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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 14.12.2000

10. Ausländerwesen

10.1. Ausschreibungen nach Art. 96 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ)

Als eine Ausgleichsmaßnahme für den Wegfall der Binnengrenzkontrollen in Europa wurde auf der Grundlage der Art. 92 ff. des Schengener Durchführungsübereinkommens ein gemeinsames Informations- und Fahndungssystem (SIS) eingerichtet. Es handelt es sich hier um eine gemeinsam betriebene automatisierte Fahndungsdatei, mittels derer in allen Schengen-Staaten gleichzeitig nach bestimmten Personen oder Gegenständen gesucht werden kann.

Jeder Bürger kann in jedem der Schengen-Staaten über die zu seiner Person im SIS gespeicherten Daten Auskunft verlangen (Art. 109 SDÜ). Die angesprochene Kontrollinstanz muss sich dann mit der Kontrollinstanz desjenigen Staates in Verbindung setzen, der eine Ausschreibung vorgenommen hat. Bei Ausschreibungen im SIS, die durch Ausländerbehörden der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen wurden, leitet der Bundesbeauftragte für den Datenschutz die Anfrage an den zuständigen Landesbeauftragten für den Datenschutz weiter. Nach Eingang der Stellungnahme des beteiligten Landesbeauftragten für den Datenschutz unterrichtet der Bundesbeauftragte für den Datenschutz die ausländische Kontrollinstanz über das Ergebnis der datenschutzrechtlichen Kontrolle.

In mehreren Fällen, die mir der Bundesbeauftragte für den Datenschutz in diesem Verfahren zugeleitet hat, musste ich feststellen, dass abgelehnte Asylbewerber, die ihrer Ausreisepflicht nicht nachgekommen sind, zur Festnahme im SIS ausgeschrieben worden sind.

Art. 96 SDÜ lässt für die Ausländerbehörden eine Ausschreibung in diesem Informationssystem unter bestimmten Voraussetzungen zum Zwecke der Einreiseverweigerung, nicht aber auch zur Festnahme zu. Nach Art. 96 Abs. 3 SDÜ kommt die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung dann in Frage, wenn ein Einreiseverbot in Folge einer Ausweisung oder Abschiebung besteht. Darüber hinaus kann die Ausländerbehörde im Einzelfall eine Ausschreibung nach Art. 96 Abs. 2 SDÜ dann veranlassen, wenn eine Ausweisung beabsichtigt gewesen, aber mangels Bekanntgabe unterblieben ist, weil der Ausländer ausgereist oder untergetaucht ist. Diese Voraussetzungen sind bei Ausländern, die lediglich ihrer Ausreiseverpflichtung nicht oder nicht in kontrollierter Weise nachkommen, nicht gegeben. Die mit der Ausschreibung zur Festnahme verbundene Datenspeicherung war somit unzulässig.

Auf meine Anregung hin hat das Bayerische Staatsministerium des Innern mit Rundschreiben vom 06.12.1999 die nachgeordneten Behörden auf die Rechtslage hingewiesen und gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass Speicherungen im SIS nur unter den rechtlichen Voraussetzungen des Art. 96 SDÜ und unter Beachtung der Allgemeinen Anwendungshinweise zum Schengener Durchführungsübereinkommen (AAH-SDÜ) veranlasst und nicht zulässige Speicherungen gelöscht werden.

10.2. Überprüfung von Scheinehen

Im Berichtszeitraum hat sich die Presse mit der Frage an mich gewandt, was die Ausländerbehörden aus datenschutzrechtlicher Sicht bei der Überprüfung von Scheinehen beachten müssen.

Eine Scheinehe liegt auch vor, wenn mit der Ehe eines deutschen Staatsangehörigen mit einem Angehörigen eines Drittstaats allein der Zweck verfolgt wird, die Rechtsvorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Angehörigen dritter Staaten in die Bundesrepublik Deutschland zu umgehen und dem Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsgenehmigung oder -erlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen.

