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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 29.02.2024

Aktuelle Kurz-Information 54: Kommunale Willensbildung in Livestream und Mediathek

Stichwörter: Bürgerversammlung, Livestream - Echtzeitübertragung, Bürgerversammlung - Echtzeitübertragung, kommunale Gremiensitzungen - Gemeinderat, Livestream - Gemeinderat, Mediathek - Livestream, Bürgerversammlung - Kameras in der Bürgerversammlung - Kameras im Gemeinderat - Livestream, kommunale Gremiensitzungen - Mediathek, kommunale Gremiensitzungen | Stand: 1. März 2024

Was sind die Kernaussagen dieser Aktuellen Kurz-Information?

  • Der bayerische Gesetzgeber hat die Möglichkeit des Livestreams von Bürgerversammlungen in den Gemeinden eröffnet; auch öffentliche Gremiensitzungen auf den drei kommunalen Ebenen können grundsätzlich in Echtzeit übertragen oder - zeitlich begrenzt - in einer Mediathek bereitgestellt werden.
  • Für Kommunen, die von diesen neuen Optionen Gebrauch machen möchten, gilt: Nicht alles geht, und nicht alle Vorgaben stehen in Gemeindeordnung, Landkreisordnung oder Bezirksordnung.

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Die Sitzungen der Selbstverwaltungsgremien in den Kommunen (Gemeinde-, Marktgemeinde- oder Stadtrat, Kreistag und Bezirkstag) sind im Grundsatz öffentlich. Gleichwohl bleiben die Plätze der Bürgerinnen und Bürger in den Sitzungssälen nicht selten gänzlich leer. Manch eine, manch einer scheut den Weg - gerade, wenn auf einer langen Tagesordnung nur wenige Punkte allgemeines Interesse finden. Schließlich kann man sich meist nicht "punktgenau" hinein- und hinausschleichen. Dass da ein elektronischer Zugang hilfreich wäre, weiß die Praxis schon länger. Der bayerische Gesetzgeber hat nun gehandelt und für die Sitzungen der kommunalen Hauptorgane den Livestream im Internet zugelassen - sogar mit der Option, aktuelle Aufzeichnungen zum "Nachschauen" und "Nachhören" bereitzuhalten. Auch für Bürgerversammlungen ist jetzt ein Livestream möglich. Die vorliegende Aktuelle Kurz-Information widmet sich zunächst letztgenannter Regelung (I.) und geht dann auf die Bestimmungen ein, die für die Selbstverwaltungsgremien gelten (II.). Sie gibt erste Antworten auf Fragen, die sich in der Praxis stellen werden.

I. Bürgerversammlung: Livestream

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Die Regelung zum Livestream - der "Echtzeitübertragung" - von Bürgerversammlungen findet sich in einem neu gefassten Art. 18 Abs. 4 Gemeindeordnung (GO). Sie ist am 1. Januar 2024 in Kraft getreten. In Art. 18 Abs. 4 GO heißt es nun:

1Die Bürgerversammlung findet in einem der Allgemeinheit zugänglichen Raum statt. 2Ergänzend kann die Gemeinde durch Satzung oder durch Beschluss des Gemeinderats eine Echtzeitübertragung der Bürgerversammlung in Ton und Bild über das Internet zulassen. 3Ein Redebeitrag einer teilnehmenden Person darf nur übertragen werden, wenn sie dafür eine Einwilligung erteilt hat. 4Kameras sind so einzurichten, dass nur die Versammlungsleitung sowie die redenden Personen erfasst werden. 5Die Gemeinde informiert bei der Einladung zur Bürgerversammlung sowie vor Beginn über eine Echtzeitübertragung nach Satz 2. 6Die Gemeinden können durch Satzung zulassen, dass Personen nicht persönlich anwesend sein müssen, um sich nach Abs. 3 zu beteiligen, sondern sich dazu auch über das Internet zuschalten können. 7In der Satzung ist das Nähere zu den Voraussetzungen und zur Ausübung des Äußerungs- und Stimmrechts durch die zugeschalteten Personen zu regeln.

1. Was ist neu?

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Mit dem neuen Art. 18 Abs. 4 GO ist den Gemeinden zum einen die Möglichkeit eröffnet, Bürgerversammlungen live im Internet zu übertragen (Sätze 2 bis 5); zum anderen können sie Bürgerversammlungen für eine Teilnahme über das Internet öffnen, mithin in einer hybriden Form abhalten (Sätze 6 bis 7).

