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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 20.05.2019

4. Polizei

4.1. Allgemeines

4.1.1. Reform des Polizeiaufgabengesetzes

Die umfassende Reform des Polizeirechts hat mich im Berichtszeitraum stark beansprucht. Gleich zweimal wurde das Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG) innerhalb von nur einem Jahr geändert. Am 24. Juli 2017 verabschiedete der Bayerische Landtag das Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen, das am 1. August 2017 in Kraft trat. Nur zehn Monate später beschloss er am 18. Mai 2018 das Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts, das am 25. Mai 2018 in Kraft trat.

Aufgrund der gestiegenen Terrorgefahr sah sich der bayerische Gesetzgeber veranlasst, die Normierung einzelner Befugnisse und Regelungen mit dem Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 (GVBl. S. 388) zeitlich vorzuziehen. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung ("elektronische Fußfessel"), die Ergänzung des Platzverweises um Aufenthaltsgebote und Aufenthaltsverbote sowie Kontaktverbote, zu deren Überwachung ebenfalls die elektronische Aufenthaltsüberwachung angeordnet werden kann. Des Weiteren wurde eine Rechtsgrundlage für die präventivpolizeiliche Quellen-Telekommunikationsüberwachung geschaffen, die bisherige Befristung des Präventivgewahrsams von 14 Tagen aufgehoben sowie bei offenen Bild- und Tonaufzeichnungen nach Art. 32 Polizeiaufgabengesetz in der bis zum 24. Mai 2018 geltenden Fassung (PAG-alt) (jetzt: Art. 33 PAG) sowie Art. 21a BayDSG-alt (jetzt: Art. 24 BayDSG) die Höchstspeicherfrist von drei Wochen auf zwei Monate ausgeweitet. Zugleich nahm der Gesetzgeber die Reform zum Anlass, den Begriff der sogenannten drohenden Gefahr als zusätzliche Gefahrenkategorie einzuführen. Die drohende Gefahr wurde in Art. 11 Abs. 3 PAG legaldefiniert.

Art. 11 PAG
Allgemeine Befugnisse

(3)1Die Polizei kann unbeschadet der Abs. 1 und 2 die notwendigen Maßnahmen treffen, um den Sachverhalt aufzuklären und die Entstehung einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut zu verhindern, wenn im Einzelfall

  1. das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet oder
  2. Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen den Schluss auf ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen zulassen,

wonach in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind (drohende Gefahr), soweit nicht die Art. 12 bis 65 die Befugnisse der Polizei besonders regeln. 2Bedeutende Rechtsgüter sind:

  1. der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes,
  2. Leben, Gesundheit oder Freiheit,
  3. die sexuelle Selbstbestimmung,
  4. erhebliche Eigentumspositionen oder
  5. Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt.

Der Begründung des Gesetzentwurfs zufolge soll die neue Kategorie der drohenden Gefahr einer besseren Erfassung vor allem von Vorbereitungshandlungen dienen.

Dies sehe ich aus datenschutzrechtlicher Sicht jedoch kritisch. Die Definition der drohenden Gefahr ist so weit und unbestimmt gefasst, dass unklar ist, welche Abgrenzungsmöglichkeiten zu den bereits bestehenden Gefahrkategorien bleiben, zumal das Polizeiaufgabengesetz bereits zahlreiche Gefahrkategorien kennt. Zudem wird der Begriff der drohenden Gefahr weder auf verdeckte Maßnahmen noch auf die Terrorismusbekämpfung beschränkt. Es findet eine erhebliche Vorverlagerung der polizeilichen Einschreitschwelle bei den Standardbefugnissen statt, wie beispielsweise Identitätsfeststellung oder Durchsuchung. Die Gesetzesänderung führt dazu, dass die polizeilichen Standardbefugnisse faktisch auf einen deutlich größeren Personenkreis abzielen, der mit der aktuellen Sicherheitslage in keinem Zusammenhang steht.

Bereits frühzeitig habe ich auf dieses Problem aufmerksam gemacht und mich für eine ersatzlose Streichung der neuen Gefahrenkategorie eingesetzt. Damit konnte ich nicht durchdringen. Allerdings konnte ich eine Einschränkung des ursprünglich noch weiter gefassten Gefahrentatbestands erreichen. Insbesondere wurde auf meine Veranlassung hin der Begriff der drohenden Gefahr auf "bedeutende Rechtsgüter" sowie auf "Gewalttaten von erheblicher Intensität oder Auswirkung" beschränkt (siehe Landtags-Drucksache 17/16299, S. 5). Letzteres wurde jedoch im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren durch einen Änderungsantrag wieder aufgeweicht.

Weiterhin konnte ich etwa bei der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) die Normierung zusätzlicher Verfahrenssicherungen erreichen, auch wenn ich einen vollständigen Verzicht auf die EAÜ für vorzugswürdig gehalten hätte. Denn die EAÜ ist bereits nicht zur Terrorismusbekämpfung geeignet, mit welcher ihre Einführung begründet wurde. So kann die EAÜ allenfalls den Weg nachzeichnen, den ein tatentschlossener Gefährder oder eine tatentschlossene Gefährderin nimmt. Die EAÜ wird ihn oder sie jedoch nicht von der Begehung eines Anschlags abhalten können.

Der ersten Reform des Polizeiaufgabengesetzes folgte nur kurze Zeit später die zweite, deutlich umfangreichere Novelle. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz) vom 18. Mai 2018 (GVBl. S. 301) sollten das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2016, Az.: 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09, BVerfGE 141, 220, zum Bundeskriminalamtgesetz (sogenanntes BKAG-Urteil) sowie die Datenschutz-Richtlinie für Polizei und Strafjustiz umgesetzt werden. Zugleich wurde das Polizeiaufgabengesetz um zahlreiche weitere Befugnisse ergänzt. So nahm der Gesetzgeber insbesondere die präventive DNA-Analyse, die Durchsuchung elektronischer Speichermedien (einschließlich Clouds), die DNA-Analyse zur Feststellung äußerlicher Merkmale, Übersichtsaufzeichnungen bei großen Veranstaltungen oder Ansammlungen, den Einsatz von Bodycams und von sogenannter intelligenter Videoüberwachung, die präventive Postsicherstellung sowie den Einsatz unbemannter Luftfahrtsysteme (Drohnen) neu in das Polizeiaufgabengesetz auf.

Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration beteiligte mich frühzeitig an dem Reformvorhaben. Ich erhielt mehrfach die Gelegenheit, zu dem Gesetzentwurf (Landtags-Drucksache 17/20425) Stellung zu beziehen. Mein Hauptaugenmerk legte ich dabei auf die neuen Befugnisse, die zum Teil erhebliche Grundrechtseingriffe zur Folge haben. Zudem überprüfte ich den Gesetzentwurf dahingehend, ob er die aus dem BKAG-Urteil und der Datenschutz-Richtlinie für Polizei und Strafjustiz resultierenden Vorgaben richtig und vollständig umsetzt. Vor allem folgende Punkte sah ich sehr kritisch:

  • Die neu eingeführte Durchsuchungsmöglichkeit elektronischer Speichermedien gemäß Art. 22 Abs. 2 Satz 1 PAG halte ich für problematisch. Denn elektronische Daten sind keine "Sachen" im Sinne des Art. 22 Abs. 1 PAG, da ihnen die für den Sachbegriff kennzeichnende abgrenzbare Körperlichkeit (siehe § 90 Bürgerliches Gesetzbuch) fehlt. Zudem sieht die neue Befugnis keinerlei flankierende Regelungen, insbesondere keinen Richtervorbehalt vor, obwohl die Maßnahme einem Eingriff in das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme nahekommt. Auch § 110 Abs. 3 Strafprozessordnung (StPO), dem Art. 22 Abs. 2 PAG nachgebildet ist, setzt grundsätzlich eine vom Ermittlungsrichter angeordnete Durchsuchung (§ 105 Abs. 1 StPO) voraus.
  • Art. 32 Abs. 1 Satz 2 PAG erlaubt nunmehr die molekulargenetische Untersuchung aufgefundenen Spurenmaterials unbekannter Herkunft zur Feststellung des Geschlechts, der Augen-, Haar- und Hautfarbe, des biologischen Alters und der biogeographischen Herkunft des Spurenverursachers. Diese Erweiterung der DNA-Analyse lehne ich jedoch ab. Die DNA-Analyse zur Feststellung äußerer Merkmale ermöglicht nur Wahrscheinlichkeitsvorhersagen, keine gesicherten Erkenntnisse. Sie ist daher zur rechtssicheren Feststellung äußerlicher Merkmale und zielgenauen Eingrenzung des Spurenverursacherkreises ungeeignet. Es besteht zudem die Gefahr der Diskriminierung bestimmter Bevölkerungskreise, insbesondere aufgrund der Hautfarbe und biogeographischen Herkunft. Darüber hinaus bedarf die Bestimmung äußerer Merkmale wie der Haarfarbe unter anderem der Untersuchung codierender Bereiche des Genoms, welche Erbinformationen enthalten. Durch die Untersuchung codierender Bereiche kann der "absolut geschützter Kernbereich der Persönlichkeit" betroffen sein, "in den auch aufgrund eines Gesetzes nicht eingegriffen werden dürfte" (siehe Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 14. Dezember 2000, Az.: 2 BvR 1741/99, BVerfGE 103, 21, 31 f. Rn. 50 - genetischer Fingerabdruck).
  • Nach Art. 33 Abs. 4 Satz 3 PAG dürfen zukünftig Bodycams auch in Wohnungen eingesetzt werden. Diese Regelung halte ich mangels Richtervorbehalt für verfassungswidrig. Bodycams sind technische Überwachungsmittel im Sinne des Art. 13 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Zwar hatte der Grundgesetzgeber bei dessen Schaffung in erster Linie heimliche Überwachungsmaßnahmen im Blick, eine dahingehende Beschränkung wurde jedoch gerade nicht vorgenommen. Art. 13 Abs. 5 GG ist demgegenüber - anders als die Gesetzesbegründung annimmt - nicht anwendbar, da Bodycams nicht als "technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen" sind. Art. 13 Abs. 7 GG scheidet als Bewertungsmaßstab ebenfalls aus. Denn dieser Tatbestand kommt nur "im Übrigen", also subsidiär zur Anwendung.
  • Weiterhin begegnet die Beschränkung der parlamentarischen Kontrolle erheblichen Bedenken. Nach Art. 52 Abs. 1 PAG unterrichtet das Innenministerium zukünftig nicht mehr den Landtag insgesamt, sondern nur noch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG). Das PKG entspricht jedoch nicht dem Landtag, sondern ist ein von diesem gewähltes, aus wenigen Mitgliedern bestehendes Kontrollgremium. Da dessen Mitglieder zur Geheimhaltung verpflichtet sind, entziehen sich die zu kontrollierenden Themen, insbesondere deren Details, der Kenntnis der übrigen Abgeordneten. Diese Regelung steht in Widerspruch zu den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im BKAG-Urteil, wonach es "zur Gewährleistung von Transparenz und Kontrolle [...] einer gesetzlichen Regelung von Berichtspflichten [bedarf]. Da sich die Durchführung von heimlichen Überwachungsmaßnahmen der Wahrnehmung der Betroffenen und der Öffentlichkeit entzieht und dem auch Benachrichtigungspflichten oder Auskunftsrechte mit der Möglichkeit anschließenden subjektiven Rechtsschutzes nur begrenzt entgegenwirken können, sind hinsichtlich der Wahrnehmung dieser Befugnisse regelmäßige Berichte des Bundeskriminalamts gegenüber Parlament und Öffentlichkeit gesetzlich sicherzustellen" (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 20. April 2016, Az.: 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09, BVerfGE 141, 220, 285 Rn. 142 f.). Über diese eindeutige Vorgabe kann sich der Gesetzgeber nicht hinwegsetzen. Zudem lässt sich die Beschränkung der parlamentarischen Kontrolle auch nicht mit einer Parallele zu Art. 20 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz begründen. Denn aufgrund des sogenannten Trennungsprinzips kann es grundsätzlich keinen Gleichlauf zwischen dem Polizeiaufgabengesetz und dem Bayerischen Verfassungsschutzgesetz geben.
  • Schließlich begegnet auch die neue Regelung des Art. 92 Abs. 3 PAG zur richterlichen Bestätigung von Eilmaßnahmen erheblichen Bedenken.

    Art. 92 PAG
    Verfahren und Zuständigkeit für gerichtliche Entscheidungen, Wegfall der Anordnungsvoraussetzungen

    (3) 1Wurde bei Maßnahmen, die einem Richtervorbehalt unterliegen, bei Gefahr im Verzug jedoch durch bestimmte Polizeivollzugsbeamte angeordnet werden können, von der Eilfallkompetenz Gebrauch gemacht, ist unverzüglich eine richterliche Bestätigung der Maßnahme einzuholen. 2Satz 1 gilt außer in Fällen des Art. 41 Abs. 1 nicht, wenn die Maßnahme bereits vorher erledigt ist. 3Die Maßnahme tritt außer Kraft, soweit sie nicht binnen drei Werktagen richterlich bestätigt wird.

    Nach Art. 92 Abs. 3 Satz 2 PAG ist in Eilfällen eine richterliche Bestätigung nicht einzuholen "wenn die Maßnahme bereits vorher erledigt ist". Dies hat zur Folge, dass der Richtervorbehalt bei zahlreichen Eilmaßnahmen ins Leere läuft. So könnte etwa bei Gefahr im Verzug kurzzeitig eine Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder Online-Durchsuchung durchgeführt werden. Die Einholung der richterlichen Bestätigung würde dann hinfällig, wenn die Maßnahme - jedenfalls vor Ablauf der Drei-Tages-Frist des Art. 92 Abs. 3 Satz 3 PAG - abgebrochen würde. Zwar wurde auf meine massive Kritik hin die Wohnraumüberwachung (Art. 41 PAG) als Rückausnahme vorgesehen. Allerdings verstößt der Art. 92 Abs. 3 Satz 2 PAG für Fälle des Bodycam-Einsatzes in Wohnungen (Art. 33 Abs. 4 Satz 3 PAG) weiterhin gegen Art. 13 Abs. 4 GG, insbesondere dann, wenn etwaige Bildaufnahmen bereits gelöscht wurden und die Maßnahme daher nicht mehr fortwirkt. Art. 13 Abs. 4 GG sieht zwingend eine richterliche Anordnung und bei Eilfällen eine richterliche Bestätigung vor. Diese Vorgaben dürfen durch einfachgesetzliche Reglungen nicht umgangen werden.

Zudem konnte ich mich im Zusammenhang mit der Speicherung von Daten nicht mit der gesetzlichen Regelung einer sogenannten Negativprognose in Art. 54 Abs. 2 Satz 1 PAG durchsetzen, wie sie auf Bundesebene bereits § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BKAG vorsieht. Mir ist zwar bewusst, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof in einer älteren Entscheidung (vom 19. Oktober 1994, Az.: Vf. 12-VII/92 und Vf. 13-VII/92) die bisherige Vorschrift des Art. 38 Abs. 1 PAG-alt nicht beanstandet hat. Allerdings halte ich eine täterbezogene Einzelprognose für erforderlich, um die Speicherung und Weiterverarbeitung von personenbezogenen Daten auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken sowie der Kategorisierung der betroffenen Personen im Sinne des Art. 6 RLDSJ und Art. 30 Abs. 4 PAG Genüge zu tun.

Des Weiteren war es mir ein Anliegen, in Art. 54 Abs. 2 PAG eigene Prüfungsintervalle für personengebundene Hinweise (PHW) vorzusehen. PHW werden auf der Basis von Katalogwerten und zugehörigen Vergabekriterien vergeben und stellen teilweise besondere Kategorien personenbezogener Daten nach Art. 10 RLDSJ beziehungsweise Art. 30 Abs. 2 PAG dar, an deren Verarbeitung besonders strenge Anforderungen zu stellen sind. So handelt es sich etwa beim PHW Ansteckungsgefahr (ANST) um ein Gesundheitsdatum. Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. d RLDSJ haben Daten zudem sachlich richtig und erforderlichenfalls auf dem neuesten Stand zu sein, was vor allem beim PHW Betäubungsmittelkonsument (BTMK) von Bedeutung ist, da sich die den Kriterien zugrundeliegenden Lebensumstände ändern und verbessern können. Leider fand mein Anliegen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens keine Berücksichtigung.

