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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 01.12.2009

6. Justiz

Im Berichtszeitraum habe ich anlassunabhängig bei zwei Staatsanwaltschaften und einer Justizvollzugsanstalt vor Ort eine datenschutzrechtliche Prüfung durchgeführt. Ferner habe ich anhand entsprechender Protokollierungen Abrufe von Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten aus der Zentralen Vollzugsdatei Bayern und Abrufe von bayerischen Notaren im Online-Abrufverfahren für das automatisierte Grundbuch auf ihre Zulässigkeit hin überprüft. Neben diesen anlassunabhängigen Prüfungen habe ich anlassbezogen aufgrund von Bürgereingaben auch Prüfungen konkreter Einzelfälle vorgenommen. Bei Gesetzentwürfen, Verwaltungsvorschriften im Rahmen der Einführung von Formblättern für die Praxis und beim Verwaltungsvollzug habe ich auf die Umsetzung datenschutzrechtlicher Anforderungen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hingewirkt.

Die nachfolgenden Darstellungen sind eine Auswahl meiner Feststellungen im Justizbereich.

6.1. Gesetzgebung

6.1.1. Datenschutz in der Dritten Säule der Europäischen Union

Auf Ebene der EU werden immer mehr Rechtsakte geschaffen, die zu Eingriffen in die Privatsphäre auch vieler unverdächtiger Bürger führen. Dazu zählen z.B. die Richtlinie zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung und der Rahmenbeschluss über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten vom 18.12.2006 (sog. Schwedische Initiative). Diese sieht vor, die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (sog. Dritte Säule) durch die Vereinfachung des Datenaustausches zu erleichtern. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, diesen Rahmenbeschluss in nationales Recht umzusetzen (vgl. im Einzelnen Entschließung "Besserer Datenschutz bei der Umsetzung der "Schwedischen Initiative" zur Vereinfachung des polizeilichen Datenaustausches zwischen den EU-Mitgliedstaaten geboten" vom November 2008, Anlage Nr. 26). Darüber hinaus bestehen bilaterale Abkommen, die den Datenaustausch zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten vereinfachen sollen.

Der Ausbau der grenzüberschreitenden Datenübermittlung und der Aufbau zentraler Datenbestände greifen erheblich in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Ein EU-weiter hoher und einheitlicher Datenschutz, wie ihn die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder bereits im März 2006 gefordert haben (vgl. dazu Nr. 6.1.5, 22. Tätigkeitsbericht), besteht im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit auch weiterhin nicht. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder warnen daher in ihrer Entschließung "Angemessener Datenschutz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in der EU dringend erforderlich" vom November 2008 (vgl. Anlage Nr. 25) vor dadurch verursachten Gefahren für jeden Einzelnen, die durch eine Verknüpfbarkeit der Datenbanken noch gesteigert werden.

Zwar hat die EU am 27.11.2008 einen Rahmenbeschluss zum Schutz personenbezogener Daten verabschiedet, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit verarbeitet werden. Der Rahmenbeschluss ist aber nur auf die grenzüberschreitende Datenverarbeitung und nicht auch auf die innerstaatliche Datenverarbeitung durch Polizei und Strafverfolgungsbehörden anwendbar. Dies wäre aber erforderlich, um einen einheitlichen Datenschutzstandard in den EU-Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Darüber hinaus wurde die mit dem Rahmenbeschluss eröffnete Möglichkeit nicht genutzt, ein unabhängiges Datenschutzgremium einzurichten, das die Kommission, den Rat und das Europäische Parlament im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit berät.

6.1.2. Heimliche Online-Durchsuchung zur Strafverfolgung

Mit Beschluss vom 31.01.2007 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die verdeckte repressive Online-Durchsuchung von informationstechnischen Systemen mangels einer Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung unzulässig ist. Diese Entscheidung begrüße ich. Von der Einführung einer solchen Rechtsgrundlage sollte im Hinblick auf die mit der Online-Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffe abgesehen werden.

Bei dem verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme geht es nicht nur um "Online-Durchsicht" als einmalige Durchsuchung und Übertragung von Festplatteninhalten an die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch um die anhaltende Überwachung, um das Ausspähen von Passworten und die Protokollierung aller elektronischen Aktivitäten. Auch sollen alle anderen Kommunikations- und Datenverarbeitungssysteme, wie lokale Netzwerke, Mobiltelefone, PDAs usw. in die heimliche Durchsuchung einbezogen werden. Dabei ist die Gefahr groß, dass von einer solchen Maßnahme auch unverdächtige Nutzerinnen und Nutzer dieser Systeme betroffen sein würden. Der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung lässt sich bei Online-Durchsuchungen auf der Stufe der Datenerhebung durch technische Mittel nicht schützen. Ein automatisierter Kernbereichsschutz ist nicht realisierbar. Die Erforderlichkeit der Online-Durchsuchung zur Strafverfolgung ist nicht dargetan. Die Eignung ist im Hinblick auf die vielfältigen Absicherungsmaßnahmen gegen das Eindringen sog. Spionagesoftware mehr als zweifelhaft. Sicher ist aber, dass die Online-Durchsuchung zu einer weiteren Einschränkung der Freiheit führen würde.

Bereits die 73. und 74. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben darauf hingewiesen, dass der Computer im täglichen Leben der meisten Menschen eine zentrale Bedeutung für die Aufbewahrung und Gestaltung privatester Informationen, wie Fotografien, Reiseberichte, Tagebuchaufzeichnungen, persönliche Briefe, Eindrücke, Vorstellungen und Gefühle hat. Die heimliche Online-Durchsuchung führt deshalb zu erheblichen Eingriffen in Grundrechte wie das informationelle Selbstbestimmungsrecht, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Telekommunikationsgeheimnis (siehe Anlagen Nr. 2 und Nr. 9).

Mit Urteil vom 27.02.2008 hat das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften zur Online-Durchsuchung sowie zur Aufklärung des Internets im Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalens für nichtig erklärt (Az. 1 BvR 370/07; 1 BvR 595/07). Besonders hervorzuheben ist in dieser Entscheidung die Feststellung des Gerichts, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme umfasst. Damit hat es den Datenschutz weiter gestärkt und ihn an die Herausforderungen des elektronischen Zeitalters angepasst. Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem verfassungsrechtliche Mindeststandards für den Fall aufgestellt, dass Online-Durchsuchungen gesetzlich zugelassen werden sollten (siehe hierzu auch Nr. 4.1.2). Die 75. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat mit ihrer Entschließung "Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bei der Online-Durchsuchung beachten" (siehe Anlage Nr. 18) die Gesetzgeber in Bund und Ländern aufgefordert, diese Eingriffsvoraussetzungen zu respektieren.

In Bayern ist inzwischen die verdeckte Online-Durchsuchung in das Polizeiaufgabengesetz und das Verfassungsschutzgesetz aufgenommen worden (siehe hierzu auch Nr. 4.1.2 und Nr. 5.1.4).

Die Bayerische Staatsregierung hat außerdem eine Initiative in den Bundesrat eingebracht (vgl. BR-Drs. 365/08), mit der durch einen § 100 k der Strafprozessordnung der verdeckte Zugriff auf informationstechnische Systeme mit Hilfe der Online-Durchsuchung zugelassen werden sollte. Dabei war auch vorgesehen, zur Durchführung einer solchen Maßnahme das heimliche Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zu erlauben.

Eine solche neue strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme wirft erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das Grundrecht der Unverletztlichkeit der Wohnung auf. Art. 13 GG erlaubt nur offene Wohnungsdurchsuchungen; heimliche Durchsuchungen halte ich ohne eine Änderung des Grundgesetzes nicht für zulässig. Die Bundesregierung hat daher aus gutem Grund bei der Änderung des Bundeskriminalamtsgesetzes von der Aufnahme einer Befugnis zur heimlichen Durchsuchung Abstand genommen.

Die Zusicherung gegenüber der Öffentlichkeit, dass die Online-Durchsuchung nur in wenigen Fällen schwerster Kriminalität in Betracht kommt, wird bereits durch die Vielzahl der über 50 Straftatbestände widerlegt, bei denen die Maßnahme zulässig sein soll. Die von Bayern genannten Straftatbestände beschränken sich auch nicht auf schwerste Kriminalität wie z.B. terroristische Gewalttaten. Es besteht deshalb die Gefahr, dass Online-Durchsuchung in der Praxis als Standardmaßnahme auch in Fällen minder schwerer Kriminalität eingesetzt würde.

Der Bundesrat hat zwischenzeitlich die Einbringung des Gesetzentwurfs in den Bundestag abgelehnt.

6.1.3. Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG

Am 01.01.2008 sind die Neuordnung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in der Strafprozessordnung (insbesondere Eingriffsbefugnisse der Telekommunikationsüberwachung) sowie die Regelung der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten in Kraft getreten. Ziel war eine Überarbeitung der Strafprozessordnung im Sinne einer harmonischen Gesamtregelung der strafprozessualen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen (vgl. hierzu Nr. 6.1.3, 22. Tätigkeitsbericht). Bei den in Kraft getretenen Regelungen besteht aber in wesentlichen Punkten noch erheblicher Verbesserungsbedarf:

  • Der Umfang der Straftaten, die Voraussetzung für die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung sind, wurde nicht im Hinblick auf Art und Schwere der Straftaten begrenzt. Vielmehr wurden zusätzliche Straftaten aufgenommen.
  • Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung genügt nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Die Neuregelung nimmt in Kauf, dass regelmäßig auch kernbereichsrelevante Informationen erfasst werden, für die grundsätzlich ein Erhebungsverbot gelten sollte.
  • Für die Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern muss ein absolutes Erhebungs- und Verwertungsverbot geschaffen werden, das dem jeweiligen Zeugnisverweigerungsrecht entspricht (vgl. Entschließung der 73. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 08./09.03.2007, Anlage Nr. 4). Für Angehörige ist zum Schutz der besonderen verwandtschaftlichen Vertrauensverhältnisse ein Erhebungs- und Verwertungsverbot für die Fälle vorzusehen, in denen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht überwiegt.
  • Eine ausdrückliche Regelung, dass Daten, die aufgrund von Eilanordnungen durch die Staatsanwaltschaft erhoben wurden, dann nicht verwertbar sind, wenn die Anordnung nicht richterlich bestätigt wird, ist zum Schutz der Grundrechte der Bürger und zur Schaffung von Rechtssicherheit geboten.
  • Die Benachrichtigungspflichten sind nun in einer Vorschrift für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zusammengefasst. Eine Benachrichtigung kann allerdings dann unterbleiben, wenn eine Person von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. Den Verfolgungsbehörden wird mit der Neuregelung sogar die Möglichkeit gegeben, endgültig von einer Benachrichtigung abzusehen, wenn die Voraussetzungen für eine Benachrichtigung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten werden.
  • Durch die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten für sechs Monate wird, worauf die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder bereits in ihrer Entschließung vom 08.06.2007 hingewiesen haben (vgl. Anlage Nr. 7), tief in die Privatsphäre und das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung eingegriffen und dieses pauschal und anlasslos erfasst. Auch eine Erhebung von Standortdaten in Echtzeit ist zulässig. Der Erhebungs- und Verwendungszweck für die auf Vorrat gespeicherten Daten wurde über die europarechtlichen Vorgaben hinaus auch auf die Verfolgung mittels Telekommunikation begangener leichter Straftaten, die Gefahrenabwehr und sogar auf die Aufgaben der Nachrichtendienste erstreckt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Eilentscheidung zur Vorratsdatenspeicherung erhebliche Bedenken gegen diese Regelungen geäußert (s. hierzu auch Nr. 6.1.5).

