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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 27.01.2005

7. Polizei

Meine Tätigkeit im Polizeibereich umfasste insbesondere die Kontrolle von Speicherungen in Dateien, wie z.B. im Kriminalaktennachweis, in der Staatsschutzdatei, der Arbeitsdatei "Kfz-Verschiebung" sowie in weiteren Dateien, insbesondere in regional geführten GAST-Dateien, und von Datenerhebungsmaßnahmen, wie bspw. erkennungsdienstlichen Behandlungen und Speichelprobenentnahmen zum Zwecke der DNA-Analyse. Die Speicherungen im Zusammenhang mit den Münchner Sicherheitskonferenzen 2002 und 2003, die Durchführung eines DNA-Massenscreenings sowie die Videoüberwachung auf öffentlichen Straßen und Plätzen waren weitere Prüfungsschwerpunkte.

Geprüft habe ich auch wieder Datenübermittlungen der Polizei, z.B. an andere öffentliche Stellen oder an die Presse, Abfragen im polizeilichen Informationssystem durch Polizeibedientete sowie die Auskunftserteilung an Betroffene über polizeiliche Speicherungen.

Neben der Kontrolle von Datenerhebung, -nutzung und -verarbeitung durch die Polizei aufgrund von Bürgereingaben, Pressemitteilungen oder sonstigen Hinweisen habe ich auch wieder mehrere anlassunabhängige Prüfungen beim Landeskriminalamt, bei zwei Präsidien und zwei Direktionen vorgenommen.

Des Weiteren habe ich auch auf die datenschutzkonforme Realisierung von Gesetzen, Richtlinien und Errichtungsanordnungen für Dateien hingewirkt, soweit sie Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch die Polizei zum Gegenstand hatten. In diesem Berichtszeitraum waren die geplanten Befugniserweiterungen im Polizeiaufgabengesetz sowie die Richtlinien für die Führung polizeilicher personenbezogener Sammlungen Schwerpunkte meiner Tätigkeit.

Meine datenschutzrechtliche Beratung von Polizeidienststellen umfasste auch Vorträge bei Aus- und Fortbildungsveranstaltungen der Polizei.

Die nachfolgenden Darstellungen sind eine Auswahl meiner Feststellungen im Polizeibereich.

7.1. Kriminalaktennachweis (KAN)

Bereits in meinem 20. Tätigkeitsbericht (vgl. Nr. 6.1) hatte ich von den Verhandlungen mit dem Staatsministerium des Innern zur datenschutzrechtlichen Verbesserung des Verfahrens der personenbezogenen Speicherung von Erkenntnissen aus strafrechtlichen Ermittlungsverfahren insbesondere im Kriminalaktennachweis berichtet. Die auch auf meine Forderungen vom Innenministerium in Aussicht gestellte Neufassung der Richtlinien für die Führung polizeilicher personenbezogener Sammlungen (PpS-Richtlinien) und der Errichtungsanordnung für die Personen- und Fall-Auskunftdatei (EA PFAD) ist leider noch nicht erfolgt. Das Innenministerium hat mir aber - nachdem ich zu dem 1. Entwurf die aus datenschutzrechtlicher Sicht notwendigen Änderungsvorschläge gemacht habe - inzwischen einen geänderten Entwurf vorgelegt. Dieser enthält zwar datenschutzrechtliche Verbesserungen, berücksichtigt aber eine Reihe meiner Forderungen nicht.

Zusammengefasst sind das:

  • Die zu geringe Berücksichtigung der Fälle geringerer Bedeutung
  • Die Weiterspeicherung im KAN, auch wenn der strafprozessuale Anfangsverdacht vernünftigerweise nicht mehr aufrecht erhalten werden kann
  • Keine Speicherung des Verfahrensausgangs im KAN
  • Keine abschließende Prüfung der Speicherung nach Abschluss der Ermittlungen

Im Einzelnen:

Wesentlicher Punkt ist nach wie vor die unzureichende Regelung der sog. Fälle von geringerer Bedeutung (Art. 38 Abs. 2 Satz 4 Polizeiaufgabengesetz). Der entsprechenden Einstufung kommt deswegen besondere Bedeutung zu, weil in diesen Fällen nach der gesetzlichen Vorgabe eine kürzere Speicherungsfrist als die vorgesehene Regelfrist festzusetzen ist.

Leider hat das Innenministerium als Regelfälle geringerer Bedeutung bei strafrechtlich relevantem Verhalten neben fahrlässig begangenen Straftaten lediglich bestimmte Privatklagedelikte vorgesehen. Diese Beispiele sind unzureichend. "Fälle geringerer Bedeutung" sind zumindest alle Fälle leichterer Kriminalität. Das sind solche, die im Höchstmaß mit einer geringen Freiheitsstrafe bedroht sind wie z.B. Erschleichen von Leistungen (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr). Darüber hinaus kommen aber auch weitere Antragsdelikte wie Haus- und Familiendiebstahl, Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen oder unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs als Regelfälle geringerer Bedeutung in Betracht. Gleiches gilt soweit die Staatsanwaltschaft oder das Gericht wegen Geringfügigkeit von der Verfolgung abgesehen haben. Ich hätte es deshalb begrüßt, wenn die Regelbeispiele entsprechend erweitert worden wären.

Auch soweit kein Regelfall vorliegt, kann ein Fall geringerer Bedeutung auch bei anderen Delikten (z.B. Betrug, Körperverletzung) vorliegen, wenn eine Einzelfallprüfung die geringere Bedeutung ergibt (vgl. Nr. 6.1 des 20. Tätigkeitsberichts - 3. Absatz). Dieser Auffassung ist nach Besprechung dieser Frage auch das Innenministerium. Eine überflüssige Erschwernis ist die Forderung des Innenministeriums an den polizeilichen Sachbearbeiter nach einer "strengen" Prüfung, die zusammen mit der Verpflichtung zur Dokumentation der für die Fristverkürzung maßgeblichen Gründe, in der Praxis eine restriktive und damit nicht gesetzeskonforme Prüfungspraxis befürchten lässt.

Leider sind die geltenden PpS-Richtlinien in diesem Bereich auch insoweit unvollständig, als sie eine verkürzte Frist bei Fällen von geringerer Bedeutung lediglich für Erwachsene festlegen. Das Polizeiaufgabengesetz (PAG) sieht eine solche Einschränkung aber nicht vor. Es ist deshalb notwendig, in diesen Fällen eine Verkürzung der Speicherfristen auch für Kinder und Jugendliche vorzusehen, wobei ausgehend von der gesetzlichen Regelfrist verkürzte Speicherungsfristen für Kinder von höchstens einem Jahr und für Jugendliche von höchstens 3 Jahren vorgesehen werden sollten. Der geänderte Entwurf der PpS-Richtlinien sieht nunmehr auch in diesen Fällen eine Verkürzung vor, ohne allerdings die geforderten Regelfristen vorzugeben.

Darüber hinaus sollte eine Speicherung nicht nur dann gelöscht werden, wenn sich aus der Entscheidung der Justiz eindeutig ergibt, dass jeglicher Tatverdacht entfallen ist, sondern - entsprechend der Regelung im Polizeiaufgabengesetz - wenn der strafprozessuale Anfangsverdacht, der zur Aufnahme in den KAN geführt hat, vernünftigerweise nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Hier zeigt sich erneut die Tendenz des Innenministeriums, den gesetzlichen Schutz des Betroffenen durch polizeiinterne Vorschriften einzuschränken. Des Weiteren halte ich die Streichung einer Regelung für geboten, wonach Verfahrungseinstellungen wie beispielsweise solche nach § 153 StPO oder §§ 45, 47 JGG, bei denen die Schuld des Täters von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht als gering anzusehen und deshalb keine öffentliche Interessen an der Verfolgung gesehen wird, keine Auswirkungen auf die Speicherfristen haben sollen. Gerade in diesen Fällen halte ich eine Prüfung für notwendig, ob eine Verkürzung der Speicherfrist vorzunehmen ist.

Ich werde gegenüber dem Staatsministerium des Innen erneut auf eine Umsetzung meiner Forderungen dringen.

Bei meinen datenschutzrechtlichen Prüfungen habe ich wiederholt festgestellt, dass häufig (unzulässigerweise) nur die Speicherungen im elektronischen Kriminalaktennachweis als Grundlage für die Datenübermittlungen, z.B. an andere Polizeidienststellen, herangezogen wurden. Dort ist die Speicherung des Verfahrensausgangs nicht vorgesehen, so dass dieser auch nicht übermittelt wurde. Datenschutzrechtlich ist es aber durchaus von Bedeutung, dass die Tatsache eines Freispruchs oder einer Verfahrenseinstellung wegen des Fehlens eines hinreichenden Tatverdachts zum jeweiligen Verfahren gespeichert und bei der polizeilichen Nutzung der Speicherung mit berücksichtigt wird. Während bei der Datenübermittlung der Verfahrensausgang regelmäßig aus der Kriminalakte ersehen werden kann, ist dies z.B. bei einem Datenabgleich nach Art. 43 PAG zur Unterstützung von Personenkontrollen vor Ort nicht möglich. Ich halte es deshalb für erforderlich, im KAN (aber auch in der polizeilichen Vorgangsverwaltung) den Ausgang des Verfahrens zu dokumentieren.

Das Innenministerium sieht dagegen keine datenschutzrechtliche Notwendigkeit, den Verfahrensausgang zu speichern. Die Information über den Verfahrensausgang sei für die polizeiliche Aufgabenerfüllung - jedenfalls im Rahmen des Kriminalaktenachweises und in der Vorgangsverwaltung - ohne Belang. Soweit ein polizeiliches Informationsinteresse an dieser Erkenntnis besteht, sei sie der Akte bzw. dem Vorgang zu entnehmen.

Ich bedauere diese Haltung des Ministeriums, die die Belastung des Betroffenen durch die unvollständige Speicherung und die polizeiliche Praxis nicht berücksichtigt.

Auch einer weiteren Forderung, die ich bereits in meinem 20. Tätigkeitsbericht dargestellt hatte, will das Innenministerium nicht nachkommen. Danach sollte die Polizei nach Abschluss der Ermittlungen grundsätzlich eine Prüfung durchführen, ob die Speicherung unter Berücksichtigung des Ermittlungsergebnisses weiter zur polizeilichen Aufgabenerfüllung erforderlich ist (vgl. Nr. 6.1 - 4. Absatz). Das Staatsministerium des Innern führt dazu aus, dass die Frage des "ob" in jeder Phase der Ermittlungen zu prüfen sei. Dies sollte aber in den PpS-Richtlinien ausdrücklich betont werden. Die Notwendigkeit einer solchen Prüfung macht folgendes Beispiel deutlich: Ein Bürger hatte sich an mich gewandt, da er von Zivilbeamten der Polizei kontrolliert worden war. Nach einer Datenabfrage über Polizeifunk war er vor den Augen seines Arbeitgebers durchsucht worden. Bei meiner Prüfung der zur Person des Betroffenen bestehenden Speicherung im Kriminalaktennachweis stellte sich heraus, dass er von der Polizei verdächtigt wurde, als Türsteher einer Diskothek an einer Schlägerei beteiligt gewesen zu sein. Im Verlauf der Ermittlungen stellte sich aufgrund von Zeugenaussagen heraus, dass der Betroffene als Täter nicht in Betracht kam. Trotzdem wurde die Speicherung von der Polizei nach Abschluss der Ermittlungen wegen der unterlassenen Prüfung nicht gelöscht. Erst auf meine Veranlassung kam auch die Polizei zum Ergebnis, dass die Speicherung zu löschen ist. Bei einer Prüfung nach Abschluss der Ermittlungen unter Abwägung der be- und entlastenden Zeugenaussagen, hätte dieses Ergebnis bereits zu diesem früheren Zeitpunkt ohne mein Eingreifen erzielt werden können.

Auf eine weitere Problematik im Zusammenhang mit der fehlerhaften Bezeichnung von Delikten im KAN wurde ich durch eine andere Eingabe aufmerksam. Der Petent lebte vor einigen Jahren in München und war später ausgewandert. Während seines Aufenthalts in München war wegen des Verdachts der Gefährdung im Straßenverkehr gegen ihn ermittelt worden. Im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung im Einwanderungsland musste er zu seiner Überraschung feststellen, dass ihm Gefährdung des Straßenverkehrs auf Grund Alkoholgenusses vorgehalten wurde. Der betreffenden Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft konnte ich entnehmen, dass der Petent wegen Nötigung und Gefährdung des Straßenverkehrs (ohne Zusatzvermerk) angezeigt worden war. Der Betroffene soll auf der Autobahn mit seinem Pkw einen anderen Verkehrsteilnehmer dadurch genötigt haben, dass er die Überholspur über einen längeren Zeitraum nicht freigab. Ein Zusammenhang mit Alkoholgenuss konnte der Ermittlungsakte nicht entnommen werden.

Die Polizei hat mir auf meine Nachfrage mitgeteilt, dass zum Zeitpunkt der Anzeige das betreffende Delikt mit dem Text "Gefährdung des Straßenverkehrs" erfasst worden war. Bei einer Umstellung des Straftatenkatalogs sei der ursprüngliche Text durch "Gefährdung des Straßenverkehrs - infolge Alkohol" ersetzt worden. Entsprechend wurde bei allen anderen "Altfällen" mit gleichem Speicherungstext verfahren, ohne Rücksicht auf den zu Grunde liegenden Sachverhalt.

Über den Einzelfall hinaus war davon auszugehen, dass weitere Personen im Kriminalaktennachweis auf Grund einer solcher Änderungen im Straftatenkatalog mit dem nicht zutreffenden Zusatz "infolge Alkohol" gespeichert sind. Ich habe deshalb die Polizei zur Prüfung aufgefordert, wie solche fehlerhaften Speicherungen korrigiert werden können. Darüber hinaus habe ich sie aufgefordert, bei künftigen Änderungen des Straftatkatalogs dafür Sorge zu tragen, dass Speicherungen nur mit zutreffenden Deliktsbezeichnungen angezeigt werden. Inzwischen hat mir die Polizei mitgeteilt, dass alle "Altfälle" entsprechend korrigiert worden sind.

7.2. Polizeiliche Sachbearbeitung/Vorgangsverwaltung-Verbrechensbekämpfung (PSV)

Zusammengefasst habe ich hier folgende, teilweise schon in früheren Tätigkeitsberichten angesprochene Mängel festgestellt:

  • Überlange Aussonderungsprüffristen
  • Erhebliche Erweiterung der Zugriffsberechtigung auf die PSV, dadurch Abbau des Unterschieds zwischen (landesweitem) Kriminalaktennachweis und (regionaler) Sachbearbeitung/(Vorgangsverwaltung)
  • kein Hinweis auf richterliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme
  • In einem Einzelfall regelwidrige Weiterspeicherung wegen fehlerhaften Löschlaufs


Im Einzelnen:

Die in meinem 20. Tätigkeitsbericht (Nr. 6.2) geschilderte Problematik überlanger Aussonderungsprüffristen für personenbezogene Daten Dritter (z.B. Geschädigte, Anzeigeerstatter, Hinweisgeber) ist leider immer noch nicht gelöst. Zwar hat das Staatsministerium des Innern einer "Entkoppelung" der Speicherfristen für diesen Personenkreis von der Frist für die Aussonderung der Kriminalakten der Täter/Tatverdächtigen insoweit zugestimmt, als eine Verlängerung der Aussonderungsfrist für die Kriminalakte auf Grund weiterer Vorgänge (sog. Mitziehklausel nach Art. 38 Abs. 2 Satz 6 PAG) keine Auswirkung auf die Speicherungsdauer Dritter haben soll. Die Speicherfrist soll aber automatisch um 5 Jahre verlängert werden, wenn eine erneute Sachbearbeitung erfolgt. Dies erscheint mir zu weitgehend. Ich habe deshalb das Innenministerium gebeten, in den PpS-Richtlinien festzulegen, dass eine Verlängerung der Speicherfrist nur in Betracht kommt, wenn der Sachbearbeiter bei einer Wiedereröffnung des Vorgangs nach Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass wegen der erneuten Sachbearbeitung eine Verlängerung der Speicherung der Daten Dritter erforderlich ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, sind diese Daten zu löschen. Als Gedächtnisstütze für den Sachbearbeiter sollte ein Hinweis in die Datei auf die notwendige Prüfung der Erforderlichkeit einer Verlängerung der Aussonderungsfrist personenbezogenen Daten Dritter bei Neueröffnung eines "alten" Vorgangs aufgenommen werden. Weder darauf, noch auf den Vorschlag, zumindest in den PpS-Richtlinien eine entsprechende Prüfung bei der Wiedereröffnung von Vorgängen vorzusehen, ist das Innenministerium eingegangen.

Eine datenschutzrechtliche Verschlechterung stellt auch die erhebliche Erweiterung des Zugriffs- und Berechtigungskonzeptes für die Vorgangsverwaltung dar. Wie bereits im 20. Tätigkeitsbericht berichtet, hatte ich mich gegen einen bis dahin nur in den Ballungsraumpräsidien München und Nürnberg möglichen präsidiumsweiten Zugriff auf die PSV gewandt, da damit die Differenzierung zwischen dem bayernweiten Kriminalaktennachweis und der regionalen Vorgangsverwaltung aufgegeben würde. Damit nicht genug, teilte mir das Innenministerium wiederum ohne meine vorherige Beteiligung mit, dass es die Zustimmung für einen landesweiten Zugriff auf die PSV für bestimmte Dienststellen des Landeskriminalamtes erteilt hat. Dem folgte als dritte Erweiterung der Entwurf für einen funktionsbezogenen landesweiten Zugriff einer Vielzahl von Bediensteten der Polizei. Die Auswahl der Funktionen war so umfangreich und unbestimmt, dass nur wenigen ein landesweiter Zugriff vorenthalten würde.

Diesem Zugriffs- und Berechtigungskonzept habe ich nicht zugestimmt, da es auf personenbezogene Daten von nur regionaler Bedeutung einen breiten landesweiten Zugriff zulässt, ohne dass die Erforderlichkeit dafür im Einzelnen dargetan wäre. Dadurch können z.B. Opfer einer Vergewaltigung sowie Zeugen oder Betroffene einer Ordnungswidrigkeit landesweit abgefragt werden. Gleiches gilt für Personen, die in der PSV gespeichert werden, weil sie im Rahmen der Münchener Sicherheitskonferenz 2002 (s.u.) zwar in Gewahrsam genommen wurden, von denen aber weder Straftaten begangen wurden noch Staatsschutzerkenntnisse vorgelegen haben.

Nach Auffassung des Innenministeriums verliere der bisherige Gedanke des Schutzbereichs (Ballungsraumpräsidien, Polizeidirektionen) angesichts der hohen Mobilität der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Zudem stehe der landesweite Zugriff unter dem Vorbehalt der polizeilichen Erforderlichkeit. Deshalb hat es das Konzept trotz meiner Einwände vorläufig in Kraft gesetzt. Es wird aber die Verbände im Rahmen der Umsetzung ausdrücklich auf die erforderliche Sensibilität bei der Vergabe von landesweiten Zugriffsberechtigungen hinweisen.

Ich beabsichtige, zu gegebener Zeit die Vergabe der Zugriffsberechtigungen und den praktischen Gebrauch des bayernweiten Zugriffs im Einzelnen datenschutzrechtlich zu prüfen.