Ebenso konnte ich mich nicht mit einer ersatzlosen Streichung der sogenannten Mitziehklausel in Art. 54 Abs. 2 Satz 6 PAG durchsetzen, deren Folgen (teilweise sehr lange Speicherungsdauer) ich für unverhältnismäßig halte (siehe hierzu mein ausführlicher Beitrag unter Nr. 4.4.3).

Neben diesen und zahlreichen weiteren Kritikpunkunten konnte ich jedoch auch positive Änderungen verzeichnen. Unter anderem habe ich etwa Folgendes erreicht:

  • Die Befugnisse zu DNA-Analysen nach Art. 14 Abs. 4 Satz 2 und Art. 32 Abs. 1 Satz 3 PAG wurden auf meine Anregung hin jeweils um eine Zweckbindungsregelung (Feststellungsverbot) ergänzt, Art. 32 Abs. 1 Satz 2 PAG zudem um eine Subsidiaritätsklausel.
  • Ebenso hat der Gesetzgeber die neue Befugnis zur Sicherstellung von Daten in Art. 25 Abs. 3 Satz 1 PAG unter einen Subsidiaritätsvorbehalt gestellt.
  • In Art. 27 Abs. 3 Satz 5 PAG (Verwertung und Vernichtung sichergestellter Sachen) wurde des Weiteren aufgenommen, dass "bei der Verwertung von Datenträgern [...] sicherzustellen [ist], dass zuvor personenbezogene Daten dem Stand der Technik entsprechend gelöscht wurden", um zu verhindern, dass bei der Verwertung von Datenträgern personenbezogene Daten des vormaligen Benutzers unzulässigerweise "in fremde Hände gelangen".
  • Auch Art. 36 Abs. 2 PAG wurde auf meine Forderung hin mit einer Subsidiaritätsklausel versehen, damit die besonderen Mittel der Datenerhebung aufgrund ihrer Eingriffsintensität nur als "ultima ratio" eingesetzt werden. Zudem stellte der Gesetzgeber in Art. 36 Abs. 4 PAG die längerfristige Observation sowie das Abhören oder Aufzeichnen des außerhalb von Wohnungen nichtöffentlich gesprochenen Wortes unter Richtervorbehalt. Des Weiteren wurden polizeiliche Anordnungen auf meine Anregung hin mit einer Höchstfrist von drei Monaten versehen (siehe Art. 36 Abs. 5 Satz 3 PAG).
  • In Art. 41 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a PAG (Einsatz technischer Mittel in Wohnungen) hat der Gesetzgeber den Berufsgeheimnisschutz auf alle Berufsgeheimnisträger erstreckt und damit die im bisherigen Art. 34 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a PAG-alt angelegte Differenzierung nach bestimmten Berufsgruppen aufgegeben.
  • Für die längerfristige Observation wurden in Art. 49 PAG sowohl ein Berufsgeheimnisträgerschutz als auch ein Kernbereichsschutz auf Erhebungsebene etabliert.
  • In Art. 51 Abs. 2 Satz 3 PAG (Protokollierung, Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz) wurde nunmehr geregelt, dass die Protokolle über Datenlöschungen und die Vernichtung von Unterlagen ebenfalls zu löschen sind.
  • Des Weiteren normierte der Gesetzgeber in Art. 54 Abs. 2 Satz 2 PAG (Speicherung, Veränderung und Nutzung von Daten), dass die Löschung von Daten bei Wegfall des der Speicherung zugrunde liegenden Verdachts nunmehr "unverzüglich" zu erfolgen hat. In Art. 54 Abs. 4 Satz 4 PAG hat er hinsichtlich der Datenverarbeitung zu wissenschaftlichen Zwecken zudem ein Verwendungsverbot für Daten aus der besonders eingriffsintensiven Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchung geregelt. Zudem legte er in einem eigenständigen Art. 54 Abs. 5 PAG fest, dass die Polizei ihre gespeicherten Daten regelmäßig auf Richtigkeit, Vollständigkeit, Zuverlässigkeit und Aktualität kontrollieren soll.
  • Auf meine Empfehlung hin wurde zudem ein eigenständiges Übermittlungsverbot aufgrund möglicher Menschenrechtsverletzungen (Art. 58 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 PAG) geschaffen. Darüber hinaus wurde in Art. 58 Abs. 4 Satz 2 PAG eine Hinweispflicht der Polizei auf die Zweckbindung gegenüber Empfängern in Drittstaaten aufgenommen.
  • Weiterhin wurden in Art. 13, 14 PAG (Zentrale Datenprüfstelle) zahlreiche Anregungen aufgegriffen, um die vollständige Unabhängigkeit der Zentralen Datenprüfstelle zu gewährleisten. Zudem darf die Zentrale Datenprüfstelle im Falle einer Ablehnung der Freigabe nach Art. 14 Abs. 1 Satz 3 PAG der zuständigen Polizeidienststelle nur eine Entscheidungsausfertigung ohne Gründe bekanntgeben, um zu vermeiden, dass diese vom konkreten Inhalt der Daten Kenntnis erlangt.
  • Auch bei Art. 29 Abs. 3 bis 6 BayDSG (DNA-Untersuchungen) konnte ich einige Verbesserungen erreichen, etwa das Erfordernis einer schriftlichen Zustimmung der betroffenen Personen sowie deren Belehrung hierüber, des Weiteren die Protokollierung der Abgleiche und Verwendung der Protokolldaten nur zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung sowie die Vernichtung der entnommenen Körperzellen spätestens drei Jahre nach dem letzten Kontakt.

Meine ausführliche Stellungnahme zur zweiten PAG-Reform ist auf meiner Homepage https://www.datenschutz-bayern.de unter "Themengebiete" - "Polizei" eingestellt.

4.1.2. (Mit-)Zuständigkeit der Polizei beim Vollzug des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG)

Zum 1. Juli 2017 trat das Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen (Prostituiertenschutzgesetz - ProstSchG) in Kraft, für dessen Vollzug nach § 64a Satz 1 Halbsatz 1 Zuständigkeitsverordnung (ZustV) grundsätzlich die Kreisverwaltungsbehörden zuständig sind.

§ 9 Abs. 2 ProstSchG regelt unter anderem, dass die "zuständige Behörde" unverzüglich erforderliche Schutzmaßnahmen zu veranlassen hat, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen von Zwangsprostitution ergeben.

Für diese Fälle hat der bayerische Gesetzgeber, leider ohne mich zuvor nach Art. 32 Abs. 3 BayDSG-alt zu unterrichten, in § 64a Satz 1 Halbsatz 2 ZustV festgelegt, dass neben den Kreisverwaltungsbehörden auch die Polizei "zuständige Behörde" ist.

Ich halte diese (Mit-)Zuständigkeit der Polizei aus datenschutzrechtlicher Sicht für problematisch. Der Bundesgesetzgeber hat Schutzmaßnahmen (und damit in der Regel einhergehende Datenübermittlungen an die Polizei) nur dann vorgesehen, wenn die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 ProstSchG erfüllt sind. Die bayerische Regelungslage führt nun dazu, dass die Polizei über alle unter das Prostituiertenschutzgesetz fallenden Personen pauschal Informationen erhalten kann, also nicht nur dann, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen von Zwangsprostitution ergeben.

Konkret bedeutet dies, dass die Polizei schon im Vorfeld tatsächlicher Anhaltspunkte für das Vorliegen erzwungener oder ausbeuterischer Prostitution alle Daten aus dem Prostituiertenanmeldeverfahren bei den Kreisverwaltungsbehörden zugeliefert bekommen soll. Da zu diesem Zeitpunkt aber noch kein Erfordernis für konkrete Schutzmaßnahmen absehbar ist, hat der bayerische Gesetzgeber der Polizei somit die Möglichkeit einer pauschalen Gefahrenerforschung eröffnet. Die Datenschutzinteressen der legal im Prostitutionsgewerbe tätigen Personen werden hierdurch nicht hinreichend gewahrt. Nach meiner Auffassung widerspricht dies dem Sinn und Zweck des Prostituiertenschutzgesetzes.

Vor diesem Hintergrund habe ich, unabhängig von meiner grundsätzlichen Kritik an § 64a Satz 1 Halbsatz 2 ZustV, gegenüber dem Innenministerium zum Ausdruck gebracht, dass bei der Verarbeitung von im genannten Zusammenhang erlangten Informationen durch die Polizei die Grundsätze der Erforderlichkeit und Zweckbindung besonders zu beachten sind.

