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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 25.05.2022

13. Anhang

Stellungnahme zur Anhörung des Ausschusses für Kommunale Fragen,Innere Sicherheit und Sport des Bayerischen Landtags am 19. Mai 2021zum Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften (Drs. 18/13716)

1. Inwieweit ist der Gesetzentwurf geeignet, die im Abschlussbericht der PAG-Expertenkommission genannten Reformempfehlungen umzusetzen?

Der Gesetzentwurf setzt einen Teil der Empfehlungen des Abschlussberichts der PAG-Expertenkommission um. Teilweise werden aber Empfehlungen - insbesondere aus datenschutzrechtlicher Sicht - nicht oder nur unzureichend umgesetzt. Ferner wird der Gesetzentwurf auch zur Erweiterung polizeilicher Befugnisse genutzt.

2.1 Wie bewerten Sie die grundsätzliche Beibehaltung des Gefahrenbegriffs der "drohenden Gefahr" und die konkrete Änderung des Art. 11 PAG sowie die Einfügung eines Art. 11a PAG-E?

Nach wie vor habe ich große Vorbehalte gegenüber dem Gefahrenbegriff der "drohenden Gefahr". Bereits im Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 habe ich die Einführung stark kritisiert. Große Sorge bereitet mir, dass mit der drohenden Gefahr eine Herabsenkung der Einschreitschwelle bei polizeilichen Standardmaßnahmen wie etwa der Identitätsfeststellung oder der Durchsuchung einer Person bewirkt wirkt, auch wenn eine Beschränkung auf bedeutende Rechtsgüter i.S.d. Art. 11a Abs. 2 PAG-E erfolgt. Dies birgt die Gefahr, dass durch die Beibehaltung - man darf nicht außer Acht lassen, dass die Einführung des Begriffs der "drohenden Gefahr" ursprünglich der Bekämpfung des Terrorismus und Extremismus dienen soll(te) - in erster Linie in die Freiheitsrechte der "Normalbürger" eingreift und damit über das Ziel hinaus schießt.

Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass das BVerfG mit der Entscheidung vom 27. Mai 2020 die drohende Gefahr als neue Gefahrenkategorie anerkannt und gleichzeitig klargestellt habe, dass diese Gefahrenkategorie nicht auf Fälle der Terrorismusabwehr beschränkt sei. Diese Auffassung teile ich nicht.

Die Entscheidung des BVerfG zum BKA-Gesetz bezieht sich im Zusammenhang mit der "drohenden Gefahr" auf Maßnahmen der Gefahraufklärung (heimliche Überwachungsmaßnahmen) und nicht auf Eingriffe in den Kausalverlauf, mithin Beseitigungs- bzw. Verhinderungsmaßnahmen. Auch in seiner Entscheidung vom 27. Mai 2020 behandelt das BVerfG Maßnahmen ausschließlich zur Gefahraufklärung. Art. 11a PAG-E geht allerdings über die reine Gefahraufklärung hinaus und schafft eine Generalklausel in Form von Beseitigungs- bzw. Verhinderungsmaßnahmen, die einen Eingriff in den Kausalverlauf zulassen.

Gleichwohl begrüße ich aus Gründen der Rechtssicherheit die Ergänzung des Art. 11 PAG-E um eine Legaldefinition der konkreten Gefahr.

2.2 In welchen praktischen Fällen sehen Einsatzleiter die Möglichkeit, von den erweiterten Befugnissen und dem Begriff der "drohenden Gefahr" Gebrauch zu machen?

Hierzu kann keine Aussage getroffen werden.

3. Der Begriff der "konkreten Gefahr" wird nunmehr im Gesetz selbst definiert (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 PAG-E). Das Verhältnis zwischen "konkreter" und "drohender" Gefahr wird zudem durch die gesonderte Verortung der drohenden Gefahr in einem neuen Art. 11a sowie einer klareren Formulierung in Art. 11a Abs. 1 PAG-E deutlich gemacht.

3.1 Sehen Sie durch diese Anpassungen die Prüfungsreihenfolge der Gefahrenkategorien als hinreichend konkretisiert an?

Die Empfehlung der PAG-Kommission geht dahin, ein Stufen- bzw. Rangverhältnis herzustellen und damit das Einschreiten aufgrund einer drohenden Gefahr für nachrangig zu erklären. Dies dürfte nun mit dem gewählten Wortlaut und der gewählten Systematik der beiden Generalklauseln in Art. 11 PAG-E und Art. 11a PAG-E erfüllt sein.

Ein solches Rangverhältnis zwischen konkreter und drohender Gefahr soll nach Vorstellung der PAG-Kommission aber auch sämtliche Spezialbefugnisse betreffen, die ein Einschreiten entweder aufgrund einer konkreten oder einer drohenden Gefahr legitimieren. Auch wenn nach der Gesetzesbegründung das "dargestellte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen konkreter und drohender Gefahr [gilt] auch für alle Spezialbefugnisse, bei denen eine entsprechende Abgrenzung vorzunehmen ist, entsprechend" gelten solle, kann ich persönlich die Umsetzung dieser Absicht im Gesetz selbst nicht erkennen. Der Wortlaut der Spezialbefugnisse - die ein Einschreiten aufgrund einer konkreten wie auch drohenden Gefahr zulassen ("einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr") - impliziert vielmehr ein Nebeneinander beider Gefahrenkategorien.

3.2 Sind die in Art. 11a Abs. 1 PAG-E enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe "in absehbarer Zeit" und "Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkungen" aus Ihrer Sicht für die Praxis und Rechtsanwendung hinreichend bestimmt.

Aus Sicht für die Praxis und die Rechtsanwendung sind die Rechtsbegriffe "in absehbarer Zeit" und "Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkungen" nicht hinreichend bestimmt.

Die Staatsregierung brachte 2017 einen Gesetzesentwurf zu effektiveren Überwachung gefährlicher Personen in den Landtag ein, der den Begriff der drohenden Gefahr in Art. 11 Abs. 3 PAG lediglich auf gefährliche Personen im Sinne von mutmaßlichen Terroristen, Amokläufern und vergleichbaren Anlasspersonen bezog. In diesem Sinne bezog sich der Begriff der drohenden Gefahr ausschließlich auf in absehbarer Zeit zu erwartende Gewalttaten von erheblicher Intensität und Auswirkung.