Ein weiteres Defizit der Vorgangsverwaltung, diesmal inhaltlicher Natur, das bei einem landesweiten Zugriff noch verstärkt wird, habe ich im Rahmen meiner datenschutzrechtlichen Prüfung im Zusammenhang mit der Münchner Sicherheitskonferenz festgestellt. In der Vorgangsverwaltungsdatei waren sechs Personen gespeichert, bei denen die Ingewahrsamnahme durch die Polizei vom Amtsgericht bzw. vom Landgericht für rechtswidrig erklärt worden war. Ein Hinweis auf diese richterliche Entscheidung wurde in der Datei jedoch nicht vermerkt, obwohl ein solcher Hinweis für die Bedeutung der Speicherung und damit für die Belastung der Betroffenen von wesentlicher Bedeutung ist. Im Hinblick auf die Doppelfunktion der PSV als Vorgangsverwaltungs- und als polizeiliche Sachbearbeitungsdatei kann diese Unvollständigkeit unter Umständen auch bei polizeilichen Kontrollen unangenehme Konsequenzen für die Betroffenen haben. Ich habe deshalb die Polizei aufgefordert, die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme in geeigneter Form in der PSV zu vermerken. Das Staatsministerium des Innern habe ich gebeten allgemein festzulegen, dass entsprechende Ergänzungen vorzusehen sind, wenn auf Grund einer justiziellen Entscheidung die Rechtswidrigkeit einer dokumentierten Maßnahme feststeht.

Weder die betreffende Polizeidienststelle noch das Innenministerium haben die Notwendigkeit einer Ergänzung gesehen, da der PSV-Eintrag nur die Vornahme der jeweiligen Maßnahme dokumentiere und diese Dokumentation auch bei der justiziellen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vornahme nicht unrichtig werde. Vor einer Datenübermittlung aus der PSV seien die zu Grunde liegenden Unterlagen beizuziehen, aus denen sich die Entscheidung der Justiz ergebe.

Ich bedaure diese wenig datenschutzfreundliche Haltung. Das Innenministerium stellt hier unrichtigerweise nur auf die Funktion "Vorgangsverwaltung" ab und verdrängt die zweite Funktion, nämlich Grundlage auch der Sachbearbeitung durch die Polizei. Ich halte deshalb die Umsetzung meiner Forderungen im Hinblick auf die Vollständigkeit und Qualität der Daten und besonders wegen des damit verbundenen "ersten Eindrucks" von einer gespeicherten Person bei einer polizeilichen Dateiabfrage weiter für notwendig. Dass Speicherungen in der PSV unter Umständen auch negative Auswirkungen für Betroffene haben können, zeigt folgender Vorgang:

Ein Petent hatte sich 2004 bei der Polizei beworben und in diesem Zusammenhang auch einer Überprüfung seiner Person durch einen Abgleich seiner Daten mit polizeilichen Dateien zugestimmt. Zu seiner Überraschung wurde er nach dem Datenabgleich von der Einstellungsberaterin mit zwei Strafverfahren konfrontiert, bei denen gegen ihn als Jugendlicher im Jahre 1990 und 1991 ermittelt wurde. Im Kriminalaktennachweis waren die betreffenden Speicherungen zwar rechtzeitig nach Ablauf der 5-jährigen Regelfrist gelöscht worden. Auf Grund eines Fehlers im Löschlauf waren seine personenbezogene Daten zu diesen Ermittlungsverfahren aber noch in der PSV gespeichert. Nach meiner Intervention sind die Daten gelöscht worden. Sie werden - wie mir die Polizei mitgeteilt hat - das Bewerbungsverfahren auch nicht mehr beeinflussen. Ich habe die Polizei aufgefordert, dem Petenten den Sachstand mitzuteilen, insbesondere auch darauf hinzuweisen, dass er sich im Hinblick auf seine Bewerbung zu den o.g. Verfahren nicht mehr
äußern muss.

7.3. Speicherungen in sonstigen Dateien

Anlässlich meiner Prüfungen bei bayerischen Polizeidienststellen habe ich neben Speicherungen im Kriminalaktennachweis und in der Vorgangsverwaltung auch Speicherungen in delikts- und dienststellenspezifischen Dateien überprüft. Im Folgenden habe ich die wichtigsten Ergebnisse dieser Prüfungen zusammengefasst:

Ein Schwerpunkt in diesem Berichtszeitraum war die Prüfung von Speicherungen Betroffener wegen politisch motivierter Vorkommnisse. Neben den Speicherungen im Zusammenhang mit den Münchner Sicherheitskonferenzen 2002 und 2003 waren auch Speicherungen in der bayerischen Staatsschutzdatei SDBY einer Polizeidirektion Gegenstand meiner Prüfung. Die von mir dabei festgestellten Mängel wurden von der Polizei auf meine Forderung hin beseitigt. So waren beispielsweise einzelne Speicherungen, die in der Datei nach Ablauf der Speicherfrist nicht automatisiert, sondern nach der Erstellung von Löschlisten durch den Sachbearbeiter händisch hätten gelöscht werden müssen, nicht fristgerecht gelöscht worden. Zudem waren einige Betroffene, bei denen ich die Vorraussetzungen für die Speicherung in der SDBY nicht gesehen habe, dort aufgenommen worden.

Geprüft habe ich auch die Arbeitsdatei "Kfz-Verschiebung" (ADKV). Sie soll der repressiven und präventiven Bekämpfung der internationalen Kfz-Verschiebung dienen. Darin sollen Informationen über Sachverhalte im Zusammenhang mit dem Diebstahl von Kraftfahrzeugen oder wesentlichen Teilen davon gespeichert werden, wenn Anhaltspunkte für eine organisierte Begehung oder eine Verschiebung in das Ausland vorhanden sind. Ich habe bezüglich des von der Speicherung betroffenen Personenkreises und der Überprüfungsfristen Korrekturbedarf in der Errichtungsanordnung gesehen. So ist in der Datei beispielsweise für die Speicherung von Beifahrern eine 5-jährige Aussonderungsfrist vorgesehen, ohne dass zwischen Beschuldigten und Nichtbeschuldigten unterschieden wird. Ich habe deshalb das Innenministerium aufgefordert, in der Errichtungsanordnung differenzierte Regelungen festzulegen. Dies hat das Innenministerium in Aussicht gestellt.

Bezüglich einzelner Speicherungen habe ich die Polizei zur Löschung bzw. zur Korrektur der vergebenen Speicherfristen aufgefordert. Beispielsweise wurden die Daten eines amerikanischen Staatsbürgers mit einer Überprüfungsfrist von 5 Jahren gespeichert, weil er einen Pkw angemietet hatte und in Begleitung eines weiteren amerikanischen Staatsbürgers damit nach Tschechien ausreisen wollte, obwohl dies laut Polizeibericht nicht der vertraglichen Vereinbarung mit dem Vermieter entsprach. Tatsächlich war in dem Mietvertrag eine Klausel enthalten, wonach das Fahrzeug nicht in "Eastern Europe" gefahren werden darf. Der Betroffene gab an, nicht gewusst zu haben, dass die Tschechische Republik in Osteuropa liege. Er habe nur nach Prag fahren wollen. Ich habe die Aussage des Betroffenen durchaus für glaubwürdig gehalten, dass er als 20-jähriger US-Soldat ohne weiterführende Schulbildung nicht beurteilen könne, ob die tschechische Republik geografisch zu Osteuropa gehöre.

Bei der selben Dienststelle habe ich auch eine Datei geprüft, die die Polizei bei der systematischen Auswertung von Printmedien im Hinblick auf Anlage- und Kreditvermittlungsbetrug unterstützen soll. Dabei sollen Inserenten gespeichert werden, deren Angebote durch Inhalt oder Aufmachung den Schluss auf mögliche Betrugshandlungen zulassen. Auch bei dieser Datei habe ich datenschutzrechtliche Verbesserungen in der Errichtungsanordnung sowie die Löschung einzelner Speicherungen gefordert.

Datenschutzrechtliche Bedenken hatte ich im Einzelfall gegen die von der Polizei gewählte Form der Datenerhebung. Bei zwei Vorgängen waren die Beamten mit einem neutralen Fax an den Inserenten herangetreten, um an Informationen zu gelangen, ohne sich als Polizei erkennen zu geben:

Nach Art. 30 Abs. 3 Satz 1 Polizeiaufgabengesetz sind personenbezogene Daten von der Polizei grundsätzlich offen zu erheben. Eine Datenerhebung, die nicht als polizeiliche Maßnahme erkennbar sein soll, ist insbesondere zulässig, wenn die Erfüllung polizeilicher Aufgaben auf andere Weise gefährdet oder erheblich erschwert würde. Der Grundsatz der offenen Datenerhebung darf nicht schon durchbrochen werden, wenn eine verdeckte Datenerhebung für die Polizei einfacher oder für den einzelnen Polizeibeamten bequemer wäre, weil er die Konfrontation mit dem Betroffenen scheut. Die Polizei hatte erklärt, dass in der Regel eine offene Datenerhebung genüge. Im Einzelfall, wenn bereits "konkretere Anhaltspunkte für eine Straftat bestehen", scheide eine offene Datenerhebung aber aus, da von Personen/Firmen mit Betrugsabsicht nur "bereinigte" oder gar keine Unterlagen mehr vorgelegt würden, so dass der Zweck der Datenerhebung, nämlich die Gefahrenabwehr und das Erkennen und Verfolgen von Straftaten, nicht mehr zu erreichen wäre. Solche Anhaltspunkte waren aber in beiden Fällen für mich nicht erkennbar.

Bei einer Polizeidirektion habe ich zwei Dateien zur Unterstützung der Bekämpfung der Jugendkriminalität, insbesondere der Gewalt an Schulen, sowie der Straßenkriminalität geprüft. Die dabei in der Datei "Jugendkriminalität" festgestellten Speicherungen von Schulschwänzern zusammen mit Beschuldigten und Verdächtigen von Straftaten habe ich schon deshalb nicht für zulässig gehalten, weil sie dem Zweck der Datei nicht entsprochen haben. Ich habe darüber hinaus eine sehr niedrige Speicherschwelle festgestellt. So wurde z.B. ein 5-jähriger Junge wegen eines Wohnungsbrandes gespeichert. Die Mutter des Kindes hatte angegeben, dass sie eine brennende Kerze auf ein Sideboard im Flur gestellt habe. Von dort habe der Junge sie offensichtlich ins Kinderzimmer getragen und am Kopfende des Stockbettes unter der Matratze aufgestellt. Auf Grund ihrer Überprüfung ging die Polizei davon aus, dass der Betroffene und sein Bruder "gezündelt" hatten. Ein 8-jähriger Junge wurde gespeichert, da er mit seiner Schwester auf einer Grasfläche "gezündelt" und dadurch eine etwa 10 mal 2 Meter große Grasfläche gebrannt hatte. Die Speicherung einer fahrlässigen Brandstiftung begangen durch 5- bzw. 8-jährige Kinder in der Datei "Jugendkriminalität" halte ich nicht für zulässig. Die Polizeidirektion hat mir zwischenzeitlich mitgeteilt, dass die beiden Dateien nicht mehr weitergeführt und gelöscht werden.

7.4. Speicherungen im Zusammenhang mit den Münchner Sicherheitskonferenzen 2002 und 2003

Schon in meinem 20. Tätigkeitsbericht (vgl. Nr. 6.3) hatte ich von meinen datenschutzrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Speicherkonzepts der Polizei im Zusammenhang mit der Sicherheitskonferenz 2002 berichtet. Von mir vorgeschlagene Änderungen des Speicherkonzepts wurden von der Polizei abgelehnt. Ich habe deshalb die Speicherungen vor Ort geprüft und folgende Feststellungen gemacht:

In der Zeit vom 01. bis 03.02.2002 fand in München im Hotel "Bayerischer Hof" die 38. Konferenz für Sicherheitspolitik (SIKO) statt. Bereits im Vorfeld dieser Veranstaltung zeichnete sich die Mobilisierung eines starken Protestpotenzials, nach polizeilichen Erkenntnissen u.a. auch durch linksextremistische/autonome Kreise ab. Nach Einschätzungen des Verfassungsschutzes und der Polizei war mit ca. 2500 - 3000 gewalttätigen Demonstranten zu rechnen. Das Kreisverwaltungsreferat München hatte auf Antrag der Polizei nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz ein Versammlungsverbot erlassen. Dies erstreckte sich auf angemeldete Versammlungen am 01. und 02.02.2002 am Marienplatz sowie jegliche Art von Ersatzveranstaltungen unter freiem Himmel von 01.02.2002, 08.00 Uhr bis einschließlich 03.02.2002, 20.00 Uhr. Dieses Verbot wurde auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 31.01.2002 bestätigt. Trotzdem wurden Versammlungen durchgeführt. Im Laufe der drei Tage wurden nach Angaben der Polizei insgesamt 816 Personen in Gewahrsam und 67 Personen festgenommen. Die Daten dieser Betroffenen wurden - je nach Kategorie - in unterschiedlichen Dateien (Vorgangsverwaltung, Kriminalaktennachweis, Staatsschutzdatei) gespeichert.

Bei meiner Prüfung habe ich festgestellt, dass Betroffene, die in Gewahrsam genommen worden waren und die eine oder mehrere Ordnungswidrigkeiten begangen hatten, auch dann - wenn auch mit verkürzten Fristen - in der Staatsschutzdatei (SDBY) gespeichert wurden, wenn über sie bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Staatsschutzerkenntnisse vorlagen. Darüber hinaus waren von den weit über 500 Betroffenen dieser Kategorie 457 noch nie zuvor polizeilich in Erscheinung getreten.

Bereits bei der Neufassung der Errichtungsanordnung der Staatsschutzdatei und der damit zusammenhängenden Modifizierung des bundesweiten kriminalpolizeilichen Meldedienstes (KPMD-PMK) hatte ich datenschutzrechtliche Bedenken gegen die erhebliche Erleichterung und die damit verbundene Erweiterung der Speicherungsmöglichkeit von Ordnungswidrigkeiten geltend gemacht (vgl. Nr. 6.7 des 20. Tätigkeitsberichts). Insbesondere durch die Aufnahme der Formulierung "wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Tat den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen soll oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richtet", ist die Möglichkeit eröffnet worden, sämtliche Ordnungswidrigkeiten in der Staatsschutzdatei zu speichern, soweit Anhaltspunkte für einen politischen Hintergrund vorliegen. Trotz meiner Bedenken war das Innenministerium zu einer Änderung der Errichtungsanordnung, die diese Speicherung ermöglicht, nicht bereit.

Wegen der massenhaften Speicherung von Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der SIKO 2002 in der bayerischen Staatsschutzdatei, bin ich nochmals an das Innenministerium wegen einer Änderung der Errichtungsanordnung und der Löschung der Daten der von der Speicherung Betroffenen herangetreten. Die zum Teil noch sehr jungen Betroffenen wurden nur deswegen mit dem Motiv "Linksextremismus" in der Staatsschutzdatei erfasst, weil sie an einer Demonstration teilgenommen hatten, die im Vorfeld verboten worden war. Solche Speicherungen bergen die Gefahr, dass junge Menschen, die sich bisher sonst nichts haben zu Schulden kommen lassen, durch die Verarbeitung und Nutzung dieser Daten in großer Zahl in die Nähe des politischen Extremismus gerückt werden und dadurch Schaden erleiden. Die Verhältnismäßigkeit ist hier aus meiner Sicht nicht mehr gewahrt.

Das Innenministerium hat leider erneut eine Änderung der Speicherungsvoraussetzungen in der Errichtungsanordnung u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass die Speicherung solcher Ordnungswidrigkeiten unerlässlich für das Erkennen und Abbilden von staatsschutzrelevanten möglichen kriminellen Karrieren sei. Die Speicherung der Betroffenen sei für eine lageorientierte polizeiliche Reaktion bei künftigen ähnlich gelagerten Anlässen erforderlich, die in Anbetracht von Ereignissen in der jüngsten Vergangenheit (z.B. Genf, Genua) durchaus zu erwarten seien. Im Hinblick darauf halte es die Speicherung auch nicht für unverhältnismäßig.

Diese Argumentation räumt meine Bedenken gegen die massenhafte Speicherung junger Leute in der Staatsschutzdatei wegen der bloßen Teilnahme an einer verbotenen Demonstration nicht aus. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die der Speicherung zugrundeliegenden Erwartung der Polizei, dass sich unter den Betroffenen möglicherweise einzelne befinden, die später in staatsschutzmäßiger Hinsicht (nochmals) in Erscheinung treten werden. Ich sehe deshalb in diesen Speicherungen einen unverhältnismäßigen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen, der auch durch berechtigte Staatsschutzinteressen nicht gerechtfertigt ist.

Im Rahmen der Prüfung der Speicherung von Daten Ingewahrsamgenommener habe ich festgestellt, dass neben Ordnungswidrigkeiten auch der Eintrag "Sonstige polizeiliche Gefahrenabwehr (Nr. 2.2.11 PpS-Richtlinien)" gespeichert war. Die Voraussetzungen zur Speicherung dieses belastenden Zusatzes liegen nach meiner Auffassung aber grundsätzlich nicht vor, da es an zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für die Annahme fehlt, dass dieser Zusatz zur Aufklärung oder vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung (Art. 30 Abs. 5 PAG), zur Ergreifung von zur Festnahme gesuchten Personen oder zur Abwehr einer im einzelnen Fall bestehenden erheblichen Gefahr erforderlich ist. Ich habe deshalb die Polizei aufgefordert, diesen Zusatz bei allen Betroffenen sowohl in der PSV und - soweit auch dort erfasst - im KAN zu löschen.

Das Polizei wollte die Speicherung zunächst unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Verhinderung schwerer Straftaten wie sie bei vergleichbaren Veranstaltungen in Genua, Seattle oder Davos vorgekommen waren, beibehalten. Sie hat aber nach nochmaligem Vorhalt von mir inzwischen mitgeteilt, dass eine Löschung dieses Eintrags im Kriminalaktennachweis erfolgen werde.

Im Zusammenhang mit der Münchner Sicherheitskonferenz 2002 hatte sich auch ein Jugendlicher an mich gewandt, der von der Polizei in Gewahrsam genommen worden war. Ihm war vorgeworfen worden, trotz Verbotes an einer Versammlung teilgenommen zu haben. Seine personenbezogenen Daten waren wegen dieser Ordnungswidrigkeit von der Polizei in der Staatsschutzdatei und in der PSV gespeichert worden. Die speichernde Polizeidienststelle teilte dem Betroffenen auf Anfrage mit, dass der Kriminalaktennachweis zu seiner Person keine Eintragungen aufweise und "lediglich noch regionale Verwaltungsdaten vorgehalten werden".

Nach einem erneuten an das Landeskriminalamt (LKA) gerichteten Auskunftsantrag des Petenten wurde ihm von dort mitgeteilt, dass über die Vorgangsverwaltungsdaten hinaus keine Auskünfte erteilt werden. Nachdem der Petent mir dieses Schreiben übermittelt hatte, habe ich mich an das LKA gewandt, um die Auskunftserteilung aus datenschutzrechtlicher Sicht zu prüfen. Das LKA berichtete mir, dass der Betroffene nicht nur in der Vorgangsverwaltung, sondern wegen des selben Sachverhalts auch in der Staatsschutzdatei gespeichert sei. Die Auskunftsverweigerung über diese Speicherung stützte das LKA auf Art. 48 Abs. 2 Nr. 1 PAG, wonach eine Auskunft an den Betroffenen unterbleiben kann, soweit eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung, insbesondere eine Ausforschung der Polizei, zu besorgen ist.

Ich habe diese Begründung für eine Ablehnung der Auskunftserteilung im vorliegenden Fall für unzureichend gehalten. Der Petent war zwar in Gewahrsam genommen worden. Er war zu diesem Zeitpunkt aber noch Jugendlicher und vorher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Auch in der Staatsschutzdatei waren mit Ausnahme der betreffenden Speicherung keine weiteren Erkenntnisse über ihn gespeichert. Hinweise, dass der Petent als Mitglied der linksextremistischen Szene durch sein Auskunftsersuchen Kenntnis über polizeiliche Maßnahmen oder Dateien erlangen wollte oder das Vorliegen sonstiger Geheimhaltungsgründe, waren nicht erkennbar.

