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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 99.01.2020

4. Justiz

4.1. Einsicht in notarielle Urkunden zu Forschungszwecken

Bereits im Jahr 2016 hat mir das Bayerische Staatsministerium der Justiz Gelegenheit gegeben, zur Schaffung einer neuen Akteneinsichtsregelung im Notarrecht Stellung zu nehmen. Anlass hierfür war eine Anfrage des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Einsichtnahme in notarielle Urkunden aus der Zeit des Nationalsozialismus zu wissenschaftlichen Zwecken.

Nach derzeitiger Rechtslage ist die Einsichtnahme in notarielle Urkunden zu Forschungszwecken nicht eindeutig geregelt. Es findet sich keine explizite Rechtsgrundlage in der Bundesnotarordnung (BNotO) oder im Beurkundungsgesetz (BeurkG). Die Regelung des § 18 BNotO zur Verschwiegenheitspflicht des Notars und die Regelung des § 51 BeurkG zum Einsichtsrecht in Urkunden könnten einer Einsichtnahme entgegenstehen.

In meiner Stellungnahme zu der geplanten Regelung schlug ich vor, die notariellen Urkunden mit eine Schutzfrist von 70 Jahren zu belegen, um eine uferlose Ausweitung der Einsichtnahme zu vermeiden und den Interessen der Beteiligten sowie ihrer Angehörigen am Schutz des Urkundeninhalts ausreichend Rechnung zu tragen.

Des Weiteren empfahl ich, sich für die nähere Ausgestaltung der neuen Rechtsgrundlage an den Vorgaben von § 476 Strafprozessordnung (StPO) zu orientieren. Diese Regelung zur Datenübermittlung für wissenschaftliche Zwecke in Strafverfahren bringt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Beteiligten und die Wissenschaftsfreiheit der Forscher in einen angemessenen Ausgleich. Die Voraussetzungen des § 476 StPO können auf eine Vorschrift betreffend die Einsichtsgewährung in notarielle Urkunden übertragen werden. Denn sowohl im Strafverfolgungsbereich als auch im Bereich der Rechtsvorsorge sind sensible Daten betroffen.

§ 476 Abs. 1 StPO setzt für eine Datenübermittlung an Forschungseinrichtungen voraus, dass die Daten für die Durchführung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit erforderlich sind (Erforderlichkeitsklausel), eine Nutzung anonymisierter Daten zu diesem Zweck nicht möglich oder die Anonymisierung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden ist (Subsidiaritätsklausel) und das öffentliche Interesse an der Forschungsarbeit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen am Ausschluss der Übermittlung erheblich überwiegt (Interessenabwägung). Diese drei Voraussetzungen sollten in jedem Fall Gegenstand einer Regelung zur Einsichtsgewährung in notarielle Urkunden sein.

Weiterhin sollte ein Vorrang der Auskunftserteilung vor der Einsichtsgewährung geregelt und der Empfängerkreis eng begrenzt werden. Ferner sollten Schutzvorkehrungen zur Verhinderung unbefugter Kenntnisnahme der im Rahmen der Einsicht erlangten Informationen getroffen werden.

Mittlerweile hat das Bundesjustizministerium einen Regelungsentwurf ausgearbeitet, der in der Bundesnotarordnung die Einfügung entsprechender Vorschriften (§§ 18a bis 18d BNotO-Entwurf) zur Einsichtsgewährung in notarielle Urkunden und Verzeichnisse zu Forschungszwecken vorsieht. Besonders erfreulich ist hierbei, dass alle meine Anregungen und Forderungen aufgegriffen und im Regelungsentwurf umgesetzt wurden. Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn der sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch im Entwurfsstadium befindende Regelungsvorschlag zeitnah in den Bundestag eingebracht und verabschiedet würde.

4.2. Videoüberwachung eines Fachgerichts

Auch in diesem Berichtszeitraum habe ich Videoüberwachungsanlagen verschiedener Justizeinrichtungen geprüft. Bei einem Fachgericht stellte ich fest, dass sämtliche Sitzungssäle mit Videokameras ausgestattet waren. Diese zeichneten permanent das Geschehen im Sitzungssaal für mindestens 15 Minuten auf. Mit Betätigen einer am Richtertisch angebrachten Notfalltaste wären die Aufzeichnungen der vergangenen 15 sowie der darauffolgenden 30 Minuten dauerhaft auf einem Server gespeichert sowie zugleich eine Videobeobachtung auf einem Monitor in der Pforte des Gerichts gestartet worden. Während ich gegen Letzteres keine Bedenken hatte, hielt ich aber die permanente und vor allem anlasslose fünfzehnminütige Aufzeichnung für sehr problematisch.

