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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 20.05.2019

5. Verfassungsschutz

5.1. Reform des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes 2018

Seit der umfassenden Novellierung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG) im Jahr 2016 (siehe hierzu meinen Beitrag im 27. Tätigkeitsbericht 2016 unter Nr. 4.1) wurde das Gesetz im Berichtszeitraum bereits weitere zwei Male geändert.

Die erste Änderung vom 15. Mai 2018 (GVBl. S. 230) betraf die Anpassung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes an die neuen Datenschutzbestimmungen. Der Verfassungsschutz als Teil der Infrastruktur zum Schutz der nationalen Sicherheit ist zwar im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 Satz 3 Vertrag über die Europäische Union von der Regelungszuständigkeit der Europäischen Union ausgenommen und fällt daher weder in den Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung (vgl. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO) noch in den Anwendungsbereich der Datenschutz-Richtlinie für Polizei und Strafjustiz (vgl. Art. 2 Abs. 3 Buchst. a RLDSJ). Allerdings waren aufgrund der Neustrukturierung des Datenschutzrechts einige Anpassungen notwendig. Anders als bislang kommt im Bereich des Verfassungsschutzes zukünftig nicht mehr das Bayerische Datenschutzgesetz, sondern - durch Verweise hierauf - das Bundesdatenschutzgesetz zur Anwendung. Für die Tätigkeit des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz wie auch des Bundesamts für Verfassungsschutz sind nun im Wesentlichen die gleichen datenschutzrechtlichen Regelungen maßgeblich. Damit soll dem Gedanken eines Verbunds der Verfassungsschutzbehörden und dem Interesse an einem einheitlichen Rechtsrahmen Rechnung getragen werden. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens konnte ich einige Klarstellungen und Ergänzungen im Gesetzestext bewirken.

Die zweite, grundlegendere Reform vom 12. Juni 2018 (GVBl. S. 382) betraf die Anpassung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes an Vorgaben, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2016, Az.: 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09, BVerfGE 141, 220, ergeben. Dieses Urteil betraf das Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (sogenanntes BKAG-Urteil). Auch wenn das Urteil ausschließlich Befugnisse des Bundeskriminalamts würdigt, ist eine Übertragung der Vorgaben auf rechtliche Grundlagen für die Arbeit anderer Sicherheitsbehörden, insbesondere der Nachrichtendienste, angezeigt. Nachrichtendienstlicher Tätigkeit ist die heimliche Informationsbeschaffung geradezu immanent. Die durch die Heimlichkeit begründete besondere grundrechtliche Gefährdungslage kann im Einzelfall bei Datenerhebungen durch Nachrichtendienste sogar höher sein als bei verdeckten Maßnahmen von Polizeibehörden.

Des Weiteren sollten mit der zweiten Gesetzesänderung auch Regelungsideen des von der Innenministerkonferenz entwickelten sogenannten "harmonisierten Rechtsrahmens im Verfassungsschutzverbund"(Materialien dazu im Internet unter https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/20171207-08.html (externer Link) als Anlage zu TOP 29) mit Richtungsvorgaben umgesetzt werden. Die Innenministerkonferenz empfahl in ihrer Herbstsitzung 2017 Bund und Ländern, den "harmonisierten Rechtsrahmen" in die Überlegungen zur Novellierung ihrer jeweiligen Verfassungsschutzgesetze einzubeziehen.

Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration beteiligte mich frühzeitig an dem Reformvorhaben. Ich erhielt mehrfach die Gelegenheit, zum Gesetzentwurf (Landtags-Drucksache 17/20763) Stellung zu beziehen. Mein Hauptaugenmerk legte ich dabei auf datenschutzrechtliche Defizite, welche die Novellierung mit sich brachte oder nicht beseitigte. Vor allem folgende Punkte sah ich kritisch:

  • Das Bundesverfassungsgericht fordert eine umfassende Protokollierungspflicht, "die es ermöglicht, die jeweiligen Überwachungsmaßnahmen sachhaltig zu prüfen". Gerade für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel halte ich aufgrund des hohen Eingriffsgewichts eine umfassende und detaillierte Protokollierungsregelung für angezeigt. Eine entsprechende Protokollierungspflicht fehlt bislang im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz. Eine Dokumentation zumindest des angewandten Mittels, der verantwortlichen Stelle, von Ort, Zeitpunkt und Dauer der Anwendung, der Zielperson sowie erheblich mitbetroffener Personen, ferner der erhobenen personenbezogenen Daten und ihrer Weiterverarbeitung sowie des wesentlichen Ergebnisses der Maßnahme ist notwendig.
  • Gleiches gilt für die Protokollierung von Datenübermittlungen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz an Drittstaaten und internationale Organisationen, um eine sachgerechte Kontrolle dieser Datenübermittlungen sicherzustellen. Was den Umfang der Protokollierung betrifft, gilt das oben Gesagte.
  • Vorzusehen ist weiterhin eine Benachrichtigungspflicht zugunsten der betroffenen Personen. Ohne Kenntnis eines heimlichen Eingriffs ist effektiver Rechtsschutz praktisch erschwert oder gar unmöglich. Fällt der Zweck einer Maßnahme weg oder ist dieser erreicht, sind Betroffene über diese grundsätzlich zu unterrichten. Etwaige Geheimhaltungsinteressen können allenfalls das Absehen von einer Benachrichtigung im Einzelfall, nicht aber das Absehen von einer gesetzlichen Regelung insgesamt rechtfertigen.
  • Des Weiteren sind sowohl die Berichtspflichten des Innenministeriums gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium gemäß Art. 20 Abs. 1 Satz 1 BayVSG als auch die Berichtspflichten des Parlamentarischen Kontrollgremiums gegenüber dem Landtag gemäß Art. 20 Abs. 1 Satz 2 BayVSG unzureichend. So fehlt etwa in Art. 20 Abs. 1 Satz 2 BayVSG entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eine Berichtspflicht direkt gegenüber dem Landtag über Datenübermittlungen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz an Drittstaaten und internationale Organisationen. Das Gleiche gilt für eine fehlende Berichtspflicht über den Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern und Vertrauensleuten.
  • Auch die Ausgestaltung des Kernbereichsschutzes halte ich für defizitär. Zwar hat der bayerische Gesetzgeber mit Art. 8a BayVSG eine allgemeine Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und der Berufsgeheimnisträger geschaffen. Allerdings ist diese Regelung ausbaubedürftig. Denn um einen umfassenden Schutz kernbereichsrelevanter Daten zu gewährleisten, darf die G 10-Kommission etwa nicht nur mit der Sichtung automatisierter Aufzeichnungen befasst werden (Art. 8a Abs. 1 Satz 5 BayVSG in Verbindung mit § 3a Satz 4 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses), sie müsste vielmehr generell bereits dann beteiligt werden, wenn Zweifel an der Verwertbarkeit erhobener Daten (also etwa auch bei nicht-automatischen Aufzeichnungen oder etwa im Wege der Online-Durchsuchung erlangten Daten) bestehen.
  • Auch der Schutz von Berufsgeheimnisträgern in dem neu eingefügten Art. 8a BayVSG ist meiner Meinung nach nicht optimal ausgestaltet. Zwar wurden in Art. 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayVSG - in Anpassung an die Vorgaben des BKAG-Urteils - die Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände den Strafverteidigern gleichgestellt. Um eine Zersplitterung der Schutzniveaus zu vermeiden, sollte aber der absolute Schutz des Art. 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayVSG allen Berufsgeheimnisträgern zugutekommen. Mir ist zwar bewusst, dass das Bundesverfassungsgericht im BKAG-Urteil keinen strikten Schutz von Berufsgeheimnisträgern gefordert, sondern dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum eingeräumt hat. Gleichwohl sollte dennoch ein umfassender Schutz für alle im Strafprozessrecht geschützten Berufsgeheimnisträger beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel eingeführt werden. Insbesondere kann ich keinen sachlichen Grund für die konkret getroffene Differenzierung zwischen "privilegierten" und "anderen" Berufsgeheimnisträgern erkennen. Die Unterscheidung führt zu einem Zwei-Klassen-System, das unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 GG) nur schwer zu rechtfertigen ist (siehe hierzu bereits meine Ausführungen im 24. Tätigkeitsbericht 2010 unter Nr. 3.1.1 und im 26. Tätigkeitsbericht 2014 unter Nr. 3.1.2).
  • Darüber hinaus wurde die vormals in Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz in der bis zum 30. Juni 2018 geltenden Fassung (BayVSG-alt) enthaltene Eingriffsschwelle für Auskunftsersuchen im Schutzbereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses bei Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVerfSchG) gestrichen. Um eine weitere Absenkung des an Art. 10 GG zu messenden Schutzniveaus zu verhindern, halte ich die erhöhten Eingriffsvoraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayVSG-alt für unverzichtbar.

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens konnte ich immerhin einige datenschutzrechtliche Verbesserungen erreichen. So wurde in Art. 19a BayVSG eine eigene Rechtsgrundlage für die längerfristige Observation und das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen geschaffen (siehe hierzu auch Landtags-Drucksache 17/20763, S. 15 f.). Diese eingriffsintensiven Maßnahmen müssen zukünftig nicht mehr auf die niedrigschwellige Generalklausel des Art. 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 BayVSG gestützt werden.