Ich habe deshalb die Polizei gebeten ihr Verhalten zu überprüfen und vollständige Auskunft an den Petenten zu erteilen. Das LKA hat dem Petenten daraufhin vollständige Auskunft über seine gespeicherten Daten erteilt. Die speichernde Polizeidienststelle habe ich darauf hingewiesen, dass die von ihr erteilte Auskunft unrichtig war, da sie unzutreffenderweise den Eindruck vermittelt hatte, dass damit Auskunft über alle in diesem Zusammenhang gespeicherten Daten erteilt worden sei. Für den Wiederholungsfall habe ich eine förmliche Beanstandung angekündigt.

Die Polizei hat mir auf Anfrage mitgeteilt, dass für die Speicherungen im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz 2003 auf ein Konzept wie im Jahr 2002 verzichtet worden war. Allerdings sind im Jahr 2003 auch weit weniger Betroffene gespeichert worden als im Jahr 2002. Im Zusammenhang mit einer Bürgereingabe habe ich eine Reihe von KAN-Speicherungen wegen "sonstiger polizeilicher Gefahrenabwehr - Nr. 2.2.11 RPpS" (siehe oben) geprüft. Diese hat die Polizei auch hier auf meine Aufforderung hin gelöscht.

Im Zusammenhang mit der Sicherheitskonferenz 2003 steht auch eine Eingabe einer 17-jährigen Jugendlichen, die sich wegen der datenschutzrechtlichen Prüfung ihrer Speicherungen bei der Polizei an mich gewandt hat. Sie hatte am Marienplatz in München ihre 14-jährige Schwester und deren gleichaltrige Freundin abholen wollen. Durch ein Telefongespräch mit ihrer Schwester hatte sie dann erfahren, dass beide hinter dem Rathaus im Zusammenhang mit der zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Sicherheitskonferenz vorläufig festgenommen worden waren. Daraufhin war die Petentin zur Gefangenensammelstelle der Polizei hinter dem Rathaus gegangen, um persönlich Kontakt mit ihrer Schwester aufzunehmen. Nach den Stellungnahmen von Polizeibeamten habe sie versucht, die Personalienaufnahme bei den beiden Betroffenen zu stören. Nachdem sie deshalb des Platzes verwiesen worden war, beleidigte sie die Polizeibeamten. Aufgrund dieser Beleidigung wurde sie vorläufig festgenommen, wobei sie nach Angaben der Polizeibeamten, insbesondere durch Stemmen beider Beine gegen den Boden bzw. den Versuch, sich zu Boden fallen zu lassen, Widerstand geleistet habe. Anschließend wurde sie auf der Polizeidienststelle einer erkennungsdienstlichen Behandlung (Foto, Fingerabdrücke) unterzogen.

Die Polizei hat mir aufgrund meiner Zweifel an der Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung mitgeteilt, dass eine spätere Überprüfung des Sachverhalts ergeben habe, dass die Voraussetzungen für diese Maßnahme nicht vorgelegen haben. Von einer förmlichen Beanstandung habe ich in diesem Fall aber abgesehen, da die erkennungsdienstlichen Unterlagen vernichtet und die polizeilichen Speicherungen dazu gelöscht wurden.

Darüber hinaus war die Petentin wegen dieses Vorgangs auch in der Staatsschutzdatei SDBY gespeichert worden, obwohl diese bisher weder polizeilich, vor allem aber nicht in staatsschutzmäßiger Hinsicht in Erscheinung getreten war. Bei den der Petentin zur Last gelegten Straftaten handelt es sich weder um sog. Staatsschutzdelikte noch um politisch motivierten Straftaten. Die Petentin wollte Kontakt zu ihrer vorläufig festgenommenen Schwester aufnehmen , was ihr durch die Polizei verwehrt wurde. Offensichtlich aus Verärgerung darüber kam es zu der Beleidigung und in der Folge zu dem Versuch, sich der Festnahme zu entziehen. Ein Grund, eine unbelastete 17-Jährige deswegen landesweit in der Staatsschutzdatei zu speichern, ist dies aber nicht. Die Polizei ist erfreulicherweise meiner Aufforderung, diese Speicherung aus der SDBY zu löschen, nachgekommen.

7.5. INPOL-neu

In meinem 19. Tätigkeitsbericht (vgl. Nr. 5.5.1) habe ich von der Neukonzeption des bundesweiten polizeilichen Informationssystems INPOL berichtet. Inzwischen arbeiten seit dem 16.08.2003 die Polizeien des Bundes und der Länder mit dem neuen Auskunfts- und Fahndungssystem (INPOL-neu). Bis zur Abschaltung des aktuellen INPOL-Systems wird INPOL-neu parallel dazu betrieben. Das neue Verfahren wurde zwar auf Bundesebene entwickelt, die Verantwortung für den Einsatz des Verfahrens in den Ländern und die Zulässigkeit der damit zusammenhängenden Speicherungen "ihrer" Daten tragen aber die Länder selbst.

Der Schwerpunkt bei der Umstellung liegt in der jetzt eingesetzten ersten Ausbaustufe von INPOL-neu im Wesentlichen im technischen Bereich. Neuerungen mit datenschutzrechtlicher Relevanz sind insbesondere die Aufnahme digitalisierter Lichtbilder und die Möglichkeit der zusätzlichen Speicherung sog. Fallgrunddaten, d.h. Daten, die nähere Angaben zum gespeicherten Vorgang enthalten.

Nach Angaben des BKA sind weitere Ausbauschritte des Systems geplant. So soll nach dem mir vorliegenden geänderten Entwurf einer Errichtungsanordnung im Bundes-Kriminalaktennachweis eine Speicherung auch solcher Daten möglich werden, die die bisherigen Zugangskriterien des Bundes-KAN (z.B. Verbrechen oder Straftaten mit überregionaler Bedeutung) nicht erfüllen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn eine der Straftaten die Erheblichkeitsschwelle für Speicherungen im Bundes-KAN überschreitet und eine Prognose ergibt, dass die weiteren Speicherungen zur Verhütung von Straftaten von länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung beitragen können. Ich habe das Innenministerium darauf hingewiesen, dass ich die geplante Erweiterung für zu weit gehend halte, da sie auf Grund der pauschalen Formulierung zu unbestimmt ist und sogar nicht kriminelles Verhalten umfassen könnte.

Im Zusammenhang mit der Änderung der Errichtungsanordnung für den Bundes-KAN steht auch die Möglichkeit der Erfassung eines Hinweises über die zu einer Person durchgeführte DNA-Analyse im Bundes- und Landes-KAN. Eine solche Maßnahme zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung hat u.a. zur Voraussetzung, dass Grund zur Annahme besteht, dass gegen den Betroffenen künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu führen sind. Dadurch ist für den Betroffenen im Hinblick auf die Möglichkeit der Abfrage durch jeden Polizeibeamten im Alltagsbetrieb (mit evtl. entsprechenden Nebenwirkungen für den Betroffenen) eine stigmatisierende Wirkung zu befürchten, wenn beispielsweise bei Personenkontrollen den abfragenden Beamten angezeigt wird, dass eine DNA-Analyse beim Betroffenen durchgeführt wurde.

7.6. Errichtungsanordnungen für GAST-Dateien

Vom Innenministerium wurde mir der Entwurf einer geänderten Rahmenerrichtungsanordnung zur Stellungnahme übermittelt. Sie gibt für die GAST-Dateien (Dateien zur Gefahrenabwehr und Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten) den zulässigen Rahmen vor, u.a. hinsichtlich des betroffenen Personenkreises, der Art und des Umfangs der zu speichernden personenbezogenen Daten sowie der Aussonderungsprüffristen. Meine datenschutzrechtlichen Forderungen hierzu hat das Innenministerium zum Teil umgesetzt. So wurde insbesondere ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer Differenzierung bei der Vergabe der Speicherfristen entsprechend dem jeweils betroffenen Personenkreis in die Errichtungsanordnung aufgenommen.

Von Polizeidienststellen wurden mir wieder zahlreiche Errichtungsanordnungen für neue GAST-Dateien vorgelegt. In diesem Zusammenhang habe ich insbesondere erhebliche Bedenken erhoben wegen der Speicherung von Personen, gegen die sich lediglich ein "polizeilicher Tatverdacht" richtet. Die Speicherungen von Tatverdächtigen richtet sich nach Art. 38 Abs. 2 Satz 1 PAG. Danach kann die Polizei Daten speichern, die sie von Personen gewonnen hat, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben. Straftatenverdächtig sind Personen, gegen die zumindest ein Anfangsverdacht nach § 152 Strafprozessordnung (StPO) besteht. Ohne einen solchen Anfangsverdacht ist die Speicherung als "Tatverdächtiger" unzulässig. Ein "polizeilicher" Tatverdacht ist weder in der Strafprozessordnung noch im Polizeiaufgabengesetz vorgesehen. Er ist eine polizeiliche (gesetzlich nicht gedeckte) Hilfskonstruktion, um Daten von Personen speichern zu können, zu denen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht vorliegen, die aber nach polizeilicher Einschätzung als Täter oder Teilnehmer einer Straftat in Betracht kommen können.

Wenn auch eine Speicherung als "Tatverdächtige" ohne Anfangsverdacht grundsätzlich nicht zulässig ist, halte ich eine Speicherung unter anderer Bezeichnung (z.B. Kontaktperson, Gefährder, sonstige Person) für möglich, soweit die Speicherungsvoraussetzungen dafür vorliegen und dies zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben erforderlich ist. Die Speicherungsdauer ist dabei nach der konkreten Personenkategorie und nach dem Zweck der Datei in der jeweiligen Errichtungsanordnung zu bestimmen. Regelmäßig wird eine Speicherungsdauer von zwei bis fünf Jahren in Betracht kommen.

Das Innenministerium ist nicht bereit, von der Möglichkeit einer Speicherung "polizeilich Tatverdächtiger" Abstand zu nehmen. Es hat allerdings durch die Änderung der Rahmenerrichtungsanordnung GAST auf die Notwendigkeit der Festsetzung eigenständiger Speicherfristen für "Verdächtige" hingewiesen. Dies bewirkt - wie die Praxis zeigt - eine regelmäßige Verkürzung der bisher zehnjährigen Speicherfrist auf fünf Jahre. Dies ist zwar einerseits zu begrüßen, andererseits aber wegen des weiteren Festhaltens am "polizeilichen Tatverdacht" als Speicherungsgrundlage unzureichend. Ich werde deshalb im Einzelnen prüfen, welche Anhaltspunkte für die Speicherung als Tatverdächtiger vorliegen und bei unzureichenden Anhaltspunkten die Löschung bzw. Fristverkürzung fordern.

7.7. Rasterfahndung

In meinem letzten Tätigkeitsbericht (Nr. 6.11) hatte ich über die nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA bundesweit durchgeführten präventiv-polizeilichen Rasterfahndungen zur Enttarnung potenzieller Attentäter (sog. Schläfer) berichtet. In diesem Zusammenhang waren Personendatensätze zu ca. 94.000 Personen an das Landeskriminalamt übermittelt worden, die dem vorgegebenen Profil entsprachen. Diese Daten wurden vom Landeskriminalamt zunächst in der Arbeitsdatei "Rasterfahndung BAO-USA" gespeichert. Durch einen maschinellen Abgleich dieser Datenbestände wurden sodann ca. 1.900 sog. "Prüffälle" ermittelt und in der Datei "Terror USA" gespeichert. Diese Personen sollten näher überprüft werden.

Das Innenministerium und das Landeskriminalamt waren zunächst meiner Forderung nach der Löschung der Datei "Rasterfahndung BAO-USA" nicht nachgekommen, obwohl der Zweck der Rasterfahndung, nämlich der Abgleich mit den in den Rasterfahndungsanordnungen aufgeführten Daten zur Ermittlung von Trefferfällen, erreicht war. Ich habe meine Forderung nach der Löschung der Daten wiederholt und dabei auch darauf hingewiesen, dass die Arbeitsdatei zur Abarbeitung der Prüffälle nicht erforderlich erscheint und im Hinblick auf die vom Landeskriminalamt vorgenommenen Sperrung der Daten von der Polizei keine aktuelle Erforderlichkeit gesehen wurde.

Im Hinblick darauf, dass das Bundeskriminalamt den Aussonderungstermin für Datensätze aus den Rasterfahndungen der Länder in der dortigen Verbunddatei auf den 31.03.2003 festgelegt hatte, sollte die Arbeitsdatei "Rasterfahndung BAO-USA" unverzüglich, spätestens jedoch nach diesem Termin, gelöscht werden. Dem ist das Landeskriminalamt schließlich durch Vernichtung der Unterlagen und Datenträger nachgekommen.

Da mir bekannt war, dass die Abarbeitung der sog. Prüffälle zu diesem Zeitpunkt bereits weit fortgeschritten war, habe ich mich mehrfach an das Landeskriminalamt gewandt und um Mitteilung des Sachstands gebeten, um auch eine möglichst frühzeitige Löschung der abgearbeiteten Prüffälle, bei denen sich keine Verdachtsmomente ergeben hatten, sicherzustellen. Eine durch das Landeskriminalamt im Auftrag des Innenministeriums bei den bayerischen Staatsschutzdienststellen durchgeführte Umfrage hierzu ergab, dass auch die Prüffälle mit wenigen Ausnahmen abgeschlossen waren und deshalb ihrer Löschung in der Datei "Terror USA" zugestimmt werden konnte. Anfang März 2004 teilte mir das Landeskriminalamt schließlich mit, dass die Prüffälle nunmehr gelöscht und die zugehörigen Unterlagen vernichtet worden seien. Damit ist das Thema "Rasterfahndung" vorerst für mich abgeschlossen.

7.8. Durchführung von DNA-Massenscreening (DNA-Reihenuntersuchung)

Für die Probenentnahme und anschließende DNA-Analyse zum Zwecke der Aufklärung schwerwiegender Straftaten bei einem größeren Kreis von Personen, die nach bestimmen Kriterien ausgewählt wurden, ohne Tatverdächtige oder Beschuldigte zu sein (DNA-Massenscreening), existiert nach zutreffender Ansicht derzeit keine Rechtsgrundlage.

Deshalb werden DNA-Massenscreenings in Bayern auf die Einwilligung des Betroffenen gestützt. Liegt eine wirksame Einwilligung der Betroffenen vor, ist die Durchführung eines DNA-Massenscreenings nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1996, S. 1587) grundsätzlich zulässig.

Das Staatsministerium der Justiz hat mir in Abstimmung mit dem Staatsministerium des Innern mitgeteilt, dass in Bayern keine generellen Vorgaben für die Durchführung solcher Massenscreenings existieren. Aus der Sicht des Staatsministerium der Justiz besteht für derartige Regelungen auch keine Notwendigkeit, weil ein Massenscreening in der Praxis aufgrund des damit verbundenen hohen Aufwands ohnehin nur in Betracht gezogen werde, wenn es sich um einen herausragenden Fall handele und die Straftat trotz erheblicher anderweitiger Anstrengungen nicht aufgeklärt werden konnte.

Aufgrund des mit der Durchführung eines DNA-Massenscreenings verbundenen sozialen Drucks auf den zur Teilnahme ausgewählten Personenkreis erscheint mir die auf die Einwilligung der Betroffenen gestützte Durchführung dieser Maßnahme nicht unproblematisch. Sie bedarf zumindest enger Grenzen und eines grundrechtssichernden Verfahrens. Die datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Durchführung von DNA-Reihenuntersuchungen haben die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in einem Positionspapier festgelegt, das ich dem Staatsministerium der Justiz und dem Staatsministerium des Innern zugeleitet habe. Darin wird die Beachtung folgender Kriterien gefordert:

  • Anlasstat muss eine schwere, gegen die Rechtsgüter Leib oder Leben gerichtete Straftat sein.
  • Gegenüber gesetzlich geregelten Ermittlungsmaßnahmen muss die DNA-Reihenuntersuchung subsidiär sein und als ultima ratio eingesetzt werden.
  • Der Teilnehmerkreis muss durch eine Fallanalyse hinreichend eingegrenzt werden. Ein Massentest "ins Blaue hinein" kann unter keinen Umständen zulässig sein.
  • Die Tests müssen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit in konzentrischen Kreisen durchgeführt werden, soweit der Kreis nicht klar und bestimmt ist. Eine Ausweitung auf den nächstgrößeren Kreis darf jeweils nur erfolgen, wenn die Maßnahme im engeren Kreis erfolglos geblieben ist.
  • Die wirksame Einwilligung der Teilnehmer setzt sorgfältig gestaltete Formulare voraus, die insbesondere deutlich auf den Erhebungszweck, die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Widerruflichkeit der Einwilligung sowie auf die Nutzung und Löschung der erhobenen Daten hinweisen. Diese Formulare müssen vorab übersandt werden, damit die Betroffenen ihre Entscheidung hinreichend und unbeeinflusst überdenken können. Die Maßnahmen zur Durchführung der DNA-Analyse (entsprechend § 81 f Abs. 2 StPO) einschließlich der zur Analyse in Frage kommenden Institute sind darzulegen. Missverständliche Hinweise auf die Möglichkeit der Erwirkung von Gerichtsbeschlüssen zur zwangsweisen Durchsetzung der Maßnahme dürfen in keinem Fall gegeben werden.
  • Die erhobenen Daten müssen einer strengen Zweckbindung unterliegen. Sie dürfen nicht mit der DNA-Analyse-Datei des Bundeskriminalamts abgeglichen oder in diese eingestellt werden. Zweckdurchbrechende Nutzungen nach §§ 474 ff. StPO müssen ausgeschlossen sein.
  • Nach einem Negativergebnis der Analyse sind die DNA-Probe und das DNA-Muster unverzüglich zu vernichten. Die gespeicherten Daten sind zu löschen, nach Abschluss des Verfahrens auch Namen und Negativergebnis.
  • Die Verweigerung der Teilnahme allein darf keinen Anfangsverdacht begründen (BVerfG, NJW 96, S. 3071 ff.). Sie rechtfertigt es auch nicht, die Betroffenen als "andere Personen" im Sinne von § 81 c StPO anzusehen.
  • Die Verfahrensschritte sind hinreichend zu dokumentieren.

Ein DNA-Massenscreening habe ich bei dem durchführenden Polizeipräsidium geprüft. Anlass dieses Massenscreenings waren zwei Vergewaltigungen durch einen einzelnen Täter. Dabei war zuerst eine Reinigungskraft in einer Frauenklinik unter brutalen Umständen vergewaltigt worden. Am Tatort konnten DNA-Spuren des Täters gesichert werden. Einige Zeit später war dann in einer Schule eine Schülerin bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und vergewaltigt worden. Aufgrund der enormen Brutalität des Täters war die Polizei in diesem Fall auch von einem versuchten Tötungsdelikt ausgegangen. Die im zweiten Fall gesicherten DNA-Spuren hatten eine Übereinstimmung mit den Spuren in der Frauenklinik ergeben. Die in beiden Fällen durchgeführten Ermittlungen (Tatortarbeit, Zeugenvernehmungen, Lichtbildsuchungen, Öffentlichkeitsfahndung usw.) hatten zunächst zu keiner Täterfeststellung geführt. Aufgrund der herausragenden Bedeutung des Falles (besondere Tatumstände, starkes Medieninteresse, Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, Hinweisaufkommen),vor allem aber wegen des Zeitdrucks aufgrund der besonderen Gefährlichkeit des Täters und der befürchteten Wiederholungsgefahr, wurde von der Polizei in Absprache mit der Staatsanwaltschaft eine DNA-Reihenuntersuchung durchgeführt.