Zwar erlaubt Art. 24 Abs. 1 BayDSG eine Videoüberwachung in Ausübung des Hausrechts zum Schutz von Leben und Gesundheit von Personen im Bereich öffentlicher Einrichtungen oder zum Schutz der öffentlichen Einrichtungen selbst. Eine permanente anlasslose Videoaufzeichnung in den Sitzungssälen ist zur Abwendung der in Art. 24 Abs. 1 BayDSG genannten Gefahren jedoch weder geeignet noch erforderlich.

Durch die Speicherung der übertragenen Bilder kann eine Gefahr im Sinne des Art. 24 Abs. 1 BayDSG nicht abgewehrt werden. Lediglich die Live-Beobachtung im Alarmierungsfall ermöglicht oder erleichtert schnelles Reagieren. Der "auf Vorrat" erfolgenden Aufzeichnung der Situation kommt hingegen keinerlei gefahrenabwehrende Wirkung zu.

Zudem besteht durch die dauerhafte Videoaufzeichnung der Sitzungssäle die Möglichkeit einer Verhaltens- und Leistungskontrolle der Richterinnen und Richter, was mit deren verfassungsrechtlich garantierter Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz kaum in Einklang zu bringen ist. Des Weiteren sind Konflikte mit der einschlägigen Prozessordnung und dem Gerichtsverfassungsgesetz nicht auszuschließen.

Das Gericht hat meinen Bedenken Rechnung getragen und die bisher anlasslose Daueraufzeichnung aufgegeben. Stattdessen werden die Videokameras in den Sitzungssälen nur noch im Alarmierungsfall aktiviert, wenn also der an der Richterbank angebrachte Alarmknopf gedrückt wird. Diese Beschränkung auf konkrete, anlassbezogene Fälle begrüße ich ausdrücklich. Damit werden die schutzwürdigen Interessen der Richterschaft wie auch die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Parteien und des Publikums einem angemessenen Ausgleich zugeführt.

4.3. Grundbuch: Protokollierungspflicht bei mündlicher Bestätigungsauskunft

Anlässlich eines Familienstreits hatte sich eine an einem Grundstück dinglich berechtigte Petentin mit dem Verdacht an mich gewandt, dass jemand aus ihrem familiären Umfeld unberechtigterweise Informationen aus dem Grundbuch erhalten haben könnte.

Auf meine diesbezügliche Anfrage beim zuständigen Grundbuchamt wurde mir mitgeteilt, dass eine mündliche Auskunftserteilung stattgefunden habe. Derartige mündliche Auskünfte würden nach Prüfung der Auskunftsberechtigung nur in Form von Bestätigungsauskünften erteilt, das heißt, es würden lediglich einer einsichtsersuchenden Person bekannte und von ihr vorgetragene Tatsachen bestätigt. Da mangels einer entsprechenden Pflicht derartige mündliche Auskünfte nicht protokolliert würden, sei es nicht möglich, nachzuvollziehen, wer eine solche erhalten habe.

Der Petentin konnte ich folglich bei der Aufklärung des von ihr geschilderten Sachverhaltes nicht weiterhelfen. Allerdings habe ich den Fall zum Anlass genommen, sowohl das betreffende Grundbuchamt als auch das Bayerische Staatsministerium der Justiz darauf aufmerksam zu machen, dass auch für mündliche Bestätigungsauskünfte eine Protokollierungspflicht besteht:

Eine mündliche Auskunft aus dem Grundbuch ist ein "Weniger" als eine Einsicht in das Grundbuch. § 12 Abs. 1 Satz 1 Grundbuchordnung (GBO) umfasst daher auch die Befugnis zur Erteilung mündlicher Auskünfte aus dem Grundbuch. In der Folge bedeutet dies, dass die in § 12 Abs. 4 GBO in Verbindung mit § 46a Grundbuchverfügung (GBV) geregelte Protokollierungspflicht auch bei mündlichen Bestätigungsauskünften zu beachten ist.