4.1.3. Verwaltungsvorschriften bezüglich polizeilicher Speicherungen

In zwei Punkten konnte ich erreichen, dass die einschlägigen Verwaltungsvorschriften bezüglich polizeilicher Speicherungen aus datenschutzrechtlicher Sicht verbessert wurden:

Wesentliche Voraussetzung dafür, eine Person als Beschuldigten zu speichern, ist, dass gegen sie ein sogenannter polizeilicher Restverdacht besteht (vgl. zu diesem Begriff 27. Tätigkeitsbericht 2016 unter Nr. 3.6.5). Wie ich in meinem 27. Tätigkeitsbericht 2016 unter Nr. 3.6.1 bereits dargelegt habe, halte ich es für wichtig, dass die Entscheidung, ob ein solcher Restverdacht besteht, nachvollziehbar dokumentiert wird. Das Innenministerium ist zwischenzeitlich meiner Auffassung gefolgt und hat die einschlägigen Verwaltungsvorschriften um einen entsprechenden Passus ergänzt.

In meinem 27. Tätigkeitsbericht 2016 unter Nr. 3.6.6 habe ich außerdem darüber berichtet, dass ein Polizeipräsidium meine Anregung aufgenommen hat, die Regelspeicherfrist im Kriminalaktennachweis auf zwei Jahre zu reduzieren, wenn Jugendliche oder Heranwachsende erstmals wegen strafbaren Erwerbs oder Besitzes von geringen Mengen Cannabis in Erscheinung treten. Erfreulicherweise hat sich das Innenministerium dieser Verfahrensweise im Grundsatz angeschlossen und durch eine Regelung in den entsprechenden Verwaltungsvorschriften veranlasst, dass alle Polizeiverbände in solchen Fällen verkürzte Speicherfristen festzulegen haben.

4.1.4. Einsatz der Software "iFinder"

Die Ausgangslage dürfte auch vielen privaten Nutzinnen und Nutzern von EDV-Geräten bekannt sein: Während man früher durch begrenzte Speicherkapazitäten diszipliniert wurde, nicht alles zu speichern, gibt es heute nahezu keinerlei Beschränkungen mehr in dieser Hinsicht. Eine Begleiterscheinung dieser neu gewonnenen Freiheit liegt darin, dass man gerade dringend benötigte Dokumente und dazugehörige Begleitinformationen im vermeintlichen Dschungel der elektronischen Ablage nicht oder nicht sofort auffindet. Aussichtslos kann die Suche sein, wenn in großen elektronischen Netzwerken von vielen Beschäftigten unübersehbare Datenmengen verarbeitet und analysiert werden sollen. Für solche Big-Data-Szenarien bedient man sich im professionellen Umfeld daher spezieller Recherchesoftware.

Im Rahmen einer Prüfung bei einer Fachabteilung des Bayerischen Landeskriminalamts wurde ich zufällig auf die Verwendung eines derartigen Tools namens "iFinder" aufmerksam. Bei der Software "iFinder" handelt es sich um eine nach Angaben der entwickelnden Firma "intelligente, hochskalierbare und äußerst leistungsfähige Suchlösung", die eine dokumenten- und verzeichnisübergreifende Volltextsuche in (polizeilichen) Datenbeständen ermöglicht.

In datenschutzrechtlicher Hinsicht stellte sich mir die Frage, ob diese Software möglicherweise imstande ist - eventuell auch unbeabsichtigt - festgelegte Nutzungsbeschränkungen, insbesondere eingerichtete Zugangsberechtigungen, zu umgehen. Die Behörde legte mir im Rahmen eines Vor-Ort-Termins dar, dass die Software "iFinder" nur innerhalb einer Fachabteilung genutzt werde, die mit der strategischen und operativen Auswertung von Informationen zu terroristischen Straftaten und der entsprechenden Informationssteuerung befasst sei. Außerdem werde das Trefferbild einer Suchanfrage ausschließlich aus Datensätzen generiert, für die der jeweilige Anwender aufgrund seiner Funktion mit entsprechenden Zugriffsrechten ausgestattet sei.

Im Ergebnis kam ich zu dem Schluss, dass der derzeitige Einsatz dieser aus Sicht des Datenschutzes möglicherweise riskanten Software zur Auswertung von Massendaten beim Bayerischen Landeskriminalamt im zugrunde liegenden Fall datenschutzrechtlich vertretbar ist. Gleichwohl habe ich gegenüber der Behörde sowie dem Innenministerium zum Ausdruck gebracht, dass der Einsatz von derartigen Suchsystemen bestehende Nutzungsbeschränkungen nicht umgehen darf. Ich habe das Bayerische Landeskriminalamt daher gebeten, den Verwendungsrahmen der Software "iFinder" schriftlich in Form einer Errichtungsanordnung festzuhalten und mich über weitere Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.

4.2. Polizeiliche Ermittlungen

4.2.1. Beanstandung wegen unverhältnismäßiger Datenerhebungen

Der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist auch bei der polizeilichen Sachverhaltsaufklärung zu beachten. Er setzt hier insbesondere der Erhebung personenbezogener Daten Grenzen. In Einzelfällen verlässt der behördliche "Erkenntnisdrang" auch einmal den Rahmen des Zulässigen, wie ich anlässlich einer Eingabe feststellen musste.

Aufgrund eines anonymen Hinweises auf eine angebliche Nötigung bei der privaten Vermietung von Wohnungen setzte eine bayerische Polizeibehörde gegen einen bei ihr beschäftigten Beamten umfangreiche Hintergrundermittlungen in Gang. Unter anderem kam es zu Bestandsdatenabfragen bei Internet- und E-Mail-Providern, zu Rufnummernabfragen bei einem Telefonnetzbetreiber sowie zu einer Abfrage von Kontodaten. Hierbei wurden nicht nur Daten des in Verdacht geratenen Polizeibeamten, sondern auch seiner Ehefrau gezielt erhoben. Ohne jemals im Verlauf der Ermittlungen auch an den Beschuldigten selbst herangetreten zu sein, übermittelte die Polizeibehörde das Ergebnis ihrer Ermittlungen mit der Bitte um strafrechtliche Prüfung an die zuständige Staatsanwaltschaft. Diese sah von einer weiteren Verfolgung ab beziehungsweise stellte das Verfahren kurzerhand ein. Erst als sich der Polizeibeamte im Rahmen eines Disziplinarverfahrens mit den Ergebnissen der geschilderten Ermittlungsmaßnahmen konfrontiert sah, erlangte er Kenntnis von den umfangreichen Datenerhebungen.

Eine solche Intensität der polizeilichen Recherchen ist nach meiner Einschätzung eher bei Finanzermittlungen mit Bezug zu organisierten kriminellen Strukturen als bei der Aufklärung eines anonymen Hinweises auf eine mögliche Nötigung von Mietern angebracht. Insbesondere die Kontodatenabfrage zulasten des Polizeibeamten und seiner Ehefrau habe ich als schwerwiegenden, nicht gerechtfertigten Grundrechtseingriff gewertet.

Auch in Bezug auf die "Heimlichkeit" aller durchgeführten Datenerhebungen konnte ich dem Argument der ermittelnden Polizeidienststelle hinsichtlich einer pauschal unterstellten "möglichen Zeugenbeeinflussung" durch den Beschuldigten nicht folgen, da sich dafür keinerlei belastbare Hinweise ergaben. Außerdem bezog sich keine der Recherchen auf "flüchtige Daten", die man selbst im Fall eines unkooperativen Verhaltens des Tatverdächtigen nicht nachträglich - insbesondere in Absprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft - noch hätte erheben können.

Ich habe die von der Polizeibehörde betriebene Sachverhaltsaufklärung im Einzelfall datenschutzrechtlich beanstandet. Für zukünftige vergleichbare Fälle habe ich der Polizeibehörde empfohlen, künftig möglichst frühzeitig eine Einbindung der zuständigen Staatsanwaltschaft herbeizuführen und weitreichende Ermittlungsschritte sorgfältig abzustimmen. Auch wenn an Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte hinsichtlich ihres außerdienstlichen Verhaltens strengere Anforderungen zu stellen sind als an Beschäftigte in den meisten anderen Verwaltungszweigen, gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch für sie, erst recht aber für ihre Familienmitglieder.