6.1.4. Gutachten des Max-Planck-Instituts zur "Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung über Telekommunikationsverbindungsdaten nach §§ 100 g, 100 h StPO

Der Bundestag hatte am 21.10.2004 mit einem Entschließungsantrag die Bundesregierung aufgefordert, ihm bis zum 30.06.2007 einen Erfahrungsbericht über die praktische Umsetzung der §§ 100 g, 100 h StPO (alte Fassung) vorzulegen. Dazu hat das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz die Nutzung von Telekommunikationsverkehrsdaten für Zwecke der Strafverfolgung evaluiert. Das Bundesministerium der Justiz hat die Studie erst im Februar 2008 und somit nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zur "Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung" veröffentlicht. Das Gutachten liefert Erkenntnisse, deren Berücksichtigung bereits bei der Neufassung des § 100 g StPO durch das Gesetz vom 21.12.2007 erforderlich gewesen wäre (vgl. hierzu Nr. 6.1.3, 22. Tätigkeitsbericht).

Das Gutachten geht zu Recht davon aus, dass Verkehrsdaten ein hohes Überwachungspotential in sich tragen und besser als andere Daten dazu geeignet sind, soziale Netzwerke nachzuweisen, Beziehungen zu identifizieren und Informationen über Individuen zu generieren. Auch die quantitative Bedeutung der Verkehrsdatenabfrage ist nach den Feststellungen der Studie erheblich. So lag die Zahl der Verkehrsdatenabfragen im Jahr 2005 bereits bei etwa 40.000 (ohne Abfragen zu dynamischen IP-Adressen). Schon von 2002 (10.200) bis 2004 (22.600) war sie stark und kontinuierlich angestiegen. Die Zahl der Beschlüsse, die eine Abfrage zu einer IMEI-Nummer (elektronische Gerätekennung) beinhalten, stieg in diesem Zeitraum etwa um das Vierfache. Die angeordneten Zielwahlsuchen verdreifachten sich. Etwa 70 % der unmittelbar betroffenen und identifizierten Anschlussinhaber waren Nichtbeschuldigte.

Vor diesem Hintergrund fordern die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder den Gesetzgeber sowie die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte auf, aus den Erkenntnissen des Gutachtens die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (siehe Anlage Nr. 20):

  • Die Verkehrsdatenabfrage erfasst ein weites Spektrum von Anlassstraftaten. Insbesondere im Hinblick auf die inzwischen eingeführte Vorratsdatenspeicherung sollte die Straftatenschwelle auf schwere Straftaten angehoben werden.
  • Die Dauer der Maßnahme lag schwerpunktmäßig beim gesetzlichen Maximum von drei Monaten. Eine gesetzliche Befristung auf zwei Monate dürfte nach dem Gutachten die praktischen Bedürfnisse der Strafverfolgungsbehörden abdecken.
  • Bei den Begründungen gerichtlicher Anordnungen fällt insbesondere die lediglich formelhafte Wiedergabe des Gesetzestextes sowie die häufig wörtliche Übernahme der staatsanwaltschaftlichen Anträge auf. Um die Begründungsqualität zu verbessern, sollten (nach dem Vorbild der Regelungen für die akustische Wohnraumüberwachung) auch für die Verkehrsdatenabfrage qualifizierte Begründungspflichten in der Strafprozessordnung vorgesehen werden. Auch sollten die Rechtsfolgen für erhebliche Verstöße gegen die Begründungsanforderungen gesetzlich geregelt werden (z.B. Beweisverwertungsverbote).
  • Das Gutachten enthält Hinweise darauf, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die gesetzlichen Subsidiaritätsklauseln in der Praxis nicht hinreichend beachtet werden. In den Begründungen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, weshalb keine anderen Maßnahmen alternativ in Betracht kommen, wurde häufig ohne weitere Ausführungen lediglich der Gesetzeswortlaut wiedergegeben. Auf die Prüfung von Subsidiarität und Angemessenheit der Maßnahme ist in der Praxis daher besonderes Augenmerk zu richten.
  • Der Richtervorbehalt erfüllt seine Funktion nicht in ausreichendem Maße. Als ein Grund hierfür wird auf die Arbeitsbelastung der Ermittlungsrichter und deren Prioritätensetzung verwiesen. Es ist daher in der Praxis darauf hinzuwirken, dass der Richtervorbehalt - nicht zuletzt durch ausreichende personelle Ressourcen bei den Ermittlungsrichtern - seine grundrechtssichernde Funktion effizient erfüllen kann.
  • Bei den Telekommunikationsunternehmen besteht Unsicherheit, inwieweit sie zur Herausgabe der Verbindungsdaten verpflichtet sind bzw. ihnen eine eigene Prüfungskompetenz zusteht, wenn eine staatsanwaltschaftliche Eilanordnung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist richterlich bestätigt wird. Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit sowie zur Stärkung des Richtervorbehalts sollte in den Fällen staatsanwaltschaftlicher Eilanordnung die Verwertbarkeit der erlangten Daten davon abhängig gemacht werden, dass ein Gericht rückwirkend die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Maßnahme feststellt.
  • In 87 % der Fälle konnte den Akten kein Hinweis auf die Benachrichtigung der Betroffenen entnommen werden. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher angehalten werden, den gesetzlich festgeschriebenen Benachrichtigungspflichten nachzukommen.
  • Nur in 3 % der ausgewerteten Verfahren konnte den Akten entnommen werden, dass die Verkehrsdaten nach Abschluss des Verfahrens vernichtet wurden. Auch die Experteninterviews ergaben, dass die Vernichtung der Daten offensichtlich nicht die Regel ist. Es ist daher in der Praxis darauf hinzuwirken, dass die gesetzliche Löschungs- und Dokumentationspflicht eingehalten wird.
  • Im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung bemerkenswert ist die Feststellung der Studie, dass im Untersuchungszeitraum (also noch vor Einführung der sechsmonatigen Speicherungspflicht) nur etwa 2 % der Abfragen ins Leere gingen, weil die Verkehrsdaten bei den TK-Unternehmen bereits gelöscht waren. Diese Zahl bestätigt die erheblichen Zweifel am tatsächlichen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung für die Strafverfolgung.

Eine Fortführung der wissenschaftlichen Evaluation der Verkehrsdatenabfrage unter den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen ist - auch aufgrund der Weiterentwicklung der Technik - unerlässlich.

6.1.5. Eilanordnung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung

Durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG, das am 01.01.2008 in Kraft getreten ist, wurde die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht umgesetzt. Die Anbieter von Internetzugangsdiensten, Diensten der elektronischen Post oder Internettelefondiensten haben die sie treffenden Anordnungen spätestens ab dem 01.01.2009 zu erfüllen. Die Speicherdauer für Telekommunikationsverkehrsdaten wurde auf die europarechtlich verpflichtende Mindestfrist von sechs Monaten festgesetzt. Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie sollen damit die Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Vorratsspeicherung "harmonisiert werden, um sicherzustellen, dass die Daten zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von "schweren" Straftaten, wie sie von jedem Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht bestimmt werden, zur Verfügung stehen" (vgl. hierzu auch Nr. 6.1.3).

Entgegen diesem ausdrücklichen Wortlaut der Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber die Möglichkeit der Erhebung dieser Vorratsdaten zu Strafverfolgungszwecken in § 100 g StPO erweitert. Sie ist nach der gesetzlichen Regelung nicht auf die Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung schwerer Straftaten beschränkt, sondern erfasst auch Straftaten von nur "erheblicher Bedeutung" und solche, die mittels Telekommunikation begangen worden sind. Diese Ausweitung ist im Hinblick auf den damit verbundenen Eingriff in die Grundrechte der Telekommunikationsteilnehmer problematisch und steht im Widerspruch zu der europarechtlich vorgeschriebenen Beschränkung auf schwere Straftaten.

Gespeichert werden aufgrund der Vorratsdatenspeicherung Telekommunikationsverkehrsdaten, aber keine Telekommunikationsinhalte. Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten zählen z.B. Rufnummern des anrufenden oder angerufenen Anschlusses, Datum, Uhrzeit und Dauer der Verbindung. Darüber hinaus wird bei der Mobilfunktelefonie der Standort (angewählte Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert. Dadurch wird die Erstellung von Bewegungsbildern möglich.

Das Bundesverfassungsgericht hat einem Eilantrag zur Vorratsdatenspeicherung teilweise stattgegeben und die Regelungen zur Verwendung der auf Vorrat gespeicherten Daten zu Strafverfolgungszwecken eingeschränkt (Eilentscheidung vom 11.03.2008, Az. 1 BvR 256/08). Über das Hauptsacheverfahren wird später entschieden werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar nicht die Speicherung der Verkehrsdaten bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt, es bleibt insoweit bei der gesetzlichen Verpflichtung. Es hat aber die Verwendung der gespeicherten Daten zum Zweck der Strafverfolgung bis zur Entscheidung in der Hauptsache modifiziert: Die von den Telekommunikationsdiensteanbietern zu speichernden Verkehrsdaten sind nur dann an die Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat i.S.v. § 100 a Abs. 2 StPO ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre. In den übrigen Fällen ist von einer Übermittlung der Daten einstweilen abzusehen. Zugleich wurde der Bundesregierung aufgegeben, dem Bundesverfassungsgericht bis zum 01.09.2008 über die praktischen Auswirkungen der Datenspeicherungen und der vorliegenden einstweiligen Anordnung zu berichten.

Im Rahmen seiner Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass der Verkehrsdatenabruf einen schwerwiegenden und nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriff in das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Grundgesetz darstellt. Es hat darüber hinaus betont, dass bereits durch die sechs Monate andauernde Möglichkeit des Zugriffs auf sämtliche durch eine Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten entstandenen Verkehrsdaten eine erhebliche Gefährdung des in dem Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses verankerten Persönlichkeitsschutzes zu sehen ist. Diese durch die anlasslose Speicherung hervorgerufene Gefährdung trifft annähernd jeden Bürger bei jeder Nutzung von Telekommunikationsanlagen. Darauf hatte auch die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in ihren Entschließungen vom 26./27.10.2006 (Anlage Nr. 18 meines 22. TB) und vom 08./09.03.2007 hingewiesen (Anlage Nr. 4).