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Ein Redebeitrag darf nur gestreamt werden, wenn die sprechende Person dafür eine Einwilligung erteilt hat; die Versammlungsleitung ist davon ausgenommen. Kameras dürfen die Versammlungsleitung und - falls sie eingewilligt haben - die sprechenden Personen erfassen. Übersichtsaufnahmen sind nicht zulässig; das bedeutet praktisch, dass der Saal bis auf das Rednerpult und den Platz der Versammlungsleitung grundsätzlich "kamerafrei" bleiben muss. Über die geplante Live-Übertragung muss frühzeitig informiert werden.

2. Was ist der Hintergrund dieser Regelung?

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Vielerorts bestand der Wunsch, Bürgerversammlungen für ein breiteres Publikum zu öffnen. Die Neuregelung schafft die dazu notwendigen rechtlichen Voraussetzungen: Werden im Rahmen einer Bürgerversammlung Bild- und Tonaufnahmen gefertigt und live ins Internet übertragen, verarbeitet die Gemeinde personenbezogene Daten. Dafür benötigt sie eine Rechtsgrundlage (vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 6 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO). Art. 18 Abs. 4 GO erfüllt nicht nur diese Anforderung; die Vorschrift legt zugleich einige "Standards" fest, die sich in der Praxis leicht umsetzen lassen und die Belastung der Datenschutzgrundrechte begrenzen; schließlich soll niemand durch "Scheu vor der Kamera" davon abgehalten werden, bei einer Bürgerversammlung zu sprechen. Art. 18 Abs. 4 GO nimmt auf Bürgerinnen und Bürger Rücksicht, die keine weltweite Sichtbarkeit wünschen.

3. Kann man jetzt sofort alles streamen?

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Nein. Zunächst muss die Gemeinde durch Satzung oder durch Beschluss des Gemeinderats die Live-Übertragung zulassen (Art. 18 Abs. 4 Satz 2 GO). Ist dies geschehen, muss sie die Bürgerversammlung so vorbereiten, dass sie den Vorgaben aus Art. 18 Abs. 4 GO sowie ergänzenden datenschutzrechtlichen Regelungen genügen kann.

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Hinweis: Da mit dem Livestream personenbezogene Daten verarbeitet werden, muss die Gemeinde auch der Rechenschaftspflicht (Art. 5 Abs. 2 DSGVO) nachkommen. Sie muss darlegen können, dass den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen genügt ist. Diese Verpflichtung muss ernst genommen werden: Legt eine betroffene Person Beschwerde bei der Datenschutz-Aufsichtsbehörde etwa mit dem Vorbringen ein, sie habe in eine Übertragung ihres Redebeitrags nicht eingewilligt, muss die Gemeinde die Einwilligung nachweisen können. Dies gilt auch dann, wenn die betroffene Person mit derselben Begründung einen Schadensersatzanspruch gegen die Gemeinde geltend macht.

4. Was ist vor der Bürgerversammlung noch zu tun?

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Mit der Einladung zur Bürgerversammlung sowie (nochmals) vor ihrem Beginn muss die Gemeinde über den geplanten Livestream informieren. Wie die Information zu erteilen ist, richtet sich nach Art. 13 DSGVO. Die Information muss wegen Art. 18 Abs. 4 Satz 5 GO zweimal "angeboten" werden. Bürgerinnen und Bürger müssen die Information nicht nachweisbar lesen und erst recht nicht quittieren.

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Beispiel: Die Gemeinde erstellt "Datenschutzhinweise für die Echtzeitübertragung bei Bürgerversammlungen", die sie als Merkblatt auf ihrer Homepage verlinkt sowie ausgedruckt im Rathaus bereithält. Den individuell verschickten Einladungen zur Bürgerversammlung ist das Merkblatt beigefügt, oder es findet sich im Einladungsschreiben ein Hinweis, wie das Merkblatt bezogen werden kann. Am Veranstaltungsort erhalten teilnehmende Bürgerinnen und Bürger "standardmäßig" das Merkblatt, bevor sie eine mögliche Einwilligung erteilen. Diese Maßnahmen dokumentiert die Gemeinde auch.

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Außerdem muss die Gemeinde den Veranstaltungsort so einrichten, dass sie ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen kann.