Nach Angaben der Polizei hatte sich die Eingrenzung und Auswahl der von der Maßnahme Betroffenen für die ermittelnden Beamten schwierig gestaltet. Die Zeugen hatten den Täter sehr unterschiedlich beschrieben. Auch die Anzahl der Firmen, deren Mitarbeiter Zutritt zu Klinik und Schule gehabt hatten, war relativ groß gewesen. Durch die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit waren über 2.200 Hinweise eingegangen.

Die Betroffenen waren zum Teil durch "Einladungsschreiben" zur Teilnahme aufgefordert worden. Problematisch erschien mir insbesondere die Formulierung im Einladungsschreiben:

"Sollten Sie an diesem freiwilligen Speicheltest nicht teilnehmen, besteht die Möglichkeit, einen entsprechenden Gerichtsbeschluss zu erwirken. Dies bedeutet, dass dann auch gegen Ihren Willen die Maßnahme durchgeführt werden kann und bei Ihnen unter Umständen auch zwangsweise Blut abgenommen werden kann."

Mit dieser Formulierung wird der unzutreffende Eindruck erweckt, dass allein die Verweigerung der Einwilligung zwangsläufig zur gerichtlichen Anordnung der Maßnahme führe und der Betroffene lediglich eine Auswahl hinsichtlich des zur Maßnahme führenden Verfahrens habe. Das Bundesverfassungsgericht und verschiedene andere Gerichte haben aber entschieden, dass allein die Verweigerung der Blutentnahme nicht einen Anfangsverdacht gegen den Betroffenen begründen oder bestärken (und damit die zwangsweise Blutentnahme rechtfertigen) kann. Darauf habe ich das Staatsministerium der Justiz hingewiesen, das mir zugesagt hat, die Thematik zum Gegenstand einer Dienstbesprechung mit Vertretern von Staatsanwaltschaft und Polizei zu machen.

Auf meine Aufforderung hin hat mir die Polizei zugesagt, in künftigen Fällen die mit mir abgestimmten datenschutzrechtlichen Formulierungen des Musterschreibens des Staatsministeriums des Innern zu verwenden.

Unzureichend erschien mir auch, dass die Einwilligungsformulare und das dazugehörige Informationsblatt den Betroffenen erst unmittelbar vor der Probenentnahme ausgehändigt wurden. Den Betroffenen sollte aber ausreichend Zeit gegeben werden, das Informationsformular unbeeinflusst durchzulesen, den Inhalt aufzunehmen, sich ggf. beraten zu lassen und anschließend freiwillig zu entscheiden, ob sie an der Reihenuntersuchung teilnehmen wollen oder nicht. Die unmittelbare Aushändigung vor der Probenentnahme ist dafür grundsätzlich nicht ausreichend. Den Betroffenen sollten vielmehr regelmäßig mindestens 1 - 2 Tage Überlegungszeit eingeräumt werden.

Auf meinen Hinweis hin hat das Polizeipräsidium mir zugesagt, bei künftigen Reihenuntersuchungen die Einverständniserklärung und die dazugehörigen Hinweise bereits mit dem Einladungsschreiben an die Betroffenen zu versenden.

Zur Durchführung der Probenentnahme waren die Betroffenen zum Teil in ein Dienstgebäude der Polizei gebeten, zum Teil (Firmenangehörige und Zivildienstleistende) aber auch an ihren Arbeitsstätten aufgesucht worden. Dort waren Einwilligungserklärung und Hinweise ausgehändigt und unmittelbar anschließend - nach Erklärung der Einwilligung - die Probenentnahmen durchgeführt worden.

Abgesehen von der Kürze des den Betroffenen eingeräumten Überlegungszeitraums, ist das Aufsuchen der Arbeitsstelle und die damit verbundene Kenntnisnahme durch Kollegen und Vorgesetzten regelmäßig nicht verhältnismäßig und für die Freiwilligkeit der Einwilligung problematisch. Meiner Forderung, eine Probenentnahme nur in begründeten Ausnahmefällen an der Arbeitsstelle des Betroffenen durchzuführen, hat das Polizeipräsidium nicht widersprochen. Es hat dargelegt, dass derartige Ausnahmefälle z.B. bei Arbeitnehmern vorliegen können, die an wechselnden Einsatzorten tätig und deshalb schwer erreichbar sind. Auch im Hinblick auf die Gefahr weiterer Taten könne es zur Beschleunigung der Tataufklärung in Einzelfällen erforderlich sein, Probenentnahmen an der Arbeitsstelle der Betroffenen durchzuführen. Dies halte ich in besonderen Ausnahmefällen, wenn dem Betroffenen eine ausreichende Überlegungszeit unter angemessenen Umständen für eine freiwillige Einwilligung eingeräumt wird, grundsätzlich für vertretbar. Die abschließende Beurteilung der Wirksamkeit der Einwilligung muss der Kontrolle im Einzelfall vorbehalten bleiben.

Nachdem die Polizei zwischenzeitlich weitere DNA-Massenscreenings durchgeführt hat, beabsichtige ich, auch wegen Eingaben von Bürgern, zumindest ein weiteres Verfahren aus datenschutzrechtlicher Sicht zu prüfen. Mit der betreffenden Polizeidienststelle habe ich hierzu bereits Kontakt aufgenommen.

7.9. DNA-Analyse zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung bei vorläufig Festgenommenen

In meinem 20. Tätigkeitsbericht (Nr. 6.12.4) hatte ich über die problematische Verfahrensweise bei der Einholung von Einwilligungen für die DNA-Analyse bei vorläufig Festgenommen im Rahmen der Vernehmung berichtet. Ich habe dies zum Anlass genommen, auch im zurückliegenden Berichtszeitraum Prüfungen solcher Maßnahmen mit Schwerpunkt im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität vorzunehmen.

Bei den geprüften Maßnahmen waren in der Regel überwiegend Personen betroffen, die im Rahmen der Schleierfahndung auf der Autobahn kontrolliert und bei denen erhebliche Mengen Rauschgift gefunden worden waren. Die Speichelproben seien in den meisten Fällen nach der Vernehmung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Blutentnahme, Urinprobe und der erkennungsdienstlichen Behandlung entnommen worden. Zuvor seien dem Beschuldigten nach der Vernehmung die Einverständniserklärung und die Hinweise zur Einverständniserklärung ausgehändigt worden. Der Betroffene habe dann Gelegenheit gehabt, die ausgehändigten Unterlagen durchzulesen und sich zu entscheiden, ob er mit einer freiwilligen Speichelprobenentnahme und anschließender DNA-Analyse einverstanden sei. In etwa 98 Prozent der Fälle habe der Beschuldigte innerhalb von ca. 15 Minuten eingewilligt.

Die bei der Prüfung vorgelegten Einverständniserklärungen und Hinweise in deutscher Sprache stimmten inhaltlich mit den mit mir abgestimmten Formularen überein. In einem Fall waren betroffenen Albanern allerdings Formulare in albanischer Sprache vorgelegt worden, die einen ganz anderen Sachverhalt, nämlich die DNA-Analyse zum Vergleich mit Tatortspuren, betrafen. Nachdem die Maßnahme in diesem Fall auf der Grundlage von Einwilligungen durchgeführt wurde, die nicht auf einer umfassenden und zutreffenden Information über die vorgesehene Maßnahme beruhten (informierte Einwilligung), halte ich diese Einwilligungen nicht für wirksam. Ich habe die Polizeidienststelle deshalb aufgefordert, entweder richterliche Entscheidungen einzuholen oder die Speicherungen zu löschen, da der aktuelle Aufenthaltsort der Betroffenen der Polizei nicht bekannt ist.

Die betreffende Polizeidienststelle hat mir zugesagt, die vorliegenden fremdsprachigen Texte zu überprüfen und ggf. berichtigen zu lassen. Die DNA-Identifizierungsmuster wurden inzwischen vernichtet bzw. die Speicherungen in der DNA-Analyse-Datei gelöscht.

In erster Linie problematisch aber ist - abgesehen von meinen grundsätzlichen Vorbehalten gegen DNA-Analysen auf der Grundlage von Einwilligungen - die Frage der Wirksamkeit der unmittelbar nach einer polizeilichen Vernehmung eingeholten Einwilligungserklärungen. Die Speichelprobenentnahme und DNA-Analyse zum Zwecke der anschließenden Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters beim Bundeskriminalamt stellt einen so erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar, dass die Durchführung dieser Maßnahme zu seinem Schutz vom Gesetzgeber unter den Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung gestellt wurde. Eine Einwilligung des Betroffenen, die die richterliche Entscheidung ersetzen soll, kann allenfalls dann eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Eingriff darstellen, wenn sie freiwillig und informiert erfolgt. Wenn der Betroffene im unmittelbaren Zusammenhang mit der Festnahme- und der Vernehmungssituation - und der damit in der Regel verbundenen psychischen Belastung - über die DNA-Maßnahme informiert und die Einwilligung von ihm abgegeben wird, ist das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung zumindest zweifelhaft. Diese Zweifel werden bestärkt durch den unglaublich kurzen Zeitraum für Information, Überlegung und Entscheidung der meisten Betroffenen. Nachdem diese in den geprüften Fällen in der Regel ohnehin in Haft genommen wurden und deshalb eine Speichelprobenentnahme auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich war, wäre die aus datenschutzrechtlicher Sicht erforderliche Einräumung einer ausreichenden Überlegungszeit (ca. zwei Tage) auch verfahrenstechnisch möglich gewesen. Ich habe deshalb die Polizei aufgefordert, den Betroffenen insbesondere in solchen Fällen eine ausreichende Überlegungszeit ohne engen zeitlichen Zusammenhang mir der Vernehmungssituation einzuräumen.

Die betreffende Polizeidienststelle möchte - nicht zuletzt wegen des damit verbundenen zusätzlichen Zeitaufwands für die Ermittlungsbeamten und im Hinblick auf eine arbeitsökonomische Verfahrensgestaltung - bei dem bisherigen Verfahren bleiben.

Inzwischen hat das Staatsministerium des Innern nach längerem Schriftwechsel folgende Verfahrensregelung getroffen:

  • Belehrung und Aushändigung eines Informationsblattes erfolgen zeitlich in der Regel abgesetzt von den mit dem konkreten Strafverfahren zusammenhängenden Maßnahmen wie insbesondere einer Vernehmung.
  • Dem Betroffenen wird vor Ort eine ausreichende Bedenkzeit eingeräumt. Eine konkrete Zeitvorgabe durch das Innenministerium ist insoweit nicht erfolgt.
  • Nach Ablauf der Bedenkzeit ohne Entscheidung des Betroffenen ist grundsätzlich ein richterlicher Beschluss zu beantragen. Die Einholung einer Einwilligung des Betroffenen zu einem späteren Zeitpunkt soll nur ausnahmsweise erfolgen.

Die Anordnung des Innenministeriums stellt immerhin eine gewisse Verbesserung dar. Ich werde die praktische Umsetzung der Vorgaben beobachten.

7.10. Kontrolle einzelner Datenerhebungsmaßnahmen aufgrund Bürgereingaben

7.10.1. Erkennungsdienstliche Behandlung

Ein Bürger hatte sich an mich gewandt und um datenschutzrechtliche Prüfung seiner erkennungsdienstlichen Behandlung durch die Polizei gebeten. Zur polizeilichen Maßnahme war es auf Grund folgenden Vorfalls gekommen: Im Bereich der betroffenen Polizeiinspektion war in der Vergangenheit mehrfach eine Gruppe Jugendlicher aufgefallen, die im Verdacht stand, am Wochenende auf dem Weg von einer Diskothek zum S-Bahnhof Straftaten wie beispielsweise Sachbeschädigungen und Körperverletzungen begangen zu haben. In diesem Zusammenhang wurde eine Gruppe Jugendlicher von Zivilkräften der Polizei begleitet, um Straftaten, die von diesen ausgehen könnten, zu verhindern. Der Betroffene bestieg mit der Gruppe die S-Bahn und wurde dort später von Polizeibeamten kontrolliert. Dabei wurde festgestellt, dass der von ihm mitgeführte Fahrausweis für die Beförderungsstrecke nicht ausreichend war.

Der Betroffene, der bis dahin noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten war, hatte sich mit seiner Kundenkarte und seinem Personalausweis ausweisen können. Er wurde trotzdem vorläufig festgenommen und zur Identitätsfeststellung und erkennungsdienstlichen Behandlung auf die Polizeiinspektion verbracht. Die Staatsanwaltschaft hat im Verfahren wegen des Verdachts des Erschleichens von Leistungen nach § 45 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG) von der Verfolgung abgesehen, da nach ihrer Ansicht die Schuld als gering anzusehen und der Betroffene strafrechtlich bisher noch nicht in Erscheinung getreten war.

Ich habe die erkennungsdienstliche Behandlung überprüft und als unzulässig beurteilt: Eine ED-Behandlung zum Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens schied aus, da sich der Betroffene durch einen Personalausweis ausweisen konnte und sonstige Gründe für die Maßnahme im Rahmen des Strafverfahrens nicht ersichtlich waren. Eine erkennungsdienstliche Behandlung zum Zwecke des Erkennungsdienstes zu präventiv-polizeilichen Zwecken kam ebenfalls nicht in Betracht, da es sich bei dem Betroffenen zum einen nicht um einen gewerbs- oder gewohnheitsmäßigen Täter oder einen Rückfalltäter handelte. Auch im Hinblick auf Art und Schwere der Straftat war die ED-Behandlung nicht erforderlich. Das wäre insbesondere dann der Fall gewesen, wenn Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass der Betroffene in ähnlicher oder anderer Weise erneut straffällig werden könnte und die erkennungsdienstlichen Unterlagen zur Förderung der dann zu führenden Ermittlungen geeignet erschienen wären. Der Betroffene war aber bisher noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten. Von einer zukünftigen Begehung von solchen oder ähnlichen Straftaten auf Grund früherer Erkenntnisse konnte die Polizei deshalb zum Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht ausgehen. Auch eine Zugehörigkeit des Betroffenen zu den von der Polizei verdächtigten Jugendlichen ließ sich nicht erkennen. Vielmehr ließen der vorliegende Sachverhalt wie auch die Feststellung der Staatsanwaltschaft auf eine geringe Schuld des Betroffenen schließen, so dass auch kein besonderes kriminalistisches Interesse an der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung bestand. Die erkennungsdienstliche Behandlung des 17-jährigen wegen des (einmaligen) Verdachts eines Vergehens des Erschleichens von Leistungen war deshalb unverhältnismäßig. Darüber hinaus bin ich von einem Fall geringerer Bedeutung ausgegangen, für den nach dem Polizeiaufgabengesetz kürzere Überprüfungsfristen festzusetzen sind. Die Polizei hat die erkennungsdienstlichen Unterlagen auf meine Aufforderung hin vernichtet und die betreffenden Daten gelöscht. Die Überprüfungsfrist für die Speicherung im KAN hat sie auf 3 Jahre verkürzt.

In einem weiteren Fall hatte sich ein Jugendlicher wegen einer seiner Ansicht nach unzulässigen erkennungsdienstlichen Behandlung an mich gewandt. Er war von einem anderen Jugendlichen, der eines Rauschgiftdelikts verdächtig war, gegenüber der Polizei beschuldigt worden, Marihuana mitgebracht und geraucht zu haben. Deswegen wurde der Petent einen Tag später ebenfalls als Beschuldigter vernommen. Für den vernehmenden Beamten nicht überraschend, gab er zwar an, an dem besagten Tag mit dem Mitbeschuldigten unterwegs gewesen zu sein, ein Konsum von Rauschgift habe jedoch nicht stattgefunden. Er habe nie mit Rauschgift zu tun gehabt und deswegen dem Mitbeschuldigten auch kein Rauschgift überlassen. Diese Angaben erschienen dem sachbearbeitenden Beamten auf Grund der durchgeführten Vernehmung glaubwürdig. Für ihn bestand der Eindruck, dass der Mitbeschuldigte den Petenten als Drogenlieferant belastet haben könnte, um von einer anderen Person abzulenken. Trotzdem wurden bei dem 15-jährigen Petenten erkennungsdienstliche Maßnahmen (Fotos, Fingerabdrücke) durchgeführt.

Auch in diesem Fall lagen die Voraussetzungen für eine erkennungsdienstliche Behandlung nicht vor. Weder war zum Zeitpunkt der Anordnung der ED-Behandlung das Vorhandensein möglicher weiterer Zeugen oder von Tatortspuren erkennbar, die einen Abgleich der gewonnenen Unterlagen gerechtfertigt hätten. Noch lag - auf Grund der Einschätzung des polizeilichen Sachbearbeiters - ein Tatverdacht von ausreichender Substanz vor, der die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei einem 15-jährigen Jungen zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung rechtmäßig hätten erscheinen lassen.

Nach Mitteilung des Innenministeriums wurde die Löschung bzw. Vernichtung der erkennungsdienstlichen Daten und Unterlagen veranlasst. Inzwischen seien auch alle im Zusammenhang mit diesem Vorgang erhobenen und im Kriminalaktennachweis gespeicherten Daten des Petenten gelöscht.

7.10.2. DNA-Analyse

Wegen einer Speichelprobenentnahme durch die Polizei zum Zwecke der DNA-Analyse hatte sich ein Bürger an mich gewandt und um datenschutzrechtliche Prüfung gebeten. Gegen ihn war von einer Frau Anzeige wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung erstattet worden. Nach Angaben der Frau habe der Betroffene sie mit seinem Fahrzeug angefahren und anschließend geschlagen. Dieser räumte in seiner Beschuldigtenvernehmung nur eine verbale Auseinandersetzung ein. Weitere Zeugen konnten zu diesem Vorfall nicht ermittelt werden. Spuren, die der Tataufklärung hätten dienen können, wurden nicht gefunden. Offensichtliche körperliche Verletzungen an der Geschädigten konnten nicht festgestellt werden. Trotzdem wurde der Betroffene nach etwa drei Wochen erkennungsdienstlich behandelt und aufgrund seiner Einwilligung einer Speichelprobenentnahme zur DNA-Analyse zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren unterzogen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein, da auf Grund der widersprüchlichen Aussagen der Beteiligten nicht festzustellen war, wie sich der Vorgang tatsächlich zugetragen hatte.

Die Voraussetzungen für die Durchführung einer DNA-Maßnahme gemäß § 81 g StPO lagen nicht vor. Zum einen hätte eine Straftat von erheblicher Bedeutung als Anlasstat vorliegen müssen. Zum anderen hätte eine ausreichend begründete Prognose die Annahme rechtfertigen müssen, dass gegen den Beschuldigten künftig weitere Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden.

Zwar ist der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 StGB als Regelbeispiel einer Straftat von erheblicher Bedeutung in § 81 g Abs. 1 StPO genannt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entbindet dies jedoch nicht von einer Einzelfallprüfung, ob der konkreten Straftat eine solche Bedeutung zukommt. Nach den Angaben der Anzeigeerstatterin ist ihr der Betroffene mit sehr geringer Geschwindigkeit an das Schienbein gefahren. Eine sichtbare Verletzung wurde dadurch nicht verursacht. Auch wenn ein solches Verhalten den Tatbestand des § 224 StGB erfüllen sollte, so liegt die Schwere der Tat im unteren Bereich, was für die Annahme einer erheblichen Bedeutung nicht ausreicht.

