Zugangskontrolle bei Gerichten

Bereits in meinem 26. Tätigkeitsbericht 2014 unter Nr. 5.2.2 beschäftigte ich mich mit Zugangskontrollen bei Gerichten. Auch im Berichtszeitraum hat mich eine Beschwerde zu diesem Thema erreicht.

An den Eingängen von Dienstgebäuden der ordentlichen Gerichtsbarkeit wie auch der Fachgerichtsbarkeiten werden regelmäßig allgemeine Zugangskontrollen durchgeführt. Diese Zugangskontrollen beruhen nach gefestigter Rechtsprechung auf dem Hausrecht des jeweiligen Gerichtsvorstands. Das Hausrecht gestattet zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebes Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung im Gerichtsgebäude, wie beispielsweise die Anordnung, einen Metalldetektorrahmen zu passieren sowie damit verbundene Begleitanordnungen. Die Maßnahmen müssen dem Verhältnismäßigkeitsgebot genügen.

Die Maßnahmen, die im Rahmen der Zugangskontrolle auf der Grundlage des Hausrechts getroffen wurden, waren im konkreten Fall datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Gericht für den Fall, dass bei einem Betreten des Gebäudes nicht erlaubte Gegenstände beim Sicherheitsdienst zu hinterlegen waren, vorsah, die Personalien der betroffenen Person zu erheben und im Wachbuch des kontrollierenden Sicherheitsdienstes aufzuzeichnen. Dies geschah, obwohl der betroffenen Person zudem eine Nummernkarte ausgegeben wurde, die sich auf eine Kiste mit entsprechender Nummer mit dem zu hinterlegenden Gegenstand bezog. Diese Nummer wurde ebenfalls zu den erhobenen Personalien notiert. Bei Verlassen des Gebäudes konnte die betroffene Person die Nummernkarte abgeben und unter zusätzlicher Angabe der Personalien den hinterlegten Gegenstand wieder herausverlangen.

In diesem Zusammenhang habe ich es für kritisch erachtet, dass trotz Ausgabe der Nummernkarte noch ergänzend eine Erhebung der Personalien und eine Eintragung dieser Daten in die Wachbücher des Sicherheitsdienstes erfolgte. Da die Erhebung dieser Daten nicht zur Aufgabenerfüllung erforderlich war, waren die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 BayDSG nicht erfüllt. Meine Bedenken habe ich dem betroffenen Gericht mitgeteilt, worauf das Gericht entschied, auf die Erhebung und Eintragung der Personalien in die Wachbücher des Sicherheitsdienstes künftig zu verzichten. Man werde die hinterlegten Gegenstände allein nach Vorzeigen und Abgabe der entsprechenden Nummernkarte wieder herausgeben, ohne sich mittels Personalien zusätzlich legitimieren zu müssen.

Die neu gewonnene Haltung des betroffenen Gerichts begrüße ich ausdrücklich, weil sie datensparsamer ist und somit den datenschutzrechtlichen Belangen der betroffenen Personen nunmehr in höherem Maße gerecht wird.

  1. Zitate aus https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/nationale-und-internationale-zusammenarbeit/polizei-2020/polizei-2020-node.html (externer Link). [Zurück]
  2. Landtags-Drucksache 17/20425, S. 1. [Zurück]
  3. Landtags-Drucksache 17/20425, S. 41. [Zurück]
  4. Landtags-Drucksache 17/20425, S. 41. [Zurück]
  5. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 41 f., Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]