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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 01.12.2009
13. Hochschulen
13.1. Einsicht in Hochschulzeugnisse verstorbener Verwandter zur Familienforschung
"Aus Datenschutzgründen" hatte eine Hochschule der Bitte einer Bürgerin um Überlassung einer Zweitschrift des vor über 50 Jahren ausgestellten Diplomzeugnisses ihres vor drei Jahren verstorbenen Vaters nicht entsprochen. Da sie das Zeugnis benötigte, um den Lebensweg ihres Vaters für die Familiengeschichte zu dokumentieren, wandte sich die Bürgerin mit einer Petition an mich.
Im Wege einer umfassenden datenschutzrechtlichen Überprüfung des vorgetragenen Sachverhalts bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass der Petentin zwar kein Anspruch auf Einsicht in das Hochschulzeugnis ihres Vaters zustand. Allerdings konnte sie verlangen, dass die Hochschule über einen Antrag auf Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet.
- Das Begehren ließ sich freilich nicht auf Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayDSG stützen. Denn diese Vorschrift gewährt nur dem Betroffenen - im konkreten Fall also dem (zwischenzeitlich verstorbenen) Vater - einen Anspruch auf Auskunft über die zur Person gespeicherten Daten.
- Für die Daten Verstorbener ist das Bayerische Archivgesetz (BayArchivG) von besonderer Bedeutung. Im konkreten Fall konnte jedoch dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Diplomzeugnis des verstorbenen Vaters überhaupt um Archivgut handelt. Denn selbst wenn dies so sein sollte, waren hier keine Ansprüche aus dem Bayerischen Archivgesetz ableitbar.
Art. 10 Abs. 2 Satz 1 BayArchivG (auf Archivgut der staatlichen Hochschulen anwendbar gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 13 Abs. 2 BayArchivG) bestimmt, dass Archivgut u.a. nur benützt werden kann, wenn Schutzfristen nicht entgegenstehen. Art. 10 Abs. 3 Satz 2 BayArchivG bestimmt für Archivgut, das sich - wie im vorliegenden Fall - auf natürliche Personen bezieht (personenbezogenes Archivgut), eine Schutzfrist von zehn Jahren nach dem Tod des Betroffenen.
Die Voraussetzungen für eine Verkürzung dieser Schutzfrist waren nicht gegeben. Zum einen lag schon die nach Art. 10 Abs. 4 Satz 1 BayArchivG hierzu erforderliche Zustimmung der Hochschule nicht vor. Zum anderen verlangt Art. 10 Abs. 4 Satz 2 BayArchivG u.a., dass die Benützung aus "im überwiegenden Interesse der abgebenden Stelle oder eines Dritten liegenden Gründen unerlässlich" ist. Gemessen an diesen strengen Anforderungen reichte der ideelle Wunsch der Eingabeführerin nach einer Dokumentation des Lebensweges ihres verstorbenen Vaters für eine Verkürzung der Schutzfristen nicht aus. Ein überwiegendes Interesse der Petentin, das eine Benützung unerlässlich erscheinen lässt, war so nicht begründbar.
- Auch Art. 29 Abs. 1 BayVwVfG, der den Beteiligten einen Anspruch auf Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten gewährt, war keine Rechtsgrundlage für das Begehren. Von dem abgesehen, dass die Petentin selbst nicht Beteiligte an dem das Diplomzeugnis ihres Vaters betreffenden Verwaltungsverfahren gewesen war, gewährt Art. 29 Abs. 1 BayVwVfG nur bis zu dem vorliegend schon vor Jahrzehnten erfolgten Abschluss des Verfahrens ein Akteneinsichtsrecht.
- Ein allgemeiner Anspruch eines Nicht-Beteiligten auf Akteneinsicht außerhalb des Verwaltungsverfahrens besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) grundsätzlich nicht. Kann der Antragsteller in solchen Fällen ein berechtigtes Interesse an der Auskunftserteilung geltend machen, hat die Behörde allerdings nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob sie die Auskunft erteilen will oder nicht (BVerwG vom 01.10.1987, Az. 8 B 108/97 m.w.N.; BayVGH vom 17.02.1998, Az. 23 B 95.1954 m.w.N.). Nach Auffassung des BayVGH ist die Ermessensentscheidung dabei so zu treffen, dass "unter Berücksichtigung des Grundprinzips des rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens eine beiderseits sachgerechte Interessenwahrung möglich ist" (BayVGH a.a.O.).
Diese Grundsätze entsprechen denen einer Prüfung nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 BayDSG. Nach dieser Vorschrift ist eine Datenübermittlung zulässig, wenn die nicht-öffentliche Stelle ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis der zu übermittelnden Daten glaubhaft darlegt und der Betroffene kein schutzwürdiges Interesse an dem Ausschluss der Übermittlung hat. Ein berechtigtes Interesse ist jedes nach vernünftigen Erwägungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls anzuerkennendes, der Rechtsordnung nicht widersprechendes Interesse. Umfasst sind damit nicht nur die im Zusammenhang mit der Verfolgung von Rechten stehenden rechtlichen Interessen, sondern auch ideelle und wirtschaftliche Interessen. Ein berechtigtes Interesse setzt allerdings voraus, dass der Empfänger die Daten in irgendeiner Form benötigt, wofür schon das Interesse an der Schaffung eines vernünftigerweise zuzubilligenden Informationsstandes an sich ausreichen kann. (Vgl. zum Ganzen Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch, Bayerisches Datenschutzgesetz, Kommentar, München, Art. 19 BayDSG Rdnr. 15.)
Daran gemessen war der Eingabeführerin nach meiner Auffassung im konkreten Fall ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht zuzugestehen. Denn hierfür reicht das ideelle Interesse an der Dokumentation des Lebensweges ihres verstorbenen Vaters für die Familiengeschichte aus.
Ich habe der Petentin deshalb geraten, bei der Hochschule einen Antrag auf Akteneinsicht zu stellen. Die Hochschule hatte dann nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob sie Akteneinsicht gewährt. Dabei hatte sie entsprechend den Grundsätzen des Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 BayDSG eine umfassende Abwägung vorzunehmen. Für die Gewährung der Akteneinsicht sprach insbesondere, dass es sich bei der Antragstellerin um die Tochter des Verstorbenen, also ein nahe Verwandte, handelte. Allerdings konnte ich nicht von vornherein ausschließen, dass die Hochschule das Akteneinsichtsrecht ermessensfehlerfrei verweigern kann. Aus datenschutzrechtlichen Gründen zwingend war eine ablehnende Entscheidung jedoch keinesfalls.