Es fehlt auch an der Begründung der Wiederholungsgefahr anhand schlüssiger, verwertbarer und nachvollziehbar dokumentierter Tatsachen. Allein die Angaben der Anzeigeerstatterin, dass sie der Betroffene im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung offensichtlich folgenlos mit seinem Fahrzeug berührt habe, genügt - ohne dass der Betroffene z.B. in vergleichbaren Situationen bereits früher strafrechtlich relevante Überreaktionen gezeigt hätte - für eine solche Maßnahme nicht.

Die Polizei hat die erkennungsdienstlichen Unterlagen und die Speichelprobe vernichtet sowie die im Kriminalaktennachweis und in der DNA-Analysedatei dazu gespeicherten personenbezogene Daten zur Person des Petenten gelöscht.

In einem anderen Fall hatte sich ein Bürger an mich gewandt, nachdem er von der Polizei zur Abgabe einer Speichelprobe zum Zwecke der DNA-Analyse aufgefordert worden war. Die Polizei war davon ausgegangen, dass der Betroffene wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung rechtskräftig verurteilt worden war und die entsprechende Eintragung im Bundeszentralregister noch bestand. Beides ist Voraussetzung für die polizeiliche Maßnahme. Eine entsprechende Auskunft (rechtskräftige Verurteilung des Betroffenen zu einem Jahr und sechs Monaten Jugendstrafe auf Bewährung wegen mehrfachen Diebstahls in besonders schweren Fällen) wollte die Polizei über das Bundeszentralregister eingeholt haben. Dies konnte aber auf Grund der Erkenntnisse meiner nachfolgenden Prüfung nicht sein. Die Polizei hatte keine Auskunft aus dem Bundeszentralregister eingeholt, sondern sich auf eine interne, nicht mehr aktuelle Datei verlassen.

Im Einzelnen:

Nach dem Bundeszentralregistergesetz (BZRG) beträgt die Tilgungsfrist im Bundeszentralregister für Jugendstrafen von nicht mehr als zwei Jahren, u.a. dann fünf Jahre, wenn die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist. Nachdem bis zum Tag der Aufforderung zur Speichelprobe bereits mehr als 7 Jahre vergangen waren, hätte eine BZR-Auskunft zu diesem Zeitpunkt keinen Eintrag mehr ausweisen dürfen. Ich habe mich deshalb über den Bundesbeauftragten für den Datenschutz an das Bundeszentralregister gewandt. Von dort wurde mir mitgeteilt, dass keine Eintragungen über den Betroffenen mehr vorliegen. Zum gleichen Ergebnis kam auch die Staatsanwaltschaft, an die - nachdem der Bürger die Abgabe der Speichelprobe verweigert hatte - der Vorgang zur rechtlichen Prüfung und eventuellen Einholung eines richterlichen Beschlusses abgegeben worden war. Tatsächlich war die für die Durchführung der Maßnahme maßgebliche Auskunft nicht aus dem BZR, sondern aus der Datei "BZR-Auskunft Bayern - BABY" eingeholt worden, eine Datei, die den Stand des Bundeszentralregisters zu einem ca. eineinhalb Jahre zurückliegenden Zeitpunkt wiedergab. Das LKA stellte die dort gespeicherten Daten einem beschränkten polizeilichen Nutzerkreis der Bayerischen Polizei im Online-Zugriff zur Verfügung, um kurzfristig zeitaufwändige Einholungen von BZR-Auskünften zu vermeiden. Auf eine Aktualisierung sei verzichtet worden, weil die Speicherungen bis 31.12.2003 befristet waren. Dies hätte den Anwendern der Datei nach Auskunft des Innenministeriums und des LKA bekannt sein müssen, da diese auf den Charakter der Datei als reine Recherchedatei und die fehlenden Aussonderungsprüfungen und die damit verbundene Möglichkeit einer Inaktualität der Daten wiederholt hingewiesen worden seien. Deswegen sei in einer Dienstbesprechung des Staatsministeriums der Justiz und des Innern mit den Leitern der bayerischen Staatsanwaltschaften und den bayerischen Polizeipräsidenten festgelegt worden, dass auch eine nochmalige Anfrage beim Bundeszentralregister in den Fällen zu veranlassen ist, bei denen die Verurteilung des Betroffenen in erster Instanz zu einer Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, mehr als 5 Jahre zurückliegt.

Im vorliegenden Fall hatte es die zuständige Polizeidienststelle unterlassen, vor der Aufforderung des Petenten zur Abgabe einer Speichelprobe einen aktuellen Auszug aus dem BZR einzuholen. Ausschließlich auf Grund der Weigerung des Betroffenen in die DNA-Analyse einzuwilligen, ist eine unzulässige Datenerhebung verhindert worden. Ich habe deshalb die Polizeidienststelle aufgefordert, zukünftig entsprechende Vorgaben umzusetzen bzw. seine nachgeordneten Dienststellen zur Umsetzung anzuhalten, um datenschutzrechtliche Verstöße zu vermeiden. Wegen der Möglichkeit, dass in den Jahren 2002 und 2003 weitere inaktuelle Bundeszentralregisterauskünfte als Grundlage für DNA-Analysen gedient hatten und es zu rechtswidrigen Speicherungen von DNA-Identifizierungsmustern in der DNA-Analyse-Datei gekommen war, war eine Überprüfung der retrograden DNA-Erfassungen dieser beiden Jahre erforderlich. Ich habe deshalb das Innenministerium gebeten zu prüfen, ob solche Maßnahmen auf der Grundlage inaktueller BZR-Auskünfte durchgeführt worden sind bzw. wie sichergestellt werden kann, dass keine unzulässigen Speicherungen in der DNA-Analyse-Datei eingetragen sind.

Nach einer Umfrage bei den betreffenden Polizeidienststellen geht das Innenministerium davon aus, dass es sich bei dem der Eingabe zugrundeliegenden Vorgang um einen Einzelfall handelt, der ausdrücklich bedauert wird. Eine weitergehende lückenlose Prüfung würde eine Sichtung und Bewertung aller 65.000 bayerischen Speicherungen in der DNA-Analysedatei notwendig machen. Im Hinblick darauf habe ich auf die Durchführung einer solchen Prüfung unter der Voraussetzung verzichtet, dass keine Hinweise auf einen weitergehenden fehlerhaften Umgang mit der Datei "BABY" bekannt werden.

7.11. Datenschutzrechtliche Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff auf verdeckte polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 03.03.2004 grundlegende Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Wohnraumüberwachung zur Strafverfolgung sowie deren Grenzen gemacht. Auch wenn sich das Urteil direkt nur auf die repressive Wohnraumüberwachung bezieht, sind die dort aufgestellten Grundsätze auch für verdeckte polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, die in Grundrechte der Betroffenen eingreifen, von Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Regelungen zur präventiven Wohnraumüberwachung in Art. 34 PAG. Ausgangspunkt der Entscheidung ist der intensive Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Grundgesetz (GG) und der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts sind aufgrund der gleichen Ausgangslage und Schutzwürdigkeit der Betroffenen auch auf Wohnraumüberwachungsmaßnahmen nach dem Polizeiaufgabengesetz zu übertragen.

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 03.03.2004 dem Gesetzgeber aufgegeben, bei einer Neuregelung der Überwachungsbefugnisse zur Straftatenverhütung im Außenwirtschaftsgesetz auch die Grundsätze zu beachten, die das Gericht unter anderem in seinem Urteil zur akustischen Wohnraumüberwachung niedergelegt hat. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Heimlichkeit der Überwachung und ihrer möglichen Berührung mit dem Kernbereich privater Lebensgestaltung halten die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder es für geboten, alle Formen verdeckter Datenerhebung zu präventiven Zwecken an den Maßstäben der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen vom 03.03.2004 auszurichten und die einschlägigen gesetzlichen Befugnisregelungen zu überprüfen und ggf. neu zu fassen.

Neben der Befugnis zur Wohnraumüberwachung gibt es eine Reihe von weiteren verdeckten polizeilichen Datenerhebungsmaßnahmen, die in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung eingreifen können, wie z.B. der Einsatz technischer Mittel zum Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes (außerhalb von Wohnungen) oder die längerfristige Observation. Zur Entfaltung der Persönlichkeit in diesem Kernbereich gehört die Möglichkeit, Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen, ohne Angst, dass staatliche Stellen dies überwachen. Dieser aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG abzuleitender unantastbare Kernbereich ist nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts bei jeder staatlichen Beobachtung zu wahren.

7.12. Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes

Am 22.04.2003 wurde von der CSU-Fraktion ein Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes beim Bayerischen Landtag eingebracht. Gegen diesen Entwurf - der eine Änderung der Regelungen der Wohnraumüberwachung noch nicht enthielt - hatte ich insbesondere im Hinblick auf die Regelung der präventiven Telekommunikationsüberwachung wegen eines zu weiten und offenen Straftatenkatalogs und wegen des fehlenden Schutzes von sog. Berufsgeheimnisträgern vor Überwachung grundlegende Bedenken erhoben. Am 01.07.2003 fand im Landtag eine Sachverständigenanhörung zum Thema "präventive Telekommunikationsüberwachung" statt, bei der sich unter anderem Vertreter von Wissenschaft, Berufsgeheimnisträgern, Staatsanwaltschaft und Polizei zu den geplanten Änderungen geäußert haben. Auch aufgrund der von meiner Seite geäußerten Kritik wurde der Gesetzentwurf schließlich zurückgezogen.

Am 02.07.2004 habe ich vom Staatsministerium des Innern auf Nachfrage einen Referentenentwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes erhalten.

Der Gesetzentwurf enthält weitreichende Ergänzungen der polizeilichen Befugnisse, insbesondere für die automatisierte Kennzeichenerkennung und die präventive Telekommunikationsüberwachung. Beide Maßnahmen gibt es bisher in Bayern nicht. Außerdem sollen die Vorschriften zur präventiven Wohnraumüberwachung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff angepasst werden.

Hier ist im Übrigen anzumerken, dass in einem weiteren Schritt auch andere verdeckte Datenerhebungsmaßnahmen anhand der Maßstäbe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts auf den Prüfstand müssen.

Zu dem Gesetzentwurf habe ich gegenüber dem Staatsministerium des Innern ausführlich Stellung genommen. In einer weiteren Besprechung hatte ich Gelegenheit, nochmals auf die wichtigsten datenschutzrechtlichen Gesichtspunkte hinzuweisen. Wesentliche Teile meiner Anregungen sind in weiteren Änderungen, zuletzt vom 05.11.2004, eingeflossen.

Eine Zusammenfassung der wichtigsten datenschutzrechtlichen Gesichtspunkte enthalten die folgenden Darstellungen.

7.12.1. Straftatenkatalog

Voraussetzung für die Durchführung der präventiven Wohnraumüberwachung und Telekommunikationsüberwachung soll nach dem Entwurf unter anderem das Vorliegen von Tatsachen sein, die die begründete Annahme rechtfertigen, dass bestimmte Personen eine "schwerwiegende Straftat" begehen werden. Diese Straftaten sind nunmehr in einem abschließenden Katalog von 10 Straftatengruppen aufgeführt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 03.03.2004 zum Großen Lauschangriff zur Strafverfolgung entschieden, dass nur das Vorliegen von Straftaten von besonderer Schwere den Eingriff in die Privatsphäre der Wohnung rechtfertigen könne. Dabei sei von der besonderen Schwere einer Straftat nur dann auszugehen, wenn sie der Gesetzgeber mit einer höheren Höchststrafe als 5 Jahre Freiheitsstrafe bewehrt hat.

Diese Grundsätze müssen auch für die präventive Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung gelten (vgl. oben Nr. 7.11). Aufgrund der mit mir geführten Gespräche entspricht die ganz überwiegende Mehrzahl der in dem Katalog nunmehr enthaltenen Straftatbestände diesen Vorgaben.

Allerdings sind in dem Katalog entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dem Urteil zur technischen Wohnraumüberwachung noch einige wenige Tatbestände enthalten, die mit einer Freiheitsstrafe unter oder bis zu fünf Jahren bedroht sind. Ich habe gegenüber dem Staatsministerium des Innern gefordert, auch diese Tatbestände aus dem Katalog herauszunehmen oder wenigstens den Zusatz aufzunehmen, dass die Tat im Einzelfall besonders schwer wiegen muss. Das ist bis Redaktionsschluss dieses Berichts nicht geschehen.

7.12.2. Präventive Wohnraumüberwachung

Bereits nach dem geltenden Polizeiaufgabengesetz ist die präventive Wohnraumüberwachung unter bestimmten Voraussetzungen zulässig (Art. 34 PAG). Sie erlaubt der Polizei nicht nur die akustische sondern auch die optische Überwachung auch der zu Wohnzwecken genutzten Räume. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff besteht ein erheblicher Änderungsbedarf, da die gesetzlichen Bestimmungen an die vom Bundesverfassungsgericht zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung aufgestellten Grundsätze anzupassen sind. Mit der Neufassung von Art. 34 PAG unternimmt das Staatsministerium des Innern diese Anpassung, wobei es zahlreiche Forderungen und Anregungen meinerseits aufgenommen hat:

  • Da Anknüpfungspunkt für die Maßnahme nicht der Verdacht einer bereits begangenen Straftat sondern die Annahme eines zukünftigen Verhaltens des Betroffenen ist, muss deutlich zum Ausdruck kommen, dass die objektiv begründete Annahme der Begehung einer schwerwiegenden Straftat, also zumindest eine konkrete Gefahr ihrer Verwirklichung, vorliegen muss. Es muss klar erkennbar sein, dass nicht nur auf subjektive Komponenten abgestellt wird, die sich möglicherweise im Nachhinein für die Gefahr der Verwirklichung einer schwerwiegenden Straftat als irrelevant erweisen. Dies wird nunmehr dadurch verdeutlicht, dass die Maßnahme erst dann zulässig sein soll, soweit bestimmte Tatsachen die begründete Annahme rechtfertigen, dass diese Personen eine schwerwiegende Straftat begehen werden (nicht "wollen"). Ich hätte darüber hinaus eine ergänzende Erläuterung in der Gesetzesbegründung begrüßt, wonach eine Sachlage vorliegen muss, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Begehung einer schwerwiegenden Straftat führt (konkrete Gefahr).
  • Das Bundesverfassungsgericht zählt das Seelsorgehilfegespräch mit einem Geistlichen und das Gespräch mit einem Strafverteidiger zum Kernbereich privater Lebensgestaltung, denen zur Wahrung der Menschenwürde eine wichtige Funktion zukommt. Solche Gespräche können auch einen Bezug zu den genannten Straftaten haben. Gleichwohl müssen sie geschützt bleiben. Der Entwurf sieht demgemäß nunmehr vor, dass eine Wohnraumüberwachung auch dann unterbleibt, wenn das Gespräch mit den obigen Berufsgeheimnisträgern einen unmittelbaren Bezug zu den genannten Gefahren oder Straftaten aufweist. Eine Ausnahme kann dann zulässig sein, wenn ein Angehöriger dieser Berufsgruppen unmittelbar in die geplante Tat involviert ist oder die Gefahr vom Berufsgeheimnisträger selbst ausgeht.
  • Bei Gefahr im Verzug sieht der Gesetzentwurf nunmehr vor, dass die Maßnahme durch den Dienststellenleiter angeordnet werden kann und eine "Bestätigung durch den Richter unverzüglich einzuholen ist". Mit dieser Änderung der ursprünglichen Formulierung "eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen" gehe ich davon aus, dass die richterliche Entscheidung auf die ursprüngliche Anordnung des Dienststellenleiters zurückwirkt. Dies halte ich für unbedingt erforderlich, da es bei Eingriffen dieser Tiefe keine gerichtsfreien Räume geben darf.

Nicht aufgenommen wurde dagegen die nachstehende Forderung:

  • Die engsten Familienangehörigen und Vertrauten, bei denen eine Überwachung von Gesprächen grundsätzlich nicht zulässig ist, sind nicht deckungsgleich mit den aus persönlichen Gründen Zeugnisverweigerungsberechtigten nach § 52 StPO. Aber auch soweit letztere keine besonderen Vertrauenspersonen sind, haben sie ein Zeugnisverweigerungsrecht.

    Dieses Recht würde ausgehöhlt, wenn bezüglich ihrer Person keine Verwendungsbeschränkungen bestehen würden. Ich habe dem Staatsministerium des Innern mitgeteilt, dass vorgesehen werden sollte, dass in den Fällen des § 52 StPO aus einer präventiven Wohnraumüberwachung gewonnene Erkenntnisse nur verwertet werden dürfen, wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrundeliegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhalts steht.

Sehr problematisch ist auch die grundsätzliche Möglichkeit einer nur automatischen Datenerhebung aus Wohnungen; wegen der Unterbrechungspflicht bei Kernbereichsgesprächen "kann (es notwendig sein), "bei dem Abhören einer Privatwohnung auf eine nur automatische Aufzeichnung der abgehörten Gespräche zu verzichten, um jederzeit die Ermittlungsmaßnahme unterbrechen zu können" so BVerfG aaO Rdnr. 151 a.E. Immerhin hat das Innenministerium auf unseren Hinweis das vorherige Regel-Ausnahmeverhältnis zu Gunsten einer Einschränkung einer nur automatischen Aufzeichnung umgedreht. Jedenfalls sollte die Methode der Aufzeichnung in der Begründung nach Art. 34 Abs. 4 Satz 3 E angegeben werden, damit der Richter die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer nur automatischen Aufzeichnung überprüfen kann.

7.12.3. Präventive Telekommunikationsüberwachung

Die vorgesehene Regelung der präventiven Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) setzt eine Entwicklung in der Gesetzgebung fort, der Polizei immer wieder neue, zum Teil tiefgreifende Eingriffsbefugnisse einzuräumen, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung berühren. Das ist auch deswegen von erheblicher Relevanz, weil von solchen Maßnahmen nicht nur Verantwortliche oder Störer im Sinne des Polizeirechts betroffen sind, sondern in großem Umfang auch und gerade Nichtverantwortliche und Nichtstörer. Im Hinblick auf die Aufgabe der Polizei, Straftaten zu verhindern, sehe ich gleichwohl unter bestimmten engen Voraussetzungen diese Maßnahme für vertretbar an. Durch eine klare Formulierung der Eingriffsvoraussetzungen muss aber vermieden werden, dass - im Gegensatz zur Wohnraumüberwachung - sich die präventive Telekommunikationsüberwachung an die negative Entwicklung der repressiven Telekommunikationsüberwachung anschließt. Zahlen zur Telekommunikationsüberwachung nach § 100 a StPO zeigen für die letzten Jahre eine besorgniserregende Entwicklung. Die Erhöhung der Gesamtzahl der Überwachungsmaßnahmen von 1990 bis 2000 von ca. 2.500 auf ca. 15.750 wird zu einem Teil mit dem sog. Handy-Boom zu erklären sein. Ich habe aber erhebliche Zweifel, ob dies auch für die stetig weitere Erhöhung in den folgenden Jahren gilt (z.B. 2002: 21.874; 2003: 24.441). Der Umfang der Eingriffe in Kommunikationsinhalte wird noch deutlicher durch die Zahl der in ihrem Recht auf vertrauliche Kommunikation Betroffenen. Nach dem Gutachten des Max-Planck-Instituts Freiburg sind bei 21 %, also ca. einem Fünftel der Anordnungen, jeweils 1.000 bis 5.000, in weiteren 8 % jeweils über 5.000 Gespräche abgehört worden.

Noch viel häufiger wird schließlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Verbindungsdaten abzufragen: So sollen 2001 1,5 Mio., 2002 2,0 Mio. und 2003 2,7 Mio. Anfragen von Sicherheitsbehörden bei Telekommunikationsanbietern vorgelegen haben. Hinzu kommt die sog. Zielwahlsuche, bei der ermittelt wird, von welchen Anschlüssen aus Telefonate mit dem überwachten Anschluss geführt worden sind und in die jede der ca. 216 Mio. täglich hergestellten Telefonverbindungen einbezogen wird.