Mit einem Änderungsantrag wurde das Tatbestandsmerkmal "Gewalttaten" durch "Angriffe" ersetzt. Bereits hierzu habe ich erhebliche Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit geäußert. Insbesondere lässt der Begriff "Angriff" weitere Begehungsweisen auch der Alltagskriminalität und im IT-Bereich zu. Der Anwendungsbereich der Vorschrift wird daher deutlich erweitert und geht damit über das ursprüngliche Ansinnen, insbesondere terroristische Anschläge und Amoktaten zu verhindern, hinaus.

4. Aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 18.12.2018 (Az. 1 BvR 142/15 - Kfz-Kennzeichenkontrollen 2) wurde Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG-E angepasst.

Wie bewerten Sie die Befugnisse der Polizei unter verfassungsgerichtlichen Gesichtspunkten und hier insbesondere die Formulierung "(1) Die Polizei kann die Identität einer Person feststellen ... 4. an einer polizeilichen Kontrollstelle, die eingerichtet worden ist, a) ... b) zum Schutz von gefahrenträchtigen Großereignissen oder c) eingebunden in spezifische polizeiliche Ermittlungsstrategien der Gefahrenabwehr" im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot?

Diese Befugnisausweitung sehe ich unter verfassungsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten als äußerst problematisch an. Mit den Ergänzungen werden die polizeilichen Befugnisse deutlich erweitert. So bestünde - vor allem im großstädtischen Bereich - die Möglichkeit, insbesondere an Wochenenden, an denen Fußballspiele oder Konzerte stattfinden, die Identität jeder Person festzustellen oder das Kfz-Kennzeichen jedes PKW‘s automatisiert zu erfassen und abzugleichen (Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG-E i.V.m. Art. 39 PAG), die bzw. das sich im näheren Umkreis einer solchen Veranstaltung aufhält bzw. bewegt. Das Erfordernis einer solchen Regelung aus polizeilicher Sicht ist - jedenfalls derzeit - nicht erkennbar.

Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot sind die Ergänzungen um Buchst. b und c zu unbestimmt und es fehlt an der Erforderlichkeit für den Erlass dieser gesetzlichen Regelungen. Ein wesentlicher Teil der in der Gesetzesbegründung aufgezeigten Beispiele kann bereits unter die bestehende Vorschrift subsumiert werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a PAG-E bzw. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 PAG derzeitige Fassung regelt jedenfalls die angesprochenen Kriminalitätsschwerpunkte, wie Menschenhandel, serienmäßig begangene Brandstiftungen oder gehäuft auftretende Wohnungseinbruchdiebstähle, vgl. § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. i, j, u Strafgesetzbuch (StGB). Ferner sehe ich es als kritisch an, dass unter ein "gefahrenträchtiges Großereignis" eine Vielzahl von Veranstaltungen gefasst werden kann. Damit werden die Möglichkeiten einer Identitätsfeststellung massiv ausgeweitet, ohne dass bislang die polizeipraktischen Bedürfnisse hierfür in nachvollziehbarere Weise dargelegt worden sind.

Intransparent ist überdies, was man sich unter "spezifische polizeiliche Ermittlungsstrategien der Gefahrenabwehr" vorzustellen hat. Nicht zuletzt deshalb, da davon auszugehen ist, dass derartige Strategien als Verschlusssache eingestuft sind, ist eine Ausweitung des Art. 13 PAG an dieser Stelle aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht akzeptabel.

5.1 Wie beurteilen Sie die geänderten Regelungen zur DNA-Analyse nach Art. 14 Abs. 3 bis 6, Art. 32a PAG-E zu Gefahrenabwehrzwecken?

(1) Art. 14 Abs. 3 bis 6 PAG-E

Zu Art. 14 Abs. 3 bis 6 PAG-E ist generell Folgendes anzumerken: Die PAG-Kommission hat in ihrem Abschlussbericht herausgearbeitet, dass der Befugnis ein eher geringer praktischer Anwendungsbereich inne wohnt. Die Empfehlung der PAG-Kommission geht vorrangig dahingehend, die Befugnis aufgrund ihrer geringen Bedeutung aufzuheben.

Ich habe im Jahr 2020 zusätzlich zur Überprüfung durch die PAG-Kommission den Vollzug der neu eingeführten Befugnis des Art. 14 Abs. 3 und 4 PAG - über den Berichtszeitraum der PAG-Kommission hinaus - geprüft. Insgesamt wurden mir auf meine Anfrage durch die Polizeipräsidien neben den neun Fällen, die bereits im Abschlussbericht der PAG-Kommission beschrieben sind, weitere vier Fälle aus dem präventivpolizeilichen Anwendungsbereich mitgeteilt. In insgesamt elf der 13 Fälle stützte die Polizei die Befugnis zur Entnahme der DNA auf eine Freiwilligkeits-/Einverständniserklärung. Die betreffenden Körperzellen wurden in allen 13 Fällen nach Übersendung an das Bayerische Landeskriminalamt und dortiger Auswertung vernichtet. Alle Polizeiverbände wiesen einstimmig darauf hin, dass Art. 14 Abs. 5 PAG keine feste Speicherdauer vorsehe, weswegen die verantwortlichen Polizeidienststellen jeweils eine Einzelfallprüfung in Bezug auf eine etwaige Löschung betreffender Daten durchzuführen hätten, sobald die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 PAG nicht mehr vorlägen.

Die Prüfung zeigt, dass die überwiegend geübte Praxis des Rückgriffs auf Freiwilligkeitserklärungen den in Art. 14 Abs. 3 Satz 4 PAG geregelten Richtervorbehalt umgeht. Sie widerspricht zudem Erwägungsgrund 35 RLDSJ. Danach können die zuständigen Behörden bei der Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben, Straftaten zu verhüten, zwar natürliche Personen auffordern oder anweisen, ihren Anordnungen nachzukommen. Kommt die betroffene Person dieser Anweisung nach, stellt eine solche Einwilligung aber keine rechtliche Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten dar. Denn wenn eine betroffene Person aufgefordert wird, einer rechtlichen Verpflichtung nachzukommen, hat sie keine echte Wahlfreiheit, weshalb ihre Reaktion nicht als freiwillig abgegebene Willensbekundung betrachtet werden kann.