4.2.2. Informatorische Befragung bei Beschuldigten

Immer wieder ist festzustellen, dass es bei der Unterscheidung zwischen der förmlichen Vernehmung eines oder einer Beschuldigten und der informatorischen Befragung einer Person, die (noch) nicht beschuldigt ist, in der polizeilichen Praxis zu Unsicherheiten kommt.

In einem von mir geprüften Fall rief eine Mitarbeiterin eines Wohnheims die Polizei, da aus dem Zimmer eines Bewohners Marihuanageruch dringe. Die eingetroffenen Beamten stellten in dem stark verqualmten Zimmer ebenfalls Marihuanageruch fest. Einer der zwei Zimmerinsassen hatte stark gerötete Augen. Laut Sachverhaltsbericht der Polizei wurden die beiden Personen "informatorisch befragt", ob sie noch weitere Betäubungsmittel besäßen, und das Zimmer wurde durchsucht. Trotz dieser polizeilichen Maßnahmen wurden die beiden Personen weiterhin nicht über ihre Beschuldigtenrechte belehrt.

Auch an einem weiteren Beispiel zeigen sich die Unsicherheiten, die bei diesem Thema bestehen. So stieß ich im Rahmen einer Prüfung auf einen Ermittlungsbericht, in dem von einer "informatorischen Befragung" der "Beschuldigten" die Rede war.

Problematisch ist eine fehlerhafte Bewertung im Rahmen einer polizeilichen Befragung deshalb, weil nach § 136 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) Beschuldigte vor einer Befragung über ihre Beschuldigtenrechte belehrt werden müssen, was bei einer rein informatorischen Befragung gerade nicht erforderlich ist.

§ 136 StPO

(1) 1Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. 2Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. 3Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. 4Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen.5Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 Absatz 1 und 2 die Bestellung eines Verteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und 3 beanspruchen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. 6In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

Diese Belehrung soll sicherstellen, dass ein Beschuldigter oder eine Beschuldigte nicht im Glauben an eine vermeintliche Aussagepflicht Angaben macht und sich damit unfreiwillig selbst belastet. Die informatorische Befragung einer bereits unter Straftatenverdacht stehenden Person ist unzulässig; dabei gewonnene Erkenntnisse sind grundsätzlich unverwertbar. Entscheidend für die Beurteilung, von welchem Zeitpunkt an die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO erforderlich ist, ist einerseits die Stärke des Tatverdachts, der gegenüber der befragten Person gehegt wird. Hierbei hat die Polizei einen Beurteilungsspielraum, der nicht mit dem Ziel missbraucht werden darf, den Zeitpunkt der erforderlichen Belehrung möglichst weit hinauszuschieben. Daneben ist zum anderen von Bedeutung, wie sich das Verhalten der Polizei aus Sicht des oder der Befragten darstellt. Polizeiliche Verhaltensweisen wie beispielsweise die Durchsuchung der Wohnung einer von der Befragung betroffenen Person belegen schon ihrem äußeren Befund nach, dass die Polizei dem oder der Befragten als beschuldigter Person begegnet. Den betroffenen Polizeibehörden habe ich daher nahegelegt, die geschilderte Thematik intern aufzuarbeiten.

4.3. Heraufsetzung der Höchstspeicherfristbei polizeilicher Videoüberwachung

Wie bei vielen polizeilichen Maßnahmen ist auch bei der Videoüberwachung zu beachten, dass die Intensität des bewirkten Grundrechtseingriffs von dessen Dauer abhängt. Wer einen von der Polizei videoüberwachten Bereich durchquert, ist scheinbar nur für einen minimalen Zeitraum von dieser Maßnahme betroffen. Werden die Aufnahmen aber gespeichert, kann sich die Eingriffsintensität erheblich erhöhen.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es daher bedauerlich, dass im Rahmen des Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen (Einzelheiten unter Nr. 4.1.1) die gesetzlich im Polizeiaufgabengesetz (PAG) verankerte Höchstspeicherfrist für polizeiliche Bild- und Tonaufnahmen oder aufzeichnungen von höchstens drei Wochen auf maximal zwei Monate ausgedehnt wurde.

In der Folge dauerte es auch nicht lange, bis verschiedene Polizeipräsidien ihre Speicherfristen, die nach meinem Eindruck im Durchschnitt bei zwei Wochen lagen, auf drei oder sogar vier Wochen erhöhten. Dies ist für mich nicht nachvollziehbar. Denn losgelöst von der gesetzlichen Höchstspeicherdauer bemisst sich eine angemessene Speicherdauer von Videoaufzeichnungen nach dem Gebot der Erforderlichkeit. So ist mir aufgrund meiner umfassenden Prüfpraxis kein Vorgang bekannt, in dem die Polizei längere als die bisherigen Speicherfristen benötigt hätte, um in einem Fall von wesentlicher Bedeutung ihrer Aufgabenstellung gerecht werden zu können. Schließlich können Aufzeichnungen, die mit konkreten Straftaten in Verbindung zu bringen sind, ohnehin sofort als Beweismittel in das jeweilige Strafverfahren einfließen und unterliegen dann nicht mehr den Vorgaben des Polizeiaufgabengesetzes.

Vor dem Hintergrund, dass die Videoüberwachung öffentlicher Bereiche in den letzten Jahren erheblich ausgebaut wurde, Polizeistreifen in naher Zukunft kaum mehr ohne Body-Cams anzutreffen sind und zugleich eine immer höher entwickelte Videotechnik zum Einsatz kommt, bedarf es nach meiner Ansicht dringend ausgleichender Korrektive. Eine polizeiliche (Selbst-)Beschränkung im Sinne einer sehr eng am Gebot der Erforderlichkeit orientierten Festlegung der Speicherfrist kann einen solchen Ausgleich bewirken helfen. Die konkrete Festlegung der Speicherfristen bei einzelnen polizeilichen Videoüberwachungsmaßnahmen werde ich daher weiter kritisch begleiten.

4.4. Speicherungen in polizeilichen Dateien

4.4.1. Prüfung der Speicherungsvoraussetzung "polizeilicher Restverdacht"

Im Anschluss an frühere Prüfungen (siehe meinen 27. Tätigkeitsbericht 2016 unter Nr. 3.6.1 und Nr. 3.6.5 sowie meinen 26. Tätigkeitsbericht 2014 unter Nr. 3.5.3 und Nr. 5.3.5) habe ich abermals (anlassunabhängig) bei drei Polizeipräsidien polizeiliche Speicherungen auf ihre Zulässigkeit hin kontrolliert. Mein Augenmerk richtete sich darauf, ob die Polizei Personen als Beschuldigte speichert, obwohl die zuständige Staatsanwaltschaft ausdrücklich festgestellt hat, dass die betroffenen Personen unschuldig sind, beziehungsweise dass gegen sie kein begründeter Verdacht einer Straftat (mehr) besteht.

Wesentliche Voraussetzung dafür, eine Person als Beschuldigten zu speichern, ist, dass gegen sie ein sogenannter polizeilicher Restverdacht besteht (siehe zu diesem Begriff mein 27. Tätigkeitsbericht 2016 unter Nr. 3.6.5). Ein solcher Restverdacht ist bei den oben genannten Feststellungen der Staatsanwaltschaft gerade nicht begründbar. Dennoch konnte ich bei meiner Prüfung erneut mehrere Fälle auffinden, in welchen trotz der beschriebenen staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen die entsprechenden polizeilichen Speicherungen nicht ausreichend berichtigt worden waren. Teilweise hatten die Polizeipräsidien im Vorgangsverwaltungssystem den Beschuldigtenstatus nicht geändert, teilweise hatten sie den Ausgang des Verfahrens nicht vermerkt. In drei dieser Fälle lag sogar eine Speicherung als Beschuldigter im Kriminalaktennachweis vor.

Die Ursachen für diese Fehlspeicherungen lagen teilweise in der unzureichenden Übermittlung der Einstellungsbegründung durch die zuständige Staatsanwaltschaft an die Polizei, teilweise wurden die Einstellungsbegründungen aber auch einfach nicht beachtet.