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Beispiel: Die Gemeinde nutzt für ihre Bürgerversammlungen die Aula einer Grundschule. Auf der Bühne werden ein Rednerpult sowie ein Tisch aufgebaut, an dem die erste Bürgermeisterin Platz nimmt. Allfällige Präsentationen werden mit einem Beamer auf eine große Leinwand geworfen. Eine Kamera erfasst das gesamte Ensemble (Rednerpult, Tisch und Leinwand), alternativ verwendet die Gemeinde für den Livestream getrennte Kameras für Rednerpult und Tisch; Präsentationen werden als Hintergrund eingespielt. In allen Fällen sprechen Bürgerinnen und Bürger, die nicht "livestreamwillig" sind, mittels eines gereichten Handmikrofons vom Platz aus. Für solche Beiträge wird der Livestream unterbrochen.

5. Was kann die Gemeinde selbst regeln? Wie greifen Art. 18 Abs. 4 GO und die örtlichen Vorgaben ineinander?

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Die Regelung in Art. 18 Abs. 4 Satz 2 bis 5 GO ist auf eine örtliche Ergänzung angelegt. Das kann in einer (Bürgerversammlungs-)Satzung oder durch Gemeinderatsbeschluss geschehen; auch Vorgaben im Rahmen einer Dienstanweisung des ersten Bürgermeisters kommen in Betracht. Die örtlichen Festlegungen müssen mit den gesetzlichen Vorgaben in Einklang stehen, diese gleichsam für die konkrete Durchführung von Bürgerversammlungen an einem konkreten Veranstaltungsort "ausbuchstabieren". Solche örtlichen Festlegungen werden oftmals zugleich technisch-organisatorische Maßnahmen sein, welche die Gemeinde als Verantwortliche zu treffen hat (vgl. Art. 24, Art. 32 DSGVO). Die Gemeinde kann etwa bestimmen,

  • dass ein Rednerpult verwendet und nur dieses gefilmt wird,
  • dass eine Einwilligung in die Echtzeitübertragung durch Nutzen des Rednerpultes erteilt und durch die Bitte, ein Handmikrofon zu erhalten, verweigert wird,
  • dass vor jedem Redebeitrag die Einwilligung in die Echtzeitübertragung abgefragt wird, wobei dieser Dialog nicht übertragen wird,
  • dass schon bei der Einlasskontrolle Einwilligungen in die Echtzeitübertragung abgefragt und schriftlich dokumentiert werden,
  • wie vorzugehen ist, wenn jemand (nur) in eine Bild-, nicht jedoch in eine Tonübertragung eingewilligt hat,
  • wie die Kameras positioniert werden und wie ihr Erfassungsbereich eingerichtet und kenntlich gemacht wird.

6. Wie funktioniert das mit der Einwilligung in der Praxis?

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Eine Einwilligung kann grundsätzlich schlüssig erteilt werden. Daher ist eine (unkomplizierte) Gestaltung möglich: Redewillige Bürgerinnen und Bürger erteilen eine Einwilligung "zu Fuß", indem sie den Weg zum Rednerpult nehmen (mit Livestream). Sie verweigern die Einwilligung, indem sie vom Platz aus sprechen (ohne Livestream, siehe Frage 5).

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Ein rechtliches Problem entsteht allerdings, wenn eine Bürgerin oder ein Bürger - gezielt oder schlicht vom bürgerschaftlichen Engagement "davongetragen" - eigene personenbezogene Daten "loslässt", die unter das Verarbeitungsverbot des Art. 9 Abs. 1 DSGVO fallen (das sind zum Beispiel Informationen über die Religions- oder Gewerkschaftszugehörigkeit). Der Bürgerin oder dem Bürger ist eine solche Äußerung unbenommen; allerdings darf die Gemeinde solche Daten wegen Art. 9 Abs. 2 Buchst. a DSGVO nicht auf Grund einer schlüssig erteilten Einwilligung verarbeiten (also auch nicht streamen). Werden Einwilligungen - wie in Rn. 13 dargestellt - schlüssig erteilt, sollte die Gemeinde in ihren Datenschutzhinweisen für die Echtzeitübertragung klar darauf aufmerksam machen, dass vom Platz aus (also ohne Livestream) zu sprechen ist, wenn eigene Daten der in Art. 9 Abs. 1 DSGVO genannten Kategorien zur Sprache kommen sollen. Zu einer vorsorglichen Einholung schriftlicher Einwilligungen kann nicht geraten werden; die Wirksamkeit wäre zweifelhaft, wenn im Zeitpunkt der Einwilligung noch gar nicht feststeht, um welche Art. 9 DSGVO-Daten es (vielleicht) gehen könnte. Auch ein zeitlich versetzter, nachbearbeiteter Stream ist keine Alternative; zum einen wäre ein solcher "Lightstream" weniger authentisch, zum anderen auch keine "Echtzeitübertragung" (wie von Art. 18 Abs. 4 Satz 2 GO gefordert).

