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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 01.02.2011

4. Verfassungsschutz

Im Bereich der Bayerischen Gesetzgebung habe ich auf eine datenschutzkonforme Ausgestaltung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes hingewirkt. Von besonderer Bedeutung waren dabei der Verzicht auf die "nur automatische Aufzeichnung" bei der Wohnraumüberwachung und der Verzicht auf die Befugnis zur heimlichen Wohnungsdurchsuchung. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist auch hervorzuheben, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 02.03.2010 zur "Vorratsdatenspeicherung" den Anbietern öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste untersagt hat, die mit behördlichen Auskunftsersuchen - z.B. durch das Landesamt für Verfassungsschutz - erhobenen "Vorratsdaten" an die ersuchenden Stellen zu übermitteln.

Auch in diesem Berichtszeitraum habe ich beim Landesamt für Verfassungsschutz wieder Datenerhebungen, -speicherungen und -übermittlungen sowie Auskunftserteilungen bzw. -ablehnungen überprüft. Schwerpunkte waren diesmal die Zugriffe auf personenbezogene Daten der Protokollierungsdatei des Vorgangsverwaltungssystem DOMEA und die Speicherung personenbezogener Daten von Kindern und Jugendlichen. Die Prüfungen erfolgten anlassunabhängig oder aufgrund von Bürgereingaben.

4.1. Änderungen des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG)

Die 2008 geänderten oder neu geschaffenen Befugnisse des Landesamts für Verfassungsschutz (siehe hierzu 23. Tätigkeitsbericht, Nr. 5.1) wurden im Berichtszeitraum in zwei Fällen datenschutzrechtlich entschärft oder sogar ganz gestrichen; diese Änderungen sind am 01.08.2009 in Kraft getreten. Allerdings bleiben auch hier datenschutzrechtliche Bedenken bestehen:

  • Verzicht auf eine "nur automatische Aufzeichnung" beim sog. Großen Lauschangriff

    Wie im Polizeiaufgabengesetz (siehe hierzu Nr. 3.1.1) wurde auch im BayVSG die bislang enthaltene Befugnis gestrichen, im Rahmen einer Wohnraumüberwachung ("Großer Lauschangriff") in Privatwohnungen und Räumen von sog. Berufsgeheimnisträgern (z.B. Geistliche, Ärzte, Rechtsanwälte) geführte Gespräche "nur automatisch" aufzeichnen zu dürfen. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge (vgl. Urteil zum "Großen Lauschangriff" vom 03.03.2004) kann es wegen der Unterbrechungspflicht bei Kernbereichsgesprächen notwendig sein, bei dem Abhören einer Privatwohnung auf eine nur automatische Aufzeichnung der abgehörten Gespräche zu verzichten, um jederzeit die Ermittlungsmaßnahme unterbrechen zu können. Ich begrüße, dass meine datenschutzrechtliche Forderung (siehe hierzu 23. Tätigkeitsbericht, Nr. 5.1.1.) nun in die Gesetzgebung Eingang gefunden hat.

    Nicht berücksichtigt wurde allerdings meine im Gesetzgebungsverfahren vorgebrachte Forderung, die im Gesetz vorgesehene Unterscheidung zwischen "weniger" und "mehr" geschützten Berufsgeheimnisträgern aufzugeben (siehe Nr. 3.1.1). Aus datenschutzrechtlicher Sicht erkenne ich auch beim Verfassungsschutz keinen sachlichen Grund für eine Differenzierung zwischen "mehr" und "weniger" geschützten Berufsgeheimnisträgern.
  • Verzicht auf die Befugnis zur heimlichen Wohnungsdurchsuchung

    Der Gesetzgeber hat die zum 01.08.2008 in Kraft getretene Befugnis für das LfV wieder gestrichen, zur Durchführung einer Wohnraumüberwachung, einer Beschränkung der Telekommunikation und einer Online-Durchsuchung die Wohnung des Betroffenen heimlich zu betreten und zu durchsuchen (zur Streichung der entsprechenden polizeilichen Befugnis siehe hierzu Nr. 3.2.2). Auch hier sind meiner datenschutzrechtlichen Forderung und meinen massiven verfassungsrechtlichen Bedenken (siehe hierzu 23. Tätigkeitsbericht, Nr. 5.1.5) teilweise Rechnung getragen worden.

    Trotz dieser Verbesserungen bedaure ich, dass die Gesetzesänderung nicht auch dazu benutzt wurde, auf die Befugnis zur "Online-Durchsuchung" für das Landesamt für Verfassungsschutz zu verzichten und die Regelung zum "verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des nicht-öffentlich gesprochenen Worts außerhalb von Wohnungen" wie folgt anzupassen:
  • "Online-Durchsuchung"

    Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 27.02.2008 die "Online-Durchsuchung" nur für zulässig erklärt bei tatsächlichen Anhaltspunkten für eine konkrete Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut. Die Abwehr konkreter Gefahren ist aber typischerweise Aufgabe der Polizei und der Sicherheitsbehörden (vgl. Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz). Das Landesamt für Verfassungsschutz hat hingegen als "Frühwarnsystem" der Staatsregierung die Aufgabe, im Vorfeld konkreter Gefahren Entwicklungen und Bestrebungen zu beobachten. Hinzu kommt, dass auch für die Polizei eine Befugnis für Online-Durchsuchungen besteht. Auch wenn bislang von der Befugnis zur Online-Durchsuchung im Polizeibereich kein Gebrauch gemacht wurde, ist es bei der stetigen Verbesserung der technischen Möglichkeiten mittelfristig zu befürchten, dass eine solche parallele Zuständigkeit von Verfassungsschutz und Polizei ohne ausreichende Abgrenzung zu überlappenden und damit zusätzlichen Rechtseingriffen führt.
  • "Verdeckter Einsatz technischer Mittel"

    In der Befugnis zum "verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen" fehlt ein zweistufiges Schutzkonzept für den Kernbereich privater Lebensgestaltung. Die Norm enthält keine Regelungen, die - so weitgehend wie möglich - sicherstellen, dass Daten mit Kernbereichsbezug gar nicht erst erhoben werden. Die Vorschrift befasst sich vielmehr nur mit der Verwendung der Daten. Im Anwendungsbereich dieser Maßnahme sind vielfältige Gesprächskonstellationen denkbar, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit höchstpersönlichen Bezug haben. Beispielsweise entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Personen des persönlichen Vertrauens in Personenkraftfahrzeugen oft intime Gespräche führen. Vergleichbares gilt etwa für höchst vertrauliche Gespräche bei Aufenthalten in der Natur (Parkgelände, Gärten usw.), bei denen die Gesprächspartner nicht mit einer Kenntnisnahme ihrer Gesprächsinhalte durch Dritte rechnen. Ein ausdrückliches Erhebungsverbot für Daten, die einem Berufsgeheimnis - z.B. aus der Tätigkeit als Geistlicher oder Strafverteidiger - zuzuordnen sind, fehlt ebenfalls.

    Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen weiterhin erhebliche Bedenken, weil die gesetzliche Regelung eine Pflicht des Landesamts für Verfassungsschutz zur grundsätzlichen Benachrichtigung nicht vorsieht. Das Bundesverfassungsgericht indes hat in mehreren Entscheidungen die Bedeutung der Pflicht zur grundsätzlichen Benachrichtigung von heimlichen Eingriffen hervorgehoben.

4.2. Datenschutzrechtliche Prüfungen beim Verfassungsschutz

Schwerpunkte meiner Prüfungen im Bereich des Verfassungsschutzes waren diesmal insbesondere die Zugriffe auf Daten der Protokolldatei von DOMEA und die Speicherung von Kindern und Jugendlichen. Daneben wurden Datenerhebungen,
-speicherungen und -übermittlungen sowie Auskunftserteilungen bzw. -ablehnungen durch das Landesamt für Verfassungsschutz überprüft.

4.2.1. Protokolldatei für das Dokumentenmanagementsystem DOMEA

Nach meinen Feststellungen ließen sich aus Protokollierungsdaten von DOMEA (siehe hierzu 21. Tätigkeitsbericht, Nr. 8.5) teilweise konkrete Rückschlüsse auf die gespeicherten Personendaten ableiten. In der Protokolldatei bleiben diese Daten dann mehrere Jahre über die Löschungsfrist der Ursprungsspeicherung hinaus recherchierbar. Auch wenn ich bei meiner Kontrolle vor Ort keinerlei Hinweise auf eine missbräuchliche Nutzung der Protokollierungsdaten erkennen konnte, erfordert dieses Thema noch nähere Abstimmungen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz. Weitere Gespräche sind daher vereinbart, um für das Nachfolgesystem von DOMEA eine datenschutzkonforme Lösung zu finden.

4.2.2. Speicherung von Kindern und Jugendlichen

Wie bereits in der Vergangenheit habe ich ein besonderes Augenmerk auf die Speicherung von Kindern und Jugendlichen gelegt. Über das Verhalten von Kindern darf der Verfassungsschutz nach Maßgabe des Verfassungsschutzgesetzes keine personenbezogenen Daten in Fachdateien speichern. Solche Speicherungen konnte ich bei meiner Prüfung auch nicht feststellen. Bei insgesamt siebzehn Speicherungen von Jugendlichen vermochte ich hingegen anhand der eingesehenen Unterlagen keine ausreichenden Belege erkennen, die bei vernünftiger Betrachtung auf Bestrebungen der Jugendlichen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung hingewiesen hätten. Vielmehr erschienen in einigen Fällen eher jugendliches Fehlverhalten oder Provokationen - ohne extremistischen Hintergrund - naheliegender. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist in allen genannten Fällen meiner Aufforderung zur Löschung der Personendaten gefolgt. Darüber hinaus wurde mir zugesichert, zukünftig vor der Speicherung von Minderjährigen verstärkt die Zielrichtung und das Motiv der Anlasssachverhalte in die Bewertungen einzubeziehen.

4.2.3. Auskunftserteilungen durch das Landesamt für Verfassungsschutz und Bürgereingaben

Bezüglich des Landesamts für Verfassungsschutz habe ich auch die Behandlung von Auskunftsersuchen überprüft. Sowohl bei Bürgereingaben, als auch bei meinen Prüfungen vor Ort konnte ich dabei feststellen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz die datenschutzrechtlichen Bestimmungen bei der Bearbeitung von Auskunftsersuchen grundsätzlich beachtet.