Die geprüften Polizeipräsidien haben die von mir gerügten fehlerhaften Eintragungen berichtigt. Für die Zukunft habe ich das Innenministerium gebeten, die nachgeordneten Polizeibehörden regelmäßig auf die Beachtung der von mir kritisierten Punkte hinzuweisen. Das Innenministerium hat seinerseits wesentliche Verbesserungen bei der Informationsweitergabe von den Staatsanwaltschaften an die Polizei in Aussicht gestellt. So haben das Innen- sowie das Justizministerium eine Arbeitsgruppe initiiert, die mittelfristig eine elektronische Schnittstelle zur direkten Übermittlung und Übernahme des Verfahrensausgangs in die polizeiliche Vorgangsverwaltung umsetzen soll.

4.4.2. Verzicht auf Speicherung im Kriminalaktennachweis bei Nachbarschaftsstreitigkeiten

Nachbarschaftsstreitigkeiten sind oftmals Anlass für ein polizeiliches Einschreiten. Regelmäßig geht es dabei nicht um schwerwiegende und die Öffentlichkeit verunsichernde Delikte. Oftmals werden wechselseitig begangene Beleidigungen oder Tätlichkeiten auch wechselseitig zur Anzeige gebracht. Die Polizei legt für diese Vorfälle gewöhnlich einen Kriminalaktennachweis (KAN) an.

Anschließend können diese Vorfälle von jeder bayerischen Polizeidienststelle abgerufen werden. Der Kriminalaktennachweis dient der Informationsgewinnung für Zwecke der Strafverfolgung sowie der Gefahrenabwehr. Solche Speicherungen sind legitim, sofern es sich um Fälle ernstzunehmender Kriminalität handelt, die über die jeweiligen Zuständigkeitsgrenzen hinaus von Bedeutung sein können. In vielen Bagatellfällen fehlt es aber an einer überörtlichen Relevanz aber gerade. Die Polizei sollte bei Nachbarschaftsstreitigkeiten deshalb darauf achten, dass erstattete Strafanzeigen nicht zu einer unangebrachten "Kriminalisierung" der Beteiligten führen.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht habe ich daher positiv zur Kenntnis genommen, dass eine Polizeidienststelle aus den vorgenannten Gründen selbständig und bewusst auf Einträge im Kriminalaktennachweis verzichtet hat, wenn es um geringfügige Tatvorwürfe im Zusammenhang mit Nachbarschaftsstreitigkeiten geht. So unterblieben mehrjährige KAN-Speicherungen zu den beschuldigten Personen. Die Vorfälle wurden lediglich in der polizeilichen Vorgangsverwaltung (IGVP) registriert. Dieses Vorgehen wird auch dem Grundsatz der "Datenminimierung" (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c DSGVO) gerecht, der über die Verweisung in Art. 28 Abs. 2 Nr. 2 BayDSG auch für die Polizei gilt und einen sparsamen Umgang mit erlangten personenbezogenen Daten fordert.

Ich hoffe, dass sich weitere bayerische Polizeidienststellen an diesem datenschutzfreundlichen Vorbild orientieren.

4.4.3. Auswirkungen der sogenannten "Mitziehklausel"

Im Rahmen meiner oben genannten Stellungnahme zur Neufassung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) habe ich mich, leider ohne Erfolg, für die Streichung der sogenannten "Mitziehklausel" des Art. 38 Abs. 2 Satz 6 Polizeiaufgabengesetz in der bis zum 24. Mai 2018 geltenden Fassung (PAG-alt; jetzt Art. 54 Abs. 2 Satz 6 PAG) ausgesprochen. Nach dieser Regelung verlängert eine neue polizeiliche Speicherung die Speicherdauer aller "alten" Speicherungen, da sich die Speicherdauer für alle Speicherungen nach der längsten Speicherfrist richtet. Dies halte ich aus verschiedenen Gründen für problematisch. So kann diese Regelung etwa dazu führen, dass die Polizei eine Eintragung länger speichert als die zugrundeliegende Verfahrensakte bei der Staatsanwaltschaft aufzubewahren ist. Zudem werden aufgrund der Mitziehklausel teilweise Jugendverfehlungen oder strafrechtlich nicht nachzuweisende Taten über sehr lange Zeiträume gespeichert.

Art. 38 PAG-alt

Speicherung, Veränderung und Nutzung von Daten

(2) 1Die Polizei kann insbesondere personenbezogene Daten, die sie im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Personen gewonnen hat, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben, speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. [...] 3Die nach Art. 37 Abs. 3 festzulegenden Prüfungstermine oder Aufbewahrungsfristen betragen in der Regel bei Erwachsenen zehn Jahre, bei Jugendlichen fünf Jahre und bei Kindern zwei Jahre (Regelfristen). 4In Fällen von geringerer Bedeutung sind kürzere Fristen festzusetzen. 5Die Frist beginnt regelmäßig mit dem Ende des Jahres, in dem das letzte Ereignis erfasst worden ist, das zur Speicherung der Daten geführt hat, [...]. 6Werden innerhalb der Frist der Sätze 3 bis 5 weitere personenbezogene Daten über dieselbe Person gespeichert, so gilt für alle Speicherungen gemeinsam der Prüfungstermin, der als letzter eintritt, oder die Aufbewahrungsfrist, die als letzte endet.

Aufgrund ihrer Auswirkungen für die Betroffenen ist in Fällen, in denen die Mitziehautomatik greift, eine besondere Sorgfalt an den Tag zu legen, wenn es darum geht, die Speicherdauer polizeilicher Eintragungen festzulegen. Einer Veranschaulichung der Thematik dienen die beiden nachfolgenden Praxisbeispiele:

Ein Petent hatte eine Speicherung aus dem Jahr 2003 wegen gefährlicher Körperverletzung. 2012 - also ein Jahr vor Löschung der gefährlichen Körperverletzung - kam eine Speicherung wegen Beleidigung dazu. Laut der Polizei sollten beide Eintragungen bis 2022 gespeichert werden, weil die Speicherfrist bei Erwachsenen grundsätzlich zehn Jahre beträgt und im Jahr 2012 für die Beleidigung zu laufen begann. Im Rahmen meiner Prüfung stellte sich heraus, dass es sich bei der Beleidigung um einen Fall von geringerer Bedeutung handelte, der eine verkürzte Speicherfrist von fünf Jahren ermöglichte. Beide Speicherungen wurden daher mit Ablauf des Jahres 2017 aus dem Kriminalaktennachweis gelöscht.

Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, ein besonderes Augenmerk auf die gesetzlichen Speicherverkürzungsmöglichkeiten zu legen, um die Folgen der Mitziehklausel etwas einzudämmen.

In einem anderen Fall wurde ein Petent 2009 als Siebzehnjähriger wegen des Besitzes einer geringen Menge Cannabis (0,1 Gramm) und des Missbrauchs von Ausweispapieren polizeilich gespeichert, mit dem Personenhinweis "BtM-Konsument" versehen und erkennungsdienstlich behandelt. Eigentlich wären die Eintragungen, da der Petent zum Tatzeitpunkt Jugendlicher war, nach fünf Jahren, also 2014, zu löschen gewesen. Im Jahr 2013 allerdings wurde der Petent als Teilnehmer einer Sachbeschädigung und eines Hausfriedensbruchs im Kriminalaktennachweis (KAN) gespeichert. Aufgrund der Mitziehklausel wäre er wegen einer einmaligen Jugendverfehlung somit bis 2023, also bis zu seinem 32. Lebensjahr, als "BtM-Konsument" gespeichert worden. Im Rahmen meiner Prüfung zeigte sich, dass der Geschädigte der Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruchs kein Interesse an einer Strafverfolgung hatte und die Speicherung des Vorwurfes aus dem Jahr 2013 im Kriminalaktennachweis von der Polizei nicht weiter benötigt wurde. Alle Speicherungen im Kriminalaktennachweis, der Personenhinweis "BtM-Konsument" und die erkennungsdienstlichen Unterlagen wurden daher gelöscht.

Auch hier wird deutlich, welche Auswirkungen die Mitziehautomatik haben kann und wie wichtig es daher ist, polizeiliche Speicherungen, die andere ältere Speicherungen verlängern, stets einer genauen Betrachtung zu unterziehen.