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Die Einwilligung muss alle gesetzlichen Anforderungen erfüllen, um wirksam zu sein. Insbesondere muss sie freiwillig erteilt sein. Die an der Versammlung teilnehmenden Personen müssen umfassend über den geplanten Livestream informiert werden. Personen, die einen Redebeitrag vortragen wollen, sollten durch die Information erfahren, dass eine Übertragung ihres Wortbeitrages im Livestream von ihrer freien Entscheidung abhängt und sie ihre kommunalrechtliche Mitwirkungsberechtigung (vgl. Art. 18 Abs. 3 Satz 1 GO) ohne nachteilige Folgen auch "ungestreamt" wahrnehmen können. Das Angebot "Redebeitrag ungestreamt" muss eingeplant und in der Veranstaltung unkompliziert verfügbar sein.

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Von der Versammlungsleitung ist keine Einwilligung einzuholen, weil sie in der Bürgerversammlung Repräsentantin oder Repräsentant des Verantwortlichen ist und auch in dieser Rolle handelt. Jedenfalls in kreisangehörigen Gemeinden wird in aller Regel die erste Bürgermeisterin oder der erste Bürgermeister, ihre oder seine Verhinderungsvertretung die Bürgerversammlung leiten.

7. Was können Bürger tun, wenn sie zwar mitreden, aber nicht gefilmt werden wollen?

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Praktiziert eine Gemeinde die in Frage 5 und 6 angesprochene "Einwilligung zu Fuß", ist die Antwort einfach: Die Bürgerin oder der Bürger bleibt am Platz und spricht von dort. Der Livestream wird für diese Zeit unterbrochen; dies gilt jedenfalls dann, wenn die Bürgerin oder der Bürger auch keine Tonübertragung wünscht. Zusätzlich kann die Gemeinde anbieten, dass Redebeiträge vor der Bürgerversammlung schriftlich eingereicht werden können und auf Wunsch von der Versammlungsleitung verlesen werden.

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Hinweis: In größeren Gemeinden sind mitunter Vorgaben anzutreffen, dass Anliegen bereits vor der Bürgerversammlung eingebracht werden müssen. Dafür werden dann digitale und analoge Formulare bereitgestellt. Eine solche Praxis mag zwar auf den ersten Blick als eine "Spontaneitätsbremse" erscheinen. Sie hat allerdings auch einige Vorzüge: Zunächst müssen Bürgerinnen und Bürger ihr Anliegen auf den Punkt bringen. Das erleichtert einen straffen, die zeitlichen Ressourcen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer schonenden Ablauf der Veranstaltung. Die Verwaltung kann zudem vorbereitet reagieren. So kann manchem Anliegen bereits "im Termin" abgeholfen werden; Bürgerinnen und Bürger müssen nicht erst lang auf eine Antwort warten. Schließlich können Fragen wie "Livestream oder Testbild" im Rahmen eines (Online-)Formulars auch einfach per Ankreuzkästchen geklärt werden - eine Dokumentation nach Art. 5 Abs. 2 DSGVO ist insofern gleich miterledigt.

8. Darf eine Abstimmung gefilmt werden? Wie sieht es mit Übersichtsaufnahmen aus?

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Was übertragen werden darf, legt Art. 18 Abs. 4 Satz 4 GO abschließend fest. Die Übertragung von Abstimmungen ist ebenso wenig zulässig wie das "Auflockern" des Livestreams durch Übersichtsaufnahmen vom Veranstaltungsort.

9. Ist eine Bürgerversammlungs-Mediathek zulässig?

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Nein. Das Gesetz lässt in Art. 18 Abs. 4 Satz 2 GO nur die "Echtzeitübertragung" zu. Diese Regelung ist - wie der Vergleich mit Art. 52 Abs. 4 Satz 2 GO zeigt - abschließend. Eine - gar öffentlich zugängliche - Mediathek darf daher nicht eingerichtet werden. Von Dritten darf der Livestream ebenfalls nicht dauerhaft verfügbar gemacht werden. Die Gemeinde muss vor diesem Hintergrund nicht nur auf eine eigene Speicherung verzichten, sondern auch die Speicherung durch Dritte technisch so weit wie möglich unterbinden. Das ist bei der Auswahl eines möglichen Streaming-Dienstleisters zu berücksichtigen; die Gemeinde darf sich hier insbesondere nicht für eine Plattform entscheiden, bei der die Option "Herunterladen" nicht deaktiviert werden kann.