§ 12 GBO

(1) Die Einsicht des Grundbuchs ist jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Das gleiche gilt von Urkunden, auf die im Grundbuch zur Ergänzung einer Eintragung Bezug genommen ist, sowie von den noch nicht erledigten Eintragungsanträgen.

[...]

(4) Über Einsichten in Grundbücher und Grundakten sowie über die Erteilung von Abschriften aus Grundbüchern und Grundakten ist ein Protokoll zu führen. Dem Eigentümer des betroffenen Grundstücks oder dem Inhaber eines grundstücksgleichen Rechts ist auf Verlangen Auskunft aus diesem Protokoll zu geben, es sei denn, die Bekanntgabe würde den Erfolg strafrechtlicher Ermittlungen oder die Aufgabenwahrnehmung einer Verfassungsschutzbehörde, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes gefährden. Das Protokoll kann nach Ablauf von zwei Jahren vernichtet werden. Einer Protokollierung bedarf es nicht, wenn die Einsicht oder Abschrift dem Auskunftsberechtigten nach Satz 2 gewährt wird.

§ 46a GBV

(1) Das Protokoll, das nach § 12 Absatz 4 der Grundbuchordnung über Einsichten in das Grundbuch zu führen ist, muss enthalten:

  1. das Datum der Einsicht,
  2. die Bezeichnung des Grundbuchblatts,
  3. die Bezeichnung der Einsicht nehmenden Person und gegebenenfalls die Bezeichnung der von dieser vertretenen Person oder Stelle,
  4. Angaben über den Umfang der Einsichtsgewährung sowie
  5. eine Beschreibung des der Einsicht zugrunde liegenden berechtigten Interesses; dies gilt nicht in den Fällen des § 43.

Erfolgt die Einsicht durch einen Bevollmächtigten des Eigentümers oder des Inhabers eines grundstücksgleichen Rechts, sind nur die Angaben nach Satz 1 Nummer 1 bis 3 in das Protokoll aufzunehmen.

(2) Dem Eigentümer des jeweils betroffenen Grundstücks oder dem Inhaber des grundstücksgleichen Rechts wird die Auskunft darüber, wer Einsicht in das Grundbuch genommen hat, auf der Grundlage der Protokolldaten nach Absatz 1 erteilt.

(3) [...]

(4) Nach Ablauf des zweiten auf die Erstellung der Protokolle folgenden Kalenderjahres werden die nach Absatz 1 gefertigten Protokolle gelöscht. Die Protokolldaten zu Grundbucheinsichten nach Absatz 3 Satz 1 und Absatz 3a Satz 1 werden für die Dauer von zwei Jahren nach Ablauf der Frist, in der eine Bekanntgabe nicht erfolgen darf, für Auskünfte an den Grundstückseigentümer oder den Inhaber eines grundstücksgleichen Rechts aufbewahrt; danach werden sie gelöscht.

(5) Zuständig für die Führung des Protokolls nach Absatz 1 und die Erteilung von Auskünften nach Absatz 2 ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Grundbuchamts, das das betroffene Grundbuchblatt führt.

(6) Für die Erteilung von Grundbuchabschriften, die Einsicht in die Grundakte sowie die Erteilung von Abschriften aus der Grundakte gelten die Absätze 1 bis 5 entsprechend. Das Gleiche gilt für die Einsicht in ein Verzeichnis nach § 12a Absatz 1 der Grundbuchordnung und die Erteilung von Auskünften aus einem solchen Verzeichnis, wenn hierdurch personenbezogene Daten bekanntgegeben werden.

Das betroffene Grundbuchamt hat mir versichert, dass es seine diesbezügliche Praxis geändert habe. Als besonders erfreulich möchte ich in diesem Zusammenhang hervorheben, dass auch das Justizministerium unverzüglich auf meinen Hinweis reagiert und "die grundbuchamtliche Praxis" über den Umfang der Protokollierungspflicht nach § 12 Abs. 4 GBO in Verbindung mit § 46a GBV informiert hat.

