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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; 16. Tätigkeitsbericht, 1994; Stand: 07.02.1995

Anlage 2: Beschlüsse der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 26./27.9.1994


Vorschläge zur Überprüfung der Erforderlichkeit polizeilicher Befugnisse und deren Auswirkungen für die Rechte der Betroffenen

Angesichts der aktuellen Diskussion über die innere Sicherheit weisen die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder darauf hin, daß umfangreiche polizeiliche Befugnisse zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten, insbesondere im technischen Bereich, gesetzlich verankert worden sind.

Zum Kreis der Betroffenen zählen dabei nicht nur Personen, gegen die Verdachtsgründe vorliegen, sondern auch nichtverdächtige Kontakt- und Begleitpersonen und Unbeteiligte, deren Schutz nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten besonders wichtig ist.

Vor diesem Hintergrund schlagen die Datenschutzbeauftragten vor, den derzeitigen Erkenntnisstand über die Erforderlichkeit polizeilicher Befugnisse zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogenen Daten sowie ihre Auswirkungen auf die Rechte der Betroffenen durch folgende Maßnahmen zu verbessern:

  1. Die Datenschutzbeauftragten teilen die von einigen Innenministern vertretene Auffassung, daß bloße Angaben über Einsatzzahlen der besonderen Befugnisse zur Datenerhebung nur einen begrenzten Aussagewert haben. Aufschluß über die tatsächliche Praxis, ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit läßt sich nur durch Überprüfung und Auswertung der einzelnen Einsätze gewinnen. Hierzu müssen unter Beteiligung der Datenschutzbeauftragten und der Wissenschaft, insbesondere der Kriminologie und des Polizeirechts, objektive und nachprüfbare Auswertungskriterien entwickelt werden.

Die Datenschutzbeauftragten begrüßen daher die Initiative für eine sog. Rechtstatsachensammlung, die Erhebungen zu polizeilichen Ermittlungsmethoden und Eingriffsbefugnissen durchführen soll. Sie schlagen vor, in diese Rechtstatsachensammlung insbesondere Angaben über den Anlaß einer Datenerhebung mit besonderen Mitteln, die Örtlichkeit und die Dauer der Maßnahme, den Umfang der überwachten Gespräche, den betroffenen Personenkreis sowie die Anzahl der ermittelten, verurteilten, aber auch der entlasteten Personen einzubeziehen. Derartige Aufstellungen wären nicht nur für elektronische Überwachungsmethoden, sondern auch Observationen, den Einsatz verdeckter Ermittler und V-Personen sowie für Rasterfahndungen denkbar.

  1. Einige Polizeigesetze verpflichten dazu, zu überprüfen, ob es notwendig ist, bestehende Dateien weiterzuführen oder zu ändern. Dabei soll nicht nur darauf eingegangen werden, ob die Anwendungen, d.h. die Dateien, weiterhin erforderlich sind, sondern auch auf ihren Nutzen sowie auf ihre Schwachstellen und Mängel. Ferner sind Vorschläge zu machen, wie festgestellte Defizite beseitigt oder minimiert werden können.
  1. Die Datenschutzbeauftragten gehen davon aus, daß sie bei den Überlegungen zur Rechtstatsachensammlung rechtzeitig beteiligt und die jeweiligen Materialien und Zwischenergebnisse mit ihnen erörtert werden.


Fehlende bereichsspezifische gesetzliche Regelungen bei der Justiz

Obwohl seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts mehr als 10 Jahre vergangen sind, werden im Bereich der Justiz sensible personenbezogene Daten nach wie vor ohne die vom Bundesverfassungsgericht geforderten bereichsspezifischen gesetzlichen Grundlagen erhoben und verarbeitet. Stattdessen sind in den letzten Jahren in zunehmendem Maße automatisierte Verfahren neu eingesetzt worden. Die Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stützen die Justizverwaltungen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Übergangsbonus.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder weisen im Hinblick auf die kommende Legislaturperiode den Bundesgesetzgeber erneut darauf hin, daß gesetzliche Regelungen im Bereich der Justiz überfällig sind. Dabei ist nicht die jeweils geübte Praxis zu legalisieren, sondern es muß vorab unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten geprüft werden, welche Form der Datenerhebung und -verarbeitung in welchem Umfang erforderlich ist. Der zur Zeit dem Bundesrat vorliegende Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes beispielsweise wird datenschutzrechtlichen Anforderungen in keiner Weise gerecht.