Die nun vorgenommene Gesetzesänderung zieht den Richtervorbehalt aus Transparenzgründen in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 PAG-E vor. Ich befürchte allerdings, dass selbst die Regelung des Richtervorbehalts an einer präsenteren Stelle im Gesetz die geübte Vollzugspraxis nicht wesentlich ändert.

Ferner hatte ich bereits bei der Beteiligung im Rahmen des PAG-Neuordnungsgesetzes des bayerischen Polizeirechts (erfolglos) darauf hingewiesen, dass angesichts des mit der molekulargenetischen Untersuchung einhergehenden erheblichen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine Regelung zur Speicherdauer erforderlich ist. Art. 14 Abs. 6 Satz 1 PAG-E regelt nun die Aufbewahrungsdauer der entnommenen Körperzellen. Art. 14 Abs. 6 Satz 2 PAG-E regelt die Speicherdauer der ED-Unter- lagen, wozu auch die DNA-bezogenen Feststellungen gehören. Allerdings sieht Art. 14 Abs. 6 Satz 2 PAG-E - wie auch die derzeitige Regelung des Art. 14 Abs. 5 PAG - vor, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen dann zu vernichten sind, wenn die Voraussetzungen nach Art. 14 Abs. 1, 3 oder Abs. 4PAG-E entfallen sind. Wann nun die Voraussetzungen nach Art. 14 Abs. 1, 3 oder 4 PAG-E entfallen sind, wird nicht geregelt. Angesichts der Eingriffsintensität der Maßnahmen und der vom BVerfG entwickelten Wesentlichkeitslehre sollten meines Erachtens weitere flankierende Schutzmaßnahmen im Gesetz selbst geregelt werden und nicht etwaigen Vollzugsvorschriften vorbehalten bleiben.

Zu Art. 14 Abs. 4 PAG-E vgl. Antwort zu Frage 5.2.

(2) Art. 32a PAG-E

Zu begrüßen ist die Streichung des derzeit noch enthaltenen Untersuchungszwecks der biogeographischen Herkunft.

Unklar ist aber die Relevanz dieser Maßnahme in Abgrenzung zur strafprozessualen Parallelvorschrift des § 81e Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO).

Die Befugnis in Art. 32a PAG-E geht in der beabsichtigten Fassung über die derzeitige Fassung des Art. 32 Abs. 1 Satz 2 PAG hinaus. So fehlt es der Entwurfsfassung an der einschränkenden Subsidiaritätsklausel "...wenn die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre." Demnach ist bei Vorliegen einer bloßen abstrakten Gefahr bereits die Durchführung einer solchen Maßnahme zulässig.

Zudem lassen die verfahrensrechtlichen Regelungen nach wie vor weitere bedeutende grundrechtsflankierende Vorschriften vermissen. Für die nun neu eingeführte Speicherung der DNA-Identifizierungsmuster in Dateien, vgl. Art. 32a Abs. 2 PAG-E, ist die gesetzliche Regelung zur Speicherdauer der DNA-Identifizierungsmuster unzureichend.

5.2 Wurden die Voraussetzungen für die Identifizierung eines Verstorbenen oder einer hilflosen Person mittels molekulargenetischer Untersuchung außerhalb strafrechtlicher Ermittlungsverfahren Ihrer Einschätzung nach hinreichend geregelt (Art. 14 Abs. 4 PAG-E)?

Eine hinreichende Regelung liegt - sofern man deren praktische Relevanz anerkennt - in Art. 14 Abs. 4 PAG-E nicht vor.

Im Falle des Auffindens einer unbekannten Leiche ist eine solche Befugnis nicht erforderlich. So ist eine Identifizierung nach § 88 StPO möglich, auch wenn kein Anfangsverdacht für eine Straftat im Raum steht. "Bestehen bei einem Todesfall Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod oder wird eine unbekannte Leiche gefunden, so läuft (auch bei einem zunächst noch fehlenden Straftatverdacht) ein Todesermittlungserfahren i.e.S. an. Dieses basiert im Wesentlichen auf § 159 StPO und stellt noch kein übliches strafprozessuales Ermittlungsverfahren dar; vielmehr handelt es sich dabei um ein Verfahren eigener Art (so BGHSt 49, 29). Zweck dieses besonderen Verfahrens ist die vorsorgliche Beweissicherung für den hypothetisch möglichen Fall, dass der Tod durch die Straftat eines anderen herbeigeführt worden sein sollte. Ferner ist die genaue Todesursache abzuklären und ggf. die Identität des Verstorbenen festzustellen." Gem. § 159 StPO besteht die Pflicht von Polizei- und Gemeindebehörden zur sofortigen Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder an das Amtsgericht, wenn "der Leichnam eines Unbekannten gefunden" wird.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass eine dem Polizeirecht typisch innewohnende Gefahrenlage bei der Identifizierung von Leichen nicht gegeben ist. In der Regel handelt es sich hier nicht um eine Form der Gefahrenabwehr.

6. Die zulässige Höchstdauer einer Gewahrsamsanordnung soll unter Berücksichtigung der Vorschläge der PAG-Kommission und der Erfordernisse der Polizeipraxis auf längstens einen Monat reduziert werden und der Präventivgewahrsam soll künftig nur bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten verlängert werden dürfen (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG-E).

6.1 Sind Ihrer Auffassung nach durch diese Änderungen die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt?

Art. 20 Abs. 2 PAG-E ist im Vergleich zur derzeitigen Gesetzeslage zu begrüßen und setzt auch teils die Empfehlung der PAG-Kommission um.