Die Gefahr des Ausuferns von TKÜ-Maßnahmen auch im präventiven Bereich besteht auch deswegen, weil nur automatisierte Aufzeichnungen im Gegensatz zu den Wohnraumüberwachungsmaßnahmen mit technischen Mitteln ("großer Lauschangriff") nicht auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben sollen.

In einer ausführlichen Stellungnahme hatte ich das Staatsministerium des Innern auf eine Vielzahl, zum Teil grundlegender Forderungen hingewiesen, die eine Änderung der Vorschriften erforderlich machten. Insbesondere ist es notwendig, dass die präventive Telekommunikationsüberwachung auf der Grundlage hinreichend bestimmter und angemessener Tatbestandsvoraussetzungen erfolgt und dass die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.

Bei der präventiven Telekommunikationsüberwachung sind die Eingriffsvoraussetzungen im Vergleich zur repressiven Telekommunikationsüberwachung naturgemäß erheblich unbestimmter - es fehlt die objektive Tatsache einer begangenen Straftat - , so dass hier neben der Gefahr einer zahlenmäßigen Ausweitung die Gefahr einer Ausweitung der Maßnahme hin zu einem Verdachtsschöpfungsinstrument besteht. Auf meine Forderung hin wurde der Gesetzentwurf deswegen dahingehend geändert, dass Anknüpfungspunkt für die Maßnahme nicht mehr ist, dass Personen ein im Einzelnen bezeichnetes Verhalten zeigen "wollen". Diese Formulierung wurde durch "werden" ersetzt. Zusätzlich würde ich eine Klarstellung in der Begründung begrüßen, dass insoweit die objektive Gefahr der Begehung einer bestimmten schwerwiegenden Straftat (vgl. Nr. 7.12.1), also eine konkrete Gefahr ihrer Verwirklichung vorliegen muss.

Daneben haben eine ganze Reihe meiner Forderungen und Anregungen Aufnahme in den Gesetzentwurf gefunden. Als Schwerpunkte seien angeführt:

  • Der Straftatenkatalog wurde auf bestimmte schwerwiegende Straftaten beschränkt (vgl. Nr. 7.12.1)
  • Die Eingriffsvoraussetzungen zur Abwehr von Gefahren für Personen wurden auf die Abwehr von Gefahren für Leib oder Leben beschränkt (anstatt auch Abwehr von Gesundheitsgefahren)
  • Wie bei der Wohnraumüberwachung wurde auch bei der TKÜ klargestellt, dass der Schutz für alle Berufsgruppen und Berufshelfer nach §§ 53,53 a StPO gilt.
  • Im Fall einer Kernbereichsverletzung und einem darauf beruhenden Verwertungsverbot der gewonnenen Daten werden diese unverzüglich gelöscht. Der Schutz erstreckt sich damit nicht nur auf Berufsgeheimnisträger, sondern auch auf besonders Vertraute im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Allerdings fehlt im Gegensatz zu der Regelung betreffend die Berufsgeheimnisträger insoweit ein ausdrückliches Verbot der Datenerhebung (dazu siehe unten)
  • Meine Forderung nach Dokumentation der Löschung von Daten, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind und nicht verwendet werden dürfen, wurde im Gesetzestext aufgenommen.

Nicht aufgenommen wurde u.a. im Gegensatz zu meinen Forderungen:

  • Eine Berichtspflicht an den Landtag und eine Evaluierungspflicht. Für die Wohnraumüberwachung besteht eine solche Berichtspflicht nach Art. 34 Abs. 6 Entwurf. Eine Berichts- und Evaluierungspflicht halte ich vor allem im Hinblick auf die oben dargestellten Gefahren der Ausweitung der präventiven TKÜ zu Kontrollzwecken unbedingt für erforderlich.
  • Ein Datenerhebungsverbot für Gespräche, die dem "Kernbereich privater Lebensgestaltung" zuzurechnen sind; die hierzu aufgenommene Löschungspflicht stellt immerhin eine Verbesserung dar. Es sind aber für mich keine Gründe ersichtlich, warum nicht auch für diesen Kreis entsprechend der Regelung der Berufsgeheimnisträger ein Erhebungsverbot statuiert wird, wenn bei der Durchführung der Maßnahme erkennbar wird, dass solche Gespräche geführt werden.
  • Eine Regelung für zeugnisverweigerungsberechtigte Personen nach § 52 StPO; nicht alle der dort aufgeführten sind dem "Kernbereich privater Lebensgestaltung" im Sinn des Art. 34 c Abs. 6 Entwurf zuzurechnen; ich hatte vorgeschlagen eine Verwertung dieser Erkenntnisse nur zuzulassen, wenn dies unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis steht.

Insgesamt kann ich aber feststellen, dass der nun vorliegende Entwurf wesentliche Bedenken von mir ausgeräumt hat.

7.12.4. Automatisierte Kennzeichenerkennung

Nach Erprobung der automatisierten Kennzeichenerkennung im Rahmen eines von mir akzeptierten Pilotprojekts auf einer Autobahn und an zwei Grenzübergängen soll diese Maßnahme in das Polizeiaufgabengesetz aufgenommen werden, nachdem ich einem Dauerbetrieb ohne bereichsspezifische gesetzliche Regelung nicht zugestimmt hatte. Sie soll nicht flächendeckend durchgeführt, sondern auf bestimmte Bereiche beschränkt werden, in denen jetzt schon eine Identitätsfeststellung zulässig ist. Wenn ich auch den vorgesehenen Einsatz von automatisierten Kennzeichenerkennungssystemen im Straßenverkehr nicht ohne Sorge betrachte, weil diese Maßnahme einen Schritt zum Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur darstellt, so halte ich den mit der Datenerhebung und dem Abgleich verbundenen Eingriff doch für hinnehmbar, wenn er in engen Grenzen, mit der geringstmöglichen Belastung vorgenommen wird, insbesondere wenn er sich auf den Abgleich mit Fahndungsdateien beschränkt und Nichttrefferfälle spurlos gelöscht werden.

Auf meine diesbezüglichen Forderungen hin wurde der Abgleich grundsätzlich auf den Fahndungsbestand beschränkt, der Abgleich mit anderen polizeilichen Dateien nur insoweit zugelassen, als die Dateien zur Abwehr von im Einzelfall oder im Hinblick auf bestimmte Ereignisse allgemein bestehenden Gefahren errichtet wurden und der Abgleich zur Abwehr einer solchen Gefahr erforderlich ist. Damit sehe ich die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme als gewahrt an. Der Abgleich mit z.B. Vorgangsverwaltungsdateien ist damit ausgeschlossen.

Weiter ist nunmehr auch durch den Gesetzestext klargestellt, dass die durch den Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme erlangten personenbezogenen Daten unverzüglich zu löschen sind, wenn der Datenabgleich keinen Treffer ergibt.

7.13. Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze

7.13.1. Videoüberwachung in Innenstadtbereichen

In meinem letzten Tätigkeitsbericht (Nr. 6.13) hatte ich über die Einführung einer gesetzlichen Regelung der polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze berichtet. Zur Erläuterung dieser Regelung hat das Staatsministerium des Innern zwischenzeitlich die Bekanntmachung zum Vollzug des Polizeiaufgabengesetzes geändert. Meine Bedenken und Anregungen bezüglich der Vollzugsbekanntmachung wurden vom Staatsministerium des Innern leider größtenteils nicht berücksichtigt. So hatte ich vorgeschlagen, angesichts der besonderen Sensibilität der Videoaufnahmen den Zugriff auf einen begrenzten Personenkreis zu beschränken und die Notwendigkeit einer entsprechenden innerdienstlichen Festlegung in die Vollzugsbekanntmachung aufzunehmen. Dem ist das Staatsministerium des Innern jedoch mit dem Argument entgegengetreten, es sei ausreichend, wenn sich der Zugriff nach den bereits vorhandenen organisatorischen Zugriffsbeschränkungen der jeweiligen Dienststelle richte. Meine weitere Forderung nach einer nachvollziehbaren Protokollierung der Zugriffe auf die Videobänder wurde ohne jegliche Begründung nicht übernommen. Einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass es sich bei der gesetzlichen Speicherungsfrist um eine Höchstfrist handelt, hielt das Staatsministerium des Innern ebenfalls für entbehrlich.

Meine Kritik bezieht sich im wesentlichen jedoch auf die Erläuterung der Orte, an denen eine Videoüberwachung vorgenommen werden darf. Ich hatte diesbezüglich gefordert, in der Vollzugsbekanntmachung darauf hinzuweisen, dass eine Videoüberwachung zu Zwecken der Kriminalitätsbekämpfung nur an solchen Orten zulässig ist, die eine besondere Kriminalitätsbelastung aufweisen, die sich also deutlich von der an anderen Orten abhebt. Durch diese Einschränkung wird zum einen der Schwere des mit der Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs Rechnung getragen, zum anderen wirkt sie einer zu weitgehenden Ausdehnung der Videoüberwachung in zentralen Innenstadtgebieten entgegen. Darüber hinaus sollte darauf hingewiesen werden, dass zur Begründung der Erforderlichkeit einer Videoüberwachung an bestimmten Örtlichkeiten zuvor eine auf einen bestimmten Zeitraum und diese Örtlichkeiten bezogene Aufstellung der begangenen Straftaten zu erstellen ist. Diese Feststellungen sollen der Prüfung, ob die für die Videoüberwachung vorgesehenen Örtlichkeiten als Kriminalitätsschwerpunkt angesehen werden können, zugrunde gelegt werden. Schließlich sollte in regelmäßigen Abständen eine Evaluierung durchgeführt werden, um zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für eine Videoüberwachung noch vorliegen.

Auch diese Forderungen hat das Staatsministerium des Innern mit der Begründung abgelehnt, Art. 32 Abs. 2 PAG verlange nicht, dass an den genannten Örtlichkeiten bereits Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen worden sind. Die Vorschrift verlange nur tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass an einem Ort die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Tatsächliche Anhaltspunkte könnten sich aus der allgemeinen Erfahrung ergeben, wonach bestimmte Orte besonders kriminalitätsanfällig sind.

Dieser Ansicht bin ich entgegengetreten. Die gesetzliche Regelung stellt auf eine Prognoseentscheidung für die Zukunft ab. Um diese Prognosenentscheidung treffen zu können, ist es erforderlich, die Vorkommnisse an dem zu beurteilenden Ort in der Vergangenheit zu betrachten. Die allgemeine Erfahrung, dass bestimmte Orte besonders kriminalitätsanfällig sind, kann jedenfalls nicht ausreichen. Die Prognoseentscheidung muss vielmehr aufgrund tatsächlicher Erkenntnisse für den konkreten Fall getroffen werden. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass gerade in einer Großstadt, in der erfahrungsgemäß im Innenstadtbereich allgemein mehr Straftaten begangen werden, mit eben dieser Argumentation fast an jedem beliebigen Ort Videokameras aufgestellt werden könnten. Eine solche Auslegung, bei der die Gefahr einer flächendeckenden Videoüberwachung besteht, ist abzulehnen.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat dazu in seinem Urteil vom 21.07.2003 ausgeführt, dass ein Kriminalitätsschwerpunkt, der die Videoüberwachung rechtfertigt, eine besondere Kriminalitätsbelastung aufweisen müsse, die sich deutlich von der an anderen Vergleichsorten innerhalb derselben Stadt abhebt. Zur wirksamen Kontrolle der Lagebeurteilung sei die nachvollziehbare Dokumentation anhand aktueller spezifischer örtlicher Lagebilder, unter besonderer Berücksichtigung der Straßenkriminalität und anderer Straftaten, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung besonders beeinträchtigen, erforderlich. Dabei wird ausdrücklich hervorgehoben, dass eine allgemeine Statistik über die Kriminalitätsbelastung (z.B. im ganzen Innenstadtquadranten) nicht ausreichend ist, sondern sich konkret auf die zu überwachende Örtlichkeit im Vergleich zur Straßenkriminalität im gesamten Stadtgebiet, der Innenstadt oder vergleichbaren Örtlichkeiten beziehen muss.

Trotz der von mir geäußerten Bedenken hat das Staatsministerium des Innern die Änderung der Vollzugsbekanntmachung zum Polizeiaufgabengesetz bekannt gemacht. Ich werde deshalb jede geplante polizeiliche Videoüberwachung unabhängig von diesen Verwaltungsvorschriften daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Eine rechtzeitige Beteiligung an solchen Planungen habe ich erbeten.

Die im Berichtszeitraum von der Münchner Polizei neu eingerichtete Videoüberwachung am Münchner Bahnhofsvorplatz und am Stachusrondell habe ich entsprechend geprüft. Zu diesem Zweck habe ich mir eine Kriminalitätsstatistik vorlegen lassen, in der nicht nur die registrierten Straftaten im Bereich der zu überwachenden Plätze, sondern auch andere, vergleichbare Örtlichkeiten enthalten waren. Anhand der detaillierten Aufstellungen der jeweils dort erfassten Straftaten habe ich feststellen können, dass am Münchner Hauptbahnhof und Stachusrondell deutlich mehr Straftaten, die der Straßenkriminalität zuzurechnen sind, in den Zeiträumen 2001 bis 2003 angezeigt wurden, als an vergleichbaren Örtlichkeiten im Innenstadtbereich. Darüber hinaus war insbesondere am Bahnhofsvorplatz eine deutliche Zunahme der Delikte im Jahre 2003 gegenüber den Vorjahreszeiträumen zu beobachten. Im Hinblick auf die der Videoüberwachung zugrundeliegende Kriminalitätsstatistik habe ich keine Bedenken gegen die Videoüberwachung geäußert.

Was die Aufstellung der Schilder betrifft, die auf die Videoüberwachung hinweisen, hat eine Ortsbesichtigung ergeben, dass an wichtigen Zugangswegen für Passanten Schilder fehlen. Im Übrigen sind die Hinweisschilder farblich unauffällig gestaltet. Dazu kommt, dass sie in relativ großer Höhe angebracht sind. Ich habe das Polizeipräsidium München darauf hingewiesen und habe bezüglich der Aufstellung der Schilder im Rahmen einer gemeinsamen Ortsbesichtigung eine ausreichende Ergänzung gefordert. Da mir die Polizei zwischenzeitlich mitgeteilt hat, dass die Ergänzung an der ablehnenden Haltung der Stadt München zu scheitern drohe, habe ich mich an den Oberbürgermeister sowie den Leiter der Stadtwerke mit der Bitte um Unterstützung gewandt.

Soweit auf den überwachten Plätzen Versammlungen stattfinden, sind Videoaufzeichnungen von Versammlungsteilnehmern nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 12 a, 19 a Versammlungsgesetz zulässig. Ich habe das Polizeipräsidium München um Mitteilung gebeten, wie in diesen Fällen mit der Videoüberwachung verfahren wird. Dieses hat mir daraufhin mitgeteilt, dass die Kameras eingeschaltet bleiben, auch wenn an den überwachten Bereichen Versammlungen stattfinden. Es würden jedoch grundsätzlich nur Übersichtsaufnahmen gefertigt. Die Anfertigung von Einzelaufnahmen (Zoomen) sei technisch allerdings auch bei Versammlungen jederzeit möglich. Unter den gesetzlichen Voraussetzungen würden daher auch personenbezogene Bilder aufgenommen werden. Das Zoomen werde nicht protokolliert.

Ein solches Verfahren halte ich nicht für ausreichend, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zum Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten. Diesem Grundrecht gebührt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonderer Rang, da es als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers in einem freiheitlichen Staatswesen anzusehen ist. Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz garantiert das möglichst unbeeinflusste Engagement des Einzelnen vor und bei Versammlungen und schützt damit auch davor, das Grundrecht im Visier von Polizei oder Verfassungsschutz wahrnehmen zu müssen. Schon die Kenntnis, dass die Videokameras am Hauptbahnhof und Stachus während der Versammlungen eingeschaltet bleiben, könnte Auswirkungen auf die Unbefangenheit der Versammlungsteilnehmer haben und damit ihre grundrechtlich geschützten Rechte beeinträchtigen. Wer damit rechnen muss, dass seine Versammlungsteilnahme behördlich registriert wird und ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit verzichten, wodurch die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigt werden.

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt deshalb die personenbezogenen Daten der Betroffenen bei der Vorbereitung von Versammlungen und während ihrer Durchführung vor staatlicher Ausspähung, beispielsweise durch Bild- und Tonaufnahmen, und damit möglicherweise bewirkter Einschüchterung (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Kommentar zum Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 13. Auflage, § 1 Rdnr. 80).

Ich habe deshalb das Polizeipräsidium München aufgefordert, während Versammlungen und Aufzügen in diesem Bereich die zur Überwachung des Hauptbahnhofvorplatzes und des Stachusrondells installierten polizeilichen Kameras abzuschalten und, wenn möglich, nach oben oder unten zu drehen.

Meiner im Zusammenhang mit der Videoüberwachung bereits seit langem erhobenen Forderung nach einer Evaluierung der Maßnahmen durch Auswertung der Kriminalitätszahlen für die
Überwachungsgebiete sind die Polizeipräsidien in Nürnberg und Regensburg nachgekommen. Für den Bereich Regensburg wurde mir hierzu ein Bericht vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass in der Zeit der Videoüberwachung an fast allen Örtlichkeiten eine zum Teil erhebliche Verringerung der Straftaten festzustellen war. Insbesondere im Bereich der Eigentums- und Betäubungsmittelkriminalität wies die Statistik einen erheblichen Rückgang auf. Darüber hinaus wurde mitgeteilt, dass eine Verdrängung der Kriminalität an andere Örtlichkeiten nicht erkennbar gewesen sei. Anders stellten sich jedoch die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung in Nürnberg dar. In dem diesbezüglichen Erfahrungsbericht wird ausdrücklich angeführt, dass sich durch die Videoüberwachung keine signifikante Veränderung der Fallzahlen im videoüberwachten Raum ergeben haben, eine prozentuale Veränderung des Fallaufkommens im überwachten Raum zur Gesamtsituation in Nürnberg nicht erkennbar und eine Veränderung (Steigerung) der Aufklärungsquote auf den ersten Blick nicht festzustellen sei. Allerdings habe die Videoüberwachung zu einer erleichterten Aufklärung von Straftaten beigetragen.

Eine abschließende Aussage über die weitere Erforderlichkeit und die Geeignetheit der Videoüberwachung an den genannten Orten lässt sich aufgrund des relativ kurzen Beurteilungszeitraums noch nicht treffen. Ich halte es deshalb für notwendig, die Entwicklung weiter zu beobachten und in regelmäßigen Abständen zu bewerten.

7.13.2. Videoüberwachung des Wiesn-Geländes während des Oktoberfests

Seit der Wiesn 2002 sind in München auf dem Wiesn-Gelände an verschiedenen Standorten Kameras installiert, mit denen während des Oktoberfests personenbezogene Bildaufnahmen angefertigt werden (2002: 9 Standorte, 2003: 11 Standorte, 2004: 12 Standorte). Gegen die Durchführung dieser Videoüberwachung habe ich keine grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Bedenken. Eine Statistik des Polizeipräsidiums München über die in den Jahren 1999 - 2001 während des Oktoberfests begangenen Straftaten zeigt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen (Art. 32 Abs. 2 PAG) für eine polizeiliche Videoüberwachung vorlagen.

Ich habe aber gefordert, dass auf die Videoüberwachung durch Schilder ausreichend hingewiesen wird. Allein eine "offensive Öffentlichkeitsarbeit", d.h. Berichte über die Videoüberwachung in den Medien, ist nicht ausreichend, um die Besucher des Oktoberfests über die Maßnahme zu informieren und die Videoüberwachung als "offene" Maßnahme erkennen zu lassen. Das Polizeipräsidium München hat meiner Forderung entsprochen und Hinweisschilder in deutscher und englischer Sprache angebracht.