4.4. Beanstandung einer Maßregelvollzugseinrichtung

Im Berichtszeitraum erfuhr ich von folgendem Sachverhalt:

Eine Maßregelvollzugseinrichtung ließ durch ein externes Beratungsunternehmen eine Organisationsuntersuchung sowie eine Mitarbeiterbefragung zur Organisationsentwicklung und Personalbemessung der Maßregelvollzugseinrichtung durchführen. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde durch das Beratungsunternehmen Einsicht in die Pflegedokumentation und in die Therapiepläne der Patientinnen und Patienten genommen. Zudem wurden Ausdrucke der Pflegedokumentation sowie der Therapiepläne an das externe Beratungsunternehmen ausgehändigt.

Nach Angabe der Maßregelvollzugseinrichtung waren in den übermittelten The-rapieplänen die Patientennamen und die Aktenzeichen geschwärzt. Im Übrigen wurden die Therapiepläne ungeschwärzt übergeben und enthielten beispielsweise die Namen von Angehörigen. Die Pflegedokumentation wurde ungeschwärzt an das externe Beratungsunternehmen herausgegeben. Dabei wurde allerdings das Stammblatt der Pflegedokumentation mit personenbezogenen Daten der Angehörigen, des gesetzlichen Betreuers und der einweisenden oder vorbehandelnden Klinik nicht an das Beratungsunternehmen übermittelt. Die übrigen in der Pflegedokumentation erfassten personenbezogenen Daten - wie Namen und Geburtsdaten der Patientinnen und Patienten - wurden jedoch nicht geschwärzt.

Für eine solche Datenübermittlung durch die Maßregelvollzugseinrichtung an das externe Beratungsunternehmen bestand keine gesetzliche Befugnis. Die Maßregelvollzugseinrichtung beging deshalb durch die Datenübermittlung einen Datenschutzverstoß.

Den Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften habe ich förmlich beanstandet (Art. 28 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3, Art. 34 Abs. 1, Art. 16 Abs. 4 BayDSG).

Die Einrichtung stellte mir gegenüber in Aussicht, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Wiederholung auszuschließen. Unabhängig davon ließ ich mich darüber informieren, dass die Unterlagen nach Durchsicht und Auswertung seitens des externen Beratungsunternehmens vernichtet wurden. Außerdem wurde mir versichert, dass eine Weitergabe oder gar Speicherung der übermittelten personenbezogenen Daten nicht erfolgt sei.

4.5. Abruf von Kraftfahrzeughalterdaten bei Verwarnungen im ruhenden Verkehr

In Bayern sind neben der Landespolizei auch die Gemeinden für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Straßenverkehrsgesetz (StVG) zuständig (§ 88 Abs. 3 Verordnung über Zuständigkeiten im Ordnungswidrigkeitenrecht). Darunter fallen insbesondere bestimmte Geschwindigkeits- oder Parkverstöße. Die Aufgabe der Verkehrsüberwachung kann auch von Zweckverbänden wahrgenommen werden. In Bayern bestehen mehrere kommunale Zusammenschlüsse dieser Art, die entsprechende Leistungen anbieten.

Eine von mir durchgeführte datenschutzrechtliche Prüfung bei verschiedenen Gemeinden und Zweckverbänden betreffend die Ahndung von Parkverstößen kam zu dem Ergebnis, dass von dort beim Kraftfahrtbundesamt personenbezogene Daten von Kraftfahrzeughaltern in nicht erforderlicher Weise abgerufen wurden. So erfolgte im Anschluss an das Anbringen eines "Strafzettels" an die Windschutzscheibe des betroffenen Fahrzeugs stets ein automatisierter Abruf der Halterdaten beim Kraftfahrtbundesamt. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist eine solche Datenerhebung noch vor Ablauf der eingeräumten einwöchigen Zahlungsfrist des § 56 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) nicht erforderlich nach § 35 Abs. 1 StVG. Wird das Verwarnungsgeld fristgerecht bezahlt, ist eine Erhebung der Halterdaten des falschparkenden Kraftfahrzeugs entbehrlich. Erst nach erfolgslosem Ablauf der Zahlungsfrist oder für den Fall, dass aus technischen Gründen kein Strafzettel angebracht oder ausgestellt werden kann, ist ein Abruf der Halterdaten beim Kraftfahrtbundesamt erforderlich, um den Halter ermitteln und anschreiben zu können.

Ich konnte erreichen, dass die verwendeten Fachanwendungen so umprogrammiert wurden, dass nunmehr erst nach erfolglosem Ablauf der Zahlungsfrist eine automatisierte Abfrage der Halterdaten beim Kraftfahrtbundesamt erfolgt.