≡ Sitemap

Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 07.11.2008

76. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 6./7. November 2008 in Bonn

Abfrage von Telekommunikationsverkehrsdaten einschränken:
Gesetzgeber und Praxis müssen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen Konsequenzen ziehen

Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg hat im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz die Nutzung von Telekommunikationsverkehrsdaten für Zwecke der Strafverfolgung (§§ 100g, 100h StPO alte Fassung) evaluiert. Die Studie geht zu Recht davon aus, dass Verkehrsdaten ein hohes Überwachungspotential in sich tragen und besser als andere Daten dazu geeignet sind, soziale Netzwerke nachzuweisen, Beziehungen zu identifizieren und Informationen über Individuen zu generieren. Der Studie zufolge ist die Zahl der Verkehrsdatenabfragen erheblich und kontinuierlich von 10.200 (2002) auf 40.000 Abfragen (2005) angestiegen. Zudem erfasst die Maßnahme regelmäßig auch eine Vielzahl unbescholtener Bürgerinnen und Bürger.

Das Bundesministerium der Justiz hat die Studie erst im Februar dieses Jahres und somit nach der Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und Einführung der Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht. Das Gutachten liefert Erkenntnisse, deren Berücksichtigung im Gesetz vom 21. Dezember 2007 erforderlich gewesen wäre. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sehen sich durch die Studie in ihrer schon früher geäußerten Kritik (vgl. ihre Entschließung vom 8./9. März 2007) bestätigt. Sie fordern den Gesetzgeber auf, die gesetzliche Regelung unter folgenden Aspekten nun zügig nachzubessern:

  • Die Straftatenschwelle für Verkehrsdatenabfragen sollte insbesondere im Hinblick auf die inzwischen eingeführte Vorratsdatenspeicherung auf schwere Straftaten angehoben werden. Ein bedeutsamer Anteil der überprüften Verfahren war allenfalls der mittleren Kriminalität zuzuordnen.
  • Die gesetzliche Höchstdauer der Maßnahme sollte von drei auf zwei Monate reduziert werden. Das Gutachten hat gezeigt, dass die praktischen Bedürfnisse, wie sie sich in den Aktendaten und Befragungsergebnissen äußern, dadurch vollständig abgedeckt würden.
  • Für die Verkehrsdatenabfrage sollten (nach dem Vorbild der Regelungen für die akustische Wohnraumüberwachung) qualifizierte Begründungspflichten in der StPO vorgesehen werden. Dabei sollten auch die Rechtsfolgen für erhebliche Verstöße gegen die Begründungsanforderungen gesetzlich geregelt werden (z.B. Beweisverwertungsverbote). Wesentliche Kritikpunkte der Studie waren insbesondere die lediglich formelhafte Wiedergabe des Gesetzestextes sowie die häufig wörtliche Übernahme der staatsanwaltschaftlichen Anträge in den Begründungen.
  • Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit und zur Stärkung des Richtervorbehalts sollte in den Fällen staatsanwaltschaftlicher Eilanordnung die Verwertbarkeit der erlangten Daten davon abhängig gemacht werden, dass ein Gericht rückwirkend die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Maßnahme feststellt. Dem Gutachten zufolge besteht insbesondere bei den Telekommunikationsunternehmen Unsicherheit, inwieweit sie zur Herausgabe der Verkehrsdaten verpflichtet sind, wenn eine staatsanwaltschaftliche Eilanordnung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist richterlich bestätigt wird.
  • Der tatsächliche Nutzen der Vorratsdatenspeicherung für die Strafverfolgung und damit die Erforderlichkeit der Maßnahme müssen in Frage gestellt werden. Bereits bei der früheren Höchstspeicherdauer von 3 Monaten waren nach der Studie 98 % der Abfragen erfolgreich.

Auch in der praktischen Anwendung der Regelungen zur Verkehrsdatenabfrage hat die Studie Defizite deutlich gemacht. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder appellieren daher auch an die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte, aus dem Gutachten Konsequenzen zu ziehen. Besonderes Augenmerk ist vor allem auf die Prüfung der Angemessenheit der Maßnahme zu richten. Dies muss auch in substantiierten Begründungen zum Ausdruck kommen. Die gesetzlich festgeschriebenen, dem Grundrechtsschutz dienenden Benachrichtigungs, Löschungs und Dokumentationspflichten müssen  trotz hoher Belastungen in der Praxis  unbedingt eingehalten werden. Der Richtervorbehalt muss seine grundrechtssichernde Funktion effizient erfüllen können. Die Justizverwaltungen sind in der Verantwortung, hierfür ausreichende personelle Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Eine Fortführung der wissenschaftlichen Evaluation der Verkehrsdatenabfrage ist  unter den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen und aufgrund der Weiterentwicklung der Technik  unerlässlich. Insbesondere sollten dabei Notwendigkeit und Nutzen der Verkehrsdatenabfrage  auch im Vergleich zu anderen möglichen Maßnahmen  mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf den Prüfstand gestellt werden.