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Entscheidung einen weiteren wichtigen Meilenstein für den Datenschutz gesetzt. Die Entscheidung lässt auch für das noch ausstehende Hauptsacheverfahren hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung zumindest erheblich einschränken wird.

6.1.6. Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung (Bayerisches Strafvollzugsgesetz)

Aufgrund der Föderalismusreform ist die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Bundesländer übergegangen (vgl. 22. Tätigkeitsbericht Nr. 6.4). In Bayern ist am 01.01.2008 das bayerische Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung in Kraft getreten. Ich habe zum Entwurf dieses Gesetzes insbesondere darauf hingewiesen, dass die Aufbewahrung der von Gefangenen gefertigten erkennungsdienstlichen Unterlagen einschließlich der Lichtbilder weit über die Dauer der Strafhaft hinaus bis zum Ablauf der für die sonstigen über sie gespeicherten personenbezogenen Daten geltenden Aufbewahrungsfrist unverhältnismäßig ist. Die im Strafvollzugsgesetz des Bundes für die Gefangenen vorgesehene Möglichkeit, nach der Entlassung aus dem Vollzug die Vernichtung erkennungsdienstlicher Unterlagen zu verlangen, hätte aus meiner Sicht beibehalten und auf die Vernichtung von Lichtbildern ausgedehnt werden sollen.

Bei der Neuregelung des Strafvollzugs hätte außerdem die Chance ergriffen werden sollen, den Schutz besonderer Daten stärker zu betonen. Nach dem Bayerischen Strafvollzugsgesetz (Art. 200 Abs. 2) haben sich die in § 203 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 des Strafgesetzbuchs genannten Personen, nämlich Berufspsychologen und Sozialarbeiter, gegenüber dem Anstaltsleiter schon immer dann zu offenbaren, wenn und soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde erforderlich ist. Dies bedeutet, dass z.B. Erkenntnisse aus der psychologischen Betreuung unmittelbare Auswirkungen auf Vollzugsentscheidungen haben können. Eine Befugnisregelung ohne Offenbarungsverpflichtung wäre aus meiner Sicht ausreichend gewesen. Zumindest sollte den Psychologen und Sozialarbeitern eine Abwägungsbefugnis eingeräumt werden, ob Zwecke des Vollzugs die jeweils konkrete Durchbrechung ihrer Schweigepflicht rechtfertigen.

Änderungsbedarf habe ich auch gesehen im Hinblick auf die Regelung zur Überwachung von Besuchen, insbesondere der Dauer der Aufbewahrung entsprechender Videoaufzeichnungen sowie die Überwachung des Schriftwechsels, die ich nur in begründeten Einzelfällen als zulässig erachte. Zum Schutz der in Gefangenenpersonalakten und Dateien enthaltenen sensiblen Daten habe ich eine Protokollierung und Dokumentation auch des lesenden Zugriffs auf diese Unterlagen gefordert, der leider nahezu uneingeschränkt möglich ist. Zu den Löschungsfristen für Gefangenenpersonalakten habe ich gefordert, dass - jedenfalls in der Begründung des Gesetzes - aufgenommen wird, dass es sich insoweit um Höchstfristen und nicht um Mindestfristen handelt. Die Notwendigkeit einer Prüfung, ob eine Aussonderung vorher möglich ist, sollte dadurch verdeutlicht werden.

Ich werde die praktische Handhabung der Regelungen des Gesetzes einer fortlaufenden datenschutzrechtlichen Prüfung unterziehen.

6.1.7. Grundrechtseingriffe im Maßregelvollzug ohne Rechtsgrundlage

Anlässlich des zwischenzeitlich in Kraft getretenen Bayerischen Strafvollzugsgesetzes, das aufgrund der Föderalismusreform notwendig geworden war, habe ich das zuständige Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen bereits am 22.03.2007 darauf hingewiesen, dass Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch im Rahmen des Maßregelvollzugs einer ausreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedürfen. Die bestehenden Regelungen im Unterbringungsgesetz (UnterbrG) erfüllen diese Voraussetzungen nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 14.03.1972 (Az. 2 BvR 41/71) ausgeführt, dass in Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechte für Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung für unmittelbar verbindlich erklärt werden. Dieser umfassenden Bindung der staatlichen Gewalt widerspreche es, wenn im Strafvollzug die Grundrechte beliebig oder nach Ermessen eingeschränkt werden könnten. Eine Einschränkung komme nur dann in Betracht, wenn sie zur Erreichung eines von der Werteordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zwecks unerlässlich ist und in den dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen geschieht. Die Grundrechte von Strafgefangenen können also nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Auch in seiner Entscheidung vom 31.05.2006 zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung für Maßnahmen im Jugendstrafvollzug, die in Grundrechte des Gefangenen eingreifen, hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass solche Eingriffe, die über den Freiheitsentzug als solchen hinausgehen, unabhängig von den guten oder sogar zwingenden sachlichen Gründen, die für sie sprechen mögen, einer eigenen gesetzlichen Grundlage bedürfen, die die Eingriffsvoraussetzungen in hinreichend bestimmter Weise normiert. Für Maßnahmen, die in Grundrechte des Gefangenen eingreifen, ist deshalb auch im Jugendstrafvollzug eine gesetzliche Grundlage erforderlich.

Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung für Eingriffe in Grundrechte Gefangener sind auf im Maßregelvollzug Untergebrachte ebenfalls anwendbar. Auch hier handelt es sich um Personen, denen aufgrund richterlicher Entscheidung die Freiheit entzogen wurde. Das Bayerische Unterbringungsgesetz (vgl. Art. 28, 12 - 21 UnterbrG) und das Bayerische Strafvollzugsgesetz (Art. 208 BayStVollzG i.V.m. §§ 136 - 138 StVollzG) enthalten hierfür keine ausreichenden Eingriffsgrundlagen. Es fehlen beispielsweise Regelungen zur Durchsuchung von Patientenzimmern, für erkennungsdienstliche Behandlungen und Videoüberwachungen von Krankenzimmern, welche, wie mir aus meiner Prüfung bei einem Bezirkskrankenhaus bekannt ist, durchgeführt werden (vgl. hierzu Nr. 6.4.2, 22. Tätigkeitsbericht).

Das zuständige Staatsministerium hat mir auf entsprechende Vorhalte mitgeteilt, dass der Ministerrat in seiner Sitzung am 20.03.2007 beschlossen habe, es mit der Erarbeitung entsprechender landesrechtlicher Vorschriften für den Maßregelvollzug und anschließender Vorlage an den Ministerrat zur Beschlussfassung zu beauftragen. In diesem Zusammenhang sei beabsichtigt, auch die von mir angesprochenen Problempunkte zu regeln. Es sei geplant, die entsprechenden Regelungen für den Maßregelvollzug in ein reformiertes Unterbringungsgesetz zu integrieren.

Im Hinblick auf den bisherigen Zeitablauf habe ich mich mit dem Ziel einer zügigen Umsetzung des Ministerratsbeschlusses an die zuständige Staatsministerin gewandt. Angesichts der massiven Grundrechtseingriffe im Rahmen des Maßregelvollzugs halte ich es für dringend erforderlich, ohne zeitliche Verzögerung endlich eine normenklare und verhältnismäßige Rechtsgrundlage für die Gestaltung des Maßregelvollzugs zu schaffen.

6.1.8. Entwurf eines Gesetzes zur Aufbewahrung des Schriftguts der Justiz

In meinem 22. Tätigkeitsbericht (Nr. 6.1.6) hatte ich berichtet, dass mir das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen einen ersten Entwurf für ein Aktenaufbewahrungsgesetz zugeleitet hat, der unter Federführung einer durch die Justizministerkonferenz eingesetzten länderoffenen Arbeitsgruppe erarbeitet worden war.

Im April 2008 hat mir das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz einen bayerischen Entwurf zur gesetzlichen Regelung der Aufbewahrung von Schriftgut zur Stellungnahme übersandt. Der Entwurf lehnt sich zum Teil an das Schriftgutaufbewahrungsgesetz des Bundes, das am 01.04.2006 in Kraft getreten ist, an. In meiner Stellungnahme dazu habe ich darauf hingewiesen, dass ich es aus Gründen der Normenbestimmtheit und Normenklarheit für vorzugswürdig hielte, im Gesetz selbst klarzustellen, dass die in der ergänzenden Rechtsverordnung festgelegten Fristen nicht lediglich Mindest- sondern Höchstfristen sind. Außerdem habe ich angeregt, dass in das Gesetz zur Aktenaufbewahrung die Verpflichtung zur Aufnahme von zusätzlichen Prüffristen, unabhängig von bereits bestehenden bundesgesetzlichen Prüffristen, soweit aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten, aufgenommen wird. Darüber hinaus halte ich eine Überprüfung der vorgesehenen Aufbewahrungsfristen im Hinblick auf den Erforderlichkeitsgrundsatz mit dem Ziel einer Verkürzung für notwendig.

Das Staatsministerium hat meinen Vorschlägen leider nicht Rechnung getragen.

6.1.9. Bundesratsinitiative Bayerns zur Stärkung der Aussagekraft von Führungszeugnissen

Bayern hat am 15.02.2008 im Bundesrat eine Initiative eingebracht, um Kinder und Jugendliche durch aussagekräftigere Führungszeugnisse besser vor Sexualstraftätern zu schützen. Danach sollen Verurteilungen wegen des Erwerbs oder des Besitzes kinderpornografischer Schriften, wegen Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht oder wegen der Misshandlung von Schutzbefohlenen künftig unabhängig von der Strafe zwingend in das Führungszeugnis aufgenommen werden.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass ein privater Arbeitgeber in einem von dem Betroffenen vorzulegenden Führungszeugnis bzw. ein öffentlicher Arbeitgeber im Rahmen eines Behördenführungszeugnisses von derartigen Verurteilungen Kenntnis erlangen müsse, um etwaige Gefährdungen von Personen im beruflichen Umfeld des Betroffenen vermeiden zu können. Bislang können allein die obersten Landesbehörden, z.B. die Kultusministerien, bei der Entscheidung über die Einstellung aufgrund einer unbeschränkten Auskunft nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) auch solche Verurteilungen berücksichtigen.

Ich habe gegenüber dem Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Initiative geäußert. Durch eine solche gesetzliche Regelung würde der Resozialisierungsgedanke des BZRG stark aufgeweicht. Es wären immer mehr Straftaten auch unterhalb einer besonderen Erheblichkeitsschwelle in ein Führungszeugnis einzutragen. Ich habe insoweit erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit einer solchen Regelung und der Vereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Resozialisierung. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nicht bei jeder Art von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Bedeutung zukommt, sondern lediglich dann, wenn ein Bezug zur konkreten Tätigkeit gegeben ist. Bei allen Änderungen des BZRG ist ein gerechter Ausgleich zu schaffen zwischen der Schutzfunktion des Registers einerseits und dem Ziel der Resozialisierung der Straffälligen andererseits. Ich halte daher eine Regelung für ein sog. erweitertes Führungszeugnis für besondere Berufsgruppen für vorzugswürdig. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der in diese Richtung geht.

