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Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz; Stand: 20.01.2015
9. Steuer- und Finanzverwaltung
9.1. Datenschutzrechte der Arbeitnehmer beim Abruf der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM)
Über den langen Weg zur Ablösung der herkömmlichen (Papier-)Lohnsteuerkarte durch ein elektronisches Abrufverfahren hatte ich in meinen Tätigkeitsberichten immer wieder ausführlich berichtet (siehe nur zuletzt im 25. Tätigkeitsbericht 2012 Nr. 9.1 und im 24. Tätigkeitsbericht 2010 Nr. 9.1.3). Gesetzliche Grundlage dieses umfangreichen E-Government-Projekts ist der bereits durch das Jahressteuergesetz 2008 in das Einkommensteuergesetz (EStG) eingefügte § 39e EStG "Verfahren zur Bildung und Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale". Danach werden die zur Abführung der Lohnsteuer benötigten Daten der Arbeitnehmer für den automatisierten Abruf durch den Arbeitgeber in einer beim Bundeszentralamt für Steuern errichteten, bundesweit zentralen Datenbank bereitgestellt. Zu den Elektronischen LohnSteuerAbzugsMerkmalen (ELStAM) gehören insbesondere die Steuerklasse, die Zahl der Kinderfreibeträge, die Freibeträge und die Kirchensteuerabzugsmerkmale. Seit Ende des Jahres 2013 ist - nach mehrfachen Verzögerungen - die Nutzung des elektronischen Abrufs für alle Arbeitgeber nunmehr grundsätzlich verpflichtend (vgl. § 52b Abs. 5 EStG).
Zum elektronischen Abruf der ELStAM benötigt der Arbeitgeber unter anderem die steuerliche Identifikationsnummer, das Geburtsdatum und die Angabe des Arbeitnehmers, ob es sich um das Haupt- oder um ein Nebenarbeitsverhältnis handelt (§ 39e Abs. 4 EStG). Aus Datenschutzsicht möchte ich dabei hervorheben, dass nur der jeweilige Arbeitgeber zum Abruf der ELStAM seiner Arbeitnehmer berechtigt ist; diese Berechtigung endet mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der vorsätzliche oder leichtfertige Abruf für andere Zwecke als für die Durchführung des Steuerabzugs - also etwa eine "Neugierabfrage" - stellt zudem eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit dar (§ 39e Abs. 4 Satz 7 in Verbindung mit § 39 Abs. 8 und 9 EStG).
Eine ausdrückliche Zustimmung des Arbeitnehmers zu diesem automatisierten Abruf durch den Arbeitgeber ist gesetzlich nicht vorgesehen. Zur Überprüfung der Abrufberechtigung wird allerdings jeder Abruf protokolliert. Um zusätzliche Maßnahmen zum Schutz vor - systembedingt nie ganz auszuschließenden - unberechtigten Abrufen ergreifen zu können, stehen dem Arbeitnehmer zudem verschiedene Datenschutzrechte zu.
Nach meiner Einschätzung haben Arbeitnehmer jedoch oftmals (noch) keine genaue Kenntnis darüber, welche Maßnahmen sie selbst zum Schutz ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung vor unberechtigten Steuerdatenabrufen ergreifen können. Mit ausführlichen Hinweisen zum "Selbstdatenschutz bei der Lohnsteuer - Datenschutzrechte der Arbeitnehmer beim Abruf der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM)" habe ich mich daher bereits am 08.11.2013 mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gewandt. Diese Pressemitteilung steht selbstverständlich auch jetzt noch auf meiner Homepage https://www.datenschutz-bayern.de unter "Presse" - "Pressemitteilungen" zum Abruf bereit; nähere Informationen sind in diesem Zusammenhang zudem unter "Themen" - "Steuer- und Finanzverwaltung" abrufbar.
Auch an dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf aufmerksam machen, welche Maßnahmen der Arbeitnehmer selbst zum Schutz seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung vor unberechtigten Steuerdatenabrufen ergreifen kann:
- Der Arbeitnehmer kann von seinem Finanzamt Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten ELStAM sowie über die in den letzten 24 Monaten erfolgten Abrufe der Arbeitgeber verlangen (§ 39e Abs. 6 Satz 4 EStG in Verbindung mit BMF-Schreiben vom 07.08.2013, BStBl I Seite 943, Rn. 81). Über das ElsterOnline-Portal https://www.elsteronline.de/eportal (externer Link) kann der Arbeitnehmer auch online seine ELStAM einsehen; dazu ist eine - kostenfreie - Registrierung notwendig.
Der Arbeitnehmer kann darüber hinaus nach § 39e Abs. 6 Satz 6 EStG bei seinem Finanzamt
- einen oder mehrere Arbeitgeber benennen, die zum Abruf der ELStAM berechtigt sein sollen (Positivliste),
- einen oder mehrere - beispielsweise ehemalige - Arbeitgeber benennen, die zum Abruf der ELStAM nicht berechtigt sein sollen (Negativliste, Teilsperrung),
- den Abruf der ELStAM allgemein für alle Arbeitgeber sperren lassen (Vollsperrung),
- nach einer Voll-/Teilsperrung den Abruf der ELStAM wieder allgemein für alle Arbeitgeber freischalten lassen.