Da die Videobänder erst zwei Monate nach Erstellung der Aufnahmen gelöscht werden, habe ich auch für die Aufbewahrung und Auswertung der Videobänder datenschutzrechtliche Vorkehrungen gefordert:

  • Es sollte sichergestellt werden, dass nur namentlich genau bezeichnete Personen Zugriff auf die Videoaufzeichnungen mittels individuellem Passwort und eigener Benutzerkennung erhalten.
  • Die Anzahl der Zugriffsberechtigten sollte unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit eng begrenzt sein.
  • Nicht nur schriftliche, sondern auch telefonische Anfragen sollten protokolliert werden.
  • Die Protokollierung sollte den Grund der Anfrage einschließlich des zugehörigen Aktenzeichens sowie die Name des anfragenden Polizeibeamten (nicht nur dessen Organisationseinheit) erkennen lassen.
  • Es sollten nicht nur Datum und Uhrzeit des Zugriffs festgehalten werden, sondern auch, welche Aufzeichnungen eingesehen und ggf. vervielfältigt wurden.

Während für die ersten drei Punkte die erforderlichen Vorkehrungen getroffen wurden, ist das Polizeipräsidium München nicht bereit, den Grund der Abfrage sowie den Umfang der Einsichtnahme und ggf. der Vervielfältigung zu protokollieren. Eine weitergehende Protokollierungspflicht würde einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand bedeuten und sei bei der voraussichtlich geringen Zahl der Abfragen entbehrlich. Ich habe angesichts der nur fragmentarischen Protokollierung - auch bei der zu erwartenden Quantität der Zugriffe - erhebliche Zweifel, ob eine ausreichende Nachvollziehbarkeit von Zugriffen gewährleistet ist. Ich beabsichtige, mich zu gegebener Zeit davon zu überzeugen.

7.14. Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungsteilnehmern

In meinem letzten Tätigkeitsbericht (Nr. 6.14) hatte ich meinen Eindruck beschrieben, dass die Polizei entgegen den gesetzlichen Vorschriften bei Versammlungen auch vorsorglich Videoaufzeichnungen für den Fall anfertigt, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt ein Straftatenverdacht ergeben sollte. Das Gesetz lässt jedoch Videoaufzeichnungen nur dann zu, wenn entweder ein Anfangsverdacht einer Straftat hinsichtlich der betroffenen Person besteht oder bei den betroffenen Versammlungsteilnehmern tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass gerade von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Um der Tendenz der vorsorglichen Anfertigung von Bildaufnahmen einer Vielzahl von Personen wegen zu erwartender Straftaten oder Gefahrenlagen entgegenzuwirken, habe ich wie angekündigt weitere Kontrollen durchgeführt.

Bei einer datenschutzrechtlichen Prüfung von umfangreichen polizeilichen Videoaufnahmen bei einer Versammlung im Rahmen der Sicherheitskonferenz 2003 habe ich Folgendes festgestellt:

Anlässlich einer großen Versammlung hatte die Polizei mehrere Videotrupps im Einsatz, von denen einige Videoaufzeichnungen zur Beweissicherung anfertigten, andere zur Dokumentation. Sämtliche Videobänder wurden von mir überprüft. Dabei habe ich festgestellt, dass die Beweissicherungsbänder zu einem großen Teil Übersichtsaufnahmen des Demonstrationsgeschehens enthielten. Es wurden jedoch immer wieder ohne erkennbaren Grund Personengruppen oder auch einzelne Personen herangezoomt. Hierdurch wurden die einzelnen Personen aus der Masse der Demonstranten hervorgehoben und erkennbar gefilmt, ohne dass hierfür eine gesetzliche Grundlage ersichtlich war. Von diesen Personen gingen weder Gefahren aus noch hatten sie Straftaten begangen.

Ich habe daher das zuständige Polizeipräsidium darauf hingewiesen, dass ein derartiges Heranzoomen und Filmen von einzelnen Personen und Personengruppen, durch die die Versammlungsteilnehmer personenbezogen erfasst werden, mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren ist und gefordert, diese Praxis in Zukunft zu unterlassen.

Daneben habe ich festgestellt, dass auch zugbegleitende polizeiliche Videoaufzeichnungen vorgenommen wurden, bei denen sich der Kameramann meist direkt neben dem Demonstrationszug oder in dessen unmittelbarer Nähe befand, so dass sich die Aufzeichnungen ebenfalls nicht auf Übersichtsaufnahmen beschränkten. Auch hier wurden einzelne Personen oder Personengruppen individuell erkennbar aufgezeichnet, ohne dass hierfür eine gesetzliche Grundlage vorhanden gewesen wäre. Gleiches gilt für die Aufnahmen durch die Dokumentationstrupps, die lediglich Schulungszwecken dienen sollten.

Insbesondere im Hinblick auf meine Ausführungen in früheren Fällen habe ich daher dem zuständigen Polizeipräsidium nahegelegt, eine intensive Belehrung der Verantwortlichen und möglicherweise auch eine Änderung des Filmkonzepts vorzunehmen. Das Polizeipräsidium hat sich einsichtig gezeigt, die Vernichtung der Videobänder zugesagt und mitgeteilt, dass es die Fachdienststellen beauftragt habe, die jeweils eingesetzten Beamten im Rahmen der Aus- und Fortbildung nochmals eingehend hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Bestimmungen über Bildaufzeichnungen bei Versammlungen zu schulen. Hierdurch könnten die Beamten im Umgang mit datenschutzrechtlichen Bestimmungen sensibilisiert und fehlerhafte Verhaltensweisen künftig vermieden werden. Ob dieses Ziel erreicht wird, werde ich auch in Zukunft durch die Kontrolle von Videoaufzeichnungen von Versammlungen überprüfen.

7.15. Bildanfertigung von in Gewahrsam genommenen Personen

Im Rahmen einer Eingabe eines Bürgers wurde mir folgendes Vorgehen der Polizei anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahre 2003 bekannt:

Der Polizei lagen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass sich an einer als Treffpunkt der linksextremistischen Szene bekannten Örtlichkeit Gegner der Münchner Sicherheitskonferenz treffen und dort Straftaten verabreden wollten. Daher führte die Polizei in der Örtlichkeit eine Kontrolle durch, in deren Rahmen sie bei sämtlichen angetroffenen Personen eine Identitätsfeststellung durchführte. Von den dergestalt überprüften Personen wurden 22 von der Polizei in Gewahrsam genommen und in diesem Zusammenhang auch fotografiert.

Zwar war die Identitätsfeststellung aller angetroffenen Personen nach Art. 13 PAG zulässig, da aufgrund der vorliegenden Informationen anzunehmen war, dass in der Örtlichkeit Straftaten verabredet bzw. vorbereitet wurden und darüber hinaus auch von einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden konnte. Demgegenüber war die pauschale Anfertigung von Lichtbildern aller in Gewahrsam genommener Personen rechtwidrig. Es handelte sich hierbei um eine erkennungsdienstliche Maßnahme, deren Voraussetzungen nicht vorlagen.

Die Polizei hat mir auf meine Nachfrage mitgeteilt, die Sofortbilder hätten der "Beschleunigung des Verfahrens vor Ort" und der "eindeutigen Zuordnung für die weitere polizeiliche Sachbearbeitung" gedient. Dies sei aufgrund mangelnder Glaubwürdigkeit der Angaben der Betroffenen und mangelnder Aktualität der mitgeführten Legitimationsnachweise erforderlich. Die Polizei könne die Echtheit der Personaldokumente im Rahmen der Identitätsfeststellung vor Ort nicht im erforderlichen Umfang prüfen. Außerdem könnten die einzelnen Personen anhand des Lichtbilds den Vorgängen zweifelsfrei zugeordnet werden, wenn sie über ihre tatsächliche Identität falsche Angaben gemacht hätten.

Ich habe die Polizei darauf hingewiesen, dass diese Begründung keine pauschale erkennungsdienstliche Behandlung aller in Gewahrsam genommener Personen rechtfertigt. Nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 PAG kann die Polizei erkennungsdienstliche Maßnahmen vornehmen, wenn eine nach Art. 13 PAG zulässige Identitätsfeststellung auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist. Wie sich auch aus der Vollzugsbekanntmachung zum Polizeiaufgabengesetz ergibt, kommt eine erkennungsdienstliche Maßnahme nach dieser Vorschrift nur in Betracht, wenn andere Möglichkeiten der Identitätsfeststellung mit zumutbarem Aufwand im Einzelfall nicht bestehen. Dies bedeutet, dass die Anfertigung eines Lichtbildes grundsätzlich dann nicht zulässig ist, wenn der Betroffene sich ausweisen kann. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der vom Betroffenen vorgezeigte Personalausweis gefälscht oder auf eine andere Person ausgestellt ist bzw. wenn er nicht mehr gültig ist. Kann der in Gewahrsam Genommene aber einen noch gültigen, auf ihn ausgestellten Ausweis vorzeigen, bei dem keinerlei konkrete Anhaltspunkte für eine Fälschung bestehen, ist die Anfertigung eines Lichtbildes nicht zulässig. Demgegenüber hatte die Polizei pauschal alle in Gewahrsam genommenen Personen fotografiert, ohne Rücksicht darauf, ob sich unter diesen überhaupt solche befanden, die sich nicht ausweisen konnten oder bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine Fälschung oder unberechtigte Nutzung des Ausweispapiers vorlagen. Die von der Polizei vorgetragenen allgemeinen Überlegungen, wie die Beschleunigung des Verfahrens oder die rein theoretische Möglichkeit von gefälschten Papieren, können keine erkennungsdienstliche Maßnahme rechtfertigen.

Ich habe daher die Polizei aufgefordert, diese rechtswidrige Verfahrensweise in Zukunft zu unterlassen. Die Polizei hat mir mitgeteilt, dass die angefertigten Lichtbilder gelöscht wurden und meine Rechtsauffassung künftig berücksichtigt wird.

7.16. Datenübermittlung an die Presse

Die Problematik der Übermittlung personenbezogener Daten durch die Polizei an die Medien hat mich auch in diesem Berichtszeitraum wieder beschäftigt. Dabei habe ich mehrmals feststellen müssen, dass solche Übermittlungen der Polizei der erforderlichen vorausgehenden Güter- und Interessenabwägung entbehrten, so dass die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zum Teil erheblich verletzt wurden. Gerade bei Äußerungen zu prominenten Persönlichkeiten, hat sich gezeigt, dass häufig kein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht, sondern mit der Information lediglich der Sensationslust Rechnung getragen wird.

Durch einen Bürger wurde ich auf ein Radiointerview eines Polizeibeamten hingewiesen, in dem dieser anlässlich eines bekannt gewordenen Verkehrsunfalls einer bekannten Persönlichkeit auf Nachfrage mitteilte, dass auch zwei weitere, namentlich erwähnte prominente Persönlichkeiten im Bereich derselben Polizeidirektion an Verkehrsunfällen beteiligt gewesen seien. Ich habe die zuständige Polizeidienststelle darauf hingewiesen, dass diese Datenübermittlung unzulässig war, weil kein rechtliches Interesse an der Benennung prominenter früherer Unfallteilnehmer erkennbar war und zudem das schutzwürdige Interesse der Betroffenen an einer Geheimhaltung überwog. Das hiergegen von der Polizei vorgebrachte Argument, es liege keine polizeiliche Datenübermittlung vor, da nur eine in der Öffentlichkeit bereits bekannte Information erwähnt worden sei, habe ich zurückgewiesen. Auch auf Geschehnisse, die zu einem früheren Zeitpunkt öffentlich geworden sind, sind die Datenschutzvorschriften grundsätzlich anwendbar. Wenn die Polizei solche Informationen aufgrund polizeilicher Kenntnis bekannt gibt oder bestätigt, liegt eine Datenübermittlung vor, die nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen zulässig ist.

In einer Tageszeitung wurde berichtet, dass gegen einen bekannten Schauspieler wegen des Verdachts des Ladendiebstahls ermittelt werde. Auf meine Nachfrage teilte das zuständige Polizeipräsidium mit, Mitarbeiter der Tageszeitung hätten den Vorfall bei der Pressestelle geschildert und angefragt, ob hierzu Erkenntnisse vorliegen. Dies sei lediglich bestätigt worden. Auch hier stellte sich die Polizei auf den Standpunkt, es habe keine Datenübermittlung an die Presse stattgefunden, da mangels eigeninitiativer bzw. weitergehender Übermittlung personenbezogener Daten keine über den Kenntnisstand der Presse hinausgehende Auskunft erteilt worden sei.

Dieser Rechtsauffassung bin ich entgegengetreten. Die Bestätigung eines bestimmten Vorfalls durch die Polizei stellt eine Datenübermittlung dar. Entscheidend hierfür ist die besondere Qualität der amtlichen Bestätigung durch die dafür zuständige Behörde. Bevor eine solche Bestätigung erteilt wird, handelt es sich lediglich um eine mehr oder weniger gesicherte Annahme. Gerade weil die Presse den Wahrheitsgehalt solcher Mitteilungen durch Dritte nicht mit Sicherheit beurteilen kann, fragt sie bei der Polizei nach, um sich vor einer Veröffentlichung abzusichern.

Auch bei absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte hat die Polizei für die Frage der Zulässigkeit einer Datenübermittlung an die Presse eine Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der Intensität des Eingriffs in die Persönlichkeit des Betroffenen, der Art und Schwere der Straftat, des Verdachtsgrads, der konkreten Stellung bzw. Tätigkeit des Betroffenen sowie des Auskunftsanspruchs der Presse, vorzunehmen. Bei diesen Personen muss bei der Abwägung berücksichtigt werden, dass nur ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit erheblich ist, nicht jedoch bloße Neugier oder Sensationslust. Bei bekannten Persönlichkeiten besteht nämlich die Besonderheit, dass das Interesse der Öffentlichkeit an ihnen unabhängig vom konkreten Tatvorwurf regelmäßig besonders groß ist. Dieses besondere Interesse ist aber nur dann berechtigt bzw. legitim, wenn die Straftat einen Bezug zur Stellung bzw. Tätigkeit der Persönlichkeit hat. In diesem Fall ist grundsätzlich nicht die Schwere der Straftat entscheidend, vielmehr muss die konkrete Stellung bzw. Tätigkeit des Betroffenen im Zusammenhang mit der Straftat beurteilt werden. Dabei kann sich auch bei leichteren Straftaten ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit ergeben, so z.B. wenn ein Justizminister oder Polizeipräsident eines Ladendiebstahls verdächtigt würde. Aufgrund des Bezugs zwischen der vorgeworfenen Straftat und dem Amt und der damit verbundenen Glaubwürdigkeit des Amtsinhabers bestünde hier grundsätzlich ein legitimes Interesse der Öffentlichkeit an der Unterrichtung.

Ausgehend von diesen Grundsätzen war in o.a. Fall die Bestätigung des Ermittlungsverfahrens wegen Ladendiebstahls gegen einen bekannten Schauspieler unzulässig. Gegenstand des Tatvorwurfs war ein geringfügiges Delikt, dessen evtl. Begehung keinen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit des Betroffenen in seinem Beruf, wohl aber auf seine Reputation in der Öffentlichkeit haben konnte. Ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit - noch dazu im Stadium der Ermittlungen, vor Anklageerhebung oder Verurteilung - lag deshalb nicht vor.

In einem weiteren Fall hatte sich eine Bürgerin an mich gewandt, weil in einer Fernsehsendung personenbezogene Daten zu ihrer Person sowie Informationen zu gegen sie gerichteten Ermittlungs- und laufenden Gerichtsverfahren gesendet worden seien. Ich habe mir daraufhin von der Polizei eine Videoaufzeichnung über den Sendebeitrag zuschicken lassen. Darin wurde die Petentin im Rahmen einer Berichterstattung über "Okkultismus" von Nahem gefilmt und interviewt, außerdem wurde ihr Vorname erwähnt. Im Rahmen des Beitrags gab zudem ein Polizeibeamter mehrfach Stellungnahmen zu den gegen die Petentin erhobenen Vorwürfen sowie zu weiteren, nicht mit dem Fall in direktem Zusammenhang stehenden polizeilichen Erkenntnissen ab. Auch in diesem Fall vertrat das Polizeipräsidium die Auffassung, es habe mangels eigener Namensnennung durch die Polizei keine Datenübermittlung an die Presse vorgelegen. Erst durch die abschließende Gestaltung in Form des Zusammenschnitts aller Interviews sei der Anschein einer Datenübermittlung entstanden.

Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Dem Polizeibeamten war aufgrund von vorgelegten Unterlagen bereits vor seinem Interview bewusst, dass die Petentin den Reportern namentlich bekannt ist. Jede Information, die der Beamte den Reportern über den Fall und die Beschuldigte zugänglich machte, konnte daher von diesen eindeutig auf die namentlich bekannte Petentin bezogen werden und stellt damit eine Datenübermittlung an die Presse dar. Dabei spielt es keine Rolle, dass der Beamte selbst in seinem Interview den Namen der Petentin nicht erwähnte, sondern diese nur als "Dame" bezeichnet hatte, da alle Gesprächspartner wussten, wer damit gemeint war. Der spätere Zusammenschnitt durch die Reporter und die entsprechende Fernsehübertragung bewirkten zusätzlich, dass die Datenübermittlung der Polizei einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wurde. Damit musste die Polizei aufgrund der Anfrage sowie der Aufgabe und Funktion der Presse auch rechnen.

Wegen des weit überwiegenden Geheimhaltungsinteresses der Petentin hätte die Polizei keine Datenübermittlung vornehmen dürfen. Angesichts des schwerwiegenden Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Petentin durch die Übermittlung ihrer personenbezogenen Daten habe ich diesen Datenschutzverstoß gemäß Art. 31 Abs. 1 BayDSG förmlich beanstandet.

7.17. Reality TV

Auf die datenschutzrechtliche Problematik der Zusammenarbeit von Polizei und Presse bei der Produktion von Sendungen über polizeiliche Einsätze bin ich bereits in meinem letzten Tätigkeitsbericht (Nr. 6.20) eingegangen. Ausgehend von den Grundsätzen, die ich in meinem letzten Tätigkeitsbericht dargestellt hatte, hat sich das Staatsministerium des Innern mit der Thematik befasst. Es hat zwischenzeitlich zur Gewährleistung einer einheitlichen und praxisgerechten Handhabung bei der bayerischen Polizei eine interne Richtlinie für die Zusammenarbeit von Polizei und Presse bei der Produktion von Sendungen über polizeiliche Einsätze erlassen, die in einem intensiven Gedankenaustausch mit mir abgestimmt wurde. Darin wird zwischen sog. "Reality-Reportagen", die ausschließlich im Interesse der Presse liegen und keinen Bezug zu polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit haben, und der Ermöglichung der Berichterstattung durch die Polizei unterschieden. Während erstere nach der Richtlinie stets unzulässig sind, gelten für die Berichterstattung nun folgende Grundsätze:

Personen dürfen grundsätzlich erkennbar erst dann gefilmt werden, wenn sie zuvor in die Aufnahmen eingewilligt haben. Die Einwilligung des Betroffenen ist dabei nur wirksam, wenn er vorher über Umfang, Dauer und Verwendungszwecke der Aufnahmen aufgeklärt und hierbei auf die Freiwilligkeit seiner Einwilligung hingewiesen wurde. Soweit dies möglich ist, sollte die Einwilligung schriftlich eingeholt werden, andernfalls ist sie anderweitig zu dokumentieren. Entsprechend meiner Forderung muss der Dokumentation neben dem Inhalt der Aufklärung auch zu entnehmen sein, inwieweit sich die Einwilligung neben der Aufnahme auch auf die Ausstrahlung erstreckt. Sofern das Filmmaterial für einen anderen Beitrag verwendet werden soll, ist eine erneute Einwilligung des Betroffenen einzuholen, es sei denn, dass das Einverständnis hierzu bereits bei der Einwilligung zur Bildaufzeichnung erteilt wurde.