Allerdings sind die grundrechtsflankierenden Vorschriften nur unzureichend. Art. 97 Abs. 2 PAG-E sieht vor, dass die richterliche Entscheidung ohne persönliche Anhörung der in Gewahrsam genommenen Person ergehen kann, wenn diese rauschbedingt nicht in der Lage ist, den Gegenstand der persönlichen Anhörung ausreichend zu erfassen und zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen beizutragen. Art. 97 Abs. 2 Satz 2 PAG-E regelt im Anschluss daran, dass in diesen Fällen die richterliche Entscheidung mit Erlass wirksam wird und es hierzu keiner Bekanntgabe an die in Gewahrsam genommene Person bedarf. Diese Regelung begegnet erheblichen Bedenken. Der Bundesgesetzgeber hat zwar in § 422 Abs. 2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) vorgesehen, dass ein Beschluss - abweichend von § 422 Abs. 1 FamFG - nicht erst mit Rechtskraft, sondern bereits aufgrund sofortiger Anordnung wirksam werden kann. Der Bundesgesetzgeber überantwortet diese Entscheidung aber dem Gericht und ordnet nicht von Gesetzes wegen die sofortige Wirksamkeit an. Ich gehe davon aus, dass die bundesrechtlichen Ausnahmeregelung des § 422 Abs. FamFG abschließend und eng auszulegen ist. Sie lässt daher keine landesrechtliche Durchbrechung - zumal zu Lasten des Betroffenen - zu. Auch die Einfügung des Satzes 3 in Art. 97 Abs. 2 PAG-E sehe ich kritisch. § 419 Abs. 1 Satz 2 FamFG erachtet die Bestellung eines Verfahrenspflegers gerade für erforderlich, "wenn von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll. Die Vorschrift betrifft damit die Fälle, in denen die Anhörung wegen erheblicher gesundheitlicher Gefahren für den Betroffenen unterbleiben soll oder der Betroffene nicht ansprechbar ist."

6.2 Ist die Regelung geeignet, um die von einem terroristischen Gefährder ausgehende Gefahr zu beseitigen?

Hierzu kann keine Aussage getroffen werden.

6.3 Wie beurteilen Sie darüber hinaus die Änderungen zum anwaltlichen Beistand?

Die Einfügung des Art. 97 Abs. 4 PAG-E ist begrüßenswert.

7. Art. 33 Abs. 4 Satz 5 PAG-E führt im Zusammenhang mit dem Einsatz der Body-Cam in Wohnungen einen Richtervorbehalt für die Verwertung der erlangten Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr ein (Art. 33 Abs. 4 Satz 5 PAG-E).

7.1 Wie beurteilen Sie diesen zusätzlichen Rechtsschutz für die Betroffenen dieser Maßnahme?

Zunächst möchte ich hervorheben, dass die PAG-Kommission in ihrem Abschlussbericht empfiehlt, "Aufzeichnungen nach Art. 33 Abs. 4 PAG in Wohnungen unter den Vorbehalt einer unverzüglich nachzuholenden richterlichen Entscheidung zu stellen. Zudem sollte im Gesetz vorgesehen werden, dass die von der Maßnahme betroffenen Personen eine rechtsmittelfähige Bescheinigung ausgehändigt bekommen, etwa in Anlehnung an die Regelung nach Art. 24 Abs. 4 und 6 PAG...". Dieser Empfehlung möchte der Gesetzentwurf mit Art. 33 Abs. 4 Satz 4 und 5 PAG-E nachgekommen sein. Diese Einschätzung teile ich persönlich nicht.

Der Gesetzentwurf stellt auf die Verwertbarkeit der erlangten Aufnahmen in Wohnungen ab und zwar lediglich zum Zwecke der Gefahrenabwehr. Die Empfehlung der PAG-Kommission geht aber dahin, die Zulässigkeit der Aufnahme in Wohnungen per se einer richterlichen Entscheidung zu unterstellen. Demnach mangelt es der Norm nach wie vor am verfassungsrechtlich zwingend erforderlichen Richtervorbehalt. Art. 33 Abs. 4 Satz 3 PAG unterfällt - entgegen der Annahme in der Gesetzesbegründung - dem Maßstab des Art. 13 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Vielmehr müsste daher - da eine richterliche Entscheidung in vielen Fällen erst nachholbar sein wird - die Maßnahme nach Art. 33 Abs. 4 Satz 3 PAG einer unverzüglichen richterlichen Entscheidung zugeführt werden.

Zudem liefe die richterliche Überprüfung mit dem beabsichtigten Wortlaut des Art. 33 Abs. 4 Satz 5 PAG-E in zahlreichen Fällen ins Leere. Denn eine Überprüfung ist nur für Fälle der Verwertbarkeit der Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr vorgesehen; dass im Regelfall aber eine Verwertung der Erkenntnisse im Rahmen der Strafverfolgung vorliegen wird, bleibt unberücksichtigt und ungeregelt.

Die Geräte dienen überwiegend dem Eigenschutz der Polizeibeamteninnen und -beamten. Daraus wird deutlich, dass im Regelfall eine Verwertung im Rahmen der Strafverfolgung erfolgen soll. Der Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass im Hinblick auf die Verwertung im Rahmen des Strafverfahrens die allgemeinen Regelungen der Strafprozessordnung gelten sollen und es deshalb keiner gesonderten Aufnahme einer nachträglichen richterlichen Überprüfung auch für diese Fälle bedurfte, geht fehl. Art. 13 Abs. 4 GG sieht nicht lediglich eine richterliche Überprüfung der Verwertbarkeit der Aufnahmen vor, sondern bereits einen Richtervorbehalt für die Maßnahme an sich - also einen Richtervorbehalt für die Erhebung personenbezogener Daten. Eine Strafrichterin/ein Strafrichter überprüft nicht die Zulässigkeit der Maßnahme als solche, sondern entscheidet ausschließlich über die Verwertbarkeit der gewonnenen Bildaufzeichnungen als Beweismittel nach strafprozessualen Regeln, was sich in der Regel nach ganz anderen Maßstäben richtet. In diesem Zusammenhang ist auch zwingend Art. 95 Abs. 5 Satz 2 PAG-E anzupassen. Denn die jedenfalls einzuholende richterliche Bestätigung i.S.v. Art. 95 Abs. 5 Satz 1 PAG-E läuft regelmäßig wegen Art. 95 Abs. 5 Satz 2 PAG-E ins Leere.