Damit der Arbeitnehmer den Arbeitgeber für die Positivliste wie für die Negativliste benennen kann, hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer seine Wirtschafts-Identifikationsnummer (vgl. § 139c Abgabenordnung) mitzuteilen.
Kann der Arbeitgeber wegen einer vom Arbeitnehmer veranlassten Sperrung keine ELStAM abrufen, hat er die Lohnsteuer allerdings nach der - meist ungünstigen - Steuerklasse VI zu ermitteln (§ 39e Abs. 6 Satz 8 EStG).
§ 39e EStG Verfahren zur Bildung und Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale
(6) ... 4Die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale sind dem Steuerpflichtigen auf Antrag vom zuständigen Finanzamt mitzuteilen oder elektronisch bereitzustellen. 5Wird dem Arbeitnehmer bekannt, dass die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale zu seinen Gunsten von den nach § 39 zu bildenden Lohnsteuerabzugsmerkmalen abweichen, ist er verpflichtet, dies dem Finanzamt unverzüglich mitzuteilen. 6Der Steuerpflichtige kann beim zuständigen Finanzamt
- den Arbeitgeber benennen, der zum Abruf von elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmalen berechtigt ist (Positivliste) oder nicht berechtigt ist (Negativliste). 2Hierfür hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer seine Wirtschafts-Identifikationsnummer mitzuteilen. 3Für die Verwendung der Wirtschafts-Identifikationsnummer gelten die Schutzvorschriften des § 39 Absatz 8 und 9 sinngemäß; oder
- die Bildung oder die Bereitstellung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale allgemein sperren oder allgemein freischalten lassen.
7Macht der Steuerpflichtige von seinem Recht nach Satz 6 Gebrauch, hat er die Positivliste, die Negativliste, die allgemeine Sperrung oder die allgemeine Freischaltung in einem bereitgestellten elektronischen Verfahren oder nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck dem Finanzamt zu übermitteln. 8Werden wegen einer Sperrung nach Satz 6 einem Arbeitgeber, der Daten abrufen möchte, keine elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale bereitgestellt, wird dem Arbeitgeber die Sperrung mitgeteilt und dieser hat die Lohnsteuer nach Steuerklasse VI zu ermitteln.
Der amtliche Vordruck zur Beantragung der Auskunft, Sperrung oder Freischaltung der ELStAM ist bei den Finanzämtern erhältlich; er steht darüber hinaus auf der Homepage des Landesamts für Steuern www.lfst.bayern.de (externer Link) unter "Formulare" - "Lohnsteuer/ELStAM" - "Arbeitnehmer" zum Abruf zur Verfügung.
9.2. Staatliche Mitwirkung bei der Erhebung der Kirchensteuer
Die Religionsfreiheit wird in Art. 107 Verfassung des Freistaates Bayern (BV) sowie in Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) gewährleistet. Dieses Grundrecht umfasst insbesondere das Recht, frei über die Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu entscheiden (positive Religionsfreiheit), aber auch das Recht, einer solchen Gemeinschaft fernzubleiben oder aus ihr jederzeit auszuscheiden (negative Religionsfreiheit). Das Grundrecht auf negative Religionsfreiheit enthält überdies das Recht, über Glaubens- und Bekenntnisfragen grundsätzlich die Auskunft zu verweigern.
Art. 107 BV
(5) 1Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. 2Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund bringen immer wieder Bürgerinnen und Bürger datenschutzrechtliche Bedenken gegen die staatliche Mitwirkung bei der Erhebung der Kirchensteuer bei mir vor. Insbesondere wenden sie sich mit ihren Eingaben gegen die Erhebung von weltanschaulichen und religionsbezogenen Angaben durch staatliche und private Stellen im Rahmen des Kirchensteuerverfahrens.
Aus datenschutzrechtlicher Sicht nehme ich zu diesem Problemkreis wie folgt Stellung:
Zunächst beschränkt sich meine datenschutzrechtliche Kontrollkompetenz auf die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften durch bayerische öffentliche Stellen (Art. 33a Abs. 2 BV, Art. 30 Abs. 1 BayDSG). Zu den bayerischen öffentlichen Stellen zählen aufgrund Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Weimarer Reichsverfassung (WRV) nicht die als öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften anerkannten Kirchen. Die in der Verfassung angelegte Trennung von Kirche und Staat hat zur Folge, dass die Kirche von Staatsaufsicht frei zu bleiben hat. Eine Kontrolle kirchlicher Datenverarbeitung durch staatliche Aufsichtsinstanzen wäre hiermit nicht vereinbar. Im Bereich der Kirchensteuer unterfällt meiner Kontrollkompetenz somit nur das Handeln der bayerischen Finanzämter, nicht jedoch die Tätigkeit der bayerischen Kirchensteuerämter.