Im Bereich der Justiz fehlen ausreichende gesetzliche Regelungen für die

  • Datenverarbeitung im Strafverfahren, insbesondere in automatisierten Dateien,
  • Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Strafvollzug,
  • Übermittlung von Daten aus den bei Gerichten geführten Registern (z.B. Grundbuch) und deren Nutzung durch die Empfänger,
  • Datenübermittlung von Amts wegen durch Gerichte und Staatsanwaltschaften an Gerichte, Behörden und sonstige öffentliche Stellen (Justizmitteilungsgesetz)
  • Aufbewahrung von Akten, Karteien und sonstigen Unterlagen sowie die Dauer der Speicherung in automatisierten Dateien.

Eine Berufung auf den sog. Übergangsbonus auf unbegrenzte Zeit steht nicht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Datenschutzbeauftragten halten es deshalb zum Schutz des Rechts des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung für geboten, wegen der mit der Datenerhebung, Verarbeitung und Nutzung verbundenen Rechtseingriffe in der neuen Legislaturperiode unverzüglich bereichsspezifische Regelungen der materiellen Voraussetzungen sowie der organisatorischen und verfahrensrechtlichen Vorkehrungen zu schaffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Bürgers entgegenwirken.



Datenschutzrechtliche Anforderungen an ein Übereinkommen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die Errichtung eines europäischen Polizeiamtes (Europol).

Die Datenschutzbeauftragten der Länder gehen gemeinsam mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten davon aus, daß bei den Verhandlungen mindestens folgende Punkte berücksichtigt werden:

  • Das Übereinkommen muß der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung in Bund und Ländern für die Polizei entsprechen. Die materielle Verantwortung für die Datenverarbeitung muß, soweit die Daten von Landesbehörden erhoben worden sind, weiterhin bei den Ländern liegen. Davon bleiben die Zuständigkeiten und die dazugehörigen Befugnisse des BKA als nationale Stelle für den Informationsverkehr mit EUROPOL unberührt.
  • Die Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten müssen präzise sein und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Beispielweise erfüllen die in den bisherigen Entwürfen vorgesehenen Befugnisse zur europaweiten Speicherung von Daten unbeteiligter Personen diese Voraussetzungen nicht.

Die Datenschutzbeauftragten erwarten, daß die deutsche Seite eine Klarstellung über die Verantwortung der Länder, zum Beispiel durch eine Protokollerklärung zum EUROPOL-Übereinkommen, trifft.



Art. 12 Verbrechensbekämpfungsgesetz zur Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten

Geheimdienstliche Informationsmacht und polizeiliche Exekutivbefugnisse müssen strikt getrennt bleiben. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder stellen mit Besorgnis Entwicklungen fest, die die klare Trennungslinie zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden weiter zu verwischen drohen. Die betrifft vor allem den Einsatz des Bundesnachrichtendienstes nach dem Verbrechensbekämpfungsgesetz:

  • Der BND erhält danach bei der Fernmeldeaufklärung auch Befugnisse, die auf eine gezielte Erhebung von Daten für polizeiliche Zwecke hinauslaufen können. Deshalb ist bei dem Vollzug des Gesetzes darauf zu achten, daß nicht gezielt Informationen gesammelt werden, die vom Auftrag des BND nicht umfaßt werden.
  • Zwischen nachrichtendienstlichen Vorfelderkenntnissen und polizeilichen Zwangsmaßnahmen ist ein Filter erforderlich, der vor allem Unbeteiligte vor überzogenen Belastungen schützt.

Die Datenschutzbeauftragten fordern, für die Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten und Polizei in der Durchführung und Gesetzgebung des Trennungsgebot strikt zu beachten. Dies gilt auch bei der Fernmeldeaufklärung des BND. Eine wirksame Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten in diesem sensiblen Bereich ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht sicherzustellen.