Zudem ist der Katalog des Art. 52 Abs. 1 Satz 1 PAG um den Body-Cam-Einsatz in Wohnungen nach Art. 33 Abs. 4 Satz 3 PAG zu ergänzen. Denn die Verwendung von Body-Cams in Wohnungen ist am Maßstab des Art. 13 Abs. 4 GG zu messen mit der Folge, dass der Landtag - entsprechend Art. 13 Abs. 6 GG - regelmäßig über diese eingriffsintensive Maßnahme zu unterrichten ist.

7.2 Wie bewerten Sie diesbezüglich die besondere Mitteilung an den Betroffenen über den Einsatz von Body-Cams in Wohnungen (Art. 33 Abs. 4 Satz 4PAG-E)?

Der Gesetzentwurf geht auf die Empfehlung der PAG-Kommission nach einer rechtsmittelfähigen Bescheinigung in Anlehnung an die Regelung des Art. 24 Abs. 4 und 5 PAG nur unzureichend ein.

Eine Umsetzung dieser Dokumentation kann nach der Gesetzesbegründung "etwa durch die Übergabe oder Einwurf eines Informationsblattes" erfolgen. Ein Informationsblatt ist nicht mit einer rechtsmittelfähigen Bescheinigung gleichzusetzen. Die Empfehlung der PAG-Kommission zielt nach meinem Verständnis darauf ab, der oder den betroffenen Personen die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung einzuräumen. Mit der Aushändigung eines Informationsblattes wird diese Empfehlung nur unzureichend umgesetzt.

Würde aber die richterliche Entscheidung - Anordnung oder in Eilfällen die richterliche Bestätigung - für Aufnahmen in Wohnungen per se und nicht nur für deren Verwertbarkeit umgesetzt werden, so würde dem Betroffenen auch eine Rechtsmittel an die Hand gegeben, da ein rechtsmittelfähiger richterlicher Beschluss vorläge.

7.3 Wie beurteilen Sie darüber hinaus die Beibehaltung der Prerecording-Funktion (Art. 33 Abs. 4 Satz 5 = Art. 33 Abs. 4 Satz 7 PAG-E) insbesondere im Lichte des LS 1 der Entscheidung des BVerfG v. 18.12.2018 (Az. 1 BvR 142/15 - Kfz-Kennzeichenkontrollen 2)?

Im Lichte des Leitsatzes 1 der Entscheidung des BVerfG vom 18. Dezember 2018 (Az. 1 BvR 142/15) ist die Prerecording-Funktion als Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu sehen. Die Prerecording-Funktion kann nach der Entscheidung des BVerfG damit nicht mehr als grundrechtneutral eingestuft werden. Dies wirft verfassungsrechtliche Fragen auf.

8. Welche Bedeutung haben die Regelungen zum Richtervorbehalt im vorliegenden Gesetz und sind sie praxisnah umsetzbar?

Hierzu kann keine Aussage getroffen werden.

9. Neben der Einführung neuer Richtervorbehalte erfolgt zusätzlich eine Aufzählung derjenigen Maßnahmen, die einem grundsätzlichen Richtervorbehalt unterliegen, gebündelt an einer zentralen Stelle im Gesetz (Art. 94 PAG-E). Ergänzend wird der grundsätzliche Richtervorbehalt auch in den jeweiligen Befugnisnormen hervorgehoben. Wie wirkt sich diese Gestaltung Ihrer Ansicht nach auf die Rechtsanwendung aus?

Laut Gesetzesbegründung soll hiernach eine erhöhte Anwenderfreundlichkeit und Übersichtlichkeit erreicht werden. Ob dies gelingt, wird die Praxis zeigen.

10. Wie bewerten Sie die Ergänzung und Zusammenfassung der verfahrensrechtlichen Vorschriften in einem neuen Abschnitt an zentraler Stelle im Gesetz (IX. Abschnitt "Gerichtliches Verfahren"), insbesondere hinsichtlich der Kohärenz und der Erleichterung der Anwendung?

Hierzu kann derzeit noch keine Aussage getroffen werden. Ob eine Erleichterung der Anwendung damit einhergehen wird, wird die Praxis zeigen.

11. Wie ist die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde beim Bayerischen Obersten Landesgericht zu bewerten?

Hierzu kann keine Aussage getroffen werden.

12. Ist der Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses durch das Gesetz ausreichend gewährt, obgleich eine Generalklausel entsprechend § 62 BKAG fehlt?

Eine dem § 62 BKAG ähnelnde Vorschrift findet sich in Art. 49 PAG. Art. 49 PAG regelt aber den Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses nur unzureichend. Art. 49 Abs. 1 PAG (Erhebungsebene) lässt einige verdeckte Maßnahmen (Art. 42 Abs. 2 PAG, Art. 45 Abs. 2 PAG, Art. 37 Abs. 1 PAG, Art. 38 Abs. 1 PAG) unberücksichtigt, obwohl diese ebenfalls intensiv in das Vertrauensverhältnis eingreifen können. Ähnlich verhält es sich mit Art. 49 Abs. 2 PAG, der bislang nur den Abruf der Vorratsdaten nach Art. 43 Abs. 2 Satz 2 PAG speziell regelt. Eine entsprechende Ausschlussregelung ist jedoch auch für das Auskunftsverlangen gegenüber Diensteanbietern vorzusehen, wenn dieses Verkehrsdaten nach Art. 43 Abs. 2 Satz 1 PAG zum Gegenstand hat. Schließlich ist auch der Katalog des Art. 49 Abs. 5 PAG (Auswertungsebene) um Art. 42 Abs. 2 PAG zu ergänzen.

13. Die im Zeugenschutz bereits etablierten Grundsätze und Standards für umfassende Schutzmaßnahmen werden in Art. 92 PAG-E für den Bereich des operativen Opferschutzes festgeschrieben. Somit besteht nun die explizite Rechtsgrundlage, die (auch unbeabsichtigte) Preisgabe personenbezogener Daten zu schützender Personen an Dritte zu verhindern. Wie bewerten Sie diese Ergänzungen hinsichtlich des Ziels eines möglichst effektiven Opferschutzes?