10. Wie wird gestreamt?

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Die Gemeinde kann eine geeignete Software beschaffen und den Livestream im Rahmen der eigenen Internetpräsenz anbieten. Da in diesem Fall kontinuierlich eine technische Betreuung benötigt wird, kommt diese Lösung nur für Gemeinden in Betracht, die über eine eigene, ausreichend leistungsfähige IT-Stelle verfügen.

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Bei der Inanspruchnahme von Streaming-Dienstleistern ist zu beachten, dass die Verpflichtungen als Verantwortlicher ungeschmälert erfüllt werden müssen. Zum einen enthalten Livestreams aus Bürgerversammlungen notwendig personenbezogene Daten - dies gilt insbesondere für die Identität der sprechenden Personen und die Zuordnung der Anliegen zu einzelnen Rednerinnen und Rednern. Zum anderen geben Nutzerinnen und Nutzer von Livestreams ihrerseits personenbezogene Daten an den Anbieter preis. Die Erfüllung der Rechenschaftspflicht (Art. 5 Abs. 2 DSGVO) gestaltet sich typischerweise insbesondere dann als anspruchsvoll, wenn der Sitz eines Streaming-Dienstleisters außerhalb des Geltungsbereichs der Datenschutz-Grundverordnung liegt und/oder dieser Nutzerinnen- und Nutzerdaten (auch) zu eigenen (wirtschaftlichen) Zwecken weiterverarbeiten möchte. Vor diesem Hintergrund sollte die Einbindung gängiger Video-Sharing-Dienste aus dem Nicht-EU-Ausland in die gemeindliche Website besonders kritisch geprüft werden.

II. Selbstverwaltungsgremien: Livestream und Mediathek

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Die Vorgaben zu Livestream und Mediathek hat der bayerische Gesetzgeber für den Gemeinderat in Art. 52 Abs. 4 GO, für den Kreistag in Art. 46 Abs. 4 Landkreisordnung (LKrO) und für den Bezirkstag in Art. 43 Abs. 4 Bezirksordnung (BezO) vergleichbar geregelt. Die vorliegende Aktuelle Kurz-Information behandelt beispielhaft die neuen Bestimmungen für Gemeinden. In Art. 52 Abs. 4 GO heißt es nun:

1Die Sitzungen haben in einem der Allgemeinheit zugänglichen Raum stattzufinden. 2Ergänzend kann die Gemeinde eine Echtzeitübertragung der öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats in Ton und Bild über das Internet zulassen und die Aufzeichnungen in einer Sammlung audiovisueller Medien für die Dauer von sechs Wochen zum Abruf für jedermann bereitstellen. 3Findet die nächste Sitzung nicht innerhalb von sechs Wochen statt, können die Aufzeichnungen bis zum Ende der nächsten Sitzung zum Abruf für jedermann bereitgestellt werden. 4Danach sind die Aufzeichnungen jeweils zu löschen. 5Die Beschlüsse nach Satz 2 bedürfen jeweils einer Zweidrittelmehrheit der abstimmenden Mitglieder des Gemeinderats. 6Mit Ausnahme der oder des Vorsitzenden dürfen Ton und Bild von an der Sitzung teilnehmenden Personen nur mit deren Einwilligung übertragen, aufgezeichnet und gespeichert werden. 7Eine Übertragung, Aufzeichnung und Speicherung des Bildes einer unbeteiligten Person ist nur im Rahmen von Übersichts- oder Hintergrundaufnahmen zulässig und dies auch nur, falls die räumlichen Verhältnisse Aufnahmen ohne unbeteiligte Personen nicht zulassen.

1. Was ist neu?

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Neu geschaffen wurde die Möglichkeit, öffentliche Gremiensitzungen live im Internet zu übertragen und die Aufzeichnung für eine bestimmte Zeit in einer Mediathek zu speichern. Auf diese Weise erhalten interessierte Bürgerinnen und Bürger "von zuhause aus" Zugang. Davon zu unterscheiden ist die Teilnahme von Gremienmitgliedern in Bild und Ton; diese Option der hybriden Sitzung gibt es bereits seit 2021(vgl. Art. 47a GO, Art. 41a LKrO und Art. 38a BezO sowie - für die Verbandsversammlungen von Zweckverbänden - Art. 33a Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit - KommZG).