Verweigert eine Person die vorherige Einwilligung, darf sie nicht gefilmt werden. Bis zur Erteilung der Einwilligung sollten nur Übersichtsaufnahmen angefertigt werden, die den Betroffenen nicht individuell erkennen lassen. Sind im Rahmen von Übersichtsaufnahmen dennoch Personen vor deren Einwilligung erkennbar gefilmt worden, so ist deren Einwilligung nachträglich einzuholen. Verweigern die Betroffenen ihre nachträgliche Einwilligung, so ist das angefertigte personenbezogene Filmmaterial unverzüglich zu vernichten bzw. zu löschen oder der Polizei zum Zwecke der Löschung zu überlassen. Auf meine Anregung wurde die Richtlinie in diesem Punkt noch dahin gehend ergänzt, dass ein Rückgriff auf die gesetzliche Regelung der Datenübermittlung an Private dann nicht möglich ist, wenn der Betroffene seine vorherige Einwilligung verweigert, so dass in diesem Fall die Presse von personenbezogenen Bild- und Filmaufnahmen Abstand zu nehmen hat.

Diese Richtlinie begrüße ich. Ich meine, dass den Interessen des Betroffenen dadurch ausreichend Rechnung getragen wird.

7.18. Meldung suchtkranker oder suchtgefährdeter Personen an die Gesundheitsämter

Das Staatsministerium für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz ist mit der Bitte an mich herangetreten, die Frage der Meldung von suchtkranken oder suchtgefährdeten Personen von der Polizei an die Gesundheitsämter im Hinblick auf das zum 01.01.2001 in Kraft getretene Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu beurteilen. Nach einer aus dem Jahr 1996 stammenden und auf der damaligen Rechtslage beruhenden Richtlinie des Staatsministerium des Innern hatte die Polizei ihr bekannt gewordene suchtkranke oder suchtgefährdete Personen stets an das Gesundheitsamt zu melden, um diesem die Suchtkrankenfürsorge und Seuchenbekämpfung zu ermöglichen. Nachdem mit dem Erlass des Infektionsschutzgesetzes die seuchenrechtlichen Pflichtuntersuchungen entfallen sind, hielten einige Gesundheitsämter die Beibehaltung der pauschalen Datenübermittlungen durch die Polizei für entbehrlich, während andere weiterhin auf die genannten Personen zugingen und eine Untersuchung anboten. Die Staatsministerien des Innern sowie für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz vertraten hierzu die Auffassung, der primäre Aspekt der Suchtkrankenfürsorge sei nur durch die polizeiliche Datenübermittlung der betreffenden Personen an die Gesundheitsbehörden möglich.

Ich habe das Staatsministerium für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz darauf hingewiesen, dass nach Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes eine pauschale Datenweitergabe der Namen von suchtkranken oder suchtgefährdeten Personen durch die Polizei an die Gesundheitsämter mit den Bestimmungen des Datenschutzes nicht mehr vereinbar ist.

Nach Art. 40 Abs. 3 PAG darf die Polizei von sich aus lediglich dann bei ihr vorhandene personenbezogene Daten an andere Behörden oder öffentliche Stellen, die für die Gefahrenabwehr zuständig sind, übermitteln, soweit die Kenntnis dieser Daten zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich erscheint. Die Kenntnis sämtlicher suchtkranker oder suchtgefährdeter Personen ist aber nach der Rechtsänderung zur Erfüllung der Aufgaben nicht mehr erforderlich, da zugunsten einer möglichst frühzeitigen Beratung auf freiwilliger Basis auf Zwangsuntersuchungen oder -beratungen verzichtet wird. Somit kommt nur noch die Übermittlung der Daten derjenigen Personen in Betracht, bei denen es aus der Sicht der Polizei im Einzelfall aufgrund bestimmter Umstände möglich erscheint, dass das Gesundheitsamt bestimmte Anordnungen treffen kann, weil Erkenntnisse darüber vorliegen, dass diese Personen durch ihr Verhalten Gesundheit oder Leben anderer gefährden.

Darüber hinaus bin ich auch der Argumentation entgegengetreten, die namentliche Kenntnis von Suchtkranken sei für die Gesundheitsbehörden auch zum Vollzug des Unterbringungsgesetzes unabdingbar. Diesbezüglich habe ich darauf hingewiesen, dass nicht die Gesundheitsämter, sondern die Kreisverwaltungsbehörden für den Antrag im Unterbringungsverfahren zuständig sind. Liegen Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Unterbringung vor, darf die Polizei daher lediglich die Kreisverwaltungsbehörde unterrichten, die dann ihrerseits über die Einbindung des Gesundheitsamts entscheidet.

Das Staatsministerium des Innern hat die Richtlinie zur Meldung suchtkranker oder suchtgefährdeter Personen durch die Polizei an die Gesundheitsämter entsprechend meinen Ausführungen geändert. Dabei hat es zutreffend darauf hingewiesen, dass es darauf ankommt, dass die zu
übermittelnden Daten für die Aufgaben des Gesundheitsamts aus der Sicht der Polizei erforderlich erscheinen, während die endgültige Klärung der Frage, ob die Person durch ihr Verhalten Gesundheit und Leben anderer gefährdet und daher eine Anordnung zulässig ist, vom Gesundheitsamt vorgenommen wird.

7.19. Abfragen im polizeilichen Informationssystem

Auch in diesem Berichtszeitraum waren - wie in den zwei vorangegangenen - wieder problematische Abfragen im polizeilichen Informationssystem festzustellen, die das soziale Umfeld der abfragenden Polizeibediensteten betrafen. Wie in meinem 20. Tätigkeitsbericht ausgeführt (vgl. Nr. 6.25), hat das Innenministerium die von mir vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes gegen die Gefahr des Missbrauchs interner (polizeilicher) Daten für private Zwecke (z.B. Einbindung eines Vorgesetzten vor der Datenabfrage) abgelehnt. Die nachfolgenden Beispiele zeigen deutlich die Gefahren:

Eine Bürgerin hatte sich an mich gewandt, da sie eine im privaten Interesse durchgeführte Abfrage ihrer personenbezogenen Daten durch einen Polizeibeamten vermutete, der gleichzeitig ihr Vermieter war. Eine von mir veranlasste Auswertung des Protokollbestandes der Polizei ergab, dass der betreffende Polizeibeamte personenbezogene Daten der Petentin im Einwohnermeldeverfahren (EWO) abgefragt hatte. Das zuständige Polizeipräsidium teilte mir auf Anfrage mit, dass die betreffenden Datenabfragen von dem Polizeibeamten von dessen dienstlichem Arbeitsplatz auf Grund des von der Petentin vermuteten privaten Anlasses (Mietverhältnis) durchgeführt worden waren.

Der Datenabgleich mit dem Bestand des Einwohnermeldeverfahrens ist nach dem Bayerischen Meldegesetz nur zulässig, wenn im Einzelfall die Kenntnis der Daten zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben erforderlich ist. Des Weiteren ist geregelt, dass der Empfänger der Daten diese nur für den Zweck verwenden darf, zu dessen Erfüllung sie ihm übermittelt worden sind. Das Informationsinteresse des Beamten hatte sich aber aus seiner privaten Stellung als Wohnungsvermieter ergeben. Der Datenabgleich und die Datennutzung, die zu privaten Zwecken erfolgten, waren deshalb unzulässig. Ich habe die Polizei aufgefordert darauf hin zu wirken, dass künftig solche datenschutzrechtlichen Verstöße vermieden werden.

In einem ähnlichen Fall hatte ein Polizeibeamter ein Fahrzeug über das Zentrale Verkehrsinformationssystem (ZEVIS) zur Feststellung des Halters abgefragt. Die Abfrage stand im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit auf Grund des Mietverhältnisses zwischen dem Polizeibeamten und der Fahrzeugführerin. Diese hatte Prozesskostenhilfe beantragt, wobei der abfragende Beamte als Beklagter vom zuständigen Amtsgericht zur Stellungnahme aufgefordert worden war. Nach seinen Angaben habe er im Hinblick auf ein von der Mieterin geführtes Kfz mit ortsfremden Kennzeichen einen Betrug durch Verschleierung der Vermögensverhältnisse vermutet und deshalb eine Halterabfrage durchgeführt. Zwar ist eine solche Abfrage nach dem Straßenverkehrsgesetz zur Verfolgung von Straftaten zulässig. Jedoch war offensichtlich, dass sich das Informationsinteresse des Beamten aus der Vermischung privater Interessen als Hausvermieter bzw. Prozessbeklagter und möglichen dienstlichen Interessen als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft ergeben hat. Der Fall macht deutlich, dass vor dienstlichen Ermittlungen im sozialen Umfeld des Polizeibeamten, noch dazu wenn seine eigenen Interessen berührt sind, eine innerdienstliche Überprüfung durch den Vorgesetzten und die Abgabe des Vorganges an einen nicht befangenen Beamten grundsätzlich notwendig sind.

In einem anderen Fall vermutete eine Bürgerin eine unzulässige Datenabfrage und Datenübermittlung ihrer Halterdaten aus dem Fahrzeugregister an eine Privatperson durch einen Polizeibeamten, nachdem ihr ein entsprechender E-Mail-Schriftverkehr zwischen dem Beamten und einer Privatperson bekannt geworden war. Darin hatte der Beamte dem offenbar befreundeten Empfänger mitgeteilt, dass das Fahrzeug der Petentin noch unter einer früheren Wohnanschrift angemeldet war. Eine von mir veranlasste Protokolldateiauswertung beim LKA ergab, dass die personenbezogenen Daten der Petentin von einem Polizeibeamten im Zentralen Verkehrsinformationssystem (ZEVIS) abgefragt worden waren. Der Beamte hat die unzulässige Datenabfrage und -übermittlung zwischenzeitlich eingeräumt. Eine innerdienstliche Überprüfung der Angelegenheit im Hinblick auf evtl. straf-, bußgeld- bzw. disziplinarrechtliche Konsequenzen wurde eingeleitet.

Wegen der Gefahr zukünftiger unzulässiger Abfragen aus privaten Motiven halte ich neben den von mir vorgeschlagenen Verbesserungsmaßnahmen auch die Durchführung der im Jahr 1998 vom Staatsministerium des Innern angeordneten anlassunabhängigen Auswahlprüfung von Datenabfragen für unerlässlich. Diese sollte sich allerdings nicht auf Abfragen des KAN-Bestandes beschränken.

7.20. Entbindung von der Schweigepflicht im Strafverfahren

In meinem letzten Tätigkeitsbericht (Nr. 6.18) hatte ich auf meine Bedenken gegen das bei der bayerischen Polizei verwendete Formblatt "Einwilligung zur Weitergabe personenbezogener Daten" hingewiesen, durch dessen Unterzeichnung sowohl Geschädigte und Zeugen als auch Beschuldigte bestimmte Behörden oder sonstige Stellen (z.B. Arzt, Krankenkasse, Arbeitsamt, Finanzamt) gegenüber den Ermittlungsbehörden von der Schweigepflicht entbinden bzw. zur Weitergabe personenbezogener Daten ermächtigen. Zwischenzeitlich wurde ich über die beabsichtigte Verwendung des Formblatts auch in Ordnungswidrigkeitenverfahren in Kenntnis gesetzt.

Ich habe das Staatsministerium des Innern darauf hingewiesen, dass die Anwendung des Formblatts in Ordnungswidrigkeitenverfahren noch wesentlich stärkeren Bedenken begegnet, als die Anwendung im Strafverfahren. Ich halte es schon für bedenklich, wenn in besonders sensiblen und gesetzlich besonders geschützten Bereichen, in denen es um die Entbindung von beruflichen Schweigepflichten geht, die Datenerhebung nicht auf die gesetzlichen Eingriffsbefugnisse des Ordnungswidrigkeitengesetzes sondern auf die Einwilligung des Betroffenen gestützt werden soll. Im Hinblick darauf kommt der umfassenden und eindeutigen Aufklärung des Betroffenen, die Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung ist, besondere Bedeutung zu. Die Hinweise auf dem Formblatt erwecken aber den unzutreffenden und irreführenden Eindruck, dass die Daten, für die die Einwilligung zur Weitergabe erklärt wird, in einem umständlicheren, langwierigeren und belastenderen Verfahren auch ohne diese Einwilligung von der Polizei erhoben werden könnten und die Einwilligung lediglich einer Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens diene. Gerade durch den Hinweis, dass "im Einzelfall die Einholung richterlicher Anordnungen sowie die Notwendigkeit von Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen entfällt" wird der Eindruck erweckt, die Polizei könne die erforderlichen Informationen auch ohne Zustimmung des Betroffenen mittels richterlicher Anordnung erheben. Dies ist jedoch bei Ordnungswidrigkeitenverfahren sogar in der Mehrzahl der Fallkategorien unzutreffend.

Ich habe deshalb das Staatsministerium des Innern aufgefordert, die Anwendung des Formblatts gerade in Ordnungswidrigkeitenverfahren, bei denen es nicht um strafrechtlich relevantes Verhalten sondern nur um sog. Verwaltungsunrecht geht, aus datenschutzrechtlichen Gründen zu unterlassen. Dieses hat mir zugesagt, von einer Verwendung des Formblatts im Ordnungswidrigkeitenverfahren abzusehen.

7.21. Auskunft über präventive Speicherungen bei laufenden Ermittlungsverfahren

In meinem letzten Tätigkeitsbericht (Nr. 6.23) hatte ich die Problematik der Auskunftserteilung über präventivpolizeiliche Daten bei laufenden Ermittlungsverfahren dargestellt. Ich hatte darauf hingewiesen, dass - im Gegensatz zur Auffassung des Staatsministeriums des Innern - die Polizei als speichernde Stelle dieser Daten und nicht die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Bürger für die Entscheidung über seinen Antrag auf Auskunftserteilung zuständig ist.

Nach der zwischenzeitlich mit dem Staatsministerium des Innern erzielten Einigung bezüglich der Auskunftserteilung über die im Kriminalaktennachweis auf der Grundlage präventiv polizeilicher Befugnisse gespeicherten Daten laufender Ermittlungsverfahren an den Betroffenen ist von der Polizei behördenintern stets die Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens herbeizuführen. Sofern die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis kommt, dass die Auskunftserteilung aus Gründen der Gefährdung des Ermittlungsverfahrens abzulehnen ist, ist die Polizei an diese Entscheidung gebunden. Als speichernde Stelle ist sie aber selbst für die ggf. erforderliche Ablehnung des Antrags gegenüber dem Bürger zuständig. Eine Verweisung des anfragenden Bürgers an die Staatsanwaltschaft kommt nicht in Betracht.

§ 491 StPO regelt die Auskunftserteilung an Betroffene im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens. Diese Vorschrift wurde durch das Gesetz zur effektiveren Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften ergänzt. § 491 Abs. 1 StPO sieht nun vor, dass über Ermittlungsverfahren, deren Einleitung im Zeitpunkt der Beantragung der Auskunft noch nicht mehr als sechs Monate zurückliegt, keine Auskunft erteilt wird. Diese Frist kann im Einzelfall verlängert werden. Diese Ergänzung wird sich auch auf die Auskunftserteilung über präventivpolizeiliche Daten bei laufenden Ermittlungsverfahren auswirken.

7.22. Generelle Auskunftsablehnung bei Betäubungsmittelhandel

Nach Art. 48 Abs. 2 Nr. 1 PAG unterbleibt die Auskunft an den Betroffenen über die zu seiner Person gespeicherten Daten, soweit eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung, insbesondere eine Ausforschung der Polizei, zu besorgen ist. Im Hinblick auf diese Regelung hatte das Staatsministerium des Innern festgelegt, dass in allen Fällen des unbefugten Rauschgifthandels eine Auskunft unterbleibt. In meinem letzten Tätigkeitsbericht (Ziffer 6.24) hatte ich darauf hingewiesen, dass diese Verfahrensweise mit der gesetzlichen Regelung nicht in Einklang steht. Die Ablehnung der Auskunftserteilung ist nur ausnahmsweise und nur nach Prüfung und Beurteilung des Einzelfalls zulässig.

Nach langwierigen Verhandlungen mit dem Staatsministerium des Innern hat dieses einen erneuten Verfahrensvorschlag vorgelegt:

Im Unterschied zu den bisherigen Vorschlägen wird darin erstmals dem aus datenschutzrechtlicher Sicht entscheidenden Erfordernis Rechnung getragen, dass in den Fällen des unbefugten Rauschgifthandels keine pauschale Entscheidung zu treffen ist, sondern eine Einzelfallprüfung durch die Polizeidienststelle zu erfolgen hat. Dabei sei allerdings davon auszugehen, dass bei der Betäubungsmittelkriminalität eine deliktsspezifisch eng verflochtene Händler- und Konsumentenstruktur vorhanden sei und deshalb im Zweifel von einer Ausforschungsgefahr auszugehen sei und eine Auskunft zu unterbleiben habe.

Wann ein derartiger Zweifelsfall anzunehmen ist, bleibt offen. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird die Polizei keine Erkenntnisse darüber haben, ob der Auskunftsbegehrende Teil der kriminellen Strukturen der Szene ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei der Polizei nur eine einzige Speicherung wegen Betäubungsmittelhandels zu einer ansonsten polizeilich nicht näher bekannten Person besteht. In diesen Fällen, in denen der Polizei keine näheren Erkenntnisse vorliegen, erscheint es nicht gerechtfertigt, aufgrund allgemeiner Überlegungen von Zweifeln auszugehen und die Auskunft zu verweigern. Ich habe deshalb im Interesse einer echten Verbesserung des polizeilichen Auskunftsverhaltens vorgeschlagen, dass nicht schon "im Zweifel" von einer Ausforschungsgefahr ausgegangen werden müsse, sondern erst bei Vorliegen "entsprechender Anhaltspunkte". Dies wurde vom Staatsministerium des Innern mit dem Hinweis abgelehnt, die besondere Problematik bei der Auskunftserteilung bei Fällen des unbefugten Rauschgifthandels bestehe gerade darin, dass der Polizei in zahlreichen Fällen gerade noch keine entsprechenden Anhaltspunkte vorliegen und aufgrund der Besonderheiten dieses Deliktsbereichs eine erheblich erhöhte Ausforschungsgefahr bestehe.

Im Hinblick darauf, dass der Vorschlag des Staatsministeriums des Innern meiner grundlegenden Forderung nach einer Einzelfallprüfung durch die Polizei Rechnung trägt, habe ich meine nach wie vor bestehenden Bedenken zugunsten einer probeweise Einführung der vorgeschlagenen Regelung zurückgestellt. Zur Sicherstellung der datenschutzrechtlichen Überprüfung der konkreten Umsetzung dieser Regelung habe ich jedoch darum gebeten, die Polizeidienststellen aufzufordern, die Auskunftsvorgänge, die Speicherungen wegen Betäubungsmittelhandels betreffen, so vorzuhalten, dass sie ohne aufwendige Suche vorgelegt und von mir überprüft werden können. Da erst die praktischen Erfahrungen zeigen werden, wann die Polizeidienststellen von "Zweifeln" ausgehen und keine Auskunft erteilen, beabsichtige ich, nach einer einjährigen Erprobungsphase die polizeiliche Praxis der Auskunftserteilung in Fällen des Betäubungsmittelhandels zu überprüfen.