Unter dem Gesichtspunkt einer hinreichenden Normenbestimmtheit und Normenklarheit hatte ich bereits mehrfach in der Vergangenheit gefordert, eine ausdrückliche Befugnis zu besonderen Mitteln der Datenerhebung aufzunehmen (siehe hierzu etwa meine kritische Stellungnahme vom 22. Februar 2016 zur BayVSG-Novelle 2016, S. 6 f., im Internet abrufbar auf https://www.datenschutz-bayern.de unter "Themengebiete - Verfassungsschutz"). Die bloß beispielhafte Aufzählung der nachrichtendienstlichen Mittel in Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayVSG halte ich für nicht ausreichend. Welche Arten von nachrichtendienstlichen Mitteln dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz zustehen und unter welchen Voraussetzungen diese eingesetzt werden dürfen, entzieht sich so weitgehend der Kenntnis der Öffentlichkeit und der betroffenen Personen. Darüber hinaus fehlen besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen, die nach der jeweiligen Eingriffstiefe des angewendeten Mittels zu bemessen sind. Eine pauschale Bezugnahme allein auf die allgemeine Befugnisnorm in Art. 5 Abs. 1 BayVSG und damit auf die Aufgabenerfüllung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz ist jedenfalls dann bedenklich, wenn ein Eingriff seiner Art nach besonders gewichtig ist (etwa in Fällen der längerfristigen Observation oder des Abhörens und Aufzeichnens des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen). Daher freut mich, dass der Gesetzgeber meinem langjährigen Petitum endlich entsprochen hat.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich der Gesetzgeber mit der Reform vom 12. Juni 2018 zwar um eine verfassungsrechtlich angezeigte "Nachjustierung" des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes bemüht hat, hierbei aber hinter meinen Forderungen und Empfehlungen zurückgeblieben ist.

5.2. Prüfung Antiterrordatei (ATD)

In der Antiterrordatei (ATD) werden seit 2007 Erkenntnisse von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder aus dem Bereich des internationalen, vor allem islamistisch motivierten Terrorismus vernetzt. Einzelheiten zur Antiterrordatei sind im Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern (Antiterrordateigesetz - ATDG) geregelt, darunter auch die Verpflichtung, mindestens alle zwei Jahre "die Durchführung des Datenschutzes" zu kontrollieren. Aus diesem Anlass erfolgte durch mich im Berichtszeitraum eine Vor-Ort-Prüfung beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz bezüglich der von dort in die ATD eingespeicherten Datensätze.

Hierbei habe ich stichprobenartig die Speicherungen von sogenannten "Hauptpersonen" und hierzu verknüpften "Kontaktpersonen" überprüft. Alle dargelegten Speicherungen von Hauptpersonen entsprachen den gesetzlichen Vorgaben des Antiterrordateigesetzes. Es lagen verlässliche Informationen vor, dass die betreffenden Personen Terrororganisationen angehören, unterstützen oder am bewaffneten Jihad teilnehmen wollen.

Als sogenannte "Kontaktperson" im Sinne des Antiterrordateigesetzes gilt jemand, bei dem tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass er mit einer "Hauptperson" nicht nur flüchtig oder in zufälligem Kontakt in Verbindung steht und durch ihn weiterführende Hinweise für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu erwarten sind (siehe § 3 Abs. 2 Satz 1 ATDG). Bei einer Kontaktperson aus meiner Prüfungsstichprobe waren diese Voraussetzungen nicht hinreichend belegt, nachdem lediglich ein gemeinsamer Aufenthalt mit einer Hauptperson in einer Moschee nachgewiesen war.

Meinen Bedenken gegen diese Speicherung hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz noch während der stattfindenden Prüfung Rechnung getragen; nach nochmaliger fachlicher Überprüfung wurde der Datensatz der betreffenden Kontaktperson gelöscht.

5.3. Prüfung Rechtsextremismus-Datei (RED)

Als Reaktion auf die Mordserie der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) werden seit 2012 Daten zur Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus in der Rechtsextremismus-Datei (RED) gespeichert. Gesetzliche Grundlage hierfür ist das Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Datei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern zur Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus (Rechtsextremismus-Datei-Gesetz - RED-G), das hinsichtlich der Rahmenbedingungen vergleichbar mit dem Antiterrordateigesetz (siehe Nr. 5.2) ist und ebenfalls mindestens alle zwei Jahre datenschutzrechtliche Pflichtprüfungen vorsieht.