4.4.4. Speicherung wegen BtM-Delikt ohne Vorliegen eines Anfangsverdachts

"Ich und Drogenhandel?!" Aus allen Wolken fiel eine antragstellende Person, als sie im Rahmen einer Akteneinsicht zu einem belanglosen Nachbarschaftsstreit zufällig auf einen entsprechenden polizeilichen Vermerk stieß. Darin teilte eine Polizeiinspektion der Staatsanwaltschaft die Erkenntnis mit, dass vor neun Jahren gegen dieselbe Person bereits wegen des Verdachts des Handels mit Betäubungsmitteln ermittelt worden war.

Die betroffene Person hatte von den polizeilichen Ermittlungen, die auf einem vagen anonymen Hinweis beruhten, nie etwas erfahren. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen rasch beendet und die Polizei darauf aufmerksam gemacht, dass im konkreten Fall kein Anfangsverdacht für eine verfolgbare Straftat vorliege.

Dennoch wurde die Person, ohne davon Kenntnis zu haben, über Jahre mit diesem nicht unerheblichen Tatvorwurf in polizeilichen Dateien gespeichert. Es kann zwar zulässig sein, dass die Polizei auch Erkenntnisse aus eingestellten Strafverfahren zunächst einmal behält. Allerdings gilt dies nicht in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft - immerhin Herrin des Ermittlungsverfahrens - den Anfangsverdacht einer verfolgbaren Straftat für nicht gegeben erachtet.

Der Praxisfall führt vor Augen, wie leicht Bürgerinnen und Bürger in polizeiliche Dateien geraten und darin verbleiben können, ohne davon auch nur ansatzweise etwas zu wissen.

Als positiven Aspekt möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass das zuständige Polizeipräsidium die Speicherung auf meine Anfrage hin als rechtlich nicht haltbar erkannte und aus eigenem Antrieb die datenschutzrechtlich gebotenen Maßnahmen, insbesondere eine unverzügliche Löschung, veranlasste.

Vor dem Hintergrund dieses Falles empfehle ich, in Zweifelsfällen das gesetzlich vorgesehene Auskunftsrecht (Art. 65 Polizeiaufgabengesetz) zu nutzen.

Weitere Informationen zu Auskunftsrechten gegenüber den bayerischen öffentlichen Stellen sind auf meiner Homepage https://www.datenschutz-bayern.de in der Rubrik "Themengebiete - Polizei - Speicherung personenbezogener Daten durch die Polizei" zu finden.

4.5. Datenübermittlungen

4.5.1. Pressemitteilung über einen Geschwindigkeitsverstoß

Die Grundsätze zur datenschutzkonformen Pressearbeit der Polizei habe ich bereits in meinem 24. Tätigkeitsbericht 2010 unter Nr. 3.6 dargelegt. Meiner Auffassung nach kann eine personenidentifizierende Pressearbeit der Polizei regelmäßig nur bei Verbrechen, insbesondere bei Fällen der Gewaltkriminalität, in Betracht kommen. Ansonsten ist eine personenidentifizierende Pressearbeit datenschutzrechtlich allenfalls dann vertretbar, wenn besondere Kriterien hinzukommen, die ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung begründen.

Im Rahmen meiner Tätigkeit stoße ich immer wieder auf Fälle, in denen diese Grundsätze nicht beachtet wurden. So wurde ich etwa im Berichtszeitraum auf Zeitungsartikel aufmerksam, in denen ein Geschwindigkeitsverstoß einer Angehörigen eines europäischen Adelshauses geschildert wurde. Wie ich feststellen konnte, war Ausgangspunkt für den Zeitungsbericht eine Pressemitteilung der zuständigen Verkehrspolizeiinspektion. In dieser Pressemitteilung wurde nicht nur der Geschwindigkeitsverstoß beschrieben, sondern es wurden zusätzlich auch der Anfangsbuchstabe des Nachnamens der betroffenen Person, ihr Alter sowie insbesondere ihre Zugehörigkeit zum Hochadel eines bestimmten Landes erwähnt. Damit war für die Allgemeinheit die Identifizierbarkeit der betroffenen Person gegeben.

Das zuständige Polizeipräsidium teilte mir mit, Zweck der Pressemitteilung sei es gewesen, durch die Darstellung von eklatanten Verkehrsverstößen die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und mit dem Hinweis auf verstärkte Kontrollmaßnahmen für eine erhöhte Verkehrssicherheit zu sorgen. Gleichwohl sei man aber auch der Auffassung, dass der Informationsgehalt der Pressemitteilung für die Öffentlichkeit nicht beeinträchtigt worden wäre, wären die Individualisierungsmerkmale nicht benannt worden. Das Polizeipräsidium hat daher die zuständige Verkehrspolizeiinspektion darauf hingewiesen, künftig bei Pressemitteilungen auf eine datenschutzrechtlich gebotene Anonymisierung zu achten.

4.5.2. Übermittlung eines ungeschwärzten Auszugs aus einem Haftbuch der Polizei

Als überraschend auskunftsfreudig erwies sich ein Polizeipräsidium bei der Aktenvorlage an ein Amtsgericht: Der Betroffene einer Ingewahrsamnahme erstrebte die nachträgliche gerichtliche Überprüfung seiner von der Polizei angeordneten Freiheitsentziehung. Das Polizeipräsidium legte dem zuständigen Amtsgericht die entsprechenden Akten vor. Übermittelt wurde dabei unter anderem die Kopie eines Auszuges aus dem sogenannten Haftbuch. Das Haftbuch dokumentiert, welche Personen sich zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen in den Hafträumen der betreffenden Polizeidienststelle aufhielten.

Obwohl dem Gericht lediglich die Umstände der Freiheitsentziehung der antragstellenden Person darzulegen waren, blieben auf der Kopie die Daten von sieben anderen vorübergehend in Gewahrsam genommenen Personen ungeschwärzt. Eine Anonymisierung wäre insofern notwendig gewesen, weil Angaben zu anderen Personen als dem Antragsteller keinerlei Bedeutung für die nachträgliche richterliche Kontrolle hatten. Insbesondere kamen diese anderen Personen aufgrund des fehlenden zeitlichen Bezugs auch nicht als Zeugen für das konkrete Verfahren in Betracht. Die ungeschwärzte Kopie gelangte im Rahmen der Akteneinsicht an die eingangs erwähnte antragstellende Person. Diese konnte dadurch selbst einen Einblick gewinnen, wer sonst noch aus welchen Gründen in Hafträumen der Polizeidienststelle festgehalten worden war.

Von der Sorge motiviert, dass auch die eigenen Haftdaten auf vergleichbare Weise im Rahmen einer Akteneinsicht an Dritte übermittelt werden könnten, wandte sich die betroffene Person an mich und bat um eine datenschutzrechtliche Prüfung dieses Sachverhalts.

Das um eine Stellungnahme gebetene Polizeipräsidium räumte ein, dass eine ungeschwärzte Kopie versehentlich in die bei Gericht vorgelegte Akte gelangt war. Auch nach meiner Einschätzung handelte es sich um einen Fehler im Einzelfall und nicht um ein strukturelles Problem. Gleichwohl habe ich dem Polizeipräsidium mitgeteilt, dass ich den Vorgang in datenschutzrechtlicher Hinsicht sehr ernst nehme. Schließlich waren die Daten von sieben anderen Personen unnötig weitergegeben worden. Das damit befasste Polizeipräsidium teilte meine kritische Bewertung des Sachverhalts und berichtete mir von konstruktiven Maßnahmen zur internen Aufarbeitung des Vorgangs.

4.5.3. "Überschießende" Datenübermittlung mittels unverschlüsselter E-Mail

Eine Petentin teilte mir mit, österreichische Behörden seien zur Ermittlung ihrer Wohnanschrift mit unverschlüsselter E-Mail unter Nennung ihres Namens sowie des Hintergrunds der Anfrage an die "Kontaktstelle Grenze der Bayerischen Polizei" herangetreten. Der weitere Schriftverkehr erfolgte auch von deutscher Seite per unverschlüsselter E-Mail, wobei auch Daten (insbesondere frühere Wohnsitze der Petentin) übermittelt wurden, die weder angefragt noch erkennbar für die Sachbearbeitung erforderlich waren. Eine E-Mail schloss mit dem Satz: "Sonst keine weiteren polizeilichen Erkenntnisse."

Öffentliche Stellen haben bei der Verarbeitung personenbezogener Daten technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz dieser Daten zu treffen. Außerdem bedarf die Übermittlung eines jeden einzelnen personenbezogenen Datums einer Rechtfertigung. Die Datenübermittlung muss insbesondere erforderlich sein.