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Auch bei den Gremiensitzungen dürfen teilnehmende Personen grundsätzlich nur dann von einer Aufzeichnung und Speicherung erfasst werden, wenn sie eingewilligt haben. Unbeteiligte - Bürgerinnen und Bürger im Auditorium - dürfen allenfalls im Rahmen von Übersichts- oder Hintergrundaufnahmen "festgehalten" werden. Einwilligungen sind dafür nicht gefordert; das bedeutet allerdings auch, dass solche Aufnahmen keine Identifizierung ermöglichen dürfen.

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Beispiel: Eine größere Stadt streamt die Sitzungen ihres Stadtrats im Internet. Der Sitzungssaal ist baulich so gestaltet, dass das Gremium in einer "Parlamentssitzordnung" Platz nimmt. Die Oberbürgermeisterin, ihre Vertreter sowie die Referentinnen und Referenten sind gegenüber angeordnet. Eine Kamera erfasst eine Totale des Raums, wobei am Rand auch Bürgerinnen und Bürger von hinten zu sehen sind. Die Anforderung aus Art. 52 Abs. 4 Satz 7 GO ist gewahrt.

2. Was ist der Hintergrund dieser Regelung?

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Primäres Ziel ist die Erweiterung der Sitzungsöffentlichkeit. Möglichst viele Bürgerinnen und Bürger sollen sich bei den sie interessierenden Themen "zuschalten" können - ohne das Rathaus aufsuchen und gleich einer ganzen Sitzung beiwohnen zu müssen. Im Idealfall wird die Bereitschaft, sich mit Kommunalpolitik zu befassen, vielleicht sogar selbst aktiv zu werden, gefördert. Die neuen Vorschriften versuchen, diesen Zielen näher zu kommen, ohne dass dies mit unangemessenen Beschränkungen der Datenschutzgrundrechte "erkauft" wird.

3. Kann man jetzt sofort alles streamen?

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Nein, zunächst ist ein Beschluss des zuständigen Gremiums erforderlich. In den Gemeinden muss der Gemeinderat entscheiden, und es ist ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis zu beachten (Art. 52 Abs. 4 Satz 5 GO). Hintergrund ist der Einfluss, den Livestream und Mediathek auf die Debattenkultur haben: Aufzeichnungen verschieben die Anforderungen an einzelne Gemeinderatsmitglieder ein Stück weit Richtung "Berufspolitik". Unbedachte Formulierungen oder rhetorische Missgriffe werden deutlich leichter reproduzierbar. Das Gremium soll sich den Schritt in eine erweiterte Öffentlichkeit deshalb gut überlegen; er soll von einer möglichst breiten Mehrheit getragen sein. Diese Sicherung betrifft das Selbstverständnis des Gremiums; dem Datenschutzgrundrecht dient sie mittelbar. Als spezifische Sicherung insoweit wirkt das Einwilligungserfordernis (Art. 52 Abs. 4 Satz 6 GO).

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Außerdem muss die Gemeinde, bevor es "losgehen kann", für eine geeignete Infrastruktur sorgen, also insbesondere den Sitzungsraum so einrichten, dass die Kameraanlage die gesetzlichen Anforderungen erfüllen kann; die Gemeinde muss vor allem sicherstellen, dass unbeteiligte Personen von den Aufnahmen ausgespart werden können.

4. Was ist vorher noch zu tun?

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Von den an einer Sitzung aktiv teilnehmenden Personen (insbesondere Gemeinderatsmitglieder, Ortssprecher, Beschäftigte der Gemeinde) müssen vor einer Echtzeitübertragung und Speicherung Einwilligungen eingeholt werden. Dies gilt auch für Personen, die nur einmalig oder gelegentlich zu einzelnen Tagesordnungspunkten zu Wort kommen sollen, etwa Vertreterinnen und Vertreter der Aufsichtsbehörde oder Planerinnen und Planer, die vorzustellende Entwürfe erläutern sollen. Lediglich die oder der Vorsitzende muss aus den oben Rn. 16 dargestellten Gründen nicht einwilligen. Die Gemeinde muss also eine Einwilligungsroutine aufbauen.