Dem Rechnung tragend prüfte ich im Berichtszeitraum vor Ort beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz Datensätze, die von dort in die Rechtsextremismus-Datei eingespeichert wurden. Entsprechend dem Vorgehen bei der Antiterrordatei (siehe Nr. 5.2) wurden auch hier stichprobenartig die Speicherungen von sogenannten "Hauptpersonen" und hierzu verknüpften "Kontaktpersonen" geprüft.

Während die geprüften Speicherungen der Hauptpersonen unzweifelhaft den gesetzlichen Vorgaben des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes entsprachen, war eine solche Eindeutigkeit in den Fällen der geprüften Kontaktpersonen nicht gegeben. Nach dem Rechtsextremismus-Datei-Gesetz sind Kontaktpersonen im Wesentlichen Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nicht nur flüchtig oder in zufälligem Kontakt zu einer Hauptperson stehen und durch sie (die Kontaktperson) weiterführende Hinweise für die Aufklärung oder Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus zu erwarten sind (siehe § 3 Abs. 2 Satz 1 RED-G). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen war jedenfalls bei den Kontaktpersonen aus meiner Prüfungsstichprobe fraglich.

Nach nochmaliger fachlicher Prüfung hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz meinen Bedenken Rechnung getragen und die Datensätze zu den betroffenen Kontaktpersonen aus der Rechtsextremismus-Datei gelöscht.

5.4. Besonderes Interesse bei Auskunftsersuchen

Das Bayerische Verfassungsschutzgesetz gewährt in Art. 23 Abs. 1 BayVSG ein Recht auf Selbstauskunft. Bürgerinnen und Bürgern können mit einem entsprechenden Antrag in Erfahrung bringen, ob und welche personenbezogenen Daten das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz über sie gespeichert hat. Im Gegensatz zum polizeirechtlichen Gegenstück (Art. 65 Abs. 1 Polizeiaufgabengesetz) ist hier jedoch ein "besonderes Interesse an einer Auskunft" darzulegen. In der Praxis beruft sich das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz bei der Ablehnung von Auskunftsanträgen immer wieder auf das Fehlen dieses Merkmals. Art. 23 Abs. 1 BayVSG lautet auszugsweise:

"(1) 1Das Landesamt erteilt dem Betroffenen auf Antrag, in dem ein besonderes Interesse an einer Auskunft dargelegt ist, kostenfrei Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten. 2Legt der Betroffene nach Aufforderung ein besonderes Interesse nicht dar, entscheidet das Landesamt über den Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen. [...]"

Die Darlegung eines solchen besonderen Interesses wurde trotz meiner Kritik im Gesetzgebungsverfahren als Voraussetzung des Auskunftsrechts verankert. Die Darlegung des besonderen Interesses soll dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz eine Prüfung des Auskunftsbegehrens ermöglichen und dabei auf einer ersten Stufe einer für die nachrichtendienstliche Arbeit unzuträglichen Ausforschung vorbeugen. Aus datenschutzrechtlicher Sicht sollten jedoch grundsätzlich an die Darlegung des besonderen Interesses keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Auskunftsuchende Personen sollen insbesondere nicht gezwungen werden, dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz nur zur Geltendmachung des Auskunftsanspruchs eventuell weitere nachrichtendienstlich relevante Informationen zu offenbaren. Aus diesem Grund überprüfe ich regelmäßig Sachverhalte, in welchen Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Anforderungen an die Darlegung des besonderen Interesses zulasten der Bürgerinnen und Bürger überspannt werden.

So wurde einer antragstellenden Person, die aus meiner Sicht nachvollziehbar angab, ihr sei wegen Einwänden einer Verfassungsschutzbehörde eine bestimmte Beschäftigung verwehrt worden, eine Selbstauskunft verweigert. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hielt die Ausführungen der antragstellenden Person im Hinblick auf das besondere Auskunftsinteresse für "zu abstrakt und unsubstanziiert". Ich hob demgegenüber hervor, dass ich eine noch detailliertere Darlegung nicht zwingend für geboten erachte und die Anforderung von konkreten Belegen allenfalls in begründeten Einzelfällen in Betracht komme, so beim konkreten Verdacht einer Ausforschung. Im Übrigen hat der Gesetzgeber das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz verpflichtet, selbst im Fall eines nicht dargelegten besonderen Interesses nach pflichtgemäßem Ermessen über den Antrag zu entscheiden (vgl. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 BayVSG). Der antragstellenden Person wurde schließlich nach entsprechender Substantiierung des besonderen Interesses Auskunft erteilt, zudem wurde später einem Antrag auf Löschung beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz gespeicherter personenbezogener Daten entsprochen.