6.1.10. Unterstützungspflicht öffentlicher Stellen

Nach dem Bayerischen Datenschutzgesetz sind mir alle zur Erfüllung meiner Aufgaben notwendigen Auskünfte zu geben und auf Anforderung alle Unterlagen über die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zur Einsicht vorzulegen. Die Staatskanzlei und die Staatsministerien haben mich außerdem rechtzeitig über Entwürfe von Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Freistaates Bayern sowie über Planungen bedeutender Automationsvorhaben, sofern sie die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten betreffen, zu unterrichten.

Dieser gesetzlichen Regelung trägt auch die Geschäftsordnung der Bayerischen Staatsregierung Rechnung: Bevor ein Staatsministerium der Staatsregierung eine Vorlage zur Beschlussfassung unterbreitet, gibt es der Staatskanzlei und den Staatsministerien Gelegenheit, hierzu innerhalb einer angemessenen Frist Stellung zu nehmen. Ausnahmen sind nur bei besonderer Dringlichkeit zulässig. Dies gilt entsprechend für die Beteiligung des Landesbeauftragten für den Datenschutz.

Im Berichtszeitraum gab es bedauerlicherweise Vorgänge, bei denen ich mir eine - rechtzeitige - Beteiligung meiner Behörde gewünscht hätte oder eine zureichende Stellungnahme auf meine Anfragen unterblieben ist. Dies gilt beispielsweise für die Bundesratsinitiativen Bayerns zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (siehe auch Nr. 6.1.9) und zur Ergänzung der Strafprozessordnung um eine Rechtsgrundlage für die sog. heimliche Online-Durchsuchung (siehe auch Nr. 6.1.2), von der ich erstmals durch die Presse Kenntnis erlangt habe. Anlässlich einer datenschutzrechtlichen Prüfung, die ich bei einer Staatsanwaltschaft durchgeführt habe, musste ich trotz wiederholter Erinnerungen fast ein Jahr auf eine Antwort zu meinem Prüfbericht warten. Erst nach Einschaltung des Amtschefs des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz ist eine Stellungnahme erfolgt. Eine Antwort des Staatsministeriums auf meine Stellungnahme zu einem automatisierten Vorgangsverwaltungsverfahren bei den Gerichten hat immerhin 13 Monate gedauert.

Die Erfüllung meiner Aufgaben ist mir aber nur dann möglich, wenn mich die öffentlichen Stellen den Vorgaben des Bayerischen Datenschutzgesetzes entsprechend unterstützen.

6.2. Gerichtlicher Bereich

6.2.1. Wohnungsdurchsuchungen bei Gefahr im Verzug - richterlicher Bereitschaftsdienst

Das Bundesverfassungsgericht hat in den letzten Jahren in mehreren Entscheidungen die Voraussetzungen und Grenzen einer auf Gefahr im Verzug gestützten Durchsuchungsmaßnahme aufgezeigt (siehe auch Nr. 6.3.6 und 21. Tätigkeitsbericht, Nr. 9.3.3). Dabei hat es insbesondere betont, dass die Wahrung der Regelzuständigkeit des Richters sicherzustellen sei. Die Bedeutung und Tragweite der betroffenen Grundrechte der Unverletzlichkeit der Wohnung und der informationellen Selbstbestimmung verlangen grundsätzlich, dass bei Eingriffen in den Schutzbereich dieser Grundrechte der Richtervorbehalt zur Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass der persönlich und sachlich unabhängige, strikt dem Gesetz unterworfene Richter die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren könne (vgl. BVerfGE 103, 142, 151).

Die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung - aber auch jeder anderen Eingriffsmaßnahme, die der Gesetzgeber unter Richtervorbehalt gestellt hat - durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen muss daher der Ausnahmefall bleiben. In der Vergangenheit habe ich jedoch bei mehreren datenschutzrechtlichen Prüfungen festgestellt, dass in zahlreichen Fällen Eilanordnungen durch die Staatsanwaltschaft oder Polizei nicht damit begründet wurden, dass jede weitere zeitliche Verzögerung den Ermittlungserfolg behindert hätte, sondern mit der Unerreichbarkeit von Richtern außerhalb der üblichen Dienstzeiten.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 28.09.2006 (Az. 2 BvR 876/06) im Rahmen seiner Entscheidung über eine auf Gefahr im Verzug gestützte Wohnungsdurchsuchung in einer bayerischen Großstadt festgestellt, dass es von Verfassungs wegen zu beanstanden sei, wenn Gefahr im Verzug nur deshalb angenommen werde, weil in einer Stadt dieser Größe am frühen Abend gegen 18 Uhr ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss nicht mehr zu erwirken sei. Die Strafverfolgungsbehörden müssten regelmäßig versuchen, eine Anordnung des instanziell und funktionell zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Die Annahme von Gefahr im Verzug könne nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei in einer Großstadt gewöhnlicherweise am späten Nachmittag oder am frühen Abend nicht mehr zu erlangen. Damit korrespondiere die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes zu sichern. Bei Tage müsse die Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters uneingeschränkt gewährleistet sein. Deshalb verpflichte der Richtervorbehalt die Länder dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge zu tragen. Gleichzeitig müssten dem Richter die notwendigen Hilfsmittel für eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden.

Ich habe mich unter Hinweis auf die oben genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gewandt und darauf hingewiesen, dass die bestehende Bereitschaftsdienstregelung einer Überprüfung bedarf. Das Ministerium hat unter Beteiligung der gerichtlichen Praxis die Anordnung über den Bereitschaftsdienst bei Gerichten und Staatsanwaltschaften daraufhin dahingehend geändert, dass eine Erreichbarkeit bei den Amtsgerichten von 6 bis 21 Uhr zu gewährleisten ist. Regelungen für einen Bereitschaftsdienst während der Nachtzeit finden sich nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber in seinem Beschluss vom 04.02.2005 (Az. 2 BvR 308/04) auch ausgeführt, dass die Landesjustiz- und Gerichtsverwaltungen und die Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche Kontrolle der Wohnungsdurchsuchungen schaffen müssen. Dazu gehöre neben der Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage auch außerhalb der üblichen Dienststunden auch seine Erreichbarkeit während der Nachtzeit (§ 104 Abs. 3 StPO), jedenfalls bei einem praktischen, nicht auf Ausnahmefälle beschränkten Bedarf.

Ein Bedürfnis für eine generelle Ausweitung des Bereitschaftsdienstes, auch für die Nachtzeit, sieht das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nicht. Dies schließe nicht aus, dass - soweit nach den örtlichen Gegebenheiten hierfür Bedarf bestehe - die zuständigen Präsidien den Bereitschaftsdienst in zeitlicher Hinsicht über die bestehende Rahmenregelung hinaus ausdehnen. Ein solcher Bedarf wird offensichtlich derzeit nicht gesehen.

Ich habe mich deshalb an das Ministerium mit der Bitte gewandt, mir für meine datenschutzrechtliche Kontrolle die Erkenntnisse - insbesondere die sachlichen Grundlagen für die Bedarfsbeurteilung - mitzuteilen, die den Präsidien vor Ort vorliegen.

Eine Antwort steht noch aus.

6.2.2. Zuverlässigkeitsüberprüfung nach dem Rechtsberatungsgesetz

Aufgrund einer Eingabe war ich mit folgendem Sachverhalt befasst: Im Rahmen eines Erlaubnisverfahrens nach dem Rechtsberatungsgesetz (a.F.) sind Zuverlässigkeit, Eignung und Sachkunde des Antragstellers zu prüfen. Im konkreten Fall handelte es sich um die Frage, welche Anforderungen insoweit an die Zuverlässigkeit eines Rentenberaters zu stellen sind. Zu diesem Zweck wurde dem Petenten vom zuständigen Amtsgerichtspräsidenten ein Fragebogen zugesandt, mit dem eine Vielzahl von Daten erhoben wurde. Für die Fragen zum Beruf des Vaters, Alter des Ehegatten und Beruf der Kinder habe ich keine Erforderlichkeit gesehen. Die Frage "Besitzt Ihr Ehegatte Vermögen?" halte ich, abgesehen von der fehlenden Bestimmtheit, angesichts des damit verbundenen Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des am Verfahren unbeteiligten Ehegatten für höchst problematisch. Auch nach dem Bayerisches Datenschutzgesetz sind personenbezogene Daten, die nicht aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden, beim Betroffenen mit seiner Kenntnis zu erheben.

Dies habe ich dem zuständigen Präsidenten des Amtsgerichts sowie dem Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit der Aufforderung mitgeteilt, in zukünftigen Verfahren diese Daten zumindest nur mit Einwilligung des Ehegatten zu erheben oder gänzlich darauf zu verzichten. Der Fragebogen sollte entsprechend geändert werden.

Das Staatsministerium und der Präsident des betroffenen Amtsgerichts haben mir daraufhin mitgeteilt, dass die Abfrage des Berufs des Vaters, Alters des Ehegatten sowie Berufs der Kinder zukünftig unterbleiben werde, da insoweit ebenfalls keine Erforderlichkeit für die Datenerhebung gesehen werde. Die Erhebung der Vermögens- und Einkommenssituation des Ehegatten werde aber auch zukünftig erfolgen, da diese für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bei Tätigkeiten nach dem Rechtsberatungsgesetz sachlich erforderlich und der Ehegatte - dessen Einkommen erhoben werde - nur mittelbar betroffen sei.

Diese Argumentation überzeugt mich nicht. Ich habe daher das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und den zuständigen Amtsgerichtspräsidenten nochmals darauf hingewiesen, dass ich es nach wie vor für geboten halte, dass der jeweilige Ehepartner, dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse erhoben werden sollen, bei dieser Erhebung beteiligt wird. Dies kann dadurch geschehen, dass die Informationen zum Ehepartner mit einem gesonderten Blatt und Unterschriftenfeldern für beide Eheleute erhoben werden.

Sollte ich davon Kenntnis erlangen, dass der bisherige Fragebogen zukünftig weiter verwendet wird, werde ich eine förmliche Beanstandung prüfen.

6.2.3. Veröffentlichung von Gerichtsurteilen

Bei der Entscheidung über das Ob und Wie einer Veröffentlichung von Gerichtsurteilen ist das Persönlichkeitsrecht der Personen, deren Daten veröffentlicht werden sollen, mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen.

Gerade die Veröffentlichung von bedeutsamen Urteilen der Obergerichte dient der Information und Fortbildung der Rechtsöffentlichkeit und der einheitlichen Rechtsprechung und damit auch der Rechtsklarheit. Grundsätzlich ist deshalb ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung bedeutsamer Gerichtsurteile anzuerkennen. Andererseits wird durch eine Veröffentlichung erheblich in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen, wenn die Veröffentlichung personenbezogen erfolgt. Die Veröffentlichung von Gerichtsurteilen in nicht anonymisierter Form halte ich jedoch grundsätzlich nicht für erforderlich und damit auch nicht für zulässig. Der Zweck der Veröffentlichung kann auch durch anonymisierte Entscheidungen erreicht werden. Der mit einer Anonymisierung verbundene Aufwand ist als eher gering einzuschätzen. Die Namen von Prozessbeteiligten, Sachverständigen und Zeugen lassen sich ohne weiteres mit einer Suchroutine finden und ersetzen. Zu beachten ist jedoch, dass das bloße Weglassen des Namens für eine Anonymisierung oft nicht ausreichend ist, da auch andere Angaben ggf. im Zusammenwirken mit weiteren Informationen (z.B. Wohnort, Alter, Beruf, Arbeitsstelle, Staatsangehörigkeit oder familiäre Verhältnisse) geeignet sein können, die Identifizierung von Betroffenen - zumindest für einen bestimmten Personenkreis - zu ermöglichen. Zusätzliche Bedeutung kommt der Veröffentlichung einer Gerichtsentscheidung im Internet zu, da sie dort weltweit abrufbar ist. Der Verbreitungsgrad der Informationen wird hierdurch ganz erheblich gesteigert, die Gefahr einer Identifizierung der Betroffenen nimmt zu.

Im Berichtszeitraum habe ich aufgrund mehrerer Eingaben die Zulässigkeit von Veröffentlichungen von Gerichtsurteilen überprüft. In einem Fall waren in der veröffentlichten Gerichtsentscheidung umfangreiche Gesundheitsdaten enthalten. Diese Daten sind besonders sensibel und sind deshalb besonders zu schützen, so dass besonders hohe Anforderungen an eine ausreichende Anonymisierung zu stellen sind. In dem von mir überprüften Fall war eine Veröffentlichung dieser Daten vertretbar, da sie für das Verständnis der Entscheidung von Bedeutung waren und der Persönlichkeitsschutz des Betroffenen durch eine noch ausreichende Anonymisierung gewahrt war. Wäre ein solcher Schutz nicht möglich gewesen, hätte die Veröffentlichung dieser (bedeutsamen) Entscheidung in Frage gestellt werden müssen.

In einem anderen Fall hat das Gericht einer juristischen Fachzeitschrift, die unter Nennung des Namens der Parteien angefragt hatte, eine Urteilsabschrift übersandt, in der der Name der Parteien geschwärzt war. Aufgrund der Vorkenntnis des Adressaten war diesem - für das Gericht erkennbar - die Identität des Betroffenen trotz der Schwärzung bekannt.

Ich halte zwar die Übersendung einer anonymisierten Urteilsabschrift an die Presse auch in einem solchen Fall nicht grundsätzlich für ausgeschlossen. Notwendig ist aber ein besonders hohes schutzwürdiges Interesse der Öffentlichkeit an der Information durch die Gerichtsentscheidung, das das schutzwürdige Interesse des Betroffenen an der Nichtveröffentlichung überwiegt. Dabei ist auch darauf zu achten, dass die Übermittlung auf die für die Öffentlichkeit rechtlich bedeutsamen Ausführungen des Gerichts beschränkt wird, um überschießende Informationen zu vermeiden. So hätte im geprüften Fall das für die rechtliche Entscheidung nicht erhebliche Einkommen der Parteien geschwärzt werden müssen. Diese Angaben sind durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt, das die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen, also selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. auch BVerfGE 77, 121, 125). Die Übermittlung der Urteilsgründe ohne Schwärzung der Einkommensangaben war daher im vorliegenden Fall nicht zulässig, da überwiegend schutzwürdige Interessen entgegenstanden. Ich habe dies dem Präsidenten des betroffenen Gerichts mitgeteilt und ihn aufgefordert sicherzustellen, dass die datenschutzrechtlichen Anforderungen für den Umgang mit der Presse in Zukunft beachtet werden. Der Präsident hat mir daraufhin mitgeteilt, dass zukünftig in derartigen Fällen neben den Namen der Betroffenen auch weitere personenbezogene Angaben, die für das rechtliche Verständnis der Entscheidung nicht erforderlich sind, geschwärzt werden.

6.2.4. Automatisiertes Grundbuchabrufverfahren bei Notaren

In meinem 22. Tätigkeitsbericht (Nr. 6.2.1) hatte ich von meiner anlassunabhängigen Überprüfung der Rechtmäßigkeit von automatisierten Abrufen aus dem Grundbuch durch stichprobenartige Auswertung der Protokolldatei von zehn bayerischen öffentlichen Stellen berichtet.

In der Folge habe ich beim Präsidenten des Oberlandesgerichts München, Zentrale Grundbuchspeicherstelle für Bayern, um eine Auswertung der Protokolldateien nach aktuellen Abfragen durch bayerische Notare gebeten. Aus den mir übersandten Protokolldaten habe ich zehn bayerische Notare ausgewählt und diese um Mitteilung des Anlasses, des berechtigten Interesses im Sinne von § 12 Grundbuchordnung und eventueller weiterer Rechtsgrundlagen für die Datenabfragen gebeten.

Die Prüfung der Zulässigkeit der Abfragen durch die Notare hat zwar keine datenschutzrechtlichen Verstöße ergeben, in einzelnen Fällen hatten mir aber Notare unter Berufung auf ihre Verschwiegenheitspflicht eine detaillierte Auskunftserteilung zunächst verweigert.

Die Kontrollkompetenz des Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz besteht nach dem Bayerischen Datenschutzgesetz (BayDSG) aber auch für Notare. Als sog. Beliehene gehören auch die bayerischen Notare zu den Adressaten dieses Gesetzes. Der Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz unterliegen die Notare auch in Bezug auf Daten, die durch das bundesrechtlich geregelte Notargeheimnis besonders geschützt sind. In Art. 30 Abs. 2 Satz 1 BayDSG ist ausdrücklich festgelegt, dass sich die Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz auch auf personenbezogene Daten erstreckt, die einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegen, insbesondere dem Steuergeheimnis nach § 30 der Abgabenordnung. Notare haben deshalb dem Landesbeauftragten für den Datenschutz wie alle öffentlichen Stellen in der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen, ihm die notwendigen Auskünfte zu geben und auf Anforderung Unterlagen zu übersenden (Art. 32 BayDSG).

Dies ist sei langem mit dem Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und der Landesnotarkammer Bayern geklärt und konnte auch - nach entsprechenden Hinweisen - im Rahmen der Prüfung umgesetzt werden.

6.3. Strafverfolgung

6.3.1. Beteiligung von Sachverständigen an Strafermittlungen - Besorgnis der Befangenheit

Ein Petent hat sich an mich gewandt, weil eine Kriminalpolizeiinspektion eine private Gesellschaft im Rahmen eines gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens um Prüfung gebeten hatte, ob die auf seinem Computer gespeicherten Dateien einen strafrechtlich (urheberrechtlich) relevanten Inhalt haben. Dazu wurden die von der Polizei sichergestellten Computer unter Angabe der vollständigen Personalien des Petenten an die Gesellschaft übersandt. Eigentliche Aufgabe der Gesellschaft ist es, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten, die in den entsprechenden Ermittlungsverfahren als Geschädigte eines evtl. Verstoßes gegen das Urhebergesetz in Betracht kommen.

In der Bitte der Polizei um Auswertung der Computerspeicherungen im Hinblick auf strafrechtlich relevante Inhalte sehe ich einen Sachverständigenauftrag, da die erbetenen Feststellungen, Sachkunde im Umgang mit Computern voraussetzen. Die Person des Sachverständigen muss aber Gewähr dafür bieten, dass er geeignet ist, zur Verfügung steht und kein Ablehnungsgrund vorliegt. Die Übermittlung personenbezogener Daten an einen Sachverständigen, bei dem die Besorgnis der Befangenheit besteht, halte ich deshalb für unzulässig. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob der Sachverständige auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom Gericht tatsächlich abgelehnt wird.

Im konkreten Fall war aus meiner Sicht die Besorgnis der Befangenheit gegeben, da die mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragte Gesellschaft gleichzeitig die Interessen der potentiell Geschädigten vertrat. Die fehlende Neutralität der Gesellschaft zeigte sich gerade dadurch, dass sie in dem Schreiben, mit dem sie der auftraggebenden Polizeidienststelle das Ergebnis der Auswertung mitteilte, zugleich die Vertretung der Geschädigten anzeigte und in deren Namen Strafantrag gegen den Petenten stellte. Unabhängig davon war die Übermittlung der personenbezogenen Daten des Petenten für die ordnungsgemäße Erfüllung des Sachverständigenauftrags auch nicht erforderlich und damit unzulässig. Dies habe ich dem Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und der die Ermittlungen leitenden Staatsanwaltschaft mitgeteilt, und sie um künftige Beachtung in vergleichbaren Fällen gebeten.

Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat in einer Dienstbesprechung mit den Leitern der bayerischen Staatsanwaltschaften meine Bedenken gegen die Übermittlung personenbezogener Daten dargelegt und darauf hingewiesen, dass unabhängig von der Frage der Geeignetheit des beauftragten Gutachters die Akteneinsicht des Sachverständigen nach § 80 Abs. 2 StPO beschränkt werden könne und eine solche Beschränkung grundsätzlich in Betracht zu ziehen sei, soweit die Kenntnis personenbezogener Daten zur Erstellung des Gutachtens nicht erforderlich sei. Wenn zudem - wie in dem zugrunde liegenden Ermittlungsverfahren - eine private, nicht der Schweigepflicht unterliegende Interessenvertreterin um Sachverständigenauskunft gebeten werde, erscheine eine Übermittlung der Personalien des Beschuldigten nicht gerechtfertigt.

Außerdem hat das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die bayerischen Staatsanwaltschaften nach Erörterung dieser Thematik in einer Sitzung des Strafrechtsausschusses der Justizministerkonferenz insbesondere auf Folgendes hingewiesen:

  • Bei einer Beiziehung von Mitarbeitern einer privaten Gesellschaft mit besonderem Fachwissen zu Durchsuchungen sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders zu beachten. Unzulässig sei es, solchen Mitarbeitern eigenständige Ermittlungshandlungen zu übertragen.
  • Regelmäßig komme es nicht in Betracht, komplette Festplatten oder sonstige Datenträger, die auch nicht verfahrensrelevante Daten enthalten, der Gesellschaft zu übersenden.

Durch diese Hinweise wird das Bewusstsein der sachbearbeitenden Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für die Belange des Datenschutzes geschärft.

6.3.2. Anfragen der Staatsanwaltschaften bei Sozialbehörden

Im Rahmen einer Eingabe war ich mit einer Auskunftserteilung durch eine Sozialbehörde an die Staatsanwaltschaft befasst. Ein Petent hat mir mitgeteilt, dass die für ihn zuständige Gemeinde auf Anfrage einer Staatsanwaltschaft, bei der gegen ihn ein Vollstreckungsverfahren wegen der Einziehung angefallener Gerichtskosten anhängig war, die Auskunft gegeben habe, dass er weder durch das Amt für soziale Leistungen noch durch die Agentur für Arbeit Leistungsbezüge erhalten habe. Vorausgegangen war dieser Datenübermittlung ein Schriftwechsel der Staatsanwaltschaft mit dem Petenten. Dieser hatte der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass ihm das Arbeitslosengeld gestrichen worden sei. Der Aufforderung der Staatsanwaltschaft, die bezogene Arbeitslosenunterstützung durch die Übersendung eines entsprechenden Bescheides nachzureichen, war der Petent nicht nachgekommen. Daher hatte die Staatsanwaltschaft im Wege der Amtshilfe angefragt, ob und ggf. für welchen Zeitraum Unterstützung gewährt worden war.

Ich habe diese Anfrage überprüft und bin zu folgendem Ergebnis erlangt:

Mit der erbetenen Auskunft, dass kein Leistungsbezug erfolgt sei, werden Sozialdaten übermittelt. Diese sind besonders geschützt. Ihre Übermittlung ist - ohne Einwilligung des Betroffenen - nur zulässig, soweit eine gesetzliche Übermittlungsbefugnis nach den §§ 68 bis 77 SGB X oder nach einer anderen Rechtsvorschrift im Sozialgesetzbuch es erlauben oder anordnen. Für eine Datenübermittlung zur Vollstreckung von Gerichtskosten ist keine Rechtsgrundlage zu finden. Die Datenübermittlung war daher rechtswidrig. Die zuständige Stadt hat diese Auffassung geteilt. Sie sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass Auskünfte gegenüber der Staatsanwaltschaft in einem größeren Umfang zulässig seien und habe auf die Zulässigkeit der Anfrage einer Staatsanwaltschaft vertraut.

Ich habe daraufhin den Leiter der Staatsanwaltschaft auf die Unzulässigkeit der Datenerhebung hingewiesen und aufgefordert, die Mitarbeiter der Behörde entsprechend zu informieren, damit zukünftig solche auf staatsanwaltschaftlicher Anforderung beruhende rechtswidrigen Datenübermittlungen besonders geschützter Sozialdaten vermieden werden.

6.3.3. Gewährung von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft - Anhörung der Betroffenen

In seiner Entscheidung vom 26.10.2006 (Az. 2 BvR 67/06) hat das Bundesverfassungsgericht Stellung bezogen zur Frage des Umfangs der Erteilung von Auskünften aus Verfahrensakten und der Gewährung von Akteneinsicht an Privatpersonen oder sonstige Stellen (§ 475 StPO).

Es hat festgestellt, dass die auskunftserteilende oder akteneinsichtgewährende Stelle die schutzwürdigen Interessen solcher Personen, deren Daten auf diese Weise zugänglich gemacht werden, gegen das Informationsinteresse des Auskunft- oder Einsichtsbegehrenden abzuwägen und den Zugang zu den Daten ggf. angemessen zu beschränken hat. Werde durch die Gewährung der Akteneinsicht tief in Grundrechte Betroffener eingegriffen, so seien diese in der Regel zuvor anzuhören. Dies erfordere die Bedeutung und Reichweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen.

Nachdem nach meiner Kenntnis die Staatsanwaltschaften vor Gewährung von Akteneinsicht oder Erteilung von Auskünften aus Akten auch dann, wenn besonders sensible personenbezogene Daten übermittelt werden, bisher keine Anhörung der davon Betroffenen vorgesehen hatten, habe ich das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die dort dargelegten Grundsätze hingewiesen. Das Ministerium hat diese daraufhin zum Gegenstand einer Dienstbesprechung mit den Leitern der bayerischen Staatsanwaltschaften gemacht und mir zugesichert, dass im Falle eines Akteneinsichts- oder Auskunftsgesuchs, mit dem tiefgreifende Grundrechtseingriffe einhergehen, eine vorherige Anhörung des Betroffenen erfolgen werde. Die Einhaltung der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts werde ich überprüfen.

6.3.4. Kontenabfragen durch die Staatsanwaltschaften

Nach dem Gesetz über das Kreditwesen erteilt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auf Ersuchen Auskunft über Kontendaten an die für die Verfolgung und Ahndung von Straftaten zuständigen Behörden, soweit dies für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist (§ 24 c Abs. 3 Nr. 2 KWG). Die Abrufe aus der entsprechenden Datei werden protokolliert.

Ich habe mir zur datenschutzrechtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Auskunftsersuchen von der Bundesanstalt eine Übersicht der Gesamtzahl der Ersuchen der bayerischen Staatsanwaltschaften im Jahr 2005 erstellen lassen. Aus dieser Übersicht habe ich die Protokolldaten der Abrufe einer Staatsanwaltschaft in der Zeit vom 01.06. bis 31.12.2005 ausgewählt. Bei 18 bereits abgeschlossenen Verfahren habe ich eine datenschutzrechtliche Prüfung vor Ort durchgeführt. Die Prüfung hat gezeigt, dass bei bestimmten Deliktsarten, wie z.B. Betrug und Unterschlagung regelmäßig bereits nach Anzeigeerstattung eine Kontenabfrage erfolgt. Diese wurde in der Regel zu einem Zeitpunkt veranlasst, zu dem noch keine Beschuldigtenvernehmung oder weitere Ermittlungen stattgefunden hatten. Eine solche routinemäßige Kontenabfrage ohne ausreichende Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit entspricht nicht den gesetzlichen Voraussetzungen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 13.06.2007 zwar festgestellt, dass die Regelung zur Kontenabfrage den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Andererseits weist es aber auch ausdrücklich darauf hin, dass die Staatsanwaltschaften bei Anwendung dieser Norm Schranken unterworfen sind, die durch eine verfassungskonforme Auslegung der Norm und Anwendung der Verfahrensvorschriften zu wahren sind. Staatsanwaltschaften sollten deshalb grundsätzlich zunächst - auch unter Inkaufnahme gewisser zeitlicher Verzögerungen - über die Deliktsart hinaus ausreichende Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit einer Kontenabfrage ermitteln, bevor ein entsprechendes Ersuchen gestellt wird. Dies habe ich gegenüber dem Leiter der überprüften Staatsanwaltschaft sowie dem Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz deutlich gemacht.

6.3.5. Anordnung von Blutentnahmen bei Gefahr im Verzug

In seinem Beschluss vom 12.02.2007 (Az. 2 BvR 273/06) hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anordnung einer Blutentnahme nach § 81 a Strafprozessordnung (StPO) grundsätzlich dem Richter zustehe. Der Richtervorbehalt ziele auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung bestehe auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und nachrangig ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs müsse mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident sei. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs begründende einzelfallbezogene Tatsachen seien von den Staatsanwaltschaften in den Ermittlungsakten zu vermerken.

Ich habe das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz auf diese Entscheidung hingewiesen und nachgefragt, wie bei den bayerischen Staatsanwaltschaften regelmäßig verfahren werde, insbesondere, ob im Regelfall für Anordnungen von Blutentnahmen ein richterlicher Beschluss beantragt werde.

Das Staatsministerium hat sich in seiner Antwort auf den Standpunkt gestellt, dass bei Blutprobenentnahmen wegen Alkoholgenusses im Hinblick auf den schnellen Abbau des Alkohols immer Gefahr im Verzug bestehe, da eine richterliche Entscheidung nur mit Verzögerung und daher nicht rechtzeitig erreicht werden könne. Es drohe insoweit ein Beweismittelverlust. Typischerweise handele es sich bei den den Blutprobenentnahmen zugrundeliegenden Sachverhalten um Vergehen im Zusammenhang mit Trunkenheit im Straßenverkehr bzw. entsprechende Ordnungswidrigkeiten.

Diese Verfahrensweise wird m.E. den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht. Das Gesetz geht davon aus, dass der Regelfall die richterliche Anordnung ist (vgl. hierzu auch Nr. 3.2.1). Den Ausnahmefall bildet die Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft bzw. ihrer Ermittlungspersonen. Etwaige Beweisschwierigkeiten in Grenzfällen dürfen nicht dazu führen, dass die gesetzliche Vorgabe systematisch ignoriert wird. Ich meine vielmehr, dass insbesondere in Fällen, in denen aufgrund der Umstände - etwa des Ergebnisses der Atemalkoholmessung - eine klar über den Grenzwerten liegende Blutalkoholkonzentration zu erwarten ist, eine eventuelle Unschärfe des Ergebnisses durch Rückrechnung in Kauf genommen werden muss, um dem gesetzlich normierten und grundgesetzlich gebotenen Richtervorbehalt - etwa durch den Versuch, eine mündliche Entscheidung des Richters einzuholen - Rechnung zu tragen.

Mein Schriftwechsel mit dem Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz dauert noch an.

6.3.6. Dokumentationspflicht bei Gefahr im Verzug

Wie ich bereits in meinem 21. Tätigkeitsbericht (Nr. 9.3.3) aufgezeigt habe, hat das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 2001 klargestellt, dass die staatsanwaltschaftliche Eilanordnung von Wohnungsdurchsuchungen der Ausnahmefall sein muss (siehe auch Nr. 6.2.1). Zur Wahrung der Grundrechte hat es deshalb u.a. gefordert, dass bei fehlender richterlicher Anordnung vor oder jedenfalls unmittelbar nach der Durchsuchung die Voraussetzungen der Maßnahme in der Ermittlungsakte dokumentiert werden, um eine spätere gerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Insbesondere muss dokumentiert werden, warum ein Aufschieben der Wohnungsdurchsuchung nicht möglich und ob versucht worden war, den zuständigen Ermittlungsrichter zu erreichen.

Die praktische Umsetzung dieser Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts habe ich erneut bei einer Staatsanwaltschaft geprüft. Dabei zeigte sich, dass das bei den bayerischen Staatsanwaltschaften in der Regel verwendete Formblatt für eine ordnungsgemäße Dokumentation der Voraussetzungen von "Gefahr im Verzug" und der Erforderlichkeit einer Wohnungsdurchsuchung grundsätzlich ausreicht. Ich habe aber angeregt, zusätzlich auch die Uhrzeit der Versuche, den zuständigen Richter telefonisch zu erreichen, zu vermerken, weil dies im Einzelfall für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme von Bedeutung sein kann. Der Leiter der von mir geprüften Staatsanwaltschaft hat dies zum Anlass genommen, seine Behördenleiterverfügung betreffend "Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug" dahingehend zu ergänzen. Alle Abteilungsleiter und Referenten hat er auf diese Änderung hingewiesen und um zukünftige Beachtung gebeten.

Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz habe ich aufgefordert, auch bei den übrigen bayerischen Staatsanwaltschaften auf eine entsprechende datenschutzfreundliche Verfahrensweise hinzuwirken.

6.3.7. Benachrichtigung bei Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung

Nach der Strafprozessordnung sind die von der Telekommunikationsüberwachung Betroffenen (Beteiligte des überwachten Fernmeldeverkehrs) grundsätzlich zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung hat zu erfolgen, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten geschehen kann. Diese Benachrichtigungspflicht besteht unabhängig vom Zeitpunkt der Anklageerhebung oder des rechtskräftigen Abschlusses des Verfahrens. Diese Verpflichtung wird häufig nicht oder nur unzureichend erfüllt. So wird im Gutachten des Max-Planck-Instituts über Rechtswirklichkeit und Effizienz der Telekommunikationsüberwachung festgestellt, dass in den überprüften Verfahren fast drei Viertel der betroffenen Anschlussinhaber nicht über die Maßnahme unterrichtet worden waren (siehe auch Nr. 9.3.6., 21. Tätigkeitsbericht).

Anlässlich der Prüfung einer Staatsanwaltschaft im Berichtszeitraum habe ich erneut festgestellt, dass der Pflicht zur Benachrichtigung des Beschuldigten und des Anschlussinhabers wie auch anderer Gesprächsteilnehmer wiederholt nicht nachgekommen wurde (siehe auch Nr. 7.2.4.3, 19. Tätigkeitsbericht). In vielen Fällen erfolgte die Benachrichtigung verspätet, erst nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens. Unzutreffend ist auch die Annahme, die bloße Gewährung von Akteneinsicht an einen Verteidiger sei für die Erfüllung der Benachrichtigungspflicht ausreichend. Dieser muss, wenn schon keine gesonderte Benachrichtigung erfolgt, wenigstens im Rahmen der Akteneinsicht ausdrücklich von der Staatsanwaltschaft auf die erfolgte Telekommunikationsüberwachung hingewiesen werden.

Ich habe den Leiter der Staatsanwaltschaft gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass zukünftig in seiner Behörde den gesetzlichen Benachrichtigungspflichten nachgekommen wird. Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz habe ich aufgefordert, auch bei den übrigen bayerischen Staatsanwaltschaften auf eine Beachtung dieser Grundsätze hinzuwirken.

Im Hinblick auf die Benachrichtigung von Verteidigern durch die Gewährung von Akteneinsicht habe ich erreicht, dass die Formblätter der Staatsanwaltschaften für die Gewährung von Akteneinsicht mit dem ergänzenden optional zu verwendenden ausdrücklichen Hinweis auf eine erfolgte Telekommunikationsüberwachung versehen werden.

6.3.8. Umfang der Akteneinsicht und Aktenführung bei besonders sensiblen Daten

Da die Frage der Akteneinsichtsgewährung nicht immer für die Gesamtheit der Verfahrensakten einheitlich beantwortet werden kann, regelt Nr. 186 Abs. 2 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV), dass Aktenteile, die erkennbar sensible persönliche Informationen enthalten, gesondert geheftet und hinsichtlich der Einsichtsgewährung einer besonderen Prüfung unterzogen werden. Zu den gesondert zu heftenden Aktenteilen zählen regelmäßig medizinische und psychologische Gutachten sowie Berichte der Gerichts- und Bewährungshilfe sowie anderer sozialer Dienste und Niederschriften über besonders eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen, wie beispielsweise die Telekommunikationsüberwachung. Nr. 220 RiStBV sieht ergänzend vor, dass Lichtbilder von Verletzten, die sie ganz oder teilweise unbekleidet zeigen, in einem verschlossenen Umschlag oder gesondert geheftet zu den Akten zu nehmen sind und bei der Gewährung von Akteneinsicht - soweit sie nicht für die verletzte Person selbst erfolgt - vorübergehend aus den Akten zu entfernen sind. Der Verteidigung ist insoweit Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle zu gewähren.

Ich habe die Einhaltung dieser Grundsätze, die bei derart sensiblen Daten wegen der besonderen Schwere des Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht verfassungsrechtlich geboten sind, bei einer Staatsanwaltschaft überprüft. Dort habe ich festgestellt, dass in vielen Fällen sensible Aktenteile nicht in Sonderheften verwahrt waren. Zum Teil waren Aktenteile lediglich durch ein Trennblatt gesondert innerhalb der Akte geführt. Die bloße Trennung eines medizinischen Gutachtens vom restlichen Aktenteil durch ein Einlageblatt wird aber dem angestrebten Persönlichkeitsschutz nicht gerecht. Es soll verhindert werden, dass Dritte in sensible Aktenteile Einsicht erlangen, obwohl überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen entgegenstehen. Die Unterteilung einer umfangreichen Ermittlungsakte allein durch Trennblätter dient vielleicht der Übersichtlichkeit der Akte, ist aber nicht geeignet, einen Aktenteil mit sensiblen Daten ausreichend zu schützen.

Erkennbar sensible Akteninhalte sind daher stets in entsprechenden Sonderheften aufzubewahren. Der Leiter der von mir geprüften Staatsanwaltschaft hat die Staatsanwälte seiner Behörde auf die Einhaltung dieser Vorschriften nochmals hingewiesen.

Ich habe das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz aufgefordert, auch bei den anderen bayerischen Staatsanwaltschaften auf die Einhaltung dieser Grundsätze hinzuwirken.

6.3.9. Abfragen aus der Zentralen Vollzugsdatei

Wie ich berichtet habe, ist die Zentrale Vollzugsdatei durch das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz freigegeben worden (vgl. 22. Tätigkeitsbericht, Nr. 6.4.1). Bedienstete von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten dürfen zur Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben auf die dort gespeicherten Informationen über Gefangene in den bayerischen Justizvollzugsanstalten zugreifen.

Die Möglichkeit und der Umfang des Zugriffs auf personenbezogene Daten wurden für die verschiedenen Benutzergruppen unter Berücksichtigung der jeweiligen Dienstaufgaben unterschiedlich geregelt. Die zum Abruf berechtigten Bediensteten werden nach Mitteilung des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Abruf von Daten nur für die im Bayerischen Strafvollzugsgesetz genannten Zwecke zulässig ist, die Zugangsdaten vertraulich zu behandeln sind und im Falle eines möglichen Missbrauchs der zum Zugang berechtigenden Daten die Gemeinsame IT-Stelle der bayerischen Justiz unverzüglich und unmittelbar zu informieren ist, damit die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden können. Darüber hinaus wird jeder Zugriff auf die Zentrale Vollzugsdatei unter Angabe von Zeitpunkt, Buchnummer des Gefangenen, Benutzerkennung und Aktenzeichen protokolliert. Jeder Nutzer wird aufgefordert, bei dem Zugriff ein Aktenzeichen anzugeben, auf das sich der Zugriff bezieht.

Ich habe die Gemeinsame IT-Stelle der bayerischen Justiz beim Oberlandesgericht München gebeten, mir zum Zweck einer anlassunabhängigen Prüfung von Zugriffen auf die Zentrale Vollzugsdatei Bayern die Protokolldaten zu den letzten 100 Anfragen der bayerischen Staatsanwaltschaften und Justizvollzugsanstalten zu überlassen. Die Auswertung der Protokolllisten hat ergeben, dass die Eingabe des Aktenzeichens nicht immer ordnungsgemäß erfolgt, so dass nicht in allen Fällen der Abfragegrund festgestellt werden konnte.

Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat deshalb die Leiterinnen und Leiter der Justizvollzugsanstalten dringend angehalten, bei Anfragen an die Zentrale Vollzugsdatei das vollständige der Anfrage zugrunde liegende Aktenzeichen anzugeben. In Fällen, in denen kein Aktenzeichen vorliegt (z.B. Vorbereitung einer beabsichtigten Verlegung), soll zur Nachprüfbarkeit ein aussagekräftiger und nachprüfbarer Vermerk - z.B. "Sicherheitsverlegung geplant" - angebracht werden. Aus dem Bereich der Gerichte und Staatsanwaltschaften wurden die zugriffsberechtigten Anwender ebenfalls sensibilisiert.

Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat außerdem angekündigt, dass es selbst Stichproben veranlassen und überprüfen werde, ob die Hinweise Beachtung gefunden haben.

6.3.10. Datenübermittlung an die Presse

Über die Neufassung der Richtlinie für die Zusammenarbeit der bayerischen Justiz mit der Presse habe ich bereits in meinem 19. Tätigkeitsbericht (Nr. 7.3.3) berichtet. Dort ist zur Datenübermittlung in Strafsachen ausgeführt, dass personenbezogene Daten an die Presse nur dann weiter gegeben werden dürfen, wenn die Beteiligten eingewilligt haben oder das Verfahren gerade im Hinblick auf die Person des Betroffenen oder die besonderen Umstände der Tat für die Öffentlichkeit von überwiegendem Interesse ist.

Ich habe im Berichtszeitraum die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften mit der Presse durch Auswertung der Presseberichterstattung beobachtet. Dabei habe ich mehrere Presseveröffentlichungen zum Anlass genommen, die Leiter der Staatsanwaltschaften auf die folgenden zu beachtenden datenschutzrechtlichen Grundsätze hinzuweisen:

  • Bei der Entscheidung, ob und in welchem Umfang personenbezogene Daten an die Presse übermittelt werden, sind die schutzwürdigen Belange der Betroffenen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung gegen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen. Zwar ist durch Art. 4 Bayerisches Pressegesetz (BayPrG) das Auskunftsrecht der Presse gegenüber Behörden festgelegt. Dieses Recht ist Ausfluss der Pressefreiheit, die durch Art. 5 Grundgesetz geschützt ist und den Staat verpflichtet, die ungehinderte Betätigung der Presseangehörigen von der Beschaffung der Informationen bis zur Verbreitung der Nachrichten zu ermöglichen. Art. 4 BayPrG stellt aber keine hinreichend normenklare bereichsspezifische Regelung für die Übermittlung personenbezogener Daten dar. Diese richtet sich, sofern keine spezialgesetzliche Regelung existiert, nach Art. 19 Bayerisches Datenschutzgesetz. Dort ist die materiell-rechtliche Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten an private Dritte festgelegt. Danach ist die Übermittlung personenbezogener Daten an nicht-öffentliche Stellen zulässig, wenn die nicht-öffentliche Stelle ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis der zu übermittelnden Daten glaubhaft darlegt und der Betroffene kein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung hat. Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Datenübermittlung trägt die übermittelnde Stelle. In welcher Form, mit welchem Inhalt und zu welchem Zeitpunkt die Behörde dem Auskunftsersuchen der Presse nachkommt, unterliegt jedoch keinen starren Regeln, sondern bestimmt sich nach den Anforderungen, die für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Presse, den Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen und einer effektiven staatlichen Aufgabenerfüllung im Einzelfall notwendig sind.
  • Die Gefahr eines Rückschlusses auf die Person eines Betroffenen für einen - mit Zusatzwissen ausgestatteten - Personenkreis (z.B. Personen des sozialen Umfelds) ist zu berücksichtigen.
  • Auch die (amtliche) Bestätigung personenbezogener Informationen gegenüber der Presse auf Nachfrage stellt eine Datenübermittlung an private Dritte dar. Durch eine solche Bestätigung der Staatsanwaltschaft verdichtet sich der Wahrheitsgehalt der Informationen, auch wenn sie bereits in der Öffentlichkeit bekannt sind. Auf solche Bestätigungen sind daher die Maßstäbe, die in der Richtlinie für die Zusammenarbeit der bayerischen Justiz mit der Presse aufgeführt sind, anzuwenden.

In einem Fall hatte sich die Staatsanwaltschaft zu internen Zwischenergebnissen eines laufenden Ermittlungsverfahrens gegenüber der Presse geäußert, obwohl, wie die Staatsanwaltschaft wusste, der Presse die Person des Beschuldigten aufgrund seiner eindeutigen Berufsbezeichnung bereits bekannt war. Eine solche Äußerung halte ich im Hinblick auf die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention) grundsätzlich für bedenklich. Die Unschuldsvermutung gebietet Zurückhaltung bei behördlicher Publikation einer strafrechtlichen Beschuldigung. Ich habe den Leiter der Staatsanwaltschaft gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass bei zukünftigen Presseauskünften die dargestellten Grundsätze berücksichtigt und die Mitarbeiter entsprechend sensibilisiert werden.

6.4. Justizvollzug

6.4.1. Verwaltungsvorschriften zum Bayerischen Strafvollzugsgesetz

Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat, da mit der Föderalismusreform I die Regelungskompetenz für den Strafvollzug auf die Bundesländer übergegangen ist, auch Verwaltungsvorschriften zum Bayerischen Strafvollzugsgesetz erlassen. Folgende datenschutzrechtliche Forderungen wurden dabei berücksichtigt:

  • Beim Aufnahmeverfahren darf nur mit Einverständnis des Gefangenen ausnahmsweise die Hilfe eines sorgfältig ausgewählten Mitgefangenen in Anspruch genommen werden.
  • Bei Überstellungen in eine andere Justizvollzugsanstalt darf nur in besonderen Fällen ein Begleitbericht beigefügt werden. Besondere Fälle liegen vor, wenn allein aufgrund eines besonderen Vermerks auf dem Transportschein eine sachgerechte Unterbringung oder Behandlung des Gefangenen in der aufnehmenden Anstalt nicht gewährleistet ist. Der Begleitbericht ist zum Schutz sensibler Daten in einem verschlossenen Umschlag mitzugeben.
  • Für besondere Sicherungsmaßnahmen (z.B. ständige Beobachtung, Fesselung), deren Notwendigkeit und Umfang in angemessenen Abständen zu überprüfen ist, sind neben dem Ergebnis der Überprüfung auch die Gründe für die erstmalige Anordnung der Sicherungsmaßnahme zu dokumentieren.
  • Bei Besuchen und Besichtigungen der Justizvollzugsanstalt durch anstaltsfremde Personen, Vertreter von Publikationsorganen sowie Film- und Fernsehteams ist das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Gefangenen zu wahren. Eine Besichtigung des Haftraums gegen den Willen des Gefangenen unterbleibt.

Eine ausreichende Klarstellung des Umfangs der ärztlichen Schweigepflicht bei Geheimnissen, die dem Arzt im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge bekannt wurden, ist trotz meiner Forderung nicht erfolgt.

6.4.2. Videoüberwachung des Besucherverkehrs

Art. 30 BayStVollzG sieht vor, dass Besuche aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt überwacht werden dürfen, es sei denn, es liegen im Einzelfall Erkenntnisse dafür vor, dass es der Überwachung nicht bedarf. Die Überwachung und Aufzeichnung mit technischen Mitteln ist zulässig, wenn die Besucher und die Gefangenen vor dem Besuch darauf hingewiesen werden.

Anlässlich der Prüfung einer Justizvollzugsanstalt habe ich festgestellt, dass in den Warteräumen für die Besucher auf die Videoüberwachung schriftlich mittels eines Papierschilds in deutscher Sprache hingewiesen wird. Ich halte dies nicht für ausreichend, da auch Personen, die nicht des Lesens oder der deutschen Sprache mächtig sind, Besucher einer Justizvollzugsanstalt sein können. Deshalb sind Hinweisschilder mit einem Piktogramm in ausreichender Größe und Zahl an geeigneten Stellen anzubringen. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt hat noch am Tag der Prüfung solche Hinweisschilder in Auftrag gegeben. Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat mir zwischenzeitlich mitgeteilt, dass dies für alle bayerischen Justizvollzugsanstalten veranlasst wurde.

Die Videobänder mit den Aufzeichnungen der Besuchsüberwachung sind nach Art. 30 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG spätestens mit Ablauf eines Monats zu löschen. Diese Frist ist eine Höchstfrist, so dass eine Aufbewahrung nur solange zulässig ist, wie sie auch erforderlich ist. Die Bänder sind deshalb - auch vor Ablauf der Monatsfrist - zu löschen, sobald sie zum Zwecke der Besuchsüberwachung nicht mehr benötigt werden. Eine regelmäßige Ausschöpfung der gesetzlichen Höchstfrist in bayerischen Justizvollzugsanstalten ist damit nicht vereinbar. Eine Justizvollzugsanstalt hat auf meinen Hinweis hin eine generelle Speicherungsdauer von 16 Tagen für ausreichend erachtet.

6.4.3. Überwachung von Telefonaten

Gefangenen kann in dringenden Fällen gestattet werden, Ferngespräche zu führen (Art. 35 Abs. 1 BayStVollzG). Die Genehmigung von Telefonaten stellt eine Ermessensentscheidung der Justizvollzugsanstalt dar. Sie dürfen aus Gründen der Behandlung oder der Sicherheit oder Ordnung in der Anstalt überwacht werden, es sei denn, es liegen im Einzelfall Erkenntnisse dafür vor, dass es der Überwachung nicht bedarf.

Anlässlich einer Überprüfung einer Justizvollzugsanstalt hat mir deren Leiter mitgeteilt, dass die Entscheidung über Anträge auf Telefonate den Abteilungsleitern übertragen ist. Den Entscheidungen lägen Einzelfallprüfungen zugrunde, bei denen auch die Frage der Notwendigkeit einer Gesprächsüberwachung geprüft werde. Falls aus Sicht der Anstalt erforderlich, würden - nach entsprechender vorheriger Mitteilung an den Gesprächsteilnehmer - auch Gespräche mit Verteidigern überwacht. Ich habe darauf hingewiesen, dass jedenfalls Gespräche von Gefangenen mit den Verteidigern - auch mit Einwilligung der Betroffenen - nicht überwacht werden dürfen. Dies ergibt sich - abgesehen von Zweifeln an der Freiwilligkeit der Einwilligung - aus der eindeutigen Regelung des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes (Art. 30 Abs. 5 i.V.m. Art. 35 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG).

6.4.4. Anfertigung von Briefkopien - Unterrichtung des betroffenen Gefangenen

Im Rahmen einer Eingabe hatte ich die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für die Anfertigung einer Kopie eines an einen Gefangenen gerichteten Briefs und deren Beinahme zu der Gefangenenpersonalakte durch eine Justizvollzugsanstalt zu prüfen.

Das Anhalten eines Briefes in einer Justizvollzugsanstalt ist unter den Voraussetzungen des Art. 34 BayStVollzG grundsätzlich zulässig. Die Anhaltung ist dem Gefangenen mitzuteilen (Art. 34 Abs. 3 BayStVollzG). Entsprechendes muss gelten, wenn ein Brief zuvor nicht im Original angehalten, aber kopiert und die Kopie zur Akte des Gefangenen genommen wird. Eine Pflicht zur Unterrichtung des Gefangenen und bei eingehenden Briefen auch des Absenders ergibt sich aus Art. 196 Abs. 4 Satz 1 BayStVollzG. Dort ist geregelt, dass die Betroffenen über eine ohne ihre Kenntnis vorgenommene Erhebung personenbezogener Daten unterrichtet werden, wenn dadurch nicht die Erfüllung der Aufgaben der Justizvollzugsanstalt gefährdet wird. Dabei ist in jedem Einzelfall das Grundrecht des Briefgeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG gegen die von der Justizvollzugsanstalt wahrzunehmenden Aufgaben abzuwägen.

Dies habe ich der Justizvollzugsanstalt mitgeteilt. Sie hat mir daraufhin zugesichert, dass zukünftig bei der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Informationen aus dem Schriftwechsel der Gefangenen entsprechend verfahren wird. Der besonderen Vertraulichkeit und Schutzbedürftigkeit brieflicher Außenkontakte werde Rechnung getragen. Sofern Kopien von Schreiben gefertigt und zu den Akten genommen würden, würden die Betroffenen hierüber informiert werden.

6.4.5. Notwendigkeit einer förmlichen Verpflichtung ehrenamtlicher Mitarbeiter

Im Rahmen mehrerer Prüfungen bei bayerischen Justizvollzugsanstalten habe ich festgestellt, dass dort in zahlreichen Fällen ehrenamtliche Mitarbeiter für die Einzelbetreuung von Gefangenen, Gruppenarbeit, Hilfe für Familienangehörige u.a. eingesetzt werden. Bei Aufnahme ihrer Tätigkeit werden diese durch die Leiter der jeweiligen Justizvollzugsanstalten regelmäßig zwar über ihre Aufgaben und Pflichten, die einschlägigen Vollzugsvorschriften und Strafvorschriften zum Schutz der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt belehrt. Eine förmliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit i.S.v. § 1 Verpflichtungsgesetz erfolgt jedoch nicht.

Ich halte dieses Verfahren aus datenschutzrechtlicher Sicht für unzureichend. Eine förmliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit von anstaltsfremden Personen, die durch ihre Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt personenbezogene Daten von Gefangenen zur Kenntnis nehmen, ist dringend notwendig. Nur durch eine solche Verpflichtung ist der Schutz der Vertraulichkeit durch die bei Bruch der Verschwiegenheitspflicht bestehende Strafbarkeit nach § 203 StGB in ausreichendem Maß gewährleistet. Dies gilt auch für den Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter.

Das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz lehnt eine solche förmliche Verpflichtung von ehrenamtlichen Mitarbeitern ab, weil diese aus eigenem Antrieb eine humanitäre Aufgabe mit Einwilligung der Gefangenen erfüllten. Eine förmliche Verpflichtung könnte als Ausdruck ungerechtfertigten Misstrauens gegenüber der persönlichen Integrität des Betroffenen verstanden werden.

Diese Auffassung halte ich nicht für zutreffend. Der Gesetzgeber hat das Instrument der förmlichen Verpflichtung gerade gewählt, um die Geheimhaltung der Daten durch die Strafandrohung sicherzustellen. Im Bereich des öffentlichen Dienstes ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Personen, die nicht Amtsträger sind, aber Zugriff auf sensible personenbezogene Daten haben, zuvor förmlich zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. Dies ist nicht ehrenrührig, sondern aus datenschutzrechtlicher Sicht geboten.