Das vom Bundesverfassungsgericht auf Grundlage von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG entwickelte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung besagt, dass jeder Einzelne grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen hat (so genanntes "Volkszählungsurteil" vom 15.12.1983, Az.: 1 BvR 209/83 u.a.). Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährleistet ist. Der Einzelne muss vielmehr Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen, wenn hierfür eine normenklare gesetzliche Rechtsgrundlage besteht und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet ist.
Bei Angaben zur Religionszugehörigkeit handelt es sich um besonders sensible Daten. Die Freiheit, religiöse Überzeugungen zu verschweigen, ist als sog. negative Religionsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie ausdrücklich Art. 107 Abs. 5 Satz 1 BV und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV). Behörden dürfen somit grundsätzlich nicht nach dem religiösen Bekenntnis fragen. Ein Fragerecht nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft ist jedoch dann vorgesehen, wenn davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert (Art. 107 Abs. 5 Satz 2 BV; Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 Satz 2 WRV). Derartige Rechte und Pflichten können sich aus dem Recht der Steuererhebung ergeben, das den Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts verfassungsrechtlich eingeräumt ist (Art. 143 Abs. 3 BV; Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV). Die hiermit gewährleistete Mitwirkung des Staates bei der Erhebung der Kirchensteuern bezieht sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkret darauf, dass der Staat den Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts das Besteuerungsrecht verleiht, die Erhebung gesetzlich regelt (siehe Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV: "nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen"), sich in dem durch diese Regelungen bestimmten Umfang an deren Vollzug beteiligt und dabei auch den Verwaltungszwang zur Verfügung stellt. Hierduch ist der Staat von Verfassungs wegen auch verpflichtet, in Rechtsetzung und Vollzug die Möglichkeit geordneter Verwaltung der Kirchensteuern sicherzustellen (siehe hierzu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.02.1977, Az.: 1 BvR 329/71 u.a.). Soweit diese verfassungsrechtliche Verpflichtung es notwendig macht, kann sie somit zu einer Einschränkung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit führen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.02.1977, Az.: 1 BvR 329/71 u.a.). Diese Garantie einer geordneten Besteuerung rechtfertigt nach der - soweit ersichtlich - einhelligen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auch die gesetzlich vorgesehene Erhebung der Mitgliedschaft zu einer Religionsgemeinschaft im Rahmen des Lohnsteuerverfahrens (vgl. nur Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23.10.1978, Az.: 1 BvR 439/75; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 12.10.2010, Az.: Vf. 19-VII-09).
Art. 143 BV
(3) Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie weltanschauliche Gemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, dürfen auf Grund der öffentlichen Steuerlisten Steuern erheben.
In Anbetracht dieser gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung kann ich - auch vor dem Hintergrund meiner in Art. 33a Abs. 2 BV, Art. 30 Abs. 1 BayDSG eng umrissenen Aufgabenstellung - nicht von einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das bayerische Kirchenlohnsteuerverfahren ausgehen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf aufmerksam machen, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuerabzugsmerkmale nach der ausdrücklichen gesetzlichen Verwendungsbeschränkung des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Kirchensteuergesetz in Verbindung mit § 39 Abs. 8 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) nur für die Einbehaltung der (Kirchen-)Lohnsteuer verwenden darf. Die Kirchenlohnsteuer ist im Übrigen in den anderen Ländern entsprechend geregelt.
§ 39 EStG Lohnsteuerabzugsmerkmale
(8) 1Der Arbeitgeber darf die Lohnsteuerabzugsmerkmale nur für die Einbehaltung der Lohn- und Kirchensteuer verwenden. 2Er darf sie ohne Zustimmung des Arbeitnehmers nur offenbaren, soweit dies gesetzlich zugelassen ist.
Im Hinblick auf die Entrichtung der Kirchenkapitalertragsteuer konnten die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in langdauernden und intensiven Verhandlungen erreichen, dass es in Zukunft weiterhin möglich ist, eine Kenntnisnahme des jeweils betroffenen Kreditinstituts von der Religionszugehörigkeit des Steuerbürgers bzw. von der Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu vermeiden. So können Steuerbürger, die das Bekanntwerden ihrer Religionszugehörigkeit bei ihrer Bank nicht wünschen, der elektronischen Übermittlung ihrer Religionszugehörigkeit durch das Bundeszentralamt für Steuern an ihre Bank widersprechen ("Sperrvermerk"). Die Kirchenkapitalertragsteuer wird in diesem Fall im Wege einer Veranlagung auf Basis einer Steuererklärung - und damit ohne Kenntnis der ansonsten abzugsverpflichteten Bank - erhoben (siehe § 51a Abs. 2c Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2e EStG). Im Einzelnen möchte ich insoweit auf meine Ausführungen im 25. Tätigkeitsbericht 2012 unter Nr. 9.4 verweisen.
Aus meiner Sicht ist damit das aus der Religionsfreiheit folgende Recht, sich zu seiner religiösen Überzeugung grundsätzlich nicht äußern zu müssen, im Lichte der verfassungsrechtlichen Regelungen gewahrt.