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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 25.05.2018

Staatliche Mitwirkung bei der Erhebung der Kirchensteuer

Die Religionsfreiheit wird in Art. 107 Verfassung des Freistaates Bayern (BV) sowie in Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) gewährleistet. Dieses Grundrecht umfasst insbesondere das Recht, frei über die Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu entscheiden (positive Religionsfreiheit), aber auch das Recht, einer solchen Gemeinschaft fernzubleiben oder aus ihr jederzeit auszuscheiden (negative Religionsfreiheit). Das Grundrecht auf negative Religionsfreiheit enthält überdies das Recht, über Glaubens- und Bekenntnisfragen grundsätzlich die Auskunft zu verweigern.

Art. 107 BV

(5) 1Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. 2Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.

Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund bringen immer wieder Bürgerinnen und Bürger datenschutzrechtliche Bedenken gegen die staatliche Mitwirkung bei der Erhebung der Kirchensteuer bei mir vor. Insbesondere wenden sie sich mit ihren Eingaben gegen die Erhebung von weltanschaulichen und religionsbezogenen Angaben durch staatliche und private Stellen im Rahmen des Kirchensteuerverfahrens.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht nehme ich zu diesem Problemkreis wie folgt Stellung:

Zunächst beschränkt sich meine datenschutzrechtliche Aufsichtskompetenz auf die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften durch bayerische öffentliche Stellen (Art. 33a Abs. 2 BV, Art. 15 Abs. 1 BayDSG). Zu den bayerischen öffentlichen Stellen zählen aufgrund Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Weimarer Reichsverfassung (WRV) nicht die als öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften anerkannten Kirchen. Die in der Verfassung angelegte Trennung von Kirche und Staat hat zur Folge, dass die Kirche von Staatsaufsicht frei zu bleiben hat. Eine Kontrolle kirchlicher Datenverarbeitung durch staatliche Aufsichtsinstanzen wäre hiermit nicht vereinbar. Im Bereich der Kirchensteuer unterfällt meiner Aufsichtskompetenz somit nicht die Tätigkeit der bayerischen Kirchensteuerämter. Für die datenschutzrechtliche Aufsicht über  die bayerischen Finanzämter ist in Steuersachen zudem gemäß § 32h Abgabenordnung (AO) in der Regel die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zuständig.

Das vom Bundesverfassungsgericht auf Grundlage von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG entwickelte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung besagt, dass jeder Einzelne grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen hat (so genanntes "Volkszählungsurteil" vom 15.12.1983, Az.: 1 BvR 209/83 u.a.). Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährleistet ist. Der Einzelne muss vielmehr Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen, wenn hierfür eine normenklare gesetzliche Rechtsgrundlage besteht und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet ist.

Bei Angaben zur Religionszugehörigkeit handelt es sich um besonders sensible Daten (siehe Art. 9 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO). Die Freiheit, religiöse Überzeugungen zu verschweigen, ist als sog. negative Religionsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie ausdrücklich Art. 107 Abs. 5 Satz 1 BV und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV). Behörden dürfen somit grundsätzlich nicht nach dem religiösen Bekenntnis fragen. Ein Fragerecht nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft ist jedoch dann vorgesehen, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert (Art. 107 Abs. 5 Satz 2 BV; Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV). Derartige Rechte und Pflichten können sich aus dem Recht der Steuererhebung ergeben, das den Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts verfassungsrechtlich eingeräumt ist (Art. 143 Abs. 3 BV; Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV). Die hiermit gewährleistete Mitwirkung des Staates bei der Erhebung der Kirchensteuern bezieht sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkret darauf, dass der Staat den Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts das Besteuerungsrecht verleiht, die Erhebung gesetzlich regelt (siehe Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV: "nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen"), sich in dem durch diese Regelungen bestimmten Umfang an deren Vollzug beteiligt und dabei auch den Verwaltungszwang zur Verfügung stellt. Hierdurch ist der Staat von Verfassungs wegen auch verpflichtet, in Rechtsetzung und Vollzug die Möglichkeit geordneter Verwaltung der Kirchensteuern sicherzustellen (siehe hierzu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.02.1977, Az.: 1 BvR 329/71 u.a.). Soweit diese verfassungsrechtliche Verpflichtung es notwendig macht, kann sie somit zu einer Einschränkung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit führen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.02.1977, Az.: 1 BvR 329/71 u.a.). Diese Garantie einer geordneten Besteuerung rechtfertigt nach der - soweit ersichtlich - einhelligen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auch die gesetzlich vorgesehene Erhebung der Mitgliedschaft zu einer Religionsgemeinschaft im Rahmen des Lohnsteuerverfahrens (vgl. nur Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23.10.1978, Az.: 1 BvR 439/75; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 12.10.2010, Az.: Vf. 19-VII-09).

Art. 143 BV

(3) Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie weltanschauliche Gemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, dürfen auf Grund der öffentlichen Steuerlisten Steuern erheben.

In Anbetracht dieser gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist nicht von einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das bayerische Kirchenlohnsteuerverfahren auszugehen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf aufmerksam machen, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuerabzugsmerkmale nach der ausdrücklichen gesetzlichen Verwendungsbeschränkung des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Kirchensteuergesetz in Verbindung mit § 39 Abs. 8 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) nur für die Einbehaltung der (Kirchen-)Lohnsteuer verwenden darf. Die Kirchenlohnsteuer ist im Übrigen in den anderen Ländern entsprechend geregelt.

§ 39 EStG Lohnsteuerabzugsmerkmale

(8) 1Der Arbeitgeber darf die Lohnsteuerabzugsmerkmale nur für die Einbehaltung der Lohn- und Kirchensteuer verwenden. 2Er darf sie ohne Zustimmung des Arbeitnehmers nur offenbaren, soweit dies gesetzlich zugelassen ist.

Im Hinblick auf die Entrichtung der Kirchenkapitalertragsteuer konnten die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in langdauernden und intensiven Verhandlungen erreichen, dass es in Zukunft weiterhin möglich ist, eine Kenntnisnahme des jeweils betroffenen Kreditinstituts von der Religionszugehörigkeit des Steuerbürgers bzw. von der Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu vermeiden. So können Steuerbürger, die das Bekanntwerden ihrer Religionszugehörigkeit bei ihrer Bank nicht wünschen, der elektronischen Übermittlung ihrer Religionszugehörigkeit durch das Bundeszentralamt für Steuern an ihre Bank widersprechen ("Sperrvermerk"). Die Kirchenkapitalertragsteuer wird in diesem Fall im Wege einer Veranlagung auf Basis einer Steuererklärung - und damit ohne Kenntnis der ansonsten abzugsverpflichteten Bank - erhoben (siehe § 51a Abs. 2c Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2e EStG). Im Einzelnen möchte ich insoweit auf meine Ausführungen im 25. Tätigkeitsbericht 2012 unter Nr. 9.4 verweisen.

Aus meiner Sicht ist damit das aus der Religionsfreiheit folgende Recht, sich zu seiner religiösen Überzeugung grundsätzlich nicht äußern zu müssen, im Lichte der verfassungsrechtlichen Regelungen gewahrt.