Nach der Entschließung des Rats der Europäischen Union vom 04.12.1997 sind die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet, Maßnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen zu ergreifen. Nr. 3 der Entschließung lautet wie folgt: "Begründen bestimmte Faktoren den Verdacht, dass es sich um eine Scheinehe handelt, so stellen die Mitgliedstaaten einem Angehörigen eines Drittstaats eine Aufenthaltsgenehmigung oder -erlaubnis aufgrund einer Eheschließung erst dann aus, wenn die nach dem innerstaatlichen Recht zuständigen Behörden überprüft haben, dass es sich bei der Ehe nicht um eine Scheinehe handelt und die übrigen Voraussetzungen im Zusammenhang mit der Einreise und dem Aufenthalt erfüllt sind. Diese Überprüfung kann ein getrenntes Gespräch mit jedem der beiden Ehegatten umfassen."

In der Bundesrepublik Deutschland wurde in § 1310 Abs. 1 Satz 2 BGB für die Standesbeamten eine Mitwirkungsverbot bei Scheinehen normiert. Zum Vollzug dieser Bestimmung hat das Bayerische Staatsministerium des Innern mit Rundschreiben vom 19.10.1998, Az.: IA3-2005.2-23, an dessen Erstellung ich beteiligt worden bin, den nachgeordneten Behörden Hinweise gegeben.

Des Weiteren haben die Ausländerbehörden im Verfahren der Erteilung bzw. des Entzugs einer Aufenthaltserlaubnis nach § 17 Abs. 1 des Ausländergesetzes zu prüfen, ob eine Scheinehe vorliegt. Dabei haben die Ausländerbehörden u. a. Folgendes zu beachten:

  • Eine Überprüfung ist nur zulässig, wenn der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte für eine Scheinehe vorliegen. Diese dürfen nicht das Ergebnis eigener Ermittlungen der Ausländerbehörde zu diesem Zweck sein, sondern müssen dieser auf andere Weise, z. B. aus dem Verhalten oder Erklärungen der Betroffenen oder aus Schriftstücken, die ihr vorgelegt werden, bekannt geworden sein. Eine systematische Überprüfung aller Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Ermittlungen zur Verdachtsfindung sind also unzulässig. Die Entschließung des Rats der Europäischen Union vom 04.12.1997 und das Rundschreiben des Innenministeriums vom 19.10.1998 enthalten beispielhafte Aufzählungen, in welchen Fällen konkrete Anhaltspunkte für eine Scheinehe vorliegen.
  • Eine Befragung der Betroffenen ist erst nach Vorliegen konkreter Anhaltspunkte zulässig (vgl. § 5 Abs. 4 des Personenstandsgesetzes für Befragungen durch den Standesbeamten).
  • Die Betroffenen sind vor der Befragung darauf hinzuweisen, dass die Datenerhebung zur Prüfung erfolgt, ob eine Scheinehe vorliegt (Angabe des Erhebungszwecks). Außerdem sind sie auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben und ihre Obliegenheiten nach § 70 des Ausländergesetzes hinzuweisen (Art. 16 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BayDSG).
  • Die Befragung darf nicht schematisch nach Katalog, sondern nur in dem erforderlichen Umfang erfolgen (vgl. § 5 Abs. 4 des Personenstandsgesetzes).
  • Fragen, die in unzulässiger Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen würden, sind unzulässig. Das sind insbesondere Fragen, die den Intimbereich berühren.
  • Die Standesbeamten können im Vollzug des Eheschließungsrechts zur Verhinderung von Scheinehen auch eine Stellungnahme der zuständigen Ausländerbehörde einholen, soweit das zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Anforderung und Übersendung der vollständigen Ausländerakten unzulässig ist, weil diese auch personenbezogene Daten enthalten, die die Standesbeamten zur Überprüfung, ob eine Scheinehe beabsichtigt ist, nicht benötigen.