Weitere Hinweise zum Auskunftsrecht gegenüber dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz finden sich auf meiner Internetpräsenz https://www.datenschutz-bayern.de in der Rubrik "Themengebiete - Verfassungsschutz - Häufige Fragen".

5.5. Prüfung der Vollständigkeit und Richtigkeit von Auskünften

Auch im Berichtszeitraum habe ich die Richtigkeit und Vollständigkeit der Antworten des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz auf Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern geprüft.

Nach meiner Erfahrung bearbeitet das Landesamt für Verfassungsschutz derartige Anträge grundsätzlich datenschutzkonform. Aufgrund der Komplexität des zentralen Nachrichtendienstlichen Informationssystems (NADIS) und der Sensibilität der dortigen Speicherungen ist es mir gleichwohl ein wichtiges Anliegen, dieses Thema stets im Blick zu behalten.

Anhand konkreter Fälle habe ich daher geprüft, ob

  • Personen, die eine Auskunft (ohne Hinweis auf eine mögliche Teilauskunft) erhalten haben, tatsächlich eine vollständige Auskunft erhielten (Fallgruppe 1),
  • Personen, denen die (negative) Auskunft erteilt wurde, es seien keine Daten von ihnen gespeichert, sich nicht doch in Dateien (insbesondere im NADIS) recherchieren ließen (Fallgruppe 2) und
  • Personen, denen eine vollständige Löschung ihrer Daten zugesagt wurde, anschließend nicht doch noch recherchierbar blieben (Fallgruppe 3).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die im Berichtszeitraum geprüften Auskünfte rechtlich korrekt waren.

Aufgrund des Umstandes, dass es sich bei NADIS um einen Datenverbund des Bundesamts und der Landesämter für Verfassungsschutz handelt, stieß ich aber auf die folgende systembedingte Problematik:

So fand ich in der Fallgruppe 2, welche die Überprüfung von sogenannten Negativauskünften betrifft ("vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz sind keine Daten zu Ihrer Person in Dateien oder Akten gespeichert") einen Fall, in dem die betroffene Person dennoch in der Verbunddatei NADIS recherchierbar war. Allerdings gingen die Speicherungen auf außerbayerische Verfassungsschutzbehörden zurück. Die Negativauskunft des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz war daher rechtlich korrekt, weil diese Behörde eben keine Daten gespeichert hatte.

In der Fallgruppe 3, die auf die Überprüfung einer vollständigen Löschung ausgerichtet ist, stieß ich auf einen ähnlichen Fall. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hatte einem Rechtsanwalt mitgeteilt, dass man "alle zur Person Ihres Mandanten gespeicherten Daten gelöscht" habe. Meine Prüfung bestätigte auch, dass in NADIS keine in der Verantwortung des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz gespeicherten Daten mehr vorhanden waren. Insofern war auch diese Auskunft rechtlich korrekt. Allerdings existierten in NADIS noch Speicherungen von Daten der betroffenen Person, die von anderen Verfassungsschutzbehörden verantwortet waren und ursprünglich bayerische Bezüge aufwiesen. In diesem Fall hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen "Mitbesitz" an den Speicherungen erklärt, mit der Folge, dass die Daten trotz der Löschung durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz in NADIS weiter einsehbar waren.

Nach meiner Erfahrung verfahren die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder regelmäßig so, dass sie im Rahmen von Auskunfterteilungen nicht auf Speicherungen hinweisen, die nicht in der eigenen Verantwortung stehen. Auch wenn dies rechtlich nicht zu beanstanden sein mag, finde ich es sehr bedauerlich, dass es hierdurch im Einzelfall zu derart intransparenten und letztlich missverständlichen Auskünften gegenüber Bürgerinnen und Bürgern kommen kann, wie ich sie oben geschildert habe. Einer antragstellenden Person dürften die Mechanismen eines Speicherverbundes wie NADIS, insbesondere was den (Mit)besitz mehrerer Verfassungsschutzbehörden an Speicherungen angeht, kaum bewusst sein.

Ich habe diese Problematik daher zum Anlass genommen, die Erläuterungen auf meiner Homepage (https://www.datenschutz-bayern.de) in der Rubrik "Themengebiete - Verfassungsschutz - Häufige Fragen" um einen entsprechenden Hinweis zu ergänzen. Dort empfehle ich, gegebenenfalls Auskunftsanträge bei mehreren Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes in Erwägung zu ziehen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Umstände, die das "besondere Auskunftsinteresse" (siehe Nr. 5.4) begründen, auch außerhalb Bayerns von Bedeutung sind oder in einem anderen Bundesland ihren Ursprung haben.