Grundsätzlich sind Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten in diesem Zusammenhang zu begrüßen. Nicht ganz klar ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift; denn handelt es sich um schützenswerte Zeugen gilt das Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz (ZSHG). Wann nun eine Person zu einer "zu schützenden Person" wird, kann weder dem Gesetzestext noch der Begründung entnommen werden.

Ob die Vorschrift in der Praxis einen effektiven Opferschutz ermöglicht, kann derzeit (noch) nicht beurteilt werden.

14. Welche Regelungen des PAG sind ihrer Auffassung nach darüber hinaus reformbedürftig? Können Sie dies kurz begründen bspw. an den Regelungen über die Vorladung (Art. 15 PAG), die Durchsuchung von Speichermedien (Art. 22 Abs. 2 PAG), Sicherstellung (Art. 25 PAG), die Videoüberwachung (Art. 33 PAG), die Postsicherstellung (Art. 35 PAG), die Besonderen Mittel der Datenerhebung (Art. 36 PAG), den Einsatz von VE und VP (Art. 37, 38 PAG), die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (Art. 40 PAG), den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen (Art. 41 PAG), die Betreten und Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen bei Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen (Art. 44 Abs. 1 Satz 5 PAG), die Online-Durchsuchung (Art. 45 PAG), den Einsatz von unbemannten Luftfahrtsystemen (Art. 47 PAG), das Verarbeitungsverbot nach Übermittlung (Art. 55 Abs. 3 Satz 5 PAG), den Abruf nachrichtendienstlicher Daten durch die Polizei (Art. 60 Abs. 3 PAG)?

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz) vom 18. Mai 2018 habe ich bereits ausführlich aus datenschutzrechtlicher Sicht Stellung zum Reformbedarf einzelner Vorschriften genommen. Meine Stellungnahme zum PAG-Neuordnungsgesetz ist auf meiner Homepage abrufbar. Insbesondere möchte ich aber folgende Aspekte nochmals hervorheben:

(1) Akkreditierung

Immer wieder - zuletzt bei den Vorbereitungen zur UEFA EURO 2020 in München - spielt die Thematik der Akkreditierung zu Großveranstaltungen eine Rolle. Wiederholt habe ich die Schaffung einer bereichsspezifischen Rechtsgrundlage für sämtliche Fallkonstellationen eines Akkreditierungsverfahrens gefordert.

Art. 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b) PAG regelt nunmehr zwar ausdrücklich die Datenerhebung zu Zwecken des Personenschutzes, insbesondere die Überprüfung von Dienstleistungspersonal im Zusammenhang mit Veranstaltungen. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu Art. 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b) PAG wurde diese Alternative als besondere Form der Datenerhebung gerade für Überprüfungen bei "Veranstaltungen, bei denen polizeiliche Schutzpersonen zugegen sind" geschaffen. Die Rechtsgrundlage kann damit nur zur Anwendung kommen, wenn tatsächlich entsprechende polizeiliche Schutzpersonen zugegen sind oder zumindest damit zu rechnen ist.

Da Akkreditierungsverfahren einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen darstellen, insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) und letztlich auch in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit - gegebenenfalls auch in Art. 5 Abs. 1 GG -, müssen die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen durch ein gesetzlich geregeltes transparentes Verfahren mit entsprechenden Informations- und Anhörungsrechten gewährleistet werden. Es muss dabei der betroffenen Person rechtzeitig die Möglichkeit eröffnet werden, sich persönlich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies ist schon aus verfassungsrechtlicher Sicht und aufgrund des Rechts der betroffenen Person an einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren unerlässlich.

(2) Durchsuchung von Speichermedien (Art. 22 Abs. 2 PAG)

Nach Art. 22 Abs. 2 Satz 1 PAG können vom Durchsuchungsobjekt räumlich getrennte Speichermedien durchsucht werden, wenn die Durchsuchung ein "elektronisches Speichermedium" betrifft. Art. 22 Abs. 2 Satz 1 PAG geht demnach davon aus, dass eine Durchsuchung elektronischer Speichermedien unter den Voraussetzungen des Art. 22 Abs. 1 PAG zulässig ist. Diese Rechtsauffassung teile ich nicht. Art. 22 Abs. 1 PAG erlaubt lediglich die Durchsuchung von "Sachen". Sachen in diesem Sinne sind nur "körperliche Gegenstände" gemäß § 90 BGB. Elektronische Daten sind als solche keine Sachen, da ihnen die für den Sachbegriff kennzeichnende abgrenzbare Körperlichkeit fehlt. Auch das Polizeiaufgabengesetz selbst geht von der mangelnden Sacheigenschaft von Daten aus (siehe Art. 25 Abs. 3 Satz 4 PAG: "Die Bestimmungen ... gelten unter Berücksichtigung der unkörperlichen Natur von Daten sinngemäß."). Nur der Datenträger ist eine Sache i.S.v. § 90 BGB. Dies rechtfertigt aber keine Durchsuchung der darauf abgelegten Daten. Es stellt sich ferner die Frage nach der Relevanz dieser Befugnis neben der repressiven Befugnis nach § 110 Abs. 3 Satz 1 StPO.

Eine Durchsuchung ist daher nur unter strengen Voraussetzungen, insbesondere nur zur "Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut" zuzulassen. Zudem dürfen auf vom Durchsuchungsobjekt räumlich getrennte Speichermedien nur zugegriffen werden, "wenn andernfalls der Verlust der gesuchten Daten zu besorgen ist" (eine gleichlautende Einschränkung enthält auch § 110 Abs. 3 Satz 1 StPO, dem Art. 22 Abs. 2 PAG nachgebildet ist). Denn nur wenn ein Daten- und Beweismittelverlust zu befürchten ist, also das externe Speichermedium (z.B. Daten in der Cloud) nicht rechtzeitig gesichert werden kann, ist ein derart weitgehender Eingriff vertretbar. Weiterhin sieht die Regelung des Art. 22 Abs. 2 PAG bislang keinerlei Vorkehrungen zum Schutz von Daten vor, über deren Inhalt nach §§ 53, 53a StPO das Zeugnis verweigert werden könnte oder die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung unterfallen. Ein Verweis auf Art. 49 BayPAG fehlt insoweit.

Darüber hinaus ist die Befugnis zur Durchsuchung elektronischer Speichermedien und Clouds unter einen Richtervorbehalt zu stellen. Zwar handelt es sich bei der Durchsuchung um eine offene Maßnahme. Aufgrund deren Eingriffsintensität hat jedoch grundsätzlich eine Richterin/ein Richter darüber zu entscheiden. Insbesondere die systematische Durchsuchung und Auswertung von Festplatten und Clouds mit Analysetools stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff dar, der einem Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme nahekommt. Mit der Durchsuchung von Sachen kann eine derart eingriffsintensive Maßnahme nicht gleichgesetzt werden. Auch § 110 Abs. 3 StPO setzt grundsätzlich eine von der Ermittlungsrichterin/von dem Ermittlungsrichter angeordnete Durchsuchung (§ 105 Abs. 1 StPO) voraus.

Zudem sollten Maßnahmen nach Art. 22 Abs. 2 PAG aufgrund ihrer Eingriffsintensität protokolliert und die betroffenen Inhaber im Falle ihrer Abwesenheit hierüber benachrichtigt werden.

(3) Sicherstellung (Art. 25 PAG)

Die in Art. 25 Abs. 3 PAG vorgesehene Befugnis zur Sicherstellung von Daten soll unter denselben Voraussetzungen zulässig sein wie die Sicherstellung von Sachen (Art. 25 Abs. 1 PAG) und Vermögensrechten (Art. 25 Abs. 2 PAG). Das halte ich jedoch für unvertretbar, da mit der Sicherstellung personenbezogener Daten und Zugangsdaten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird, was nur in engen Grenzen erlaubt werden kann.

Die Befugnis ist unter einen Richtervorbehalt zu stellen. Zwar handelt es sich hierbei - ebenso wie bei der Durchsuchung nach Art. 22 Abs. 2 PAG - um eine offene Maßnahme. Aufgrund deren Eingriffsintensität hat jedoch grundsätzlich auch hierüber eine Richterin/ein Richter zu entscheiden. Denn der Entzug der Verfügungsgewalt des Inhabers über seine personenbezogenen Daten und Zugangsdaten stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff dar, zumal mit der Sicherstellung der Daten regelmäßig auch eine Kenntnisnahme hiervon durch die Polizei einhergeht.

(4) Besonderen Mittel der Datenerhebung (Art. 36 PAG)

Über die bisherige Erweiterung des Richtervorbehalts hinaus ist auch der Einsatz technischer Mittel nach Art. 36 Abs. 1 Nr. 2 c), d) und e) PAG-E, sofern diese durchgehend länger als 24 Stunden oder an mehr als zwei Tagen durchgeführt werden sollen, unter einen Richtervorbehalt zu stellen (siehe auch § 64 Abs. 3 Nr. 2 BKAG).

(5) Abruf nachrichtendienstlicher Daten durch die Polizei (Art. 60 Abs. 3 PAG)

Die Abrufbefugnis des Art. 60 Abs. 3 Nr. 1 PAG sieht vor, dass die Polizei die Verfassungsschutzbehörden um die Übermittlung von mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen Daten "zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut" ersuchen darf. Die Datenübermittlungsbefugnis des Art. 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) erlaubt eine Datenübermittlung hingegen nur "zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist". Diese vorgenannten Rechtsgüter entsprechen den Rechtsgütern des Art. 11a Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 PAG-E. Darüber hinaus sieht Art. 60 Abs. 3 Nr. 1 PAG jedoch auch die "drohende Gefahr" als zulässigen Gefahrengrad vor. Demnach geht die Abrufbefugnis des Art. 60 Abs. 3 Nr. 1 PAG deutlich über die Voraussetzungen der Übermittlungsbefugnis des Art. 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayVSG hinaus und verstößt damit bereits gegen die Vorgaben des BVerfG zum sog. Doppeltür-Modell im wegweisenden Bestandsdatenauskunfts-Urteil vom 24. Januar 2014.

15. Welche Bedeutung hat der Einsatz von unbemannten Luftfahrtsystemen (Drohnen), insbesondere im Bereich der drohenden Gefahr für die praktische polizeiliche Arbeit?

Hierzu kann keine Aussage getroffen werden.

16. Ist das vorliegende Gesetz in der Gesamtschau seiner Befugnisse und Regelungen mit der vom Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung erstmals geforderten "Überwachungsgesamtrechnung" vereinbar?

Ich stelle mir die Frage, ob mit den über die letzten Jahre immer mehr erweiterten Befugnissen der vom BVerfG im Urteil zur Vorratsdatenspeicherung erstmals geforderten "Überwachungsgesamtrechnung" noch Genüge getan wird.

Das BVerfG hat 2010 ausgeführt, dass eine Gesetzgebung, "die auf eine möglichst flächendeckende vorsorgliche Speicherung aller für die Strafverfolgung oder Gefahrenprävention nützlichen Daten zielte, ... von vornherein mit der Verfassung unvereinbar" sei. Nur wenn sichergestellt sei, dass durch alle Überwachungsmaßnahmen zusammen nicht alle Aktivitäten der Bürger erfasst und rekonstruiert werden können, sei eine Vorratsdatenspeicherung überhaupt rechtfertigungsfähig.

Auch im BKAG-Urteil mahnt das BVerfG an, keine Totalüberwachung zu ermöglichen: "Mit der Menschenwürde unvereinbar ist es, wenn eine Überwachung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und derart umfassend ist, dass nahezu lückenlos alle Bewegungen und Lebensäußerungen des Betroffenen registriert werden und zur Grundlage für ein Persönlichkeitsprofil werden können... Beim Einsatz moderner, insbesondere dem Betroffenen verborgener Ermittlungsmethoden müssen die Sicherheitsbehörden mit Rücksicht auf das dem "additiven" Grundrechtseingriff innewohnende Gefährdungspotenzial koordinierend darauf Bedacht nehmen, dass das Ausmaß der Überwachung insgesamt beschränkt bleibt...". Dieser Hinweis des Gerichts ist zwar unmittelbar an die Sicherheitsbehörden adressiert, ist aber auch bei der gesetzlichen Ausgestaltung von Überwachungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Neben der Einführung neuer Befugnisse ist dabei auch das Zusammenwirken und Überschneiden z.B. mit bundespolizeilichen Befugnissen in den Blick zu nehmen.

Auch mit der nun erneuten Erweiterung polizeilicher Befugnisse (vgl. Frage 4) besteht, insbesondere im großstädtischen Bereich, die Gefahr, dass man weg von einer anlassbezogenen Überwachung hin zur Überwachung des Alltagslebens rückt.

Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob mit der Erweiterung der Befugnisse, insbesondere im Bereich verdeckter Maßnahmen, die Überwachungsgesamtbilanz noch gewahrt oder nicht bereits darüber hinausgegangen wird. Es darf darauf hingewiesen, dass das Max-Planck-Institut kürzlich ein "Konzept für ein periodisches Überwachungsbarometer" veröffentlicht hat. Hierzu fand am 22. Februar 2021 eine Anhörung des Deutschen Bundestags statt.

17. Die vorangegangenen Novellierungen des PAG haben im Jahr 2018 zu massiven zivilgesellschaftlichen Protesten in Bayern geführt; die Bürgerinnen und Bürger brachten ihre Sorgen vor einem ausufernden Überwachungsstaat darin friedlich zum Ausdruck. Ist der vorliegende Gesetzentwurf ihrer Auffassung nach dazu geeignet, die damals formulierten Bedenken der Bayerischen Bürgerinnen und Bürger aufzugreifen und das Vertrauen in eine angemessene Balance des Polizeirechts zwischen Freiheits- und Sicherheitsrechten wiederherzustellen?

Die PAG-Expertenkommission hat mit ihren Untersuchungen und daraus entwickelten Empfehlungen einen wesentlichen Beitrag zur Evaluierung einzelner - insbesondere umstrittener Vorschriften - des Polizeiaufgabengesetzes geleistet. Viele dieser Empfehlungen wurden mit dem aktuellen Gesetzentwurf umgesetzt. Zu bedenken gebe ich aber, dass die Empfehlungen aus datenschutzrechtlicher Sicht teilweise nur unzureichend umgesetzt werden und der Gesetzesentwurf überdies auch dazu genutzt wird, abermals Befugnisse der Bayerischen Polizei auszuweiten.

  1. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  2. GVBl. 2017, S. 388. [Zurück]
  3. Landtags-Drucksache 17/12699. [Zurück]
  4. Landtags-Drucksache 18/13716, S. 22. [Zurück]
  5. BVerfG vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13 und 1 BvR 2618/13 - Bestandsdatenauskunft II. [Zurück]
  6. BVerfGE 141, 220, 270 ff. Rn. 108 ff. - BKAG. [Zurück]
  7. BVerfG vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13 und 1 BvR 2618/13 - Bestandsdatenauskunft II. [Zurück]
  8. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 36, Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  9. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 37, Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  10. Landtags-Drucksache 18/13716, S. 21. [Zurück]
  11. Landtags-Drucksache 17/16299. [Zurück]
  12. Landtags-Drucksache 17/17058. [Zurück]
  13. Landtags-Drucksache 18/13716, S. 25. [Zurück]
  14. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 41 f., Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  15. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 43, Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  16. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 40 f., Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  17. Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates. [Zurück]
  18. Vgl. meine Stellungnahme unter https://www.datenschutz-bayern.de/nav/0710.html. [Zurück]
  19. Landtags-Drucksache 17/20425, S. 42. [Zurück]
  20. Vgl. auch PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 48, Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  21. Kastner in Möllers Polizei-WB, 3. Auflage 2018, Todesermittlungsverfahren. [Zurück]
  22. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 59 f., Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  23. Günter, in BeckOK FamFG, 34. Ed. 1.4.2020, § 419 Rn. 7. [Zurück]
  24. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 65, Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  25. Landtags-Drucksache 18/13716, S. 29. [Zurück]
  26. Landtags-Drucksache 17/20425, S. 51. [Zurück]
  27. Landtags-Drucksache 18/13716, S. 29. [Zurück]
  28. PAG-Kommission, Abschlussbericht, 2019, S. 65, Internet: https://www.pag.bayern.de (externer Link). [Zurück]
  29. Landtags-Drucksache 18/13716, S. 29. [Zurück]
  30. Landtags-Drucksache 18/13716, S. 37. [Zurück]
  31. Landtags-Drucksache 18/13716, S. 36 f. [Zurück]
  32. GVBl. 2018, S. 301. [Zurück]
  33. https://www.datenschutz-bayern.de/nav/0710.html. [Zurück]
  34. Landtags-Drucksache 17/20425, S. 50. [Zurück]
  35. Siehe Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, PAG, 5. Aufl., 2020, Art. 22 Rn. 4. [Zurück]
  36. Siehe Stresemann, in: MüKo BGB, 8. Aufl., 2018, § 90 Rn. 25; Fritzsche, in BeckOK BGB, 57. Ed., Stand 1.11.2020, § 90 Rn. 25, 27. [Zurück]
  37. BVerfGE 130, 151, 184 - Bestandsdatenauskunft; ähnlich bereits BVerfGE 125, 260, 355 f. - Vorratsdatenspeicherung. [Zurück]
  38. BVerfGE 125, 260, 323 f. - Vorratsdatenspeicherung. [Zurück]
  39. BVerfGE 125, 260, 323 - Vorratsdatenspeicherung. [Zurück]
  40. BVerfGE 141, 220, 280 f. - BKAG. [Zurück]
  41. Abrufbar unter https://csl.mpg.de/de/aktuelles/konzept-fuer-ein-periodischesueberwachungsbarometer/ (externer Link). [Zurück]