5. Wie werden die Einwilligungen eingeholt, und wie lange gelten sie?

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Die Gemeinderatsmitglieder, Ortssprecherinnen und Ortssprechern sowie Sitzungsdienst leistende Beschäftigte der Gemeindeverwaltung nehmen regelmäßig an den Gemeinderatssitzungen teil. Für diese Personen können generelle Einwilligungen eingeholt werden. Das sollte geschehen, sobald eine Kameraanlage installiert ist oder betroffene Personen eine einschlägige Rolle übernehmen. Das Datenschutzrecht steht grundsätzlich einer Praxis nicht entgegen, bei der Gemeinderatsmitglieder, Ortssprecherinnen und Ortssprecher ihre Einwilligungen für die Wahldauer oder die Zeit der ununterbrochenen Zugehörigkeit zum Gemeinderat, Beschäftigte für die Zeit einer Verwendung mit Sitzungsdienst erteilen.

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Von Personen, die nicht regelmäßig an Gemeinderatssitzungen teilnehmen, müssen die Einwilligungen sitzungsbezogen eingeholt werden.

6. Was ist zu tun, wenn ein Gemeinderatsmitglied nicht einwilligt?

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Die Einwilligung ist stets freiwillig, also nicht verpflichtend - sie muss daher ohne (auch nur "dezent in den Raum gestellte") Nachteile verweigert werden können. Andernfalls ist sie nicht wirksam und für die Legitimation der Datenverarbeitung in Livestream und/oder Mediathek ohne Wert. Die Gemeinde muss deshalb in der Lage sein, auf verweigerte Einwilligungen zu reagieren. Gleiches gilt für den (nachträglichen) Widerruf. Das bedeutet praktisch: Der Livestream muss am Sitzungstag betreut und unterbrochen werden, wenn eine "einwilligungslose" Person das Wort erhält. Und gespeicherte Sitzungen müssen im Widerrufsfall nachbearbeitet werden können - auch wenn ein externer Dienstleister die Mediathek verwaltet. Werden Aufnahmen erst einige Tage nach dem Livestream in die Mediathek geladen, können zwischenzeitlich eingegangene Widerrufe einfacher berücksichtigt werden.

7. Darf eine Abstimmung gefilmt werden?

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Die Übertragung von Abstimmungen ist auch bei Gemeinderatssitzungen nicht zulässig. Andernfalls würde Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GO umgangen. Nach dieser Vorschrift enthält die Niederschrift grundsätzlich nur das Abstimmungsergebnis, das persönliche Abstimmungsverhalten eines einzelnen Mitglieds hingegen nur auf Verlangen. Eine insgesamt namentliche Abstimmung setzt in den meisten Gemeinden einen Beschluss des Gremiums voraus.

8. Welche Regeln sind bei der Speicherung in der Mediathek
zu beachten?

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Die Speicherung ist für die Dauer von sechs Wochen oder - falls die nächste Sitzung nicht innerhalb von sechs Wochen stattfindet - bis zum Ende der nächsten Sitzung zulässig. Danach sind die Aufzeichnungen zu löschen. Diese Vorgaben aus Art. 52 Abs. 4 Satz 2 bis 4 GO betreffen die Mediathek. Das Gesetz verhält sich dagegen nicht zur Frage einer Aufzeichnung mit anderer Zweckbestimmung, insbesondere der Dokumentation zur Qualitätssicherung einer den Beratungsverlauf wiedergebenden Niederschrift. Ist von den Einwilligungen auch ein solcher Zweck erfasst, können die Aufnahmen über die Frist nach Art. 52 Abs. 4 Satz 3 GO hinaus aufbewahrt werden, bis dieser Zweck erreicht ist. In der Mediathek (und sonst öffentlich) dürfen sie allerdings nicht zugänglich sein.