Ich habe das betroffene Polizeipräsidium darauf hingewiesen, dass personenbezogene Daten an andere Behörden, besonders wenn sich diese im Ausland befinden, per E-Mail ausschließlich verschlüsselt und nur im erforderlichen Umfang übermittelt werden dürfen. Auch habe ich das Polizeipräsidium gebeten, die Beschäftigten entsprechend zu sensibilisieren. Bei einer Datenanforderung kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die anfragende Behörde über die angefragten Daten hinaus weitere Daten benötigt. Ein Zusatz, der Rückschlüsse darauf zulässt, ob bei der Daten übermittelnden Behörde weitere Erkenntnisse vorliegen (sogenannte Negativauskunft) stellt ebenfalls ein personenbezogenes Datum dar, das nicht grundlos übermittelt werden darf.

4.5.4. Erstellung eines Lagebildes Bayern zur sogenannten"Reichsbürgerbewegung in Bayern"

Als Reaktion auf die tödlichen Schüsse eines sogenannten "Reichsbürgers" auf Polizeibeamte im Oktober 2016 und weiterer bereits im Vorfeld bekannt gewordener Sicherheitsstörungen führte das Innenministerium ein Meldeverfahren mit dem erklärten Ziel ein, Kenntnis von allen der "Reichsbürgerbewegung" zugehörigen Personen zu erlangen und von diesem Personenkreis ausgehende Gefahren zu unterbinden (beispielsweise durch die Versagung von Waffen- oder sonstigen sicherheitsrechtlichen Erlaubnissen, die eine Zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers voraussetzen). Hierfür wurden alle Behörden aufgefordert, anfallende Erkenntnisse zu "Reichsbürgern" an die jeweiligen Polizeipräsidien als zentrale Ansprechpartner zu übermitteln, um dort eine entsprechende Überprüfung vornehmen zu lassen.

Dieses Meldeverfahren, das bezüglich der Polizei im Wesentlichen auf den entsprechenden Rechtsgrundlagen im Polizeiaufgabengesetz (Art. 42 PAG-alt beziehungsweise Art. 60 PAG) beruht, habe ich angesichts des oben erwähnten Anlasses im Grundsatz mitgetragen. Gleichzeitig habe ich aber unter anderem darauf hingewiesen, dass entsprechende Mitteilungen an die Polizei nur unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn zulässig sind und insbesondere die Einstufung als "Reichsbürger" bereits von der übermittelnden Stelle auf eine hinreichend konkrete Tatsachenbasis gestützt sein muss. Des Weiteren habe ich angemerkt, dass die Einhaltung von besonderen Übermittlungsvoraussetzungen und besonderen Schweigepflichten zu beachten ist. Bezüglich der konkreten Ausgestaltung des Meldeverfahrens stehe ich nach wie vor in Kontakt mit dem Innenministerium. Hierbei werde ich weiterhin darauf achten, dass datenschutzrechtliche Belange ausreichend berücksichtigt werden.

4.6. Auskunftsrecht

Sie möchten wissen, welche Informationen bei der Bayerischen Polizei über Sie gespeichert sind? Dann können Sie einen Antrag auf Auskunft nach Art. 65 Polizeiaufgabengesetz (PAG) stellen. Diese Vorschrift wurde im Rahmen der Polizeirechtsreform (siehe Nr. 4.1.1) überarbeitet und im Ergebnis datenschutzfreundlicher als ihre Vorgängernorm (Art. 48 PAG-alt) gestaltet. Angesichts der Vielzahl von Dateien, die von der Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben vorgehalten werden, dient dieses spezialgesetzliche Auskunftsrecht dazu, das Handeln der Polizei transparenter und nachvollziehbarer zu machen. Die Bürgerinnen und Bürger sollen grundsätzlich erfahren können, was die Polizei über sie weiß.

Art. 65 PAG
Auskunftsrecht

(1) 1Die Polizei teilt einer Person auf Antrag mit, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. 2Ist dies der Fall, erhält die Person ihrem Antrag entsprechend Auskunft über sie betreffende personenbezogene Daten und über

  1. die Rechtsgrundlage und die Zwecke der Verarbeitung,
  2. verfügbare Informationen zur Herkunft der Daten oder, falls dies im Einzelfall nicht möglich ist, zu den Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden,
  3. die Empfänger, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt wurden,
  4. die für deren Speicherung vorgesehene Dauer oder, falls dies im Einzelfall nicht möglich ist, die Kriterien für deren Festlegung,
  5. die bestehenden Rechte auf Berichtigung, Löschung oder Verarbeitungseinschränkung und
  6. die Kontaktdaten des Landesbeauftragten und die Möglichkeit, bei ihm Beschwerde einzulegen.

3Bestehen begründete Zweifel an der Identität der antragstellenden Person, kann die Erteilung der Auskunft von der Erbringung geeigneter Nachweise abhängig gemacht werden. 4Auskunft zur Herkunft personenbezogener Daten von oder zu deren Übermittlung an Verfassungsschutzbehörden des Bundes oder der Länder, den Bundesnachrichtendienst oder den Militärischen Abschirmdienst, wird nur mit Zustimmung dieser Stellen erteilt.

(2) 1Die Auskunft kann unterbleiben, soweit und solange andernfalls

  1. die Erfüllung polizeilicher Aufgaben gefährdet oder wesentlich erschwert würde,
  2. die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet würde oder
  3. die im Einzelfall erforderliche Geheimhaltung verarbeiteter Daten gefährdet würde und das Interesse der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung nicht überwiegt.

So überrascht es auch nicht, dass mich zum polizeirechtlichen Auskunftsrecht im Berichtszeitraum viele Bürgereingaben erreicht haben.

Eine Anfrage bezog sich darauf, ob auch der sogenannte Kurzsachverhalt innerhalb der Vorgangsverwaltung (Integrationsverfahren Polizei - IGVP) vom gesetzlichen Auskunftsanspruch mit umfasst ist.

Für mich ist insofern maßgeblich, dass der antragstellenden Person ein gesetzlicher Anspruch auf Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten zusteht. Sind mehrere Personen innerhalb eines IGVP-Vorgangs erfasst - wie dies regelmäßig der Fall ist -, so hat die auskunftsbegehrende Person allgemein nur ein Recht auf die Bekanntgabe der zu ihrer Person gespeicherten Daten. Folglich erstreckt sich das Auskunftsrecht nicht auf die Übermittlung fremder personenbezogener Daten, auch wenn diese zum selben Sachverhalt von der Polizei gespeichert wurden. Der Auskunftsanspruch bezieht sich also allein auf die Daten des jeweiligen Antragstellers. Sind im freitextlichen Kurzsachverhalt der Vorgangsverwaltung diverse Angaben zu mehreren Beteiligten dargelegt, so erfährt eine antragstellende Person die Passagen, welche Informationen gerade über sie enthalten. Bezieht sich der gesamte Kurztext einzig auf die antragstellende Person, so hat sie einen Anspruch auf umfassende Beauskunftung. Umfasst der Kurztext hingegen ausschließlich Informationen zu anderen Personen, hat die antragstellende Person keinen Anspruch auf eine teilweise oder gar vollständige Mitteilung des dieses Kurztextes. Der Auskunftsanspruch ist gerade kein Akteneinsichtsrecht.

Auf dieser Grundlage habe ich das Bayerische Landeskriminalamt ersucht, gegenüber Personen, die von ihrem Auskunftsrecht nach dem Polizeiaufgabengesetz Gebrauch machen, alle zu ihrer Person gespeicherten Daten mitzuteilen. Zumindest auf entsprechende Nachfrage sind damit gegebenenfalls auch Kurzsachverhalte aus der Vorgangsverwaltung (einzelfallbezogen ganz oder teilweise) mitzuteilen, sofern keine generellen gesetzlichen Versagungsgründe nach Art. 65 Abs. 2 PAG eingreifen.

Weitere Hinweise zum Auskunftsrecht gegenüber der Bayerischen Polizei, aber auch in Bezug auf andere bayerische öffentliche Stellen finden Sie auf meiner Homepage https://www.datenschutz-bayern.de in der Rubrik "Themengebiete - Polizei - Speicherung personenbezogener Daten durch die Polizei".