Geänderter Vorschlag für eine Europäische Richtlinie zum Datenschutz im ISDN und in Mobilfunknetzen vom 13. Juni 1994 (KOM (94) 128 endg. - COD 288)

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder begrüßt es, daß die Europäische Kommission mit der Vorlage des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie zum Datenschutz im ISDN ihre Absicht bekräftigt hat, unionsweit bereichsspezifische Regelungen für den Datenschutz in Telekommunikationsnetzen zu schaffen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die digitalen Telekommunikationsnetze in der Europäischen Union die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für die Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte in weiten Bereichen bereits geschaffen haben und mehrere Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, derzeit ihr nationales Telekommunikationsrecht auf die Vorgaben der EU umstellen.

Aus diesem Grund sollte der geänderte Vorschlag für eine ISDN-Richtlinie so bald wie möglich vom Ministerrat und vom Europäischen Parlament abschließend beraten werden. Die Bundesregierung sollte die deutsche Ratspräsidentschaft dazu nutzen, den geänderten Vorschlag für eine ISDN-Richtlinie im Rat behandeln zu lassen.

Dabei sollte sich die Bundesregierung insbesondere für folgende Verbesserungen des Richtlinienvorschlags aus datenschutzrechtlicher Sicht einsetzen:

  1. Für Telekommunikationsorganisationen und Diensteanbieter müssen die gleichen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zum Datenschutz gelten. Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Diensteanbieter darf nicht privilegiert werden.
  2. Die Beschränkung der Datenverarbeitung auf Zwecke der Telekommunikation sollte wieder in die Richtlinie aufgenommen werden. Der allgemeine Zweckbindungsgrundsatz der Datenschutzrichtlinie läßt die Zweckentfremdung schon bei "berechtigten Interessen" der Verarbeiter zu. Das ist angesichts zunehmender Diversifizierung der Aktivitäten von Netzbetreibern und Diensteanbietern eine zu weitgehende Lockerung der Zweckbindung im Telekommunikationsbereich.
  3. Das ursprünglich vorgesehene Verbot, personenbezogene Daten zur Erstellung von elektronischen Profilen der Teilnehmer zu nutzen, sollte wieder in die Richtlinie aufgenommen werden.
  4. Die Speicherung von Inhaltsdaten nach Beendigung der Übertragung sollte - wie im ursprünglichen Richtlinienentwurf vorgesehen - untersagt werden.
  5. Die Vertraulichkeit der Kommunikationsbeziehungen und -inhalte (Fernmeldegeheimnis) sollte - wie es der ursprüngliche Richtlinienvorschlag ebenfalls vorsah auf Unionsebene garantiert werden.
  6. Um eine Harmonisierung des Gemeinschaftsrechts beim Einzelgebührennachweis zu erreichen, sollten konkrete Vorgaben in die Richtlinien aufgenommen werden, z.B. indem den angerufenen Teilnehmern die Aufnahme ihrer Rufnummer in Einzelgebührennachweise freigestellt wird.
  7. Im Fall der Anrufweiterschaltung sollte die automatische Information des anrufenden Teilnehmers darüber, daß sein Anruf (z.B. bei einem Arzt) an einen Dritten weitergeschaltet wird, gewährleistet sein.

Die Konferenz begrüßt die im geänderten Vorschlag vorgesehene Kostenfreiheit für die verschiedenen Optionen der Anzeige der Rufnummer des Anrufers und für die Nichtaufnahme von Daten in das Teilnehmerverzeichnis (Telefonbuch).

Diese Vorschläge berücksichtigen das Subsidiaritätsprinzip und beschränken sich auf Änderungen, die zur Gewährleistung der Vertraulichkeit der Kommunikation in der Europäischen Union realisiert werden müssen. Zudem wird die Europäische Union insoweit im Rahmen ihrer ausschließlichen Zuständigkeit tätig. Die Konferenz bittet auch die Entscheidungsträger auf Unionsebene sowie die Datenschutzbehörden der anderen Mitgliedsstaaten diese Anregungen zu unterstützen.