9. Gilt Art. 39 Bayerisches Datenschutzgesetz für Aufzeichnungen, die die Gemeinde noch von älteren Sitzungen hat?

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Das allgemeine Recht auf Auskunft nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Datenschutzgesetz (BayDSG) verpflichtet Gemeinden und erfasst auch Bild- und Tondateien. Vorhandene Aufzeichnungen sind - ein berechtigtes Interesse vorausgesetzt - an sich ein möglicher Gegenstand des Zugangsanspruchs. Speichert die Gemeinde ihre "Sitzungsvideos" lediglich in dem von Art. 52 Abs. 4 Satz 3 GO gezogenen Rahmen, ist die aufgeworfene Frage nur theoretisch: Ein Antragsteller darf auf den erleichterten Zugang per Mediathek verwiesen werden. Hebt die Gemeinde Aufzeichnungen aber außerhalb der Mediathek - mit zulässig erweiterter Zweckbestimmung oder entgegen Art. 52 Abs. 4 Satz 3 GO - länger auf, wird die Frage allerdings praktisch. Insofern ist zu bedenken, dass die Gemeindeordnung den Zugang zu Informationen über Verlauf und Ergebnisse der Gemeinderatssitzungen in Art. 54 Abs. 3 GO regelt und Art. 52 Abs. 4 GO diese Vorgabe für ein vergleichsweise enges Zeitfenster ergänzt. Hat sich dieses Zeitfenster geschlossen, ist allein Art. 54 Abs. 3 GO maßgeblich - eine Vorschrift, die Art. 39 BayDSG beiseitetreten lässt.

10. Können externe Anbieter einbezogen werden?

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Die Einbeziehung eines Streaming-Dienstleisters ist nicht ausgeschlossen; bei der Auswahl sind allerdings ebenfalls datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten, siehe bereits Rn. 22.

11. Unterschiede zu Art. 18 Abs. 4 GO?

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Die Unterschiede zwischen Art. 18 Abs. 4 GO und Art. 52 Abs. 4 GO sind nachfolgend tabellarisch zusammengestellt:

Regelungsfrage Art. 18 Abs. 4 GO Art. 52 Abs. 4 GO
Livestream? ja ja
Mediathek? nein ja, befristet
Festlegung? Satzung oder (bloßer) Gemeinderatsbeschluss Gemeinderatsbeschluss
qualifizierte Mehrheit erforderlich? nein ja, zwei Drittel der Abstimmenden
Einwilligungen erforderlich ja, außer Vorsitz ja, außer Vorsitz
Kameraeinstellungen? nur Vorsitz, Rednerpult grundsätzlich Gremium
Hintergrundaufnahmen? nein ja, eingeschränkt
Speicherung zu Dokumentationszwecken? nicht geregelt nicht geregelt

 

12. Dürfen jetzt eigentlich auch Sitzungen von beschließenden Ausschüssen übertragen und in eine Mediathek eingestellt werden?

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Ja. Nach Art. 45 Abs. 2 Satz 2 GO ist Art. 52 GO auf den Geschäftsgang der beschließenden Ausschüsse entsprechend anzuwenden.

  1. Zu den Anforderungen an Einwilligungen ausführlich Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz, Die Einwilligung nach der Datenschutz-Grundverordnung, Orientierungshilfe, Stand 9/2021, Rn. 48 ff., Internet: https://www.datenschutz-bayern.de/datenschutzreform2018/einwilligung.pdf. [Zurück]
  2. Zum Beispiel in München, Internet: https://stadt.muenchen.de/infos/buergerversammlungen.html (externer Link), dort auch Link zum "Onlineformular für Ihre Wortmeldung in der Bürgerversammlung". [Zurück]
  3. So auch die Gesetzesbegründung, Landtags-Drucksache 18/28527, S. 62. [Zurück]
  4. Näher Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 10. Oktober 2022, 4 K 1338/21, GRUR-RS 2022, 27433, Rn. 24 ff. [Zurück]
  5. Dazu insbesondere Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz, Internationale Datentransfers, Orientierungshilfe, Stand 5/2023, Internet: https://www.datenschutz-bayern.de/datenschutzreform2018/OH_Drittstaatentransfer.pdf und derselbe, Erste Hilfe zum Angemessenheitsbeschluss für das EU-U.S. Data Privacy Framework, Aktuelle Kurz-Information 51, https://www.datenschutz-bayern.de/datenschutzreform2018/aki51.pdf [Zurück]
  6. Vgl. das vom Bayerischen Gemeindetag herausgegebene Muster einer Geschäftsordnung für den Gemeinderat (größere Gemeinden), BayGT 2020, S. 121 ff. in § 25 Abs. 5 Satz 1 und § 30 Abs. 5 Satz 1. - Anders allerdings § 73 Abs. 3 Satz 1 Geschäftsordnung des Stadtrats der Landeshauptstadt München (Stadtrecht Nr. A 19). [Zurück]
  7. Näher Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz, Zugang zu Niederschriften der Sitzungen kollegialer Selbstverwaltungsorgane in bayerischen Gemeinden und Landkreisen, Aktuelle Kurz-Information 35, Stand 10/2020, unter Nr. 2, Internet: https://www.datenschutz-bayern.de/datenschutzreform2018/aki34